NSU-Komplex: die systematische Vertuschung

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Presseerklärung des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz vom 8.11.2011:

“Zu den polizeilichen Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Bankraub in Eisenach am 4. November 2011 wird keine Stellungnahme abgegeben. Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz hat hinsichtlich der sog. Bombenleger von Jena, über die im Zusammenhang mit dem Bankraub in Eisenach am 4. November 2011 in der Presse berichtet wird, seit deren Abtauchen im Jahr 1998 keine Kenntnis über deren Aufenthaltsort.”

(Die obige Presseerklärung des TLV vom 8.11.2011 ist mittlerweile in den archivierten Meldungen des Verfassungsschutzes nicht mehr aufgeführt. Die erste, noch archivierte Meldung des Verfassungsschutzes stammt vom 9.11.2011)


Der Spiegel am 14.11.2011:

„Gerüchte, nach denen deutsche Geheimdienste dem Trio einst zur Flucht verholfen oder Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gar als Quellen geführt haben könnten, wollen nicht verstummen – trotz vehementer, wiederholter Dementis aus Bund und Ländern. Selbst Polizisten des Landeskriminalamts spekulierten 2001 in einem Vermerk, zumindest Zschäpe könne als V-Frau geführt worden sein – was die Geheimen empört zurückweisen.“


SPON am 28.6.2012:

„Das Bundesamt für Verfassungsschutz soll noch nach Auffliegen der Terrororganisation „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) Akten über die umstrittene Operation „Rennsteig“ gelöscht haben. Dies erfuhr die Nachrichtenagentur dapd von Teilnehmern des Untersuchungsausschusses des Bundestages. Dem Vernehmen nach hat das Thema in der Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste (PKGr) am Mittwoch eine Rolle gespielt. Bei der Operation „Rennsteig“ sollen das BfV und der Militärische Abschirmdienst zwischen 1997 und 2003 mit V-Leuten aus der NSU-Vorgängerorganisation Thüringer Heimatschutz zusammengearbeitet haben.“

Screenshot MDR Online November 2011


Zeit Online am 12.11.2015:

„Warum wurden nach dem Auffliegen des NSU beim Verfassungsschutz Akten vernichtet? Nach einer Klage der ZEIT muss das Bundesamt über Disziplinarverfahren Auskünfte geben. Wenige Tage, nachdem im November 2011 die Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) aufflog, kam es bei mehreren Geheimdiensten zu Aktenvernichtungen. Im Thüringer und im Berliner Landesamt für Verfassungsschutz zum Beispiel und beim Militärischen Abschirmdienst (MAD). Die aufsehenerregendste Aktenvernichtung aber fand im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) statt. Ein Referatsleiter der Rechtsextremismusabteilung, in der Öffentlichkeit unter seinem Dienstnamen „Lothar Lingen“ bekannt, ließ sieben Akten zu V-Leuten aus der Thüringer Neonazi-Szene häckseln.“ 


Details: NSU Fahndungsfotos in Tatort und Küstenwache


Akkreditierungsverfahren im NSU-Prozess:Ungerecht, borniert oder fehlerhaft ?

Die politische Aufklärung der Mordserie scheitert in Thüringen an der rot-rot-grünen Landesregierung – Abschlussbericht des Parlamentes (Telepolis 4.10.2019)

NSU: „Warum kann der Staat einen Polizistenmord nicht aufklären?“
(09.04.2019 Thomas Moser)

NSU-Polizistenmord: Versteckte Spur (27.03.2019 Thomas Moser und Rainer Nübel)

NSU-Richter lässt NSU-Ausschuss auflaufen
(14.01.2019 Thomas Moser)

NSU: Der So-tun-als-ob-Untersuchungsausschuss (02. Januar 2019 Thomas Moser)

NSU-Schauplatz Brandenburg: Nach der Stasi kam das BfV (24.12. 2018 Thomas Moser)

Der Staatsanteil am NSU – 3 NSU-Mitglieder – 45 V-Leute (plus X)

NSU und Verfassungsschutz und kein Ende (26.11.2018 Thomas Moser)

Der NSU-Prozess ist zu Ende – nicht aber die Aufklärung
(20.8.2018 Thomas Moser/Telepolis)

Neue Spuren – Der rätselhafte NSU-Polizistenmord in Heilbronn (BR 21.8.2018)

Aufklärung à la Bouffier:
Lügen, Vertuschung und Zeugenbeeinflussung nach Kasseler NSU-Mord: Linksfraktion wirft Hessens »Landesvater« vor, Parlament getäuscht zu haben (Junge Welt 16.8.2018)

Zum Ende des NSU-Prozesses: Nichts ist in Ordnung! (Christiane Mudra/Deutschlandfunk 9.7.2018)


Schlussworte im NSU-Prozess: Zschäpe vertut die letzte Chance


NSU-Komplex: Zollstockgate! Verbreiten Journalisten gezielte Desinformation zur Böhnhardt DNA-Spur im Fall Peggy?


NSU-Bombenanschlag: Neue Spur führt zu Freundin von Zschäpe (BR 26.6.2018)


NSU-Ausschuss: Zeuge gesteht Waffenbeschaffung (Telepolis/Thomas Moser 7.3.2018)


NSU-Prozess: Gericht will zweiter Waffenspur nicht nachgehen (Telepolis/Thomas Moser 14.3.2018)


Ein „NSU-V-Mann“ von höchster Güteklasse (27. März 2018 Telepolis/Thomas Moser)

Auch wenn das Urteil gegen Beate Zschäpe und die Mitangeklagten verkündet wird, ist der Fall nicht abgeschlossen. Die Bundesanwaltschaft sucht noch mögliche Unterstützer (Der Freitag/Andreas Förster 28.6.2018)


NSU-Zeugen im Schonwaschgang (18. April 2018 Telepolis/Thomas Moser)


Zschäpe-Plädoyer begonnen – aber: NSU-Prozess vor Aufspaltung? (25. April 2018 Thomas Moser)


Mordfall Lübcke: Verbindungen zum NSU-Komplex weiten sich aus:

Die Verbindungen zwischen der rechtsextremen Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) und dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) waren offenbar enger als gedacht. Im Mittelpunkt steht der ehemalige Mitarbeiter des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Andreas Temme. Ermittlungsunterlagen des Polizeipräsidiums Mittelfranken belasten den früheren Verfassungsschützer. In einem Vermerk vom Juni 2006, der dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vorliegt, gibt der Mitarbeiter einer Kasseler Sicherheitsfirma zehn Wochen nach dem NSU-Mord in Kassel zu Protokoll, Temme seit etwa 1990 zu kennen. Beide hätten in Rockerkreisen verkehrt mit Beziehungen zu einem Motorradclub namens „Wheels of Steel“. Beide hätten gemeinsam an Schießübungen teilgenommen. Geschossen wurde nach Aussage des Zeugen Jürgen S. in zwei Kasseler Schützenvereinen, zunächst in Vellmar, später in Waldau, jeweils nur wenige Kilometer Luftlinie vom späteren NSU-Tatort im Norden Kassels entfernt. Geübt wurde mit der Dienstwaffe des Sicherheitsmannes – einem Revolver der Marke „Rossi“, Modell 27, Kaliber 38 Spezial. Mit einer Waffe dieses Typs wurde dreizehn Jahre später Lübcke erschossen. Ob auch Temme mit der „Rossi“ übte, bleibt in dem Vermerk unklar. Der Zeuge Jürgen S. verfügte bis zum NSU-Mord in Kassel über ein Diensthandy, das fest mit seinem Geldtransporter verbunden war. Laut Aktenvermerk taucht die Nummer des Handys zweimal in Funkzellenabfragen der Ermittler zeitgleich in unmittelbarer Nähe zu weiteren NSU-Morden auf: am 15. Juni 2005 in München sowie sechs Tage zuvor in Nürnberg. V-Mann-Führer Temme war nur wenige Meter entfernt, als am 6. April 2006 der 21-jährige Halit Yozgat in einem Kasseler Internetcafé mit zwei gezielten Kopfschüssen getötet wurde. Kassel markierte den neunten NSU-Mord. Temme galt zwischenzeitlich als tatverdächtig, wurde festgenommen und mehrfach verhört. Dennoch konnte die Tat bislang nicht aufgeklärt werden. Neben seinem „Faible für Waffen“ gab Temme bei einer Sicherheitsüberprüfung im Juli 2006 „Motorrad fahren“ als Hobby an. Er räumte ein, den Präsidenten der Kasseler Hells Angels zu kennen. Den Kontakt vermittelt habe ihm sein „Freund“ Jürgen S. – der Fahrer des Kasseler Geldtransporters. Laut Bundesanwaltschaft soll Jürgen S. Temme für den ersten NSU-Mord im Jahr 2000 in Nürnberg ein Alibi verschafft haben. Rockergangs wie Hells Angels oder Bandidos sollen hessischen Neonazis Waffen besorgt haben. Die Bundesanwaltschaft prüft zurzeit den Verbleib von Waffen aus Schleswig-Holstein, darunter auch Revolver vom Typ „Rossi“. Der Verfassungsschützer Temme, Beiname „Kleiner Adolf“, wurde verdächtig, weil er sich als einziger Zeuge des Kasseler NSU-Mordes nicht freiwillig bei der Polizei gemeldet hatte. Während seiner späteren Vernehmungen widersprach sich der Sportschütze mehrmals. In diesem Herbst musste Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) einräumen, dass Temme mit dem mutmaßlichen Lübcke-Mörder Stephan E. vor 2006 „dienstlich befasst“ war. In welcher Form, sagte Beuth nicht, fügte jedoch später vor dem Innenausschuss des hessischen Landtages hinzu, man solle sich davor hüten, „durch haltlose Thesen Verschwörungstheorien zu bedienen“. Seit dem Mord an Lübcke rücken die Ermittler alte Vermerke und Spuren von damals in ein neues Licht. Sie halten es für möglich, dass der Kasseler Geldtransporter genutzt wurde, um Täter und Tatwaffen unbemerkt an möglichen Polizeikontrollen vorbei zu schleusen. Und sie untersuchen, welche Rolle die Rocker- und Schützenbekanntschaft zwischen Jürgen S. und Temme gespielt haben könnte. Stephan E., Tatverdächtiger im Fall des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, wird nach einem Haftprüfungstermin beim Bundesgerichtshof (BGH) zu einem Hubschrauber gebracht.Seit 2007 ist der Landesbeamte Temme nicht mehr für den Verfassungsschutz tätig. Als Sachbearbeiter wechselte er ins Regierungspräsidium Kassel, in die Behörde, deren Chef Walter Lübcke war. Nach Angaben des hessischen Verfassungsschutzes wurden im Jahr 2000 mindestens zwei Berichte in der Verfassungsschutzakte von Stephan E. von Temme unterschrieben. Stephan E. hat inzwischen in einem neuen Geständnis seinen Komplizen Markus H. belastet, Lübcke versehentlich erschossen zu haben. Laut Aktenlage wurde Markus H. bereits 2006 nach dem NSU-Mord in Kassel von der Polizei vernommen – allerdings ohne Ergebnis. Für mehr Transparenz könnte ein Bericht des Verfassungsschutzes zur extrem rechten Szene in Hessen aus 2013 sorgen. Dort taucht elfmal der Name Stephan E. auf, auch der Name Temme wird genannt. Der ganze Bericht ist vom Verfassungsschutz noch für mehrere Jahrzehnte als geheim eingestuft. Linken-Innenexpertin Martina Renner verlangt Aufklärung. „Es ist genau dieser Punkt, zu dem sowohl in der NSU-Aufklärung als auch im Zusammenhang mit dem Mord an Walter Lübcke hessische wie Bundesbehörden zur Aufklärung beitragen können: Welche Verbindungen gibt es über V-Leute, den Schießsport und die Rockerszene zwischen dem Verfassungsschützer Temme und den Mördern?“, sagte Renner dem RND. (RND 11.1.2020)


Ex-Verfassungsschützer Andreas Temme war „dienstlich befasst“ mit Stephan Ernst:

Aufregung im Innenausschuss des Landtags: Dort kam heraus, dass Ex-Verfassungsschützer Temme mit dem mutmaßlichen Lübcke-Mörder Stephan Ernst dienstlich befasst war. Die Opposition zeigt sich schockiert. Im Innenausschuss des Landtags hat am Donnerstag eine neue Information über den Hauptverdächtigen im Mordfall Lübcke, Stephan Ernst, für Aufregung gesorgt. Laut Innenminister Peter Beuth (CDU) war der ehemalige Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, Andreas Temme, mit Stephan Ernst vor 2006 „dienstlich befasst“. In welcher Form, sagte Beuth nicht. Temme spielt eine wichtige Rolle im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags. Er wurde mehrmals als Zeuge geladen, weil er sich während der Ermordung des NSU-Opfers Halit Yozgat am Tatort in einem Kasseler Internetcafe aufhielt. Yozgat wurde im April 2006 durch zwei gezielte Schüsse getötet. Laut SPD stellt sich die Frage, ob es damit eine Verbindung zum NSU-Mord in Kassel gibt. Die FDP teilte nach der Innenausschusssitzung mit, man sei „schockiert“: „Es ist erstaunlich, dass diese Information erst durch intensive Befragung des Innenministers ans Licht kommt“, schreibt der innenpolitische Sprecher der Landtagsfraktion, Stefan Müller. Es bestehe die Frage, ob Temme an der Entscheidung beteiligt gewesen sei, dass Ernst als „abgekühlt“, also nicht mehr aktiv in der rechten Szene, eingestuft wurde. Die Informationspolitik des Ministers soll nach dem Willen der FDP Folgen haben: „Der Innenminister bettelt um einen Untersuchungsausschuss“, so Müller. Der innenpolitische Sprecher der Linken, Hermann Schaus, sagte: „Ich frage mich langsam, ob die Vorgänge im Landesamt für Verfassungsschutz eher ein Fall für die Justiz oder für einen neuen Untersuchungsausschuss sind.“ Das Verhalten von Minister Beuth sei „katastrophal“. Innenminister Beuth warnte die Opposition im Ausschuss vor Verschwörungstheorien. Zu keiner Zeit habe es eine Zusammenarbeit zwischen dem Verfassungsschutz und Stephan Ernst gegeben. Das Innenministerium reagierte am Abend mit einer Mitteilung. Angesichts der Ermittlungen zum Mord an Lübcke „sind wir insgesamt gut beraten, uns an die Fakten zu halten, anstatt durch haltlose Thesen Verschwörungstheorien zu bedienen“, teilte Ministeriumssprecher Michael Schaich mit. Sachverhalte sollten nicht „unnötig skandalisiert“ werden. „Wer vorgibt, Aufklärung leisten zu wollen, sollte die Tatsachen nicht verleugnen“, hieß es in der Mitteilung in Richtung Opposition.
Vom Verfassungsschutzes hieß es auf Anfrage, dem Amt seien keine Treffen zwischen Temme und Ernst bekannt. Es habe allerdings dienstliche Verbindungen gegeben: „So wurden zwei Berichte in der Personenakte von Stephan E., die bereits an den im Mordfall an Dr. Walter Lübcke ermittelnden Generalbundesanwalt übermittelt wurden, im Jahr 2000 mit dem Namen Temme gezeichnet“, sagte Verfassungsschutz-Sprecher Christian Scheh dem hr. Seit 2007 ist Temme nicht mehr beim Landesverfassungsschutz beschäftigt. FDP, SPD und Linke kritisieren schon länger die Informationspolitik des Innenministers. Zuletzt hatte es scharfe Kritik aus der Opposition im Landtag gegeben, weil der Grünen-Abgeordnete Jürgen Frömmrich aus dem Geheimbericht über die nordhessische Neonazi-Szene zitierte. Die SPD wiederholte am Donnerstag, der Tatbestand des Geheimnisverrats werde von ihnen geprüft und zwar auch gegen den Innenminister. Die Zeitung Welt am Sonntag hatte im September berichtet, dass der Name Stephan Ernst in einer ersten Version eines als geheim eingestuften Berichts des Verfassungsschutzes zur rechten Szene in Hessen aus dem Jahr 2013 insgesamt elfmal vorkomme, in einer späteren Version von 2014 dann nicht mehr. Temme kommt im ersten Bericht demnach zweimal vor, im zweiten Bericht sechsmal. (Hessenschau.de 17.10.2019)


2007 wurde in Heilbronn die Polizistin Michèle Kiesewetter ermordet. Der NSU-Untersuchungsausschuss in Thüringen äußert Zweifel an der These, dass Kiesewetter zufällig zum Opfer von Rechtsextremisten wurde:

Der zweite NSU-Untersuchungsausschuss im Thüringer Landtag bezweifelt, dass die am 25. April 2007 in Heilbronn ermordete Polizistin Michèle Kiesewetter ein bloßes Zufallsopfer war. Das geht aus dem mehr als 2000 Seiten starken Abschlussbericht des Gremiums hervor, das über vier Jahre lang tagte. Die Erfurter Abgeordneten sehen „diverse Anhaltspunkte“, die zu einer weiteren Aufhellung des Falles beitragen könnten. Der Ausschuss verweist unter anderem auf mögliche Verbindungen zur rechtsextremen Szene im privaten Umfeld der aus Thüringen stammenden Polizistin. So war etwa der Onkel von Kiesewetter als Staatsschutzbeamter mit Ermittlungen im rechtsextremen Milieu befasst. Die ehemalige Lebensgefährtin des Onkels heiratete später einen Mann, in dessen Sicherheitsfirma mehrere Rechtsextremisten arbeiteten. Der erste NSU-Ausschuss im Stuttgarter Landtag war ebenfalls auf diese Verwicklungen gestoßen, hatte sich aber eine weitere Aufklärung durch das Erfurter Pendant erhofft. Auch Verstrickungen von Neonazis aus Thüringen und Baden-Württemberg und mögliche Bezüge zur organisierten Kriminalität werden in dem Bericht genannt. So konnte der Erfurter Ausschuss die Rolle des aus Marbach am Neckar stammenden Jug P. nicht klären, der zeitweise in der Thüringer Neonaziszene aktiv war und einen Kameraden dort mit Waffen versorgte. Der Ausschuss geht davon aus, dass sich Jug P. und das spätere NSU-Mitglied Uwe Mundlos vor dessen Untertauchen kannten. Heute bewegt sich P. im Umfeld von Rockergruppierungen und der Türsteher-Szene in Baden-Württemberg.Der Ausschuss konnte die Heilbronner Tat allerdings nur eingeschränkt unter die Lupe nehmen. Da die Parlamentarier laut Gesetz lediglich Behördenhandeln mit Bezug zu Thüringen untersuchen dürfen, hatten sie nur bedingt Zugang zu Akten aus Baden-Württemberg. Erschwerend hinzugekommen sei der „erhebliche Umfang des Beweisthemas“. Die Abgeordneten können daher nach eigener Aussage „nur Anregungen zur Tataufklärung“ geben. Im Juli 2018 wurde Beate Zschäpe vom Münchner Oberlandesgericht zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Als Motiv für den Kiesewetter-Mord durch die NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatte Zschäpe im Prozess zunächst die Beschaffung von Waffen angegeben. Kurz darauf hatte Zschäpe jedoch Zweifel daran geäußert, dass es Mundlos und Böhnhardt in Heilbronn nur um die Dienstpistolen der Polizisten gegangen sei. Entgegen des Urteils im Münchner NSU-Prozess handelte es sich nach Ansicht des Thüringer Ausschusses beim NSU nicht um eine Zelle, sondern um ein „Netzwerk militanter Neonazis“. Aus Akten und Zeugenaussagen schließen die Abgeordneten, dass zum Unterstützernetzwerk der Gruppe mehrere Dutzend Personen gehörten. So könnten Listen mit rund 10000 Namen möglicher Anschlagsziele nur auf einer Zuarbeit weiterer Personen beruhen. Nach Informationen unserer Zeitung standen auch Politiker aus Baden-Württemberg, darunter der heutige Innenminister Thomas Strobl, auf einer solchen Liste. (Stuttgarter Zeitung 30.9.2019)


Thüringer NSU-Ausschuss:Was wusste Ringo M.? Der Gründer des umstrittenen Uniter-Vereins war ein Kollege des NSU-Opfers Michèle Kiesewetter und VS-Mitarbeiter. Nun musste er aussagen:

ERFURT taz | Eine Sache betont Ringo M. gleich zu Beginn und wiederholt sie später mehrfach, teils frei, teils abgelesen. „Ich habe mein ganzes Leben mit Rechtsextremismus nichts zu tun gehabt, ich lehne das grundsätzlich ab.“ Die Befragung von Ringo M. – im dunkelgrauen Anzug und glänzenden Lederschuhen – beginnt schleppend. Zunächst will er im Sitzungssaal 101 des Thüringer Landtags nicht einmal seinen beruflichen Werdegang schildern und schweigt lieber lange. „Ich habe um eine nicht-öffentliche Vernehmung gebeten“, sagt er dann. Er sei derzeit „wegen absoluter Arbeitsbelastung“ krank geschrieben. Ringo M. war ein Kollege der Polizistin Michèle Kiesewetter, die 2007 vom NSU ermordet wurde. Deshalb ist er heute als Zeuge vor den Thüringer NSU-Ausschuss geladen. Später war er aber auch beim Verfassungsschutz und in dieser Zeit Gründungsvorsitzender des Vereins Uniter e. V., der als Teil des „Hannibal“-Netzwerks Schlagzeilen machte. Da sind viele Fragen ungeklärt. Zum Mordfall Kiesewetter trägt Ringo M. wenig Neues bei. Er habe aus der Presse erfahren, dass sich Kiesewetter mehrfach über ihn beschwert haben soll. „Das weise ich zurück und kann es mir auch nicht vorstellen.“ Erst habe er nicht viel mit ihr zu tun und dann ein gutes Verhältnis gehabt. Bei einer Sache wird er sehr entschieden: Von rechten Tendenzen in der Einheit habe er nichts mitbekommen. Dass einer seiner Kollegen früher bei einem deutschen Ku-Klux-Klan Mitglied war, habe er erst 2012 aus der Presse erfahren. „Dem habe ich das absolut nicht zugetraut.“ Dann wird Ringo M. nach Ralf Wohlleben gefragt. Der Name komme ihm bekannt vor, sagt er, es sei möglich, dass er dienstlich mit ihm zu tun gehabt habe. „Sie wissen, wer Ralf Wohlleben ist?“ – „Nein, ich arbeite nicht im Bereich Rechtsextremismus.“ Offenbar muss ein Verfassungsschutzmitarbeiter nicht wissen, dass Wohlleben als Unterstützer des NSU verurteilt wurde. Im Herbst 2015 war Ringo M. zum Landesverfassungsschutz Baden-Württemberg in die Abteilung „Internationaler Extremismus und Terrorismus“ gewechselt. Mitte 2016 gründete er den Verein Uniter, ein Netzwerk ehemaliger und aktiver Spezialkräfte, das auch militärtaktische Trainings anbietet. Schon ein gutes halbes Jahr später trat er „aus dringenden privaten Gründen“ aus dem Vorstand zurück. Anders als er es nun darstellt, war das kein völlig freiwilliger Rückzug. Es hatte nach taz-Informationen um die Jahreswende 2016/2017 mehrere Gespräche mit Vorgesetzten gegeben, bei denen die Vereinstätigkeit problematisiert wurde. Vor dem Ausschuss behauptet Ringo M., er habe von den so genannten Prepperchats damals nichts mitbekommen, er habe auch nicht gewusst, dass der mutmaßliche Rechtsterrorist Franco A. im Süd-Chat Mitglied gewesen ist. „Kennen Sie Franco A. persönlich?“ Seine Antwort kommt sehr schnell: „Nein, nie getroffen, nie gesehen.“ André S., der unter dem Namen Hannibal die Chats administrierte und bis heute Kopf von Uniter ist, beschreibt er als „komplett integer“. Nachdem die taz Ende 2018 über fragwürdige Aktivitäten von Uniter e. V. berichtet hatte, wurde Ringo M. erneut mehrfach von seinen Vorgesetzten befragt. Seine Aussagen wurden aber nach taz-Informationen als unglaubwürdig eingestuft. Konsequenzen wurden aber erst gezogen, als die taz Mitte März die Verbindung öffentlich machte. Kurz danach wurde Ringo M. aus dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) abgezogen und dann endgültig wegversetzt, das hatte Innenminister Thomas Strobl (CDU) veranlasst. Strobl sprach von einem „Störgefühl“, das er bei dem Verein habe. Es lasse sich „nicht mit Sicherheit ausschließen, dass die Mitgliedschaft von Beamten (…) in diesem Verein die Integrität der Sicherheitsbehörden von Bund und Land tangieren kann“. Er bat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), mit den „Mitteln des Bundes“ eine Überprüfung des Vereins vorzunehmen. Seehofer hat auf den Brief des Landesinnenministers bislang nicht reagiert. Eine Antwort werde wohl im Laufe des April verschickt, sagte ein Ministeriumssprecher. Das LfV selbst hat aber nach taz-Informationen auch mindestens einen Hinweisgeber, der aus dem Innern des Vereins berichtet. (taz 4.4.2019)


Der Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss will einer weiteren Spur im Zusammenhang mit dem Mord an Michèle Kiesewetter nachgehen. Dazu soll ein ehemaliger Vorgesetzter der Polizistin gehört werden, der zudem Gründungsmitglied eines umstrittenen Sicherheitsvereins Uniter war:

„Erfurt – Die Landtagsabgeordneten wollen in diesem Zusammenhang den Gründungsvorsitzenden des umstrittenen Sicherheitsvereins Uniter befragen. «Er war ein Vorgesetzter von Kiesewetter», sagte die Obfrau der Linken im Ausschuss, Katharina König-Preuss, am Donnerstag in Erfurt am Rande der Sitzung des Gremiums. Die aus Thüringen stammende Polizistin war 2007 in Heilbronn erschossen worden. Als Täter gelten die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Nach Angaben von König-Preuss wollen die Ausschussmitglieder damit auch weiter ausleuchten, wieviele Polizisten in Kiesewetters Umfeld möglicherweise in der rechten Szene aktiv waren. Sie verwies darauf, dass bereits Verbindungen einzelner Beamte aus dem Umfeld Kiesewetters zum rechtsextremen Ku-Klux-Klan dokumentiert seien. Der Verein Uniter ist umstritten, nachdem in den vergangenen Monaten bundesweit mehrere Medien über angebliche Kontakte einzelner Vereinsmitglieder ins extremistische Milieu berichteten. Sie sollen sich unter anderem auf den Zusammenbruch der staatlichen Ordnung an einem Tag X vorbereiten. Der Verein ist nach eigenen Angaben 2010 aus zwei Netzwerken für Kommandoeinheiten der Bundeswehr und Polizei sowie einer Gruppe aus dem europäischen Nato-Kommando Shape gegründet worden. Der Verein sagt unter anderem von sich selbst, er verfüge über eine hohe Dichte an Spezialisten und berate andere in Sicherheitsfragen und erstelle Sicherheitskonzepte. Die Vereinsführung weist Verbindungen in kriminell-extremistische Strukturen zurück. Vor wenigen Tagen hatte das Innenministerium von Baden-Württemberg nach einem Bericht der «taz» eingeräumt, dass der Gründungsvorsitzende von Uniter inzwischen für den Verfassungsschutz des Landes arbeitet. Martina Renner, die für die Linke als Abgeordnete unter anderem im Innenausschuss des Bundestages sitzt, sagte, nachdem Uniter in mehreren Ermittlungsverfahren aus dem Bereich des Rechtsterrorismus eine zentrale Bedeutung habe, müsse die Rolle des Nachrichtendienstes innerhalb des Vereins aufgeklärt werden. Zuvor hatte vor dem NSU-Untersuchungsausschuss in Erfurt ein ehemaliger Rechtsextremer von einem informellen Stillhalteabkommen zwischen Neonazis und Polizisten in den 1990er Jahren gesprochen. In den Dörfern und kleinen Städten Ostthüringens hätten Polizisten bei rechten Straftaten oft nicht genau hingeschaut, sagte der Mann am Donnerstag vor den Abgeordneten des Gremiums. «Es war jetzt nicht so eine aggressive Grundstimmung, dass man das Gefühl hatte, dass die die freiheitlich-demokratische Grundordnung verteidigen wollten.» Im Gegenzug hätten die Rechtsextremen darauf verzichtet, Polizisten zu attackieren. Zudem hätten damals viele Familienmitglieder von Polizisten und teilweise auch die Beamten selbst Sympathien für rechte Ideen gezeigt. Der Mann war nach eigenen Angaben von 1988 bis 2007 in der rechten Szene vor allem Ostthüringens aktiv. Er saß während dieser Zeit wegen eines Banküberfalls für vier Jahre im Gefängnis. Nach seinem Ausstieg aus der rechten Szene wechselte er zu einem Rockerclub. Auch wenn seiner Einschätzung nach manche dieser Clubs Verbindungen zu Neonazis hatten, sei das in seinem nicht der Fall gewesen. Viele der Führungsfiguren seines Clubs seien entweder Ausländer gewesen oder hätten einen Migrationshintergrund gehabt. Sie hätten mit aktiven Rechtsextremen nichts zu tun haben wollen. Der Ausschuss versucht seit Monaten zu klären, ob es Verbindungen von Rechtsextremen zu Rockern oder Schwerkriminellen gab.“ (InSüdthüringen.de 14.3.2019)


Einigung vor Bundesverwaltungsgericht: Zeitung erhält Auszüge aus Bundeswehrakten über Uwe Mundlos. Der Streit zwischen dem Springer-Verlag und dem Verteidigungsministerium zieht sich bereits seit 2012. Die Investigativ-Journalisten der Zeitung „Die Welt“ verlangten damals von der Bundeswehr Zugang zu Akten, die sich auf den Rechtsterroristen Uwe Mundlos beziehen. Das Verteidigungsministerium wollte das nicht. Der Fall landete vor mehreren Gerichten und wurde nun letztinstanzlich vor dem Bundesverwaltungsgericht verhandelt:

„Springer-Verlag und Verteidigungsministerium haben sich im Streit um die Herausgabe von Akten über den NSU-Terroristen Uwe Mundlos geeinigt. Nach der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gingen beide Parteien auf einen Vorschlag der Richter ein, wonach sich das Ministerium bereit erklärt, Auszüge aus 70 Personalakten der Bundeswehr mit Bezug zu Mundlos zur Verfügung zu stellen. Die Daten Dritter in diesen Akten sollen dabei geschwärzt werden. Die Richter bestätigten die Vereinbarung am späten Nachmittag auch formell. Um die Personalakte von Mundlos ging es in dem aktuellen Verfahren nicht mehr. Diese liegt Springer und auch anderen Medien bereits vor. In der Vorinstanz hatte das Oberlandesgericht von Nordrhein-Westfalen den Journalisten zudem mehr als 5.000 Seiten Material zugestanden. Auch die Richter am Bundesverwaltungsgericht stellten in der Abwägung das Informationsinteresse der Presse nun über die postmortalen Persönlichkeitsrechte von Mundlos als Person der Zeitgeschichte. Uwe Müller ist langjähriger Investigativ-Journalist bei der „Welt“. Er hat das Thema ins Rollen gebracht und den Fall bis heute begleitet. Zum Agieren des Verteidigungsministeriums sagte er MDR AKTUELL: Für Müller sind mit dem Fall gleich drei Skandale verbunden. Mundlos sei bereits zu seinen Bundeswehrzeiten 1994 und 1995 als strammer Rechtsextremist aufgefallen. Die Bundeswehr habe das hingenommen und Mundlos sogar befördert. Dabei habe es auch nicht gestört, dass Mundlos bei einer Gedenkveranstaltung für den Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess in Chemnitz festgenommen worden sei. Zudem gehe es, so Müller, um die Frage, wie die Bundeswehr nach dem Tod des Rechtsterroristen am 4. November 2011 mit dem Material umgegangen sei. So habe das BKA bald danach Daten angefragt. Das Verteidigungsministerium ließ die Anfrage aber 80 Tage lang liegen. Das sei völlig unverständlich, so Müller. Nicht zuletzt kritisiert der Journalist das Verhalten des Ministeriums gegenüber dem NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag. Der sei hängen gelassen worden.“Wenn man sich in diese Zeit zurückversetzt, macht einen das Verhalten des Verteidigungsministeriums fassungslos.“ (Uwe Müller Journalist „Die Welt“) Den Antrag nach Informationsfreiheitsgesetz (IFG) hätten Müller und die „Welt“ gestellt, als klar geworden sei, dass die Akten, die beim NSU-Untersuchungsausschuss eingingen, unvollständig gewesen sein müssen. Es sei nicht davon auszugehen gewesen, dass sich der Fall so lange hinziehe und sogar vor dem Bundesverwaltungsgericht landen würde.“ (MDR 28.2.2019)


Die Attentäter, welche die Thüringer Polizistin Michèle Kiesewetter ermordet haben, müssen Helfer gehabt haben. Davon ist eine Kriminalbeamtin im NSU-Untersuchungsausschuss überzeug:

„Erfurt. Die Attentäter, welche die Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter ermordet und ihren Kollegen Martin A. lebensgefährlich verletzt hatten, müssen Helfer gehabt haben. Davon zeigte sich gestern eine 51-jährige Kriminalbeamtin aus Baden-Württemberg überzeugt. Sie gehe davon aus, dass die Beamten in Heilbronn und ihre Pausenzeiten beobachtet worden, ergänzt die Zeugin im Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss bei ihrer Befragung. Sie meldet zugleich Zweifel daran an, dass die Tat gezielt der aus Thüringen stammenden Michèle Kiesewetter gegolten habe. Dass die erschossene Beamtin mit ihrem Partner am 25. April 2007 am Tatort ihre Pause einlegte, sei keineswegs sicher gewesen, argumentiert die Zeugin weiter. Bis zum Auffliegen der Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) am 4. November 2011 in Eisenach hätten die Ermittlungen zum Polizistenmord von Heilbronn nach Angaben der Beamtin keine Bezüge in die rechtsextreme Szene erbracht. Erst nach dem Tod der Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in ihrem Wohnmobil in Eisenach entdeckten Ermittler Hinweise auf deren Tatbeteiligung. In ihrem ausgebrannten Wohnmobil stellte die Polizei neben den Leichen der beiden Männer unter anderem auch die Dienstpistolen der getöteten Beamtin und ihres Partners aus Baden-Württemberg sicher. Daraufhin sei erneut auch das gesamte Umfeld von Michèle Kiesewetter und Martin A. überprüft worden, so die Zeugin vor dem Ausschuss weiter. Bis heute seien dabei aber keine Kontakte oder Verbindungen der getöteten Beamtin zur rechtsextremen Szene gefunden worden. Allerdings schränkte die 51-jährige Kriminalistin ein, dass Mordermittlungen geführt worden seien – und keine Strukturermittlungen in der rechtsextremen Szene. Die damals 23-jährige Michele Kiesewetter und ihr Kollege Martin A. waren am 25. April 2007 am Rande einer Festwiese in Heilbronn am helllichten Tage angegriffen worden. Die Beamtin starb noch am Tatort an ihrem Kopfschuss. Die nachfolgenden Ermittlungen verliefen erfolglos, bis 2011 der NSU aufflog. Inzwischen gilt Uwe Mundlos als Täter. Aus Sicht des Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses liegen dagegen die Hintergründe der Tat weiter im Dunkeln. Weder das Mordmotiv noch mögliche Hintermänner oder Helfer sind bis heute bekannt. Um diese vielleicht doch noch zu erhellen, will der Ausschuss in den nächsten Monaten weitere Zeugen befragen.“ (TLZ 18.1.2019)


Seit einem Jahr streitet der NSU-Untersuchungsausschuss im Thüringer Landtag mit der Landesregierung. Es geht um die Herausgabe von brisanten Akten aus dem Landeskriminalamt. Nun soll ein Sonderermittler in der Sache weiterhelfen. Doch diese Lösung scheint die Gemüter nicht zu beruhigen:

„Dorothea Marx ist sauer. Gut sieben Jahre ist sie nun die Vorsitzende des ersten und zweiten NSU-Untersuchungsausschusses im Thüringer Landtag. Seit Anfang 2012 hatte dieser versucht, Licht ins Dunkel um den NSU-Komplex zu bringen. Angesichts von zehn Morden und weiteren Straftaten eine brisante und schwierige Aufgabe. Vor allem auch aus der historischen Verantwortung, die Thüringen habe, sagt Marx. Doch was sie in den letzten Monaten erlebt habe, das sei ihr in den vergangenen Jahren bisher nicht passiert. Nach Marx Überzeugung scheitert der Thüringer Ausschuss das erste Mal in seiner Geschichte daran, bestimmte Akten aus einer Thüringer Sicherheitsbehörde zu bekommen. Das habe es bisher so noch nicht gegeben, so Marx. Konkret geht es um Akten aus dem Thüringer Landeskriminalamt. Diese geben darüber Auskunft, wen, wann und wo die Thüringer Polizei als Informant in der Organisierten Kriminalität (OK) geführt hat. In der Fachsprache nennen sich diese Spitzel „Vertrauenspersonen“ oder kurz „VP“. Ähnlich wie Quellen des Verfassungsschutzes gehören sie zu der jeweiligen Szene, sind also keine eingeschleusten verdeckten Ermittler. Die Akten zu diesen Polizei-VPs will der Ausschuss einsehen und er bringt dafür gewichtige Gründe hervor. Bereits zu Beginn des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses 2015 wurde beschlossen, das die Verbindungen zwischen der Organisierten Kriminalität und der Neonaziszene untersucht werden sollen. Dafür wollten die Mitglieder prüfen, ob die Polizei Informanten in der OK-Szene hatte, die eventuell auch in der rechtsextremen Szene unterwegs waren. Hintergrund dabei: Bis heute ist nicht geklärt, ob das Jenaer NSU-Trio sich sein Waffenarsenal auch über Kontakte aus der kriminellen Szene besorgt haben könnte. Ein entsprechender Beweisantrag des Ausschusses auf Einsicht in diese brisanten Akten wurde aber von der Landesregierung bisher abgelehnt. Nach MDR THÜRINGEN-Informationen bremst vor allem das Landeskriminalamt das Ansinnen des Ausschuss aus. Dort herrscht die Sorge, dass Informationen über geheime Quellen in der OK-Szene durch die Einsichtnahme der Mitglieder des Untersuchungsausschusses in die Öffentlichkeit durchsickern könnten. Das sei eine infame Unterstellung gegenüber gewählten Parlamentariern, ärgert sich die Ausschussvorsitzende Marx. „Uns per se den Geheimnisverrat zu unterstellen ist schon starker Tobak“, so die SPD-Politikerin.
Doch das LKA und die Landesregierung bleiben hart. Bestärkt in Ihrer Ansicht sehen sie sich in einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 2017. Die Karlsruher Richter mussten über Beschwerden der Bundestagsfraktionen der Grünen und der Linken entscheiden. Die Abgeordneten wollten Informationen über Verfassungsschutz-Spitzel im Zusammenhang mit dem Oktoberfestattentat von München 1980 einsehen. Zwar gab das Gericht der Beschwerde teilweise statt, doch stellte es auch grundsätzlich fest, dass staatliche Interessen zur „Schutzbedürftigkeit“ geheimer Quellen gegenüber den Interessen der Parlamentarier überwiegen. Im Fall des Oktoberfestattentats hätte zu einer Person die Auskunft gegeben werden müssen, weil sie bereits 1981 verstorben war. Nun berufen sich das Innenministerium und dessen Chef Georg Maier (SPD) gegenüber dem NSU-Ausschuss auf diesen Passus der „Schutzbedürftigkeit“. Doch das will seine SPD-Parteikollegin Dorothea Marx nicht gelten lassen. Nach ihrer Ansicht gilt der Richterbeschluss aus Karlsruhe nicht für Thüringen. „Wir haben eine eigene Landesverfassung und diese gestattet einem Untersuchungsausschuss die Einsicht unter bestimmten Regeln.“ Zumal, so Marx, der Ausschuss ja bereits in einem geheimen Verfahren die Akten des Verfassungsschutzes über Spitzel in der rechtsextremen Szene eingesehen habe. Warum eine solche geheime Dokumenteneinsicht nun im Fall der LKA-Akten nicht möglich sei, erschließe sich ihr nicht. Innenminister Maier und seine Beamten haben aber nun eine neue Lösung gefunden. Ein Ministeriumssprecher bestätigte MDR THÜRINGEN, dass ein sogenannter Sonderermittler eingesetzt wird. Dieser soll die brisanten Akten des LKA durchgehen und dann an den Ausschuss berichten. Dafür ist nach monatelanger Suche auch ein Experte gefunden worden: der frühere Vorsitzende Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht in München, Bernd von Heintschel-Heinegg. Der Jurist ist ein Fachmann auf dem Gebiet. Denn von Heintschel-Heinegg hat bereits als Ermittlungsbeauftragter für die NSU-Untersuchungsausschüsse im Bundestag und in den Landtagen von Hessen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen gearbeitet. Die Obfrau der Linken im Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss, Katharina König, hält den Einsatz eines solchen Sonderermittlers für einen Schritt in die richtige Richtung. Doch dieser Schritt „nehme nichts davon, dass es grundsätzlich gesetzliche Regelungen zur Kontrolle des Einsatzes von Vertrauenspersonen bei der Polizei braucht“, so die Abgeordnete. Gebe es diese, dann könnten auch Untersuchungsausschüsse ihrem Aufklärungsauftrag gerecht werden. Dorothea Marx beruhigt die Lösung eines Sonderermittlers nicht. „Ich bin schon sehr enttäuscht, dass uns diese Akteneinsicht verwehrt worden ist“, so die SPD-Frau und das durch die eigene rot-rot-grüne Landesregierung. Deren Chef, Ministerpräsident Bodo Ramelow (DIE LINKE) sagte MDR THÜRINGEN auf Nachfrage, er sei der festen Überzeugung, dass Untersuchungsausschüsse wichtige und wertvolle Arbeit bei der politischen Aufarbeitung der Verbrechen des NSU leisteten. Aus Respekt vor der Arbeit des Untersuchungsausschusses und in Anerkennung seiner rechtlichen Stellung enthalte er sich jeder Bewertung von Vorgehensweisen und internen Abläufen. Er fügte aber hinzu: „Die Landesregierung unterstützt auch weiterhin auf der Grundlage und im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben die Aufklärungstätigkeit des Untersuchungsausschusses.“ (MDR Thüringen 17.12.2018)


Das Bundesverteidigungsministerium hat einem als Zeugen geladenen Mann nicht erlaubt, vor dem NSU-Untersuchungsausschuss auszusagen. Im Ausschuss besteht der Verdacht, dass der Soldat als V-Mann gearbeitet hat:

„Erfurt. Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses in Thüringen haben dem Bundesverteidigungsministerium vorgeworfen, ihre Aufklärungsarbeit zu behindern.
Das Ministerium hatte einem als Zeugen geladenen Soldaten nicht erlaubt, auszusagen. „Es ist tragisch und unverständlich, dass hier das Aufklärungsversprechen der Behörden nicht eingehalten wird“, sagte die Ausschussvorsitzende Dorothea Marx (SPD) am Donnerstag in Erfurt.Der Soldat war zwar im Landtag erschienen, aber ohne eine Aussage zu machen, wieder abgereist. Es besteht im Ausschuss der Verdacht, dass der Soldat als V-Mann „Harm“ für den Militärischen Abschirmdienst gearbeitet hat – und dass dieser V-Mann in den ersten Jahren des Untertauchens des NSU nah an den Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt dran war. Die beiden Mitglieder des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ lebten zu diesem Zeitpunkt schon etwa seit drei Jahren im Untergrund. (Thüringer Allgemeine 18.10.2018)


Der Neonazi und V-Mann Ralf Marschner hatte schon Ende der 1990er-Jahre Kontakte in die rechtsextreme Nürnberger Hooliganszene. Das zeigen Recherchen von Bayerischem Rundfunk und Nürnberger Nachrichten:

„Ralf Marschner wohnte von 1990 bis 2007 in Zwickau, war in der militanten Neonaziszene verankert, spielte in einer Rechtsrock-Band und betrieb zwei Läden fürs rechte Milieu. Nach Behördenangaben war er in „szenetypische Straftaten“ verwickelt, so wurde beispielsweise wegen des gewalttätigen Angriffs auf eine Flüchtlingsunterkunft 1991 gegen ihn ermittelt. Er galt als zentrale Person der Rechten in Zwickau, war bundesweit bekannt und hatte unzählige freundschaftliche und kommerzielle Szenekontakte. 1992 wurde Marschner vom Bundesamt für Verfassungsschutz angeworben und stieg schnell zur wichtigsten Quelle des Geheimdienstes auf. Sein interner Name lautete „Primus“, also „der Erste“. Sein ehemaliger V-Mann-Führer beschrieb ihn im Untersuchungsausschuss des Bundestages als „einzig relevante Quelle“ der rechten Szene im Osten. Ein Zeuge will den NSU-Terroristen Uwe Mundlos als Mitarbeiter bei der Zwickauer Firma von Marschner erkannt haben. Mundlos soll dort „als eine Art Vorarbeiter“ in den Jahren 2000 und 2001 unter dem Alias-Namen Max-Florian B. eingesetzt worden sein. Das hieße: Ein bezahlter Informant des Verfassungsschutzes beschäftigte einen Terroristen in den ersten Jahren nach dem Untertauchen des gesuchten Trios. In diese Zeit fiel der erste Bombenanschlag des NSU in der Nürnberger Scheuerlstraße und die Morde an Blumenhändler Enver Șimșek und dem Änderungsschneider Abdurrahim Özüdoğru in Nürnberg. Marschner konnte in Deutschland bislang nicht vorgeladen werden. Denn er setzte sich ins Ausland ab, lebt und arbeitet in Liechtenstein und der Schweiz. Gegen ihn liegt seit 2012 ein Vollstreckungshaftbefehl wegen Insolvenzverschleppung vor. 1997 hatte Marschner in seinem Szene-Magazin „Voice of Zwickau“ den Text „Pressefreiheit, das Recht zu lügen“ veröffentlicht, den das Bundesamt für Verfassungsschutz anhand einer Schriftanalyse 2012 Uwe Mundlos zuschrieb. Im selben Heft sind mehrere Logos der fränkischen Hooligan-Marke „Troublemaker Streetwear“ abgedruckt. Auf der letzten Seite grüßt Marschner „Troublemaker-Florian aus Nürnberg, Alex und „Dicker“. Recherchen von Bayerischem Rundfunk und Nürnberger Nachrichten zeigen: Hinter diesen Spitznamen stecken rechtsextreme Hooligans aus Nürnberg, die der 1. FCN-Fan-Gruppe „Red Devils“ angehört haben sollen. Einer von ihnen gründete einst die Marke „Troublemaker Streetwear“. Alle drei listeten die Behörden seit Ende der 1990er-Jahre als Rechtsextremisten mit Verbindungen zur lokalen Neonazis. Vor allem sollen Kontakte zu den führenden fränkischen Neonazis Matthias Fischer und Christian W. bestanden haben. Dies bestätigte auch ein ehemaliger Aktivist dem Rechercheteam. Als die bundesweite Mordserie begann, zogen Fallanalytiker des bayerischen Landeskriminalamts auch rassistische Motive in Betracht. Aufgrund dieser These führte die Nürnberger Kriminalpolizei sogenannte Gefährderansprachen bei Rechtsextremisten im Großraum durch. Einer der kontaktierten war Hooligan Florian K., der in Marschners Magazin gegrüßt wurde. Dieser wollte nichts mit der Mordserie zu tun haben und zeigte sich „ungehalten über die Ansprache“, wie es ein Beamter in einem internen Vermerk beschrieb, der dem Rechercheteam exklusiv vorliegt. Jedoch: Nach diesen Kontakten riss die Mordserie an Migranten ab. Für NSU-Kenner ein mögliches Indiz dafür, dass die Ansprachen bei den neun Nürnberger Neonazis Wirkung zeigten: die rechte Szene war gewarnt.“ (BR Online 19.4.2018)


NSU-Umfeld plante weitere Anschläge in Nürnberg:

„Das NSU-Kerntrio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe hat sich öfter in Nürnberg aufgehalten als bislang bekannt. In der Szene wurde ein Anschlagsplan diskutiert, wie der Bayerische Rundfunk und die Nürnberger Nachrichten erfuhren.
Den Recherchen zufolge hatte das rechte Netzwerk zunächst einen Bombenanschlag auf den Nürnberger Justizpalast erwogen. Laut dem Insider wurde auch über weitere Ziele gesprochen. Am Ende gingen in Nürnberg bekanntlich drei Morde und – als mutmaßlich erste Tat – eine Rohrbombenexplosion im Lokal eines Türken auf das Konto des NSU. Anders als bislang bekannt, nahmen nicht nur Mundlos, sondern auch Böhnhardt und Zschäpe 1995 an einer Party mit mehr als hundert Neonazis in Nürnberg teil. Zu der Feier war den Recherchen von BR und Nürnberger Nachrichten zufolge auch der Neonazi Ralf Wohlleben angereist, der mutmaßlich die NSU-Mordwaffe beschaffte. Ebenfalls dabei: Holger G., der im NSU-Verfahren am Münchner Oberlandesgericht als Unterstützer angeklagt ist. Das Trio stieg nach Angaben des Insiders auch regelmäßig in einem polizeibekannten Rechtsradikalentreff im Nürnberger Stadtteil Mögeldorf ab. Versammlungsort war demnach eine Mietwohnung, die unter anderem von dem Neonazi und Holocaustleugner aus den USA, Gary L., mitfinanziert worden sein soll. Kai Dalek, ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, den BR und NN ausfindig machten, war seit 1995 in einschlägigen Szenetreffs in der fränkischen Metropole aktiv. Er hatte nach Informationen des Rechercheteams die Vernetzung zwischen thüringischen und fränkischen Rechtsextremen maßgeblich vorangetrieben und so ermöglicht, dass das spätere terroristische NSU-Trio mit der radikalisierten Neonaziszene in Franken in Kontakt kam. Dalek steht außerdem auch auf der so genannten „Garagenliste“ des NSU-Trios. Diese Telefonliste hatten Ermittler 1998 bei der Durchsuchung einer mit Sprengstoff, Rohrbomben und Propagandamaterial vollgepackten Garage in Jena entdeckt. Unmittelbar danach war das Trio abgetaucht. Dalek leugnet nach wie vor, das NSU-Trio gekannt zu haben. Der NSU-Untersuchungssauschuss des bayerischen Landtags hatte den Verfassungsschutz 2013 vergeblich um nähere Informationen über Dalek gebeten. Die Landtagsabgeordnete Helga Schmitt-Bussinger (SPD) hatte als früheres Mitglied des Untersuchungsausschusses auf eine Anfrage beim Verfassungsschutz lediglich Akten erhalten, die fast vollständig geschwärzt waren. Schmitt-Bussinger beklagte nun gegenüber BR und NN: „Mit dem Verfassungsschutz ist eine Aufklärung nicht möglich.“ Sebastian Scharmer, einer der Nebenkläger-Anwälte im Münchener NSU-Prozess und zugleich Experte auf dem Gebiet von V-Leuten, forderte im Gespräch mit BR und NN, dass der Landtag einen zweiten NSU-Untersuchungsausschuss einberufen soll.“ (BR online 19.4.2018)


Ralf Marschner, eine Schlüsselfigur des NSU-Komplexes ist in die Schweiz abgetaucht:

Das zweite Leben von Ralf Marschner hat ihn vor neun Jahren an einen Ort geführt, wo Geheimnisse gut aufgehoben sind: nach Vaduz, der Hauptstadt des Fürstentums Liechtenstein. Dort betreibt Marschner ein Antiquitätengeschäft in einer ausgedienten Scheune. Auf dem Hügel hinter der Scheune thront das Schloss des Fürsten, die Strasse davor führt über den Rheinkanal nach Sevelen im Rheintal, wo Marschner in einer unscheinbaren Blockwohnung für 1200 Franken Monatsmiete lebt. Als die WOZ das Vaduzer Antiquitätengeschäft im Winter inkognito besucht, grüsst der untersetzte 46-Jährige mit unverkennbar sächsischem Dialekt – einem Überbleibsel seines ersten Lebens. Es ist kühl in der geräumigen Scheune, die randvoll ist mit alten Möbeln, Geschirr und Landwirtschaftsgerät. Einzig der verglaste Büroraum mit Computer ist beheizt. Dort hängt ein Wimpel des FC Vaduz an der Wand. Darauf angesprochen, beginnt Marschner zu erzählen und landet bald einmal in seinem ersten Leben, beim FSV Zwickau, seinem Herzensverein, von dem er erst kürzlich ein Spiel in Karlsruhe besucht habe. Dann spricht er von früher, von den «Bullen», von Schlägereien mit anderen Fans. «Die haben uns damals in den Wald gebracht und dort verprügelt.» Die Zeit nach der Wende sei wild gewesen in Zwickau, der viertgrössten Stadt des Bundeslands Sachsen. Probleme mit der Polizei gab es nicht nur im Fussball, sondern auch bei den damaligen «Glatzenkonzerten». Was Marschner nicht erwähnt: Er ist in den neunziger und nuller Jahren kein Mitläufer oder Freizeithooligan, sondern die bekannteste rechtsextreme Szenegrösse in Zwickau. Genau dort waren zur selben Zeit auch Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe untergetaucht – das Kerntrio des später als Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) bekannt gewordenen neonazistischen Terrornetzes. Der NSU verübte zwischen 2000 und 2007 neun Morde an Migranten und einen Mord an einer Polizistin, hinzu kamen drei Sprengstoffanschläge und über ein Dutzend Raubüberfälle. 1998 tauchte das Kerntrio, das aus Jena in Thüringen stammte, in Westsachsen unter, zunächst in Chemnitz, ab Sommer 2000 dann im vierzig Kilometer entfernten Zwickau. Über ein Jahrzehnt lang blieb der NSU unentdeckt, ehe es im November 2011 zur Selbstenttarnung kam: Nach einem missglückten Banküberfall im thüringischen Eisenach brachten sich Mundlos und Böhnhardt um, worauf Zschäpe ihre gemeinsame Wohnung in Zwickau anzündete und sich vier Tage später der Polizei stellte. Die Zwickauer Zeit ist das schwarze Loch im NSU-Komplex, denn es ist darüber kaum etwas bekannt. Zschäpe, die derzeit in München wegen Mittäterschaft an den zehn NSU-Morden vor Gericht steht, schweigt beharrlich. Und Ralf Marschner, der als Schlüsselfigur im Umfeld des rechtsterroristischen NSU gilt, entzieht sich der Aufklärung weitgehend, weil er in die Schweiz abgetaucht ist. Hier gibt es keine rechtliche Grundlage, um ihn als Zeugen – oder gar Beschuldigten – an den NSU-Prozess in München oder vor einen der vielen parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zum Komplex vorzuladen. Aber es gibt eine Reihe von Menschen, die versuchen, Licht in die Geschehnisse von damals zu bringen, die genau wissen wollen, was in Zwickau los war – im ersten Leben von Ralf Marschner. Jörg Banitz hat einen ganz eigenen Blick auf Zwickau. Der gross gewachsene 52-Jährige ist seit den späten achtziger Jahren als Jugendsozialarbeiter tätig, er hat die Entwicklung der Stadt also immer auch aus der Perspektive der Jugend erlebt. So auch die Wendezeit, die alles auf den Kopf stellte: «Das war eine gewaltige Zäsur, gerade für die Jugendlichen. Das alltagsprägende politische System zerfiel, die Jobs der Eltern brachen weg, die Autoritäten und Gewissheiten verschwanden. Viele Jugendliche suchten damals Halt und Orientierung. Sie fanden sie in der Skinheadkultur», sagt Banitz. Wobei anfangs noch keine klare Grenze zwischen rechter und linker Skinheadkultur bestand, die Szenen überschnitten sich. Das änderte sich im Lauf der Zeit. Auch wegen der «Alten mit den Lodenmänteln», wie Banitz erzählt. «So nannte man damals die Typen, die in der Dunkelheit in Limousinen mit bayerischem Kennzeichen vorfuhren und an den Partys von Jugendlichen in den Kleingartenanlagen rechtsextremes Propagandamaterial verteilten.» Das seien Mitglieder der damals in Westdeutschland aktiven rechtsextremen Parteien Die Republikaner und Deutsche Volksunion gewesen. Ab Mitte der neunziger Jahre vernetzte und radikalisierte sich die rechtsextreme Szene in der ganzen Region zusehends. Auch weil eine neue Generation von bereits ideologisierten und gewaltbereiten Jugendlichen hinzukam. Demgegenüber standen komplett überforderte Strafverfolgungsbehörden. Insbesondere die Polizei schaffte es nicht, die rechtsextremen Strukturen zu erfassen, geschweige denn zu bändigen. In dieser Zeit des Umbruchs lernte Jörg Banitz auch Ralf Marschner kennen, den in Zwickau praktisch alle nur «Manole» nennen. Oder «MoH» – Mann ohne Hals. «Als er Anfang der Neunziger nach Zwickau kam, lebte er in einer rechten Skinhead-WG, deren Markenzeichen eine aufgehängte Reichkriegsflagge war. Bereits 1991 griff er als Rädelsführer mit anderen eine Asylunterkunft an», sagt Banitz. Bald einmal sei seine Rolle für die rechtsextreme Zwickauer Szene prägend gewesen. «Manole war ein umtriebiger Netzwerker, eine schillernde Figur.» Banitz lernte ihn persönlich kennen, als Marschner auf der Suche nach Bandproberäumen war und öfter in Jugendeinrichtungen auftauchte. Die Musik war damals wie heute ein immens wichtiges Wirkungsfeld und eine ebenso wichtige Geldquelle für die rechtsextreme Szene. Marschner organisierte nicht bloss unzählige Rechtsrockkonzerte in der Region und arbeitete dabei mit Leuten aus dem militant neonazistischen Blood-&-Honour-Netz zusammen, er spielte auch selbst in zwei Rechtsrockbands. Auf diesen Konzerten zeigten BesucherInnen regelmässig den Hitlergruss und brüllten «Sieg Heil», wie öffentlich gewordene Aktenauszüge aus dem NSU-Komplex belegen. Ebenso aktenkundig ist ein von Marschner mitorganisiertes Nazikonzert in der Nähe von Leipzig im September 1998, in das auch Olivier Kunz involviert war: eine damals zentrale Figur des neonazistischen Hammerskin-Netzes aus Neuenburg, die enge Kontakte zur rechtsextremen Szene in Sachsen unterhielt. Die Musik blieb nicht Marschners einziges Tätigkeitsfeld innerhalb der rechtsextremen Szene. 1997 eröffnete er den Kleiderladen The Last Resort, der sich bald zu einem wichtigen Szenetreffpunkt entwickelte, wie Banitz erzählt. Der Jugendsozialarbeiter hat mittlerweile einen eigenen Weg gefunden, damit umzugehen, dass seine Heimatstadt ein zentraler Schauplatz im NSU-Komplex ist. Er stellt zurzeit mit dem «Bündnis für Demokratie und Toleranz der Zwickauer Region» eine Geschichtswerkstatt für Jugendliche über das Thema zusammen. Dazu gehört eine Stadttour an die wichtigen Orte, etwa an die Frühlingsstrasse 26. Wo einst das Haus stand, das Beate Zschäpe nach der Selbstenttarnung des Kerntrios mit Benzin in Brand setzte, ist heute eine Wiese. Während die offizielle Politik in Zwickau den NSU-Bezug abhaken und den Blick nach vorne richten will, sagt Banitz: «Es ist wichtig zu verstehen, durch welche Strukturen es möglich war, dass die drei über ein Jahrzehnt lang unentdeckt bleiben konnten. Auch um gerüstet zu sein, dass so was nicht noch einmal vorkommt.» Der Journalist Jens Eumann war dem NSU-Kerntrio auf den Fersen. Seit den neunziger Jahren berichtete er für die «Freie Presse» aus Chemnitz (zu DDR-Zeiten Karl-Marx-Stadt), ab 2004 dann aus Zwickau. Eumann war zu jener Zeit Lokalreporter. Er schrieb über Stadtpolitik, Kulturanlässe und Bauprojekte. Mit der rechtsextremen Szene in der Region befasst er sich erst systematisch, seit er 2009 ins Reporterressort wechselte. Der NSU-Komplex ist sein wichtigstes Dossier. Es gibt nur wenige JournalistInnen, die mehr darüber wissen. In der Kaffeeecke der «Freien Presse»-Redaktion in einem wuchtigen Bürobau im Chemnitzer Stadtzentrum erzählt der 51-Jährige von seinen Recherchen: Rund 60 000 Aktenseiten hat Eumann seit 2011 gesichtet und über 300 Artikel zum Thema publiziert. Kaum eine Personalie hat ihn dabei so sehr beschäftigt wie Ralf Marschner. «Zur Zeit, als das NSU-Kerntrio in Zwickau lebte, war Marschner dort eine grosse Nummer in der rechten Szene. An ihm und seinem ‹Last Resort› kam niemand vorbei.» In mehreren Artikeln hat Eumann nachrecherchiert, welche Spuren Marschner mit dem NSU-Kerntrio in Verbindung bringen. «Mehrere davon halte ich – anders als die Bundesanwaltschaft – für relevant, weil sie aus unterschiedlichen Quellen stammen und unabhängig voneinander Bestand haben. Jede Spur für sich allein könnte auch ein Zufall sein, aber in der Summe stützen sich diese Spuren gegenseitig», sagt Eumann. Es gibt beispielsweise Zeugenaussagen, nach denen sich Zschäpe mehrmals in einem von Marschner mitbetriebenen Kleiderladen aufgehalten hat. Eine weitere Spur ist das Bau​geschäft, das Marschner von 2000 bis 2002 in Zwickau führte. Die Journalisten Dirk Laabs und Stefan Aust hätten einen ehemaligen Mitarbeiter ausfindig gemacht, der aussagte, Uwe Mundlos habe für Marschners Baufirma gearbeitet. «Für mich steht ausser Frage, dass Marschner Kontakt zum NSU-Kerntrio hatte. Hingegen ist unklar, inwiefern er über die Aktivitäten des Trios Bescheid wusste, besonders von der Mordserie», sagt Eumann. Zu dieser Frage gebe es bisher nichts Stichhaltiges. Was auch daran liege, dass mehrere wichtige Spuren von den ErmittlerInnen nicht mit Nachdruck weiterverfolgt worden seien. So auch bei einer Spur, die in die Schweiz führt: Bereits Anfang Dezember 2011, also kurz nach der Selbstenttarnung des NSU, meldete sich ein in der Schweiz wohnhafter Zeuge bei den Ermittlungsbehörden. Der Mann, der einst selbst der rechten Szene in Westsachsen angehört hatte, gab an, er habe Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos an einem Fussballturnier in der Kleinstadt Greiz gesehen – in Begleitung eines «fetten Mannes» mit Kampfhund, der einen Szeneladen in Zwickau führe. Eine Beschreibung, die genau auf Marschner passt, schliesslich besass er damals tatsächlich eine Kampfhündin namens Bonny. Der Dicke habe ihn am Fussballturnier gefragt, ob er in der Schweiz an Waffen komme. Dieser Zeuge gab später in einem Porträt in der «Basler Zeitung» von sich preis, dass er illegal mit Waffen aus der Schweiz gehandelt habe: «Das wussten die Leute aus Zwickau.» Er gehe deshalb davon aus, dass es dort «mehr als ein paar Waffen aus der Schweiz gab». Die Polizei Baselland hat den Zeugen zwar Ende Dezember 2017 einvernommen – ohne weiteren Erkenntnisgewinn –, ansonsten gab es im Zusammenhang mit dem Fussballturnier keine weiteren Ermittlungen. Die Spur sei «nicht unmittelbar primär aufklärungsbedürftig», hiess es. «Nach annähernd sieben Jahren stelle ich fest, dass immer noch wahnsinnig viele Fragen offen sind», sagt Eumann gegen Schluss des Gesprächs. «Und zwar längst nicht nur in Bezug auf die Rolle von Marschner, der ist ja nur eines von ganz vielen Puzzlestücken. Das wirft kein besonders gutes Licht auf die staatliche Aufklärung.» Kerstin Köditz drückt es noch deutlicher aus: «Viele Leute glauben ja, die Krimiserie ‹Tatort› vermittle ein treffendes Bild der staatlichen Ermittlungsarbeit. Das ist ein Irrglaube. Die Realität ist leider kilometerweit davon entfernt.» Die Abgeordnete der Partei Die Linke im sächsischen Landesparlament weiss, wovon sie spricht: Sie ist zurzeit stellvertretende Vorsitzende des parlamentarischen Untersuchungsausschusses (UA) zum NSU-Komplex in Sachsen. Solche NSU-Ausschüsse gibt es – oder gab es – übrigens noch in weiteren sechs Landtagen, und auch der Bundestag setzte während der letzten beiden Legislaturperioden je einen NSU-UA ein. «Unsere Befugnisse im Untersuchungsausschuss sind eigentlich sehr weitgehend. Wir dürfen beispielsweise Zeugen vorladen und vernehmen, die verpflichtet sind, die Wahrheit zu sagen – wie in einem Strafverfahren», sagt Köditz. Eine Vorladung Marschners sei dabei nie Thema gewesen. «Wir können nämlich prinzipiell nur Personen vorladen, die sich im Bundesgebiet aufhalten und hier eine ladungsfähige Anschrift haben. Das Schweizer Bundesamt für Justiz hat ja ein Rechtshilfegesuch des Bundes-UA zwecks Zeugenvernehmung von Marschner abgelehnt.» Auch der Föderalismus setzte der Arbeit im sächsischen NSU-UA Grenzen: «Wir behandeln nur Fragen und Ereignisse, die Sachsen betreffen, und wir haben auch nur Zugang zu Akten aus Sachsen», so Köditz. So gesehen sei jeder einzelne Untersuchungsausschuss in den Bundesländern eine Art Satellit, der nicht – oder kaum – mit den anderen verbunden ist. Auch wenn Marschner nicht als Zeuge vorgeladen werden konnte, war er im UA ein wichtiges Thema. Auch wegen seiner Doppelrolle: Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), der deutsche Inlandsgeheimdienst, heuerte Marschner bereits 1992 als sogenannten V-Mann unter dem Decknamen «Primus» an – als Informanten, der regelmässig Informationen über die rechtsextreme Szene zu liefern hatte. «V-Leute sind Nazis, die für Geld Informationen verkaufen. Im Umfeld des NSU-Kerntrios wimmelte es von V-Leuten, und doch ist das BfV dem Trio nicht auf die Spur gekommen. Da muss man sich schon die Frage stellen, was diese Informationen der V-Leute-Nazis eigentlich wert sind», fragt Köditz. Im Fall von Marschner – respektive «Primus» – war das BfV beispielsweise nicht darüber informiert, dass dieser im Jahr 2000 eine indizierte CD der Berliner Neonaziband Landser in seinem Szeneladen vertrieb, was ihm prompt ein Strafverfahren einbrachte. Dieses soll später eingestellt worden sein, die Akten dazu sind verschwunden. «Eine wesentliche Erkenntnis aus dem NSU-Komplex ist, dass viele V-Männer das erhaltene Geld in den Aufbau neonazistischer Strukturen investierten», sagt die 51-jährige Köditz, die ihr Abgeordnetenbüro in der Kleinstadt Grimma nahe Leipzig hat. Ihrer Ansicht nach ist die V-Leute-Praxis gescheitert. «Der Verfassungsschutz gehört abgeschafft. Doch passiert ist das Gegenteil: Der BfV hat zuletzt sein Personal aufgestockt.» Weil Marschner von 1992 bis 2002 für eine Bundesbehörde gearbeitet hatte – und nicht für den sächsischen Verfassungsschutz –, erhielt der UA im Dresdner Landtag keine Akten vorgelegt. Der letzte Bundestags-UA habe jedoch eine umfangreiche Recherche zur Personalie Marschner vorgenommen. «Die im entsprechenden Abschlussbericht dargelegten Erkenntnisse lassen meines Erachtens durchaus den Schluss zu, dass eine schützende Hand über Marschner gehalten wurde», sagt Köditz. Es seien über vierzig Ermittlungsverfahren gegen ihn aktenkundig, unter andererm wegen schwerer Körperverletzung, Hehlerei, Brandstiftung, Strafvereitelung. Vielfach sei der Verfahrensausgang unbekannt, oder es lägen keine Unterlagen mehr vor. «Insoweit bleiben bei uns, was die Rolle Marschners angeht, erhebliche Zweifel bestehen und wichtige Fragen offen.» Eine dieser offenen Fragen ist, weshalb Ralf Marschner im Sommer 2007, wenige Wochen nach dem letzten NSU-Mord an einer Polizistin, Zwickau fluchtartig verlassen hat. «Ich habe keine Zukunft mehr für mich in Deutschland gesehen», so begründet Marschner selbst seinen abrupten Weggang gegenüber der Staatsanwaltschaft Graubünden. Diese vernahm ihn – im Beisein von Beamten des deutschen Bundeskriminalamts (BKA) – im Oktober 2012 sowie im Februar 2013 im Zuge eines Rechtshilfeverfahrens mit der deutschen Generalbundesanwaltschaft. Es sind die einzigen Momente, in denen Marschner sein Schweigen brechen musste – auch weil am Prozess in München ein umfassender Beweisantrag zur Vorladung Marschners als Zeuge vom Gericht abgelehnt wurde. Ein Teil dieser beiden Zeugenvernehmungen ist öffentlich. Marschner streitet nicht bloss sämtliche Bezüge zum NSU-Kerntrio ab, er verharmlost seine rechtsextremen Tätigkeiten und sein damaliges Umfeld als unpolitisch. «Generell würde ich sagen, dass ich nie ein Neonazi war», sagte er aus, und er könne auch nicht sagen, ob die Leute um ihn etwas gegen Ausländer hätten. Es sind Aussagen, die so im Raum stehen gelassen wurden. Tatsächlich könnten wirtschaftliche Gründe Marschners Abgang aus Zwickau ausgelöst haben. Aus den Akten wird klar, dass er immer wieder grosse finanzielle Probleme hatte. Mit seinem Bauunternehmen etwa, das nur zwei Jahre existierte, häufte er Schulden von rund 100 000 Euro an, unter anderem weil er keine Sozialversicherungsbeiträge für seine Angestellten eingezahlt hatte. 2007 ging ein von Marschner betriebenes Modegeschäft pleite, wobei er es versäumte, Insolvenz anzumelden. Stattdessen folgte die Flucht aus Zwickau, wo er später in Abwesenheit wegen Insolvenzverschleppung verurteilt wurde. Seit 2012 liegt deswegen sogar ein Haftbefehl gegen Marschner vor. Doch die Schweiz liefert ihn nicht aus, da das infrage stehende Verhalten nach schweizerischem Recht – im Gegensatz zum deutschen Recht – im Höchstmass nur mit einer Busse geahndet werden könne, wie das Bundesamt für Justiz der WOZ auf Anfrage mitteilt. Immerhin ein Punkt ist klar: Marschners Weg vom ersten ins zweite Leben. Nach dem abrupten Weggang aus Zwickau im Sommer 2007 lebte er zunächst in Irland, wo er gemäss seinen Angaben beim WOZ-Kundenbesuch bei Dell arbeitete. Ein Jahr später zog er nach Österreich, wo er in einem Nobelhotel in Tirol als Nachtportier jobbte. 2009 zog Marschner weiter in die Schweiz, um in einem Bündner Nobelhotel zu arbeiten, ehe er Filialleiter eines Kleidergeschäfts in Chur wurde. Seit Mai 2015 führt er das Antiquitätengeschäft in Vaduz, und er gründete zeitgleich das Einzelunternehmen SOS Service Team, das Dienstleistungen bei Räumungen und Entsorgungen sowie Kleintransport anbietet. Die WOZ hätte Marschner gerne offiziell zu einem Gespräch getroffen, die mehrmalige Anfrage blieb unbeantwortet. Der Schweizer Geheimdienst äusserte sich nicht zu den Fragen, seit wann er Kenntnis davon habe, dass ein ehemaliger Mitarbeiter des BfV hierzulande untergekommen sei, ob er dabei behördliche Hilfe erhalten habe und ob ausgeschlossen sei, dass Marschner weiterhin nachrichtendienstlich tätig sei. Auch das St. Galler Steueramt verweigerte der WOZ Einsicht in Marschners Steuerdaten, es gewichtete das private Interesse des Einzelnen höher als das öffentliche Interesse. Die Steuerdaten hätten einen Hinweis darauf liefern können, ob Marschner selbstständig finanziell durchkommt oder möglicherweise eine V-Mann-Rente erhält. Bemerkenswert ist auch, dass Marschners Personalausweis gemäss Akten im Januar 2016 abgelaufen ist. Einer Anfrage bei der Passstelle der Deutschen Botschaft in Bern zufolge wird kein neuer Pass ausgestellt, wenn ein Haftbefehl besteht. Trotzdem reiste Marschner im letzten Monat zum Urlaub nach Irland, wie er auf Facebook mitteilte. Wie ist er an ein gültiges Reisedokument gelangt? Fast noch bemerkenswerter ist, dass er sich scheinbar sicher genug fühlt, um trotz eines bestehenden Haftbefehls nach Deutschland einzureisen, um ein Spiel seines alten Lieblingsvereins FSV Zwickau zu sehen. Unbeantwortete Fragen bleiben auch in Marschners zweitem Leben bestehen. (WOZ 19.4.2018)


Innenminister Herrmann beauftragt Verfassungsschutz mit Untersuchung:

„Innenminister Joachim Herrmann will der dubiosen Rolle eines Verfassungsschutz-Mitarbeiters im NSU-Komplex nachgehen. Recherchen des Bayerischen Rundfunks und der Nürnberger Nachrichten haben gezeigt, dass ein Mitarbeiter der Behörde mit Geldern des Amtes rechtsextreme Strukturen aufgebaut hat. Kai Dalek gehörte in den 1990er-Jahren zu den wichtigsten und einflussreichsten Neonazis in der nordbayerischen Szene. Der heute 54-Jährige organisierte Aufmärsche zu Ehren des Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess, vernetzte die bayerische und thüringische Szene und baute mit dem „Thule Netz“ eine eigene Kommunikationsplattform der rechten Szene auf. Bislang war lediglich bekannt, dass Dalek als V-Mann für den bayerischen Verfassungsschutz tätig war. Recherchen von BR/NN ergaben, dass Daleks Tätigkeiten allen Vorgaben für V-Männer widerspreche. So spitzelte der gebürtige Berliner Ende der 80er-Jahre im Bereich „Linksextremismus“ für den Berliner Geheimdienst und wurde nach seinem Umzug nach Bayern offiziell dem bayerischen Verfassungsschutz übergeben. Dieser platzierte ihn im rechtsextremen Bereich, obwohl Dalek laut eigenen Angaben kein Neonazi gewesen sei. Danach soll er im Bereich „Organisierte Kriminalität“ eingesetzt worden sein. Eine solche Vorgehensweise hält der für den Verfassungsschutz zuständige Innenminister Joachim Herrmann (CSU) nicht für normal. Dem BR-NN-Rechercheteam sagte er:

„Das ist sicherlich soweit ich das beurteilen kann äußerst ungewöhnlich. Gerade Informanten kommen ja in der Regel aus der jeweiligen Szene und verkaufen dann Informationen gegen Geld an Sicherheitsbehörden und wenn sie aus der Szene kommen, dann kommt jemand entweder aus der linksextremen Szene oder aus der rechtsextremen Szene oder islamistischen Szene. Aber das er sowohl in der einen wie in der anderen unterwegs sein kann, ist aus meiner Sicht, auch wenn ich kein absoluter Fachmann in diesem Bereich bin, schon sehr ungewöhnlich.“

Eine weitere, bislang ungeklärte Frage ist: Wie kam der Name des Verfassungsschutz-Mitarbeiters auf die Kontaktliste des NSU-Kerntrios? Auf der Liste, die kurz nach dem Untertauchen von Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gefunden wurde, war der Name des Verfassungsschutz-Mitarbeiters Kai Dalek einer von knapp 40 aufgeführten Namen. Dalek bestreitet bis heute, das NSU-Kerntrio gekannt zu haben. Das Rechercheteam von Bayerischem Rundfunk und Nürnberger Nachrichten hatte zudem berichtet, dass fränkische Neonazis schon in den 90er-Jahren einen militanten Anschlag auf den Nürnberger Justizpalast geplant hatten. Das gab ein ehemals führender Rechtsextremist im Gespräch mit dem Rechercheteam preis. Für Herrmann nach eigenen Angaben eine neue Information, der der CSU-Politiker nachgehen will:

„Nicht nur ich habe gelesen was in den Nürnberger Nachrichten stand, was der Bayerische Rundfunk verbreitet hat, sondern das wird natürlich im Verfassungsschutz, im LKA zur Kenntnis genommen und es wird dem wird auf jeden Fall jetzt noch mal nachgegangen.“

Für Innenminister Joachim Herrmann stellt sich die Frage nach einem zweiten NSU-Untersuchungsausschuss jedoch nicht.

„Wir haben jetzt diesen jahrelangen NSU-Prozess am Oberlandesgericht in München erlebt. Da ist vieles zu Tage gefördert worden, manches bleibt auch unbeantwortet. Dort sind tagelang, wochenlang Zeugen vernommen worden. Ich kann persönlich ,jedenfalls im Moment, nicht ganz nachempfinden, wieso jetzt nach diesen jahrelangen gerichtlichen Ermittlungen ein neuer Untersuchungsausschuss des Landtages mehr zu Tage fördern könnte, als in diesem jahrelangen Gerichts Prozess eruiert wurde.“

Sebastian Scharmer, Nebenklagevertreter im NSU-Prozess hat eine zweite parlamentarische Untersuchung gefordert. Der erste Untersuchungsausschuss habe von den Behörden „wesentliche Informationen nicht zur Verfügung“ gestellt bekommen. Der Vorsitzende der Allianz gegen Rechtsextremismus in der Metropolregion Nürnberg, Stephan Doll, zeigte sich über die Rechercheergebnisse von BR und NN entsetzt und fordert nun ebenfalls einen zweiten NSU-Untersuchungsausschuss in Bayern:

„Das eine ist glaube ich, es muss jetzt politisch die Konsequenzen auch endlich ziehen, also wir brauchen einen zweiten NSU-Untersuchungsausschuss in Bayern. Und es muss endlich auch die Rolle des Verfassungsschutzes geklärt werden und die richtigen Lehren daraus gezogen werden. Es kann ja nicht sein, dass die V-Männer des Verfassungsschutzes dann auch noch maßgeblich die rechte Szene aufbauen.“

Die Nürnberger Landtagsabgeordnete Verena Osgyan (Grüne) nahm die Recherchen laut eigenen Angaben mit einiger Bestürzung auf und will das Thema NSU auch weiterhin parlamentarisch aufgreifen.“ (BR online 26.4.2018)


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NSU-Ermittlungen: Das merkwürdige Verhalten von Böhnhardts Zielfahndern
Bei den Ermittlungen gibt es Ungereimtheiten zuhauf. Sachsens Untersuchungsausschuss fühlt jetzt Fahndern auf den Zahn, die kurz vorm ersten Mord glaubten, Uwe Böhnhardt fotografiert zu haben – und ihn laufen ließen:

„Chemnitz/Dresden. Die Observation vorm Haus Bernhardstraße 11 lief seit Vormittag. Plötzlich hatte der Mann vom Thüringer Verfassungsschutz eine unbekannte männliche Person vor der Kamera. Dass der Mann, der da am 6. Mai 2000 um 18.52 Uhr begann, Möbelteile ins Haus zu schleppen, dem seit über zwei Jahren zur Fahndung ausgeschriebenen Uwe Böhnhardt zum Verwechseln ähnlich sah, erkannten auch die Thüringer Geheimdienstler. Schließlich war da nicht nur der Kurzhaarschnitt, durch den sich die meisten Männer der rechtsextremen Szene damals sehr ähnelten. Auch die Segelohren passten. Böhnhardts Bild hatten die Observateure vor Augen. Immerhin galt die Aktion laut Antrag ja nur dem Zweck, das Trio Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe aufzuspüren. Im Januar 1998 waren die Drei aus Jena verschwunden, als man dort in einer Garage ihre Bombenwerkstatt ausgehoben hatte – mit Rohrbomben und knapp 1,4 Kilogramm Trinitrotoluol (TNT). Nun vermutete man sie in Chemnitz. Zwar sollten Zielfahnder des Thüringer Landeskriminalamts und auch das LKA Sachsen die Observation flankieren, nach Aktenlage waren sie in Vorbereitungen eingebunden. Dennoch – am Abend des 6. Mai 2000 erfolgte kein Zugriff. Rund 17 Wochen vorm ersten der heute dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) zugeschriebenen Morde glaubte man den international gesuchten Böhnhardt in Chemnitz ausgemacht zu haben – ließ die Person aber laufen. Bei der Adresse Bernhardstraße 11 handelte es sich um die der Friseurin Mandy S., die seit Auffliegen des NSU im November 2011 als Unterstützerin gilt. Dokumente belegten, dass Zschäpe im Untergrund ihren Namen als Tarnidentität nutzte. Mandy S. selbst räumt ein, Zschäpe im Untergrund ihre AOK-Karte gegeben zu haben, um ihr einen Besuch beim Arzt zu ermöglichen. Doch zurück ins Jahr 2000: Neun Tage nach Aufnahme der Fotos in Chemnitz informierte der Thüringer Verfassungsschutz das Thüringer LKA. Man bat, die Identität der Böhnhardt ähnlichen Person „auf polizeilichem Weg“ zu klären. Auch beim Thüringer LKA ließ man sich Zeit. Zwei Wochen später schickte man die Observationsfotos samt Vergleichsfoto von Böhnhardt als Anfrage ans BKA. Die Antwort dauerte noch mal drei Wochen. Am 23. Juni schrieben BKA-Auswerter: „Die bei einem allgemeinen Vergleich festgestellten optischen Übereinstimmungen deuten darauf hin, dass es sich bei den auf den betreffenden Aufnahmen abgebildeten männlichen Personen um ein und dieselbe Person handelt.“ Nur war diese Person inzwischen weg. Telefonüberwachung und Video-Observationen bei Mandy S. und ihrem Freund Kay S. ergaben keine weiteren stichhaltigen Treffer. Getroffen wurde am 9. September statt dessen der 38-jährige Blumenhändler Enver Simsek in Nürnberg – von acht Kugeln. Er starb zwei Tage später. Im Zuge der Aufklärung ab 2011 berief man in Thüringen eine Kommission unter Vorsitz des Ex-Bundesrichters Gerhard Schäfer ein. Sie sollte das Handeln Thüringer Behörden im NSU-Komplex nachträglich beleuchten. Im Mai 2012 gab die Schäfer-Kommission ein 273-Seiten-Gutachten ab, in dem viele Spuren öffentlich wurden – auch die Observation an der Chemnitzer Bernhardstraße. Allerdings kam die Kommission zu dem Schluss, dass es sich bei der auf den Observationsfotos abgebildeten Person nicht um Böhnhardt gehandelt habe. Immerhin habe man der Wohnungsinhaberin Mandy S. die Fotos später vorgehalten. Und diese habe ihren Bekannten Daniel H. darauf erkannt. Der Vorfall, auf den das Schäfer-Gutachten Bezug nahm, hatte sich am 23. Oktober 2000 ereignet, also bereits nach dem ersten Mord. Erneut hatten Thüringer Observateure – diesmal von der Zielfahndung des LKA – unterstützt von sächsischen Polizisten des Mobilen Einsatzkommandos Chemnitz (MEK), das Haus Bernhardstraße 11 beobachtet. Zielpersonen der Aktion waren Mandy S. und ihr Freund Kay S. Allerdings unterbrach man mittags die Observation auf Befehl des Thüringer Fahnders Sven Wunderlich. Der lief über die Straße und klingelte Kay S. heraus. Der Einsatzleiter des MEK Chemnitz wunderte sich später, solches Vorgehen habe er in seiner Dienstzeit noch nie erlebt. Laut Fahnder Wunderlich sollte das Ansprechen von Kay S. eine Reaktion provozieren. Man habe ihm das Foto gezeigt. S. habe behauptet, die Person kenne er nicht. Von der Adresse seiner Freundin habe man Kay S. dann zu dessen eigener Wohnung an der Hainstraße mitgenommen, um zu prüfen, ob sich Böhnhardt dort aufhalte, sagte Wunderlich. Das sei nicht der Fall gewesen. Als man Kay S. zur Bernhardstraße zurückgebracht hatte, lief die Observation wieder an. Das MEK Chemnitz folgte nun Kay S., als dieser – jetzt mit eigenem Auto – erneut zu seiner Wohnung fuhr. Er schleppte einen Haufen Papiere aus der Wohnung und verbrannte sie auf einem Grill auf dem Garagenhof. Warum niemand die mutmaßliche Beweismittelvernichtung verhinderte, darüber hatte sich schon der erste NSU-Untersuchungsausschuss des Sächsischen Landtags gewundert. Als Zeuge erörterte Thüringens Zielfahnder Wunderlich kopfschüttelnden Ausschussmitgliedern, die Aufgabe sei damals nicht gewesen, Papiere zu sichern, sondern Böhnhardt zu finden („Freie Presse“ vom 10. September 2013). Während die Chemnitzer Polizisten ohne Befehl zum Eingreifen Kay S. auf dem Garagenhof beim „Papiergrillen“ zusahen, suchte Wunderlich zusammen mit seinem Thüringer Kollegen Jan-Erik K. und angeblich zwei weiteren Polizisten Mandy S. im Friseurladen auf. Dort wiederholten sie ihre Prozedur. Ob sie die Person auf dem Foto kenne? Ja, kenne sie, habe Mandy S. behauptet. Der Böhnhardt ähnliche Mann sei ihr Chemnitzer Bekannter Daniel H. Postwendend fuhren die Polizisten mit Mandy S. zu dessen Adresse, einem inzwischen abgerissenen Hochhaus nahe dem Stadtzentrum. Man traf den Mann an und überprüfte seine Papiere. Was folgte, war jener von Wunderlich und Kommissar Jan-Erik K. unterzeichnete Vermerk, auf den sich die Schäfer-Kommission stützte, als sie 2012 folgerte, der Observierte auf dem Foto sei nicht Böhnhardt gewesen. „Bei der Person H. handelte es sich nicht um den gesuchten Böhnhardt“, hielten Wunderlich und sein Kollege zu Daniel H. schriftlich fest. Was sie nicht festhielten, waren Antworten auf die wirklich wichtigen Fragen. Wie sah Daniel H. aus? Passte seine Erscheinung zu den Observationsfotos? War eine Verwechslung mit Uwe Böhnhardt tatsächlich zu unterstellen? Oder ließen sich die Thüringer Fahnder von der als Kontaktperson des Trios vermuteten Mandy S. auf eine falsche Fährte locken? „Heute ist nicht mehr relevant, ob die Person auf den Fotos Böhnhardt war, sondern dass die Fahnder damals glaubten, er sei es“, urteilt Kerstin Köditz, Vizevorsitzende des sächsischen NSU-Untersuchungsausschusses, auf Anfrage. Angesichts dessen werfen der unübliche Ablauf der Observation, der Einsatzbericht und andere Eigentümlichkeiten, die auch der Thüringer NSU-Ausschuss am Verhalten des Zielfahnders Wunderlich ausmachte, nämlich Fragen auf. Einerseits war Wunderlich der Mann, der zuerst den Verdacht ventiliert hatte, Beate Zschäpe sei V-Frau. Andererseits führte er selbst einmal eine vernommene Zeugin dem Verfassungsschutz als potenzielle V-Frau zu. Statt sieben Wochen auf die BKA-Auswertung der Fotos zu warten, hätten Ermittler am 6. Mai 2000 übrigens prompt klären können, ob die Möbelteile auf den Fotos durch Böhnhardts Hände gegangen waren. Dessen Fingerabdrücke lagen in der Fahndungsakte schließlich vor. Nachdem die Wunderlich-Antworten Sachsens NSU-Ausschuss nicht wirklich zufrieden stellten, erhofft man sich nun von jenem zweiten Mann Aufschluss, der nachweislich bei der Kontrolle von Daniel H. dabei war. Kriminalhauptkommissar Jan-Erik K. ist heute als Zeuge in den Dresdner Ausschuss geladen. Der Chemnitzer Daniel H. hat auf eine „Freie Presse“-Anfrage zur Klärung, ob er es war, der bei Mandy S. am 6. Mai 2000 beim Umzug half, bisher nicht reagiert.“ (Freie Presse/Jens Eumann 12.3.2018)


Dem Hessischen Rundfunk (Video 12.3.2018) liegt der Entwurf des hessischen NSU-Abschlussberichtes exklusiv vor. Zitat hieraus:

„Der Ausschuss konnte nicht feststellen, dass eine hessische Behörde oder ein Bediensteter des Landes Hessen Kenntnis davon hatte, dass die Mordserie von einer rechtsterroristischen Gruppe begangen wurde. Allerdings lagen bei hessischen Stellen Hinweise vor, die in einem Zusammenhang mit der Mordserie standen. Der Umgang mit diesen Hinweisen war nicht immer sachgerecht. Insofern trifft das bereits von den Untersuchungsausschüssen im Bund und anderen Bundesländern festgestellte Versagen der Sicherheitsbehören auch in Hessen zu. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass ein sachgerechter Umgang mit den in Hessen vorliegenden Hinweisen zur Aufdeckung der Mordserie geführt hätte, hat der Ausschuss allerdings nicht gefunden.“


Herman Schaus (die Linke), Obmann im NSU-Untersuchungsausschuss im HR Interview:

„Es ist so geschrieben, dass die Regierungspartei CDU und der damalige Innenminister Bouffier praktisch nicht angegriffen werden, sondern in der Tendenz eher reingewaschen wird.“


„Behördenversagen“: Der NSU-Untersuchungsausschuss stellt gravierende Mängel beim hessischen Verfassungsschutz fest. Auch die Rolle von Ex-Verfassungsschützer Temme ist immer noch ungeklärt:

Der hessische NSU-Untersuchungsausschuss zieht eine verheerende Bilanz der Arbeit des Landesamts für Verfassungsschutz in früheren Jahren. Er kommt allerdings nicht zu dem Schluss, dass Verfassungsschützer vorab vom rechtsradikalen Hintergrund der Mordserie wussten. Das Gremium schließt eine Beteiligung des ehemaligen hessischen Verfassungsschützers Andreas Temme am NSU-Mord an Halit Yozgat nicht aus, hält sie aber für unwahrscheinlich. Das geht aus dem Entwurf zum Abschlussbericht des Gremiums hervor, den der Grünen-Obmann Jürgen Frömmrich verfasst hat und der der FR vorliegt. Er wird voraussichtlich mit den Stimmen von CDU und Grünen verabschiedet. SPD und Linke hatten bereits angekündigt, dass sie wahrscheinlich eigene Berichte vorlegen werden. Der Ausschuss spricht von „einem generellen Behördenversagen“, das auch auf den hessischen Verfassungsschutz zutreffe, der dem damaligen Innenminister und heutigen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) unterstand. Die NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe seien „aus dem Blickfeld der Sicherheitsbehörden“ verschwunden. Dabei sei die Gewinnung und Bewertung von Erkenntnissen über verfassungsfeindliche Bestrebungen die „Existenzberechtigung“ der Geheimdienste. Der Untersuchungsausschuss bezeichnet das Denken im hessischen Verfassungsschutz Mitte der 2000er Jahre als „verkrustet“. Dabei zitiert er die frühere Vizechefin des hessischen Geheimdienstes, Catrin Rieband. Sie habe bei ihrem Amtsantritt im Frühjahr 2007 eine Behördenstruktur vorgefunden, die „auf einem Gedankenstand und auf einem Regelungsstand war, der Jahre und Jahrzehnte alt war. Ich würde es als etwas verkrustet beschreiben, freundlich ausgedrückt“, sagte sie als Zeugin aus. „Dieser Bewertung schließt sich der Ausschuss an“, heißt es im Abschlussbericht. „Die Folgen der von der Zeugin Rieband beschriebenen verkrusteten Strukturen sind bis heute zu besichtigen.“ Als Beispiel führt der Bericht an, dass nicht alle Aktenstücke aufgefunden werden können, die im Verfassungsschutz angelegt worden sind. Bis heute könne daher nicht geklärt werden, „ob sich unter den verschwundenen Aktenstücken auch solche befinden, die Hinweise auf Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe enthalten“. Deshalb sei es nicht entscheidend, ob 541 Aktenstücke fehlten, wie das Landesamt 2014 festgestellt hatte, oder doch nur 201 Aktenstücke, wie die Staatskanzlei im September 2017 schrieb. Die Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) hatte in den Jahren 2000 bis 2007 zehn Menschen getötet, davon neun Kleinunternehmer mit Migrationshintergrund. Beim neunten Mord am 6. April 2006 in Kassel, wo der Internetcafé-Betreiber Halit Yozgat erschossen wurde, war der damalige Verfassungsschützer Temme am Tatort oder hatte ihn Sekunden vorher verlassen. „Die Frage, ob Temme an der Tat beteiligt oder ob er gar selbst der Täter war, kann auch der Untersuchungsausschuss nicht mit letzter Sicherheit beantworten“, heißt es in dem Bericht. „Allerdings hält es der Ausschuss, ebenso wie es die Staatsanwaltschaften in den Jahren 2007 und 2012 sahen, für wahrscheinlicher, dass Temme nicht daran beteiligt war.“ Als Indiz für Temmes Unschuld sieht die Ausschussmehrheit sein Verhalten im Internetcafé an. Er habe dort nicht versucht, „sich oder seine Identität zu verbergen“, und sich bei dem Bezahldienst iLove über sein persönliches Handy eingewählt. „Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass jemand, der – allein oder zusammen mit anderen – einen Mord begehen will, sich so verhält“, schlussfolgert Frömmrich in seinem Bericht.“ (FR Online 13.3.2018)


Der hessische NSU-Ausschuss hat einiges zutage gefördert, was Ministerpräsident Bouffier belastet:

„Die Bilanz des NSU-Untersuchungsausschusses sieht alles andere als rosig aus für Ministerpräsident Volker Bouffier. In seiner Zeit als Innenminister hat er einen Verfassungsschutz verantwortet, der selbst nach Auffassung der schwarz-grünen Koalition miserabel aufgestellt war. Denn man darf davon ausgehen, dass der Abschlussbericht aus der Feder eines Grünen mit der CDU abgestimmt ist. Darin kann man nachlesen, dass Bouffier dem Parlament zu Unrecht wichtige Erkenntnisse vorenthielt. Oder dass er mit seiner generellen Sperrerklärung für die Vernehmung von sechs V-Leuten daneben lag, weil er nicht zwischen ihrer Bedeutung differenzierte und damit die Vernehmung einer rechten Verfassungsschutz-Quelle blockierte. Das alles ist nur die Spitze des Eisbergs – jener Teil nämlich, den selbst Bouffiers CDU nicht mehr leugnen kann. Vor vier Jahren versagten CDU, Grüne und FDP dem Ausschuss ihre Stimme. Eines dürften auch diese Parteien nicht mehr ernsthaft behaupten: dass das Gremium keine Erkenntnisse bringen könne. Nur sind es unangenehme Wahrheiten für Bouffier.“ (FR Online 13.3.2018)


Keine Agenten des FBI am Tatort von Heilbronn?

„Das amerikanische FBI war nicht auf der Heilbronner Theresienwiese, als dort am 25. April 2007 die Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter erschossen wurde. Das geht aus einem Dokument hervor, dessen Freigabe der Landtags-Untersuchungsausschuss zur rechtextremen Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) jetzt erreicht hat. In dem Schreiben des US-Justizministeriums/FBI ans Bundeskriminalamt vom 15. Oktober 2012 erklärt die US-Behörde, dass sie im Frühjahr 2007 keinerlei Operationen in Deutschland durchgeführt habe. Insbesondere habe am 25. April 2007 in Heilbronn keine Observationsmaßnahme stattgefunden. Wie der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler (SPD) am Montag mitteilte, habe er die Freigabe des vom Legal Attaché bei der US-Botschaft in Berlin gezeichneten Schreibens beim FBI erwirkt. Nun sei eine öffentliche Befassung mit dem bisher als Verschlusssache eingestuften Dokument möglich. „Das ist ein weiterer Mosaikstein“, sagte Drexler unserer Zeitung am Montag. Man versuche, möglichst viel an die Öffentlichkeit zu bringen, was bisher nur als Geheimsache vorliege. „Wir haben mit dem Komplex noch nicht abgeschlossen“, so Drexler weiter. Der Ausschuss überprüft Hinweise, wonach Vertreter US-amerikanischer Dienste am Tag des Kiesewetter-Mordes in Heilbronn waren. In verschiedenen Medienberichten war über eine Observation islamistischer Kreise auf der Theresienwiese spekuliert worden. Dazu haben die Abgeordneten bereits mehrere ehemalige Mitglieder der islamistischen Sauerland-Gruppe als Zeugen gehört. Auch der ehemalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes Ernst Uhrlau musste vor dem Ausschuss aussagen. Zuletzt hatten die Parlamentarier einen ehemaligen Mitarbeiter des „Military Intelligence“ endgültig als Zeugen entlassen, der als wichtiger Hinweisgeber auf eine Aktion US-amerikanischer Dienste in Heilbronn galt. Der heutige AfD-Berater hatte sich bereits kurz nach dem Auffliegen des NSU im November 2011 bei der Polizei als Tipp-Geber angedient. Der Ausschuss bezeichnet die Glaubwürdigkeit des Zeugen als „durchgreifend erschüttert“. Am nächsten Montag will das Gremium seine Arbeit fortsetzen. Nach Informationen unserer Zeitung sind mehrere Zeugen aus der rechtsextremen Szene als Zeugen geladen. Darunter der ehemalige Zwickauer Neonazi Ralf Marschner. Der 46-Jährige war jahrelang V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz und lebt mittlerweile in der Schweiz. Der Thüringer Rechtsextremist Sven Rosemann ist bereits zum zweiten Mal geladen. Dabei geht es um mögliche Waffengeschäfte mit einem Mann aus Marbach am Neckar, den die Abgeordneten ebenfalls befragen wollen. Rosemann hatte sich für die letzte Sitzung krank gemeldet, nachdem auf seinem Briefkasten eine Patrone gefunden worden war.“ (Stuttgarter Zeitung 26.3.2018)


NSU: Schutz für V-Mann „Piatto“ von ganz oben (Telepolis/Thomas Moser 26.2.2018)


Ex-V-Mann Brandt: Geld des Verfassungsschutzes ging an den NSU:

„Tino Brandt hatte in den 90er Jahren die Neonazi-Kameradschaft „Thüringer Heimatschutz“ aufgebaut, in der sich auch das NSU-Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe bewegte. Brandt sitzt wegen Kindesmissbrauchs in Haft und wurde in Fußfesseln vorgeführt. Er arbeitete gegen Geld als V-Mann (Verbindungsmann) für den Verfassungsschutz, bis er 2001 enttarnt wurde. Der Verfassungsschutz sei einer der Hauptabnehmer des Spiels „Pogromly“ gewesen, sagte Brandt vor dem Ausschuss. Das Trio hatte das rassistische Spiel entwickelt – laut Brandt, um Geld in die Kasse zu bekommen. Der Verfassungsschutz habe dabei einen ganzen Stapel abgenommen.“ (Stimme.de 19.2.2018)


NSU-Untersuchungsausschuss. Ex-Neonazi Tino Brandt empört mit Aussage:

„Bei einer weiteren Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses in Stuttgart hat der frühere V-Mann Tino Brandt behauptet, Geld für das Trio gesammelt zu haben – mit Wissen des Verfassungsschutzes. Stuttgart – Wer am Montag den Landtag betreten wollte, brauchte Geduld. Penibel durchsuchten Bereitschaftspolizisten die Besucher des NSU-Untersuchungsausschusses. Umstellt von mehreren Mannschaftswagen ähnelte das Parlament einer Hochsicherheitszone. Nicht ohne Grund. Bereits in der vergangenen Woche ging beim Ausschuss-Vorsitzenden Wolfgang Drexler (SPD) ein Drohbrief ein. Der richtete sich sowohl gegen ihn als Person, als auch gegen die Arbeit des Gremiums. „Offensichtlich gibt es Menschen, denen es nicht passt, dass wir jetzt diese Kaliber laden“, erklärte Drexler. Der Ausschuss hat bei seinen vergangenen Sitzungen mehrfach Angehörige der rechtsextremen Szene gehört – bis zum Ende der Beweisaufnahme im Sommer soll daran festgehalten werden. „Wir laden auch weiterhin alle vor, die wir wollen – unabhängig davon, welche Schreiben hier eingehen“, kündigt Drexler an. Einer, dem die Abgeordneten gerne Fragen gestellt hätten, erschien am Montag allerdings nicht in Stuttgart. Der ehemalige Thüringer Neonazi Sven Rosemann legte dem Ausschuss eine Krankmeldung vor. Nach Informationen unserer Zeitung liegt der Hintergrund in einem weiteren Vorfall, der polizeilich untersucht wird. Demnach wurde auf dem Briefkasten von Rosemann die Patrone einer Schusswaffe abgelegt. Der Rudolstädter, der in den Neunzigerjahren eine militante Kameradschaft anführte, wird mit Waffengeschäften im Umfeld des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) in Verbindung gebracht. Auch ein Marbacher Neonazi mit Verbindungen ins Rotlichtmilieu soll laut einer Zeugenaussage daran beteiligt gewesen sein. Zwar gehen Ermittler nicht davon aus, dass über Rosemann die Ceska 83 zu den Rechtsterroristen gelangte, mit denen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zwischen 2000 und 2006 neun Männer mit Migrationshintergrund erschossen. Weitere Waffengeschäfte schließen die Kriminalen aber nicht aus. Auch woher die Pistolen kamen, mit denen Mundlos und Böhnhardt am 25. April 2007 die Polizistin Michèle Kiesewetter töteten und ihren Streifenpartner schwer verletzten, ist unklar. Die Mitglieder des zweiten Untersuchungsausschusses nehmen deshalb Bezüge des NSU nach Baden-Württemberg unter die Lupe. Kaum neue Erkenntnisse lieferte am Montag der ehemalige Verfassungsschutz-Spitzel Tino Brandt. Der 43-Jährige wurde in Fußfesseln in den Plenarsaal geführt. Er sitzt eine mehrjährige Haftstrafe wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in der Justizvollzugsanstalt Hohenleuben ab. Ab Mitte der Neunzigerjahre baute er den rechtsextremen Kameradschafts-Verbund „Thüringer Heimatschutz“ auf, dem auch die späteren NSU-Mitglieder angehörten. „Wir wollten die Politik verändern, weg von Multi-Kulti“, sagte Brandt. „Wir waren durchaus überzeugte Nationalsozialisten.“ Finanzspritzen kamen vom Thüringer Verfassungsschutz, dem Brandt von 1994 bis 2001 als V-Mann Informationen lieferte. Wöchentlich habe er sich zuletzt mit dem Geheimdienst getroffen. Als Gegenleistung gab es Bares. Für Hotelübernachtungen und Fahrten zu Demonstrationen ins gesamte Bundesgebiet habe es „Extra-Auslagen“ gegeben. Auch einen Besuch von Brandt mit Kameraden aus Jena bei einer NPD-Kundgebung auf dem Stuttgarter Schlossplatz im November 1997 habe der Thüringer Freistaat finanziert. Mit dem Ausflug in den Süden habe man „diplomatische Beziehungen“ pflegen wollen. Enge persönliche Bande nach Baden-Württemberg habe es aber nicht gegeben. Für Empörung sorgte Brandts Aussage, dass er für die untergetauchten Drei Gelder gesammelt habe – mit Wissen des Thüringer Verfassungsschutzes. „Ich bin darüber entsetzt“, kommentierte der Grünen-Obmann Jürgen Filius. Laut seinem Kollegen Boris Weirauch (SPD) wirft die Praxis der Thüringer Behörde ein „schlechtes Licht auf das V-Leute-System“. Der FDP-Obmann Nico Weinmann warf die Frage auf, warum Brandt bisher nicht als Zeuge im Thüringer Untersuchungsausschuss gehört worden sei.“ (Stuttgarter Zeitung.de 19.2.2018)


NSU-Ausschuss in Stuttgart.Drohbrief sorgt für Großeinsatz der Polizei:

„Mit einem Großaufgebot hat die Polizei am Montag rund um den Stuttgarter Landtag die Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses abgesichert. Grund dafür ist ein Drohbrief und eine Patrone. Aufregung in der 19. Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses im Landtag: Nach Informationen unserer Zeitung erhielt der Vorsitzende des Gremiums, Wolfgang Dexler (SPD) im Vorfeld der heutigen Sitzung einen Drohbrief. Außerdem wurde in der Umgebung des ehemaligen Thüringer Neo-Nazis Sven Rosemann die Patrone einer Schusswaffe gefunden. Rosemann ist für heute als Zeuge im NSU-Untersuchungsausschuss geladen. Er sollte Auskunft über mögliche Waffengeschäfte im Umfeld der rechtsradikalen Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) geben. Dem Trio Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos werden Morde an neun Menschen mit Migrationshintergrund und 2007 an der Polizistin Michele Kiesewetter in Heilbronn zur Last gelegt. Rosemann, ein ehemaliger Kameradschaftsführer in Rudolstadt, wird nach Informationen unserer Zeitung jedoch nicht im Stuttgarter Landtag erscheinen. Bereitschaftspolizisten aus Stuttgart und Göppingen schirmen den Landtag ab. Besucher der Ausschusssitzung werden penibel durchsucht.“(Stuttgarter Nachrichten 19.2.2018)


Thüringer Zeuge vor Stuttgarter NSU-Ausschuss. Polizei prüft mögliche Bedrohung von NSU-Zeuge:

„Die Polizei Saalfeld prüft die mögliche Bedrohung eines Zeugen im NSU-Untersuchungsausschuss im Landtag von Baden-Württemberg. Ein Polizeisprecher sagte MDR THÜRINGEN, dass die Staatsanwaltschaft Gera ein entsprechendes Verfahren eingeleitet habe. Zu weiteren Details wollte sich der Sprecher nicht äußern. Nach Informationen von MDR THÜRINGEN hat der ehemalige Neonazi Sven R. aus Rudolstadt vor wenigen Tagen eine Patrone auf seinem Briefkasten gefunden. Das hatte er bei der Polizei angezeigt. Die Patrone und der Briefkasten werden nun von Tatortspezialisten des Landeskriminalamts auf DNA-Spuren untersucht. Weitere Anhaltspunkte für eine Bedrohung gegen den Mann seien bislang nicht gefunden worden, so die Polizei. Sven R. sollte am Montag vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Stuttgarter Landtags aussagen. Nach Angaben des Ausschussvorsitzenden Wolfgang Dexler (SPD) hatte er sich aber krank gemeldet. R. gehörte in den neunziger Jahren zum harten Kern der Ostthüringer Neonazi-Szene und war Kameradschaftsführer in Rudolstadt. Er selber soll damals in Waffengeschäfte in der rechtsextremen Szene in Thüringen verwickelt gewesen sein. Dazu wollten ihn die Abgeordneten des Landtages in Baden-Württemberg am Montag befragen. Außerdem war der ehemalige V-Mann Tino Brandt geladen worden. Brandt wiederholte vor dem Ausschuss seine Angaben, Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach ihrem Abtauchen auch mit Geld vom Verfassungsschutz unterstützt zu haben.“ (MDR Thüringen 19.2.2018)


NSU-Zeuge nach Deutschland abgeschoben:

„Nach drei Monaten Haft wird Torsten Ogertschnig aus den Niederlanden nach Deutschland abgeschoben – Sein Anwalt: „Habe so etwas noch nie erlebt“. Nach 95 Tagen in Haft hat die niederländische Polizei den Bundesbürger Torsten Ogertschnig am Freitag in Amsterdam in ein Flugzeug gesetzt und nach Berlin verfrachtet. Dort wartete die Bundespolizei auf ihn, nahm ihn mit in die Wache, setzte ihn aber nach einer dreiviertel Stunde wieder auf freien Fuß. Gegen den 50-Jährigen liegt nichts vor. Mitte Oktober hatte Ogertschnig in dem Nachbarland Asyl beantragt, weil er sich durch deutsche Behörden verfolgt fühlt. Daraufhin wurde er im zentralen Abschiebegefängnis des Landes eingesperrt und zur „unerwünschten Person“ erklärt. Jetzt wurde er nicht etwa zur 60 Kilometer entfernten deutschen Grenze gefahren, sondern ins weite entfernte Berlin geflogen. Der Fall ist derart ungewöhnlich, dass er ohne NSU-Hintergrund nur schwer zu verstehen wäre. (Telepolis hatte vor vier Wochen darüber berichtet). Im Jahr 2003, also acht Jahre vor dem Auffliegen des NSU, hatte Torsten Ogertschnig gegenüber einem Beamten des Verfassungsschutzes von Baden-Württemberg von einer Terrorgruppe mit einem solchen Namen berichtet und unter anderem die Namen „Mundlos“ und „Böhnhardt“ genannt. Er will von einem Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes davon erfahren haben. Der „NSU“ sei so etwas wie der „Geheimdienst“ des rechtsextremistischen Netzwerkes Thüringer Heimatschutz gewesen. Bekannt wurde der Sachverhalt erstmals im Sommer 2012 im NSU-Untersuchungsausschuss No. 1 des Bundestages. In der Folge zielten die Behörden darauf, die Glaubwürdigkeit beider Zeugen gründlich zu beschädigen. In einer südwestdeutschen Regionalzeitung war vor einiger Zeit sogar zu lesen, „Torsten O. sei inzwischen verstorben“. Woher sie diese Desinformation hatte, kann die Redaktion nicht mehr sagen. Torsten Ogertschnig war in Heilbronn, der Stadt, in der die Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter durch den „NSU“ ermordet worden war, als Privatdetektiv tätig und hatte enge Kontakte zur Polizei. Er arbeitete auch als „Informant“ für den dortigen Staatsschutz, unter anderem in der rechten Szene. Außerdem wurde er vom Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) einige Zeit als V-Mann geführt (Deckname „Erbse“). Das Bundeskriminalamt hat ihn ausgiebig vernommen. Seine Aussage wurde von der Bundesanwaltschaft im Sammelverfahren „NSU/Unbekannt“ abgelegt. Ogertschnig wurde mehrmals zu Haftstrafen verurteilt, alle hat er abgesessen. Seine Einstufung als „unerwünschte Person“ stützen die niederländischen Behörden nun einerseits auf sein Strafregister, andererseits auch auf seine Rolle im NSU-Verfahren. Konkretisiert wurde das aber nicht. Sein niederländischer Anwalt, den ihm der Staat stellte, hält den Umgang mit seinem Mandanten nicht nur für „absolut ungewöhnlich“, sondern auch für gesetzwidrig. Dass ein Bundes- und EU-Bürger in Haft genommen wird, weil er einen Asylantrag gestellt hat, habe er „noch nie erlebt“, sagt er und ergänzt: Und seine Kollegen auch noch nicht. Nach wie vor sind vor niederländischen Gerichten Beschwerden des Anwaltes gegen Inhaftierung und nun gegen die Abschiebung anhängig. Undurchsichtig ist, welche Rolle bundesdeutsche Stellen spielen. Fest steht, dass die Bundespolizei der niederländischen Seite schon zu einem ganz frühen Zeitpunkt vorgeschlagen oder angeboten hat, Ogertschnig entgegen zu nehmen, sollte er als „unerwünscht erklärt“ werden und seine Freizügigkeit verlieren. Tatsächlich holten Bundespolizisten ihn dann auch direkt an der Maschine auf dem Flughafen Tegel ab. Mit welcher Absicht war und ist unklar. Zunächst erklärten die Beamten, sie hätten etwas mit ihm „zu besprechen“, dann wollten sie ihn „erkennungsdienstlich“ behandeln inklusive DNA-Abnahme, schließlich ließen sie ihn anstandslos gehen. Es liegt nichts gegen Ogertschnig vor. Sämtliche Behörden und Ministerien, unter anderem das Bundesinnenministerium, dem die Bundespolizei untersteht, sowie das Auswärtige Amt, das für Bundesbürger im Ausland zuständig ist, äußern sich nicht zu dem Fall. Anfänglich zogen sie sich auf „personen- und datenschutzrechtliche Gründe“ zurück. Nachdem der Fall öffentlich geworden war und der Betroffene deutlich gemacht hatte, dass er die Öffentlichkeit sucht, ging die Bundesregierung vollkommen auf Tauchstation. (Telepolis/Thomas Moser 20.1.2018)

Die Rechtsanwältin der Nebenklage im NSU Prozess,Antonia von der Behrens:

„Die Frage war, ob es Helfer in Dortmund gab, die auf Dortmund als Tatort hingewiesen haben oder sogar ganz konkret auf den Kiosk, auf die Person von Mehmet Kubaşık. Es gibt erhebliche Anhaltspunkte, die wir dafür haben, auch wenn wir das nicht wissen wie‘s wirklich war. Anhaltspunkte sind, das die Nordstadt von Dortmund, dort wo der Kiosk auch lag, wo die Familie wohnt, auch eine Nazi-Hochburg war. Es gibt dort viele hochrangige Neonazis, die dort leben. Es gibt welche, die auf derselben Straße leben, wo der Kiosk auch war, die in unmittelbarer Nähe um die Ecke wohnen, so dass es auf jeden Fall möglich war, dass diese Kenntnis von dem Kiosk hatten, dass sie Kenntnis von der Person Mehmet Kubaşıks hatten. Also wir wissen, dass es Unterstützer des NSU gab, die Kontakt zu diesen Personen hatten. Insofern ist der Weg sehr kurz. Deswegen sagen wir, das ist was, was untersucht werden muss. Ist der Kiosk ausgespäht worden? Sind Informationen weiter gegeben worden? Und natürlich will die Familie Gewissheit haben. Die wollen wissen: Laufen sie vielleicht heute noch Personen über den Weg, die eigentlich an dem Tod von Mehmet Kubaşık mit beteiligt waren. (…) Also im NSU-Verfahren waren wir ganz häufig mitder Begründung konfrontiert, dass es hieß, vom Gericht, unsere Beweisanträge werden abgelehnt, weil die Beweiserhebung nichts erbringen würde, was für die Tat- und Schuldfrage relevant ist. Das heißt, es würde nichts erbringen, was die in der Anklage umrissene Tat beweisen würde, oder was in Bezug auf die Schuld der Angeklagten relevant wäre, oder auf die Frage der Rechtsfolge, also die Frage der Strafzumessung, was dafür relevant wäre. Und das ist die häufigste Begründung, die wir bekommen haben. (…) Aber es gab noch weitere wichtige Fragen, die die Mandanten hatten. Und zwar war es von Anfang so, dass sie gesagt haben, wie kann es sein, dass der achte Mord stattfindet, ohne dass Sicherheitsbehörden eingeschritten sind. Beim ersten Mord, vielleicht kann man das noch verstehen. Aber acht Morde. In Deutschland. Bei einem Sicherheitsapparat, der doch so gut ausgebaut ist, war‘s ihnen kaum vorstellbar, dass es da möglich war, so lange zu morden, unentdeckt zu morden, ohne dass man gestoppt wird.“ (BR/Ralf Homann: Die offenen Fragen)

Aus dem selben Radio Feature von Ralf Homann:

Dieser Vernetzungswille passt nicht recht ins Bild von dem abgeschotteten Trio, das der Generalbundesanwalt in seiner Anklageschrift vom NSU zeichnet. Bereits Ende der 1990er Jahre erhielten der hessische Verfassungsschutz und mindestens eine weitere Verfassungsschutz- Behörde einen Hinweis auf die Existenz sogenannter „National Sozialistischer Untergrundkämpfer Deutschlands“. Für Genaueres bleiben nur Vermutungen, da die hessischen Verfassungsschützer ihre Informationen für die Öffentlichkeit mit einer Sperrfrist bis zu 120 Jahren versehen haben. Der „Weiße Wolf“, das Nazi-Fanzine aus Mecklenburg-Vorpommern, unterliegt jedoch nicht diesen nachrichtendienstlichen, hessischen, Sperrvermerken. Sein Inhalt mit dem Gruß an den NSU aus dem Jahr 2002 ist bekannt.

Antonia von der Behrens kommentiert:

„Und wir gehen davon aus, dass ab diesem Zeitpunkt das Bundesamt für Verfassungsschutz wusste, es gibt eine Organisation, die sich NSU nennt, und die auf jeden Fall Zugang zu illegalen Geldquellen hat. Bestärkt werden wir in dieser Auffassung, dass es heißt im Bundesamt, ach, man hätte diese Grüße übersehen. Dem hätte man keine Bedeutung beigemessen. Es würden ja immer so viele Grüße in diesen Heften stehen. Das ist komplett unglaubwürdig, weil es allein 13 Mitarbeiter im Bundesamt gegeben hat, die mit der Auswertung dieses einzigen 20, 30 Seiten umfangreichen Heftes befasst waren. Das ganze wird noch unwahrscheinlicher, weil nämlich heute dieses Heft im Bundesamt für Verfassungsschutz verschwunden sein soll. Normalerweise sind in diesen Heften Auswertervermerke. Das ist nicht mehr nachzulesen, weil das Heft verschwunden ist. Ich würde denken, es ist verschwunden, weil es nämlich genau Vermerke gibt, dass man genau diese Grüße ausgewertet hat, dass man das notiert hat und sich auf die Suche gemacht hat: Wer ist der NSU? Was ist das für eine Gruppierung? Wo hat die ihr Geld her? Unser Problem ist natürlich, da das Heft im Bundesamt für Verfassungsschutz verschwunden ist, kann im Augenblick auch keiner die Behauptung widerlegen, diese Grüße seien gar nicht ausgewertet. Das ist es ja, warum es so praktisch ist, wenn Akten vernichtet sind, wenn Dinge verschwunden sind, weil dann der Verfassungsschutz Behauptungen in die Welt setzen kann, die kein Mensch mehr widerlegen kann.“


NSU in Baden-Württemberg. U-Ausschuss will umstrittenen Zeugen nicht weiter befragen:

„Der NSU-Untersuchungsausschuss im baden-württembergischen Landtag will einen umstrittenen Zeugen und AfD-Berater nicht weiter anhören – der Mann sei nicht glaubwürdig. Stuttgart – Ein Berater der AfD-Landtagsfraktion, der zugleich Zeuge im NSU-Untersuchungsausschuss im Landtag ist – diese Konstellation sorgte im politischen Stuttgart für einigen Wirbel. Am Montag hat das Landtagsgremium schließlich entschieden, Reinhard Rudolf K. aus dem Zeugenstand zu entlassen. Zur Begründung hieß es in dem Beschluss unter anderem, die Glaubwürdigkeit des Zeugen sei „durchgreifend erschüttert“. Der Mann hatte früher beim US-Militär gearbeitet und war dann parlamentarischer Berater der Alternative für Deutschland (AfD) im baden-württembergischen Landtag geworden. Er befeuerte im Wesentlichen die These, Personen aus dem Umfeld der islamistischen Sauerlandgruppe hätten sich am Tag der Ermordung der Polizistin Michèle Kiesewetter am 25. April 2007 in Heilbronn aufgehalten. Kiesewetter und ihr Streifenkollege seien zufällig bei einer Zünderübergabe dazwischengekommen, lautet die Theorie, für die das Landtagsgremium aber keine Belege fand. In der Befragung gewannen Mitglieder des Ausschusses vielmehr den Eindruck, dass der Mann wenig glaubwürdig ist. So brachten die Nachforschungen der Abgeordneten zu einer Handy-Nummer, die der Zeuge als angeblichen Beleg für seine These genannt hatte, ein unverdächtiges Ergebnis. Der Ausschuss geht der Frage nach, welche Verbindungen der „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) nach Baden-Württemberg hatte und ob es hier möglicherweise Helfer oder Unterstützer gab. Dem NSU werden von 2000 bis 2007 zehn Morde an Kleinunternehmern ausländischer Herkunft und an der Polizistin Kiesewetter zugerechnet.“ (Stuttgarter Nachrichten 15.1.2018)


Dauersumpf NSU :

„Im Zschäpe-Prozess und in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen wird weiter um die Wahrheit hinter der Mordserie gerungen. Deutschland im Januar 2018. – Vor dem Oberlandesgericht in München fordert eine Anwältin der Nebenklage die Fortsetzung der Ermittlungen. Sie hatte entdeckt, dass eines der Mordopfer in Nürnberg einen Konflikt gehabt hatte mit einem Neonazi-Kriminellen aus der Stadt, der nicht nur die Angeklagten Wohlleben und Gerlach kannte, sondern auch Mundlos. In Erfurt lädt der NSU-Untersuchungsausschuss von Thüringen drei Verfassungsschützer wieder aus, weil das Innenministerium sie nur in nicht-öffentlicher Sitzung befragen lassen will. Im parlamentarischen Untersuchungsausschuss von Brandenburg ergeben sich Hinweise, dass der V-Mann „Piatto“, der Kontakt zum Umfeld des NSU gehabt hatte, möglicherweise früher als bisher bekannt für eine Verfassungsschutzbehörde tätig war. Und in Stuttgart unternimmt der baden-württembergische Untersuchungsausschusses, der den Mord an der Polizistin Kiesewetter aufklären soll, einen ungewöhnlichen Schritt: Er versucht durch eigene Ermittlungen herauszufinden, was an den Spuren dran ist, die einen Zusammenhang mit der sogenannten Sauerland-Gruppe nahelegen. Mit zweifelhaftem Ergebnis. München, Erfurt, Potsdam, Stuttgart – Schauplätze der Auseinandersetzung um die wahren Hintergründe des Skandals namens „NSU“. Über sechs Jahre nach dem Auffliegen der Terrorgruppe kann von Aufklärung keine Rede sein und von Normalisierung erst Recht nicht. Der NSU-Skandal ist eine offene Wunde – oder treffender: ein tiefer werdender Sumpf. Der Grund dafür liegt im Verhalten derjenigen staatlichen Stellen, die eigentlich den gesetzlichen Auftrag haben, Verbrechen aufzuklären, aber das Gegenteil tun: Blockieren und vertuschen. Es ist der 403. Sitzungstag und der 25. Tag der Plädoyers, die Ende Juli 2017 mit der Bundesanwaltschaft begonnen haben und Mitte November 2017 durch die Nebenklage fortgesetzt wurden, als die Opferanwältin Seda Basay-Yildiz in ihrem Schlussvortrag Erstaunliches kundtut: Das Mordopfer Ismail Yasar war einige Zeit vorher von dem Nürnberger Neonazi Jürgen F. angegriffen und sein Imbiss so schwer beschädigt worden, dass F. zu einer einmonatigen Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt wurde. Basay-Yildiz hat nun herausgefunden, dass F. wahrscheinlich ein Kennverhältnis zu den jenaer Neonazis Ralf Wohlleben, Holger Gerlach, Stefan A. und Uwe Mundlos hatte, die selber mindestens in den 90er Jahren in Nürnberg waren. Im Fall Simsek gibt es eine ähnliche Kette vom Trio über die Neonazi-Szene von Nürnberg zum Mordopfer. Bisher war unklar, warum die NSU-Opfer ausgesucht worden waren. Doch mit dem Fall Yasar könnte sich das ändern, weil eine konkrete Motivlage sichtbar werden könnte – Rache und Bestrafung. Das wiederum eröffnet Rückschlüsse auf die gesamte Tätergruppierung und die mögliche Rolle des Trios Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe darin. Waren sie Stellvertreter-Mörder, Auftragskiller gar? Und wenn ja, für wen? Wäre demnach die Benutzung der Ceska-Pistole, die bei allen neun Morden an den türkisch- und griechischstämmigen Männern eingesetzt wurde, so etwas wie der Beleg für die Ausführung des Auftrages gewesen? Zu einem solchen möglichen Szenario passt, was die Anwältin weiter an Fakten und Umständen zusammentrug. Auch bei den übrigen Taten in Nürnberg, den zwei anderen Morden und dem Anschlag mittels einer Taschenlampenbombe, müssen die Täter, wenn sie nicht selber aus Nürnberg waren, so doch Unterstützung in der Stadt gehabt haben. Was Seda Basay-Yildiz darlegt, ist eindrucksvoll und vor allem gründlicher und logischer als das, was die Bundesanwaltschaft präsentierte. Die Nebenklageanwältin arbeitet mit demselben Material, das auch die Anklagebehörde besitzt. Auch sie hätte zu solchen Schlüssen kommen können. Doch ihre Ausführungen waren von einer hartnäckigen Oberflächlichkeit, wie jetzt entlarvt wird. Die Behörde nahm eine selektive Auswahl der Ermittlungsergebnisse vor, damit sie in ihre Drei-Täter-Theorie hinein passt. „Es muss weiterermittelt werden“, sagt die Anwältin, die die Familie des ersten Mordopfers Enver Simsek vertritt, am Ende ihres Plädoyers. Sie will das als Appell an das Gericht verstanden wissen. Sollte das dem nachkommen, würde es den Wiedereinstieg in die Beweisaufnahme bedeuten. Danach sieht es im Augenblick nicht aus. Ein Teil der großen Medien, wie Spiegel und Süddeutsche Zeitung, verschweigt die Erkenntnisse, die Seda Basay-Yildiz im Gerichtssaal präsentiert. Dazu benutzen sie ausgerechnet die Rede ihres Mandanten Abdul Kerim Simsek, dem Sohn des Getöteten, der in ergreifender Weise schildert, was der Tod seine Vaters für die Familie bedeutete, und der am Ende die Entschuldigung des Angeklagten Carsten Schultze akzeptiert. Seinen Auftritt stellen sie in den Mittelpunkt. Der Simsek-Sohn wird gleich doppelt missbraucht, denn selbst er wird nur selektiv zitiert. „Wir wollen hundertprozentige Transparenz“, sagt Abdul Kerim nach Ende des Sitzungstages gegenüber Journalisten, „alle Akten müssen freigegeben werden, vor allem die des Verfassungsschutzes.“ Die Gerichtsreporterin der SZ steht dabei und hört es. In ihrer Zeitung liest man es nicht. Was nicht berichtet wird, hat nicht stattgefunden. Am folgenden Tag kommt der Prozess erneut ins Stocken. Der Angeklagte Ralf Wohlleben hat Rückenschmerzen. Das Publikum muss den Saal verlassen, damit nicht-öffentlich darüber verhandelt werden kann. Die nächsten Plädoyers werden vertagt. Am selben Tag geht in Erfurt die Arbeit des NSU-Untersuchungsausschusses von Thüringen weiter. Und damit ein monatelanger Machtkampf mit dem Innenministerium. Drei Beamte des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) hat das Gremium als Zeugen geladen, Auswerter im Bereich Rechtsextremismus. Die Abgeordneten wollen ergründen, wie sehr die rechte Szene, aus der das NSU-Trio kam, mit dem Bereich OK (Organisierte Kriminalität) zusammenhing. Doch das Innenministerium hat den Beamten nur erlaubt, in nicht-öffentlicher Sitzung auszusagen. Das hält der Ausschuss für witzlos, weil er dann auch in seinen öffentlichen Sitzungen Zeugen nicht mit dem konfrontieren könnte, was er in nicht-öffentlicher Sitzung erfahren hat. Seine Arbeit wäre blockiert, und die Öffentlichkeit wäre aus dem Ausschuss eliminiert. Bis vor einem halben Jahr hatte man sich auf ein Verfahren geeinigt, nach dem schutzwürdige Zeugen anonym in einem besonderen Raum ohne Publikum vernommen werden. Die Befragung wurde live in den Sitzungssaal übertragen. Die Zeugen waren nicht zu sehen, aber zu hören. Doch im August 2017 hat das Innenministerium (MIK – Ministerium für Inneres und Kommunales) dieses Verfahren aufgekündigt. Damals wollte der Ausschuss drei ehemalige LfV-Beamte hören. Auch ihnen erlaubte das MIK nur, nicht-öffentlich aufzutreten. Daraufhin schickte der Ausschuss die Zeugen wieder nach Hause. Nun im Januar 2018 das selbe Spiel. Die Landesregierung, immerhin aus den Farben Rot Rot Grün zusammengesetzt, versucht die Regeln eines Parlamentgremiums zu beeinflussen. Gerade mal eine Handvoll Journalisten und Zuhörer verfolgt die Sitzung. Auf der Landtagswebseite stehen zwar die Termine, aber nicht die Zeugen. So wenig man vom Machtkampf um die VS-Zeugen erfährt, so wenig auch von der Auseinandersetzung um den Fall „Dienel – Menzel“. Thomas Dienel war ein ehemaliger NPD-Funktionär und V-Mann des Verfassungsschutzes. Michael Menzel ist ein hoher Polizeibeamter, der in der NSU-Geschichte eine tragende Rolle spielt. In seinen Händen lagen die Ermittlungen nach dem Tod von Böhnhardt und Mundlos in Eisenach. Im Juni 2001 hatte Dienel gegenüber zwei Kriminalpolizisten aus Weimar hochbrisante Aussagen gemacht: über gestohlene Computer aus dem Innenministerium, über Intrigen im Verfassungsschutz und Geschäftsleute, die in der rechtsextremen Szene Auftragskiller suchten. Dienel hatte auch Kontakte in die jenaer Szene und kannte Tino Brandt vom Thüringer Heimatschutz. Die Kriminalbeamten fertigten von seiner Aussage ein Protokoll, das jener Michael Menzel am Tag darauf konfiszierte. Außerdem soll er die Löschung im Computersystem angeordnet haben. Menzel bezeichnete das als Lüge. Er habe nie die Löschung des Dokuments angeordnet. Eingezogen habe er es, um es zu prüfen und die Staatsanwaltschaft Erfurt zu informieren. Dazu sei er von seinem Vorgesetzten, dem Leitenden Polizeidirektor Roland Richter, beauftragt worden. Der habe ihm eine Kopie des Protokolls überreicht und ihn nach Weimar geschickt, um das Original zu holen.
Im Untersuchungsausschuss erklärt jetzt Oberstaatsanwalt Rainer Kästner-Hängst, der mit dem Vorgang befasst war, damals im Jahr 2001 habe es kein Schreiben von Menzel an seine Behörde zu dem Dienel-Protokoll gegeben. Erst im März 2003, also fast zwei Jahre später, sei von Menzel ein Vermerk gekommen, in dem auf die Angaben Dienels Bezug genommen wird. Angeregt werde darin ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachtes der Verletzung eines Dienstgeheimnisses. Dann folgt der Zeugenauftritt von Roland Richter, dem damaligen Menzel-Vorgesetzten, inzwischen im Ruhestand. Er will sich an gar nichts mehr erinnern können, weder an das Dienel-Protokoll noch an das Gespräch mit Menzel noch an die Überreichung der Protokoll-Kopie noch woher er das Papier eigentlich gehabt hatte. Die Abgeordneten können es nicht glauben, geben dem Polizeidirektor im Ruhestand aber eine zweite Chance. Er soll sich aktenkundig machen und dann erneut als Zeuge erscheinen. Auch in Potsdam setzt am selben Tag der NSU-Ausschuss von Brandenburg seine Arbeit fort. Im Juli 2016 konstituiert, kommt er nach eineinhalb Jahren nun zu einem seiner wichtigsten Beweisthemen: Die Rolle des Neonazis und V-Mannes Carsten Sz. Sz. hatte, als er bereits V-Mann war, Kontakt zum unmittelbaren Umfeld des NSU-Trios in Chemnitz und war von dort beauftragt worden, Waffen zu besorgen. 1992 war er an einem Mordversuch an dem nigerianischen Asylsuchenden Steve E. beteiligt und wurde zu acht Jahren Haft verurteilt. Im Gefängnis soll er 1994 als V-Mann „Piatto“ des Verfassungsschutzes von Brandenburg rekrutiert worden sein. Christoph K., der Anwalt des Opfers Steve E., macht nun vor dem Ausschuss Aussagen, die den Verdacht bestärken, dass Sz. bereits vor 1994 Informant eines Dienstes gewesen ist. Möglicherweise in Berlin, wo Sz. herstammt oder beim Bundesamt für Verfassungsschutz. In Brandenburg wurden Quellen erst ab 1993 angeworben. Vor dem Oberlandesgericht in München hatte Sz. selber erklärt, er sei schon seit 1991 ein „Informant“ gewesen. Sollte das stimmen, hätte er den Mordversuch an Steve E. als Mitarbeiter eines Dienstes begangen. Jedenfalls erfuhr Carsten Sz. eine offizielle Sonderbehandlung. Nachdem er in Brandenburg Spitzel geworden war, kam er in den offenen Vollzug, absolvierte tagsüber ausgerechnet im 200 Kilometer entfernten Chemnitz und ausgerechnet in einem rechten Devotionalienladen ein Praktikum, zu dem ihn seine V-Mann-Führer hin- und zurückchauffierten. Einer von ihnen ist heute der Verfassungsschutzpräsident von Sachsen. „Piatto“ hatte im Knast Handy und Computer, konnte ein rechtsradikales Fanzine herstellen und laute rechtsradikale Musik hören. Alles Dinge, die eigentlich nicht erlaubt waren, wie der damalige Abteilungsleiter für den offenen Vollzug in der JVA Brandenburg, Gerhard K., nun im Ausschuss erklärt. Doch er will nichts davon gewusst haben. Auch nicht, dass Sz. V-Mann war und regelmäßig Besuch von einem VS-Beamten bekam. Die Abgeordneten wollen dem Zeugen, der zu DDR-Zeiten unter anderem stellvertretender Leiter der U-Haftanstalt in Frankfurt/Oder war und damit zur Nomenklatur des Systems gehörte, nicht so recht folgen und vereidigen ihn am Ende. Wie es aussieht, hat der Verfassungsschutz die Regeln in der Haftanstalt bestimmt. Doch das geht nicht ohne Mitarbeit der Anstaltsleitung. Wer also hat mit dem Dienst kooperiert und ihm das erlaubt? Eine Antwort bekommt der Ausschuss aber auch vom damaligen JVA-Leiter Wolfgang H. und seinem Stellvertreter Kurt E., beide inzwischen Ruheständler, nicht. Auch sie wollen nichts von den VS-Aktivitäten in ihrem Haus gewusst haben. Dummerweise liegen den Abgeordneten Akten vor, die das Gegenteil belegen. Aus einem Vermerk von 1997 geht hervor, dass der VS-Beamte Gordian Meyer-Plath, der heutige VS-Chef in Sachsen, samt Kollege bei den Anstaltsleitern H. und E. vorstellig wurden, um zu erreichen, dass die verschärfte Postkontrolle gegenüber Sz. aufgehoben werde. H. und E. sagen auch dazu: Nicht bekannt. Beide verneinen sogar, während ihrer gesamten beruflichen Tätigkeit auch nur einen Kontakt zum Verfassungsschutz gehabt zu haben. Doch die Abgeordneten wissen mehr: „Wie kommt es, dass der Verfassungsschutz Sie, Herr E., als ‚Vertrauensmann‘ in der JVA bezeichnete?“, fragen sie. Der Angesprochene kann sich das nicht erklären. Eine VS-Quelle ganz oben in der JVA-Leitung? Die beiden Zeugen bewegen sich auf dünnem Eis. Auch dieser Ausschuss gibt ihnen eine zweite Chance und rettet sie womöglich vor einem Meineid. Ihre Vernehmung wird abgebrochen, sie sollen sich gezielt vorbereiten und im Februar erneut erscheinen. Zugleich wird ihnen mitgeteilt, dass sie dann auch vereidigt werden.
Der dritte JVA-Leiter zu „Piattos“ Zeiten, Bernd R., ist gleich gar nicht vor dem Ausschuss erschienen. Er will seine Zeugenladung lediglich als „Mitteilung“ verstanden haben.

Was geschah am 25. April 2007 in Heilbronn, als die Polizistin Michèle Kiesewetter erschossen und ihr Kollege Martin Arnold schwer verletzt wurde? Dieser Frage geht ebenfalls im Januar 2018 der NSU-Ausschuss in Stuttgart weiter nach, wie in Sachsen und Thüringen der mittlerweile zweite. Er muss sich dabei mit einem Sachverhalt auseinandersetzen, den er eigentlich gar nicht behandeln wollte: Spuren, die zur terroristischen Sauerland-Gruppe führen und die wahrscheinliche Anwesenheit von FBI-Agenten während des Anschlages. Sollte dort – zeitgleich – ein Waffendeal ablaufen? Für das Szenario spricht einmal ein interner Schriftwechsel zwischen Bundesnachrichtendienst, Militärischem Abschirmdienst und Bundesanwaltschaft über ein Gesprächsangebot amerikanischer Stellen, das die deutschen Stellen aber ablehnten. Und zum zweiten sprechen auch zwei Telefon-Kreuztreffer am Tattag und Tatort dafür. Eine Telefonnummer war 2007 vom BKA bei den Ermittlungen zur Sauerland-Gruppe registriert worden, die andere 2003 bei einem anderen Ermittlungsverfahren zu islamistischen Terroristen. Mehrere Medien haben darüber berichtet. In der Winterpause hat der Ausschuss Ungewöhnliches angestellt: Er hat selber ermittelt. Etwas, was er ansonsten bei jeder passenden Gelegenheit verneint: „Wir sind kein Ermittlungsausschuss“, hat der Vorsitzende wiederholt erklärt, wenn er gefragt wurde, warum das Gremium bestimmten Spuren nicht selber nachgehe. Nun hat er doch ermittelt. Das BKA hatte festgestellt, dass die Telefonnummer aus dem Sauerlandverfahren seit Dezember 2007 einer Textilfirma in Ulm zugewiesen war. Wem sie im April 2007 gehörte, als der Mord in Heilbronn begangen wurde, habe das BKA nicht mehr ermitteln können. Doch das gelang wundersamer Weise nun dem Ausschuss. Er fragte bei dem Unternehmen nach und erfuhr, dass es den Anschluss seit November 2005 nutze. Warum diese einfache Auskunft nicht das BKA selber erfragen konnte, ist einigermaßen rätselhaft. So rätselhaft, wie die Schlussfolgerung, die der Ausschuss nun zieht: „Eine Verbindung zur sogenannten Sauerland-Gruppe kann ausgeschlossen werden“, heißt es in der entsprechenden Pressemitteilung. Warum allerdings diese Verbindung ausgerechnet dann erledigt sein soll, als sie identifiziert ist, erschließt sich nur schwer. Denn nun müsste erst recht weiter ermittelt werden: Wer benutzte die Nummer am Tattag? Warum war die Person auf der Theresienwiese in Heilbronn? Und wie kam das BKA dazu, die Nummer im Sauerland-Verfahren als relevant einzustufen? Denn das bleibt sie, selbst wenn der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler (SPD) versucht abzuwiegeln: „Aus welchem Grund der Anschluss in den Sauerland-Ermittlungen erfasst worden war, konnte nicht mehr nachvollzogen werden.“ Fraglich ist, warum der Ausschuss überhaupt diese Telefonermittlung vornahm und sie nicht dem BKA als zuständige Ermittlungsbehörde im Fall NSU überließ. Sollte das Ergebnis aus den Akten rausgehalten werden, um nicht offiziell weiterermitteln zu müssen und hat man deshalb den Ausschuss auf die Spur gesetzt? Im NSU-Prozess in München hat der Anwalt des schwer verletzten Polizisten in seinem Plädoyer die Funkzellen-Spur explizit angesprochen. Walter Martinek kritisierte, dass die sogenannten „Quertreffer“ unter anderem zum Verfahren gegen die Sauerlandgruppe, aus der Ermittlungsakte nicht zu entnehmen seien. Weiter führt der Nebenklageanwalt aus und macht dabei deutlich, dass er explizit auch im Namen seines Mandanten spricht:

Vollends unverständlich wird dies für uns, wenn man berücksichtigt, dass es von Seiten amerikanischer Geheimdienste ein Gesprächs- und Informationsangebot zu eigenen Erkenntnissen in Bezug auf die Tat von Heilbronn gegenüber deutschen Diensten und dem BKA gab, das von diesen aber rundweg abgelehnt wurde. (…) Die Tatsache, dass dieser Vorgang von Seiten der Behörden offiziell als nicht existent bezeichnet wurde – und möglicherweise immer noch wird – macht die Situation für uns noch dubioser. (Walter Martinek)

Martinek kritisierte in seinem Plädoyer auch den Untersuchungsausschuss von Baden-Württemberg für dessen oberflächliche und opportunistische Arbeit und sagte wörtlich:

Auch das ist es, was bei mir und meinem Mandanten nicht nur Fassungslosigkeit, sondern auch Zweifel an der Art und Weise der Aufklärung, also letztlich der Ermittlungen, hinterlässt. (Walter Martinek)

Walter Martinek hielt sein Plädoyer vor dem OLG in München am 13. Dezember 2017. Wann Wolfgang Drexler seine „Ermittlungen“ in Sachen Telefonnummer gegenüber der ulmer Firma unternahm, ist unbekannt. Seine Presseerklärung datiert vom 19. Dezember 2017. War das Vorgehen eine Reaktion auf das Plädoyer des Anwaltes von Arnold? Trotz allem gilt die Erkenntnis: Lieber ein schlechter Ausschuss als gar kein Ausschuss. Immerhin sind die Ausschüsse offene Schauplätze der politischen Auseinandersetzung um den NSU-Sumpf. Weitere Ausschüsse wären nötig: Unter anderem in Berlin, wo zwei Kader der rechtsextremen Organisation Blood and Honour als V-Personen geführt wurden. Und in Bayern, dem Bundesland mit fünf NSU-Morden, müsste längst ein zweiter Ausschuss folgen. Das belegen nicht zuletzt die Ausführungen der Opferanwältin Seda Basay-Yildiz.“ (Telepolis/Thomas Moser 14.1.2018)


NSU-Ausschuss in Potsdam. Märkische Abgründe:

„NSU-Untersuchungsausschuss im Brandenburger Landtag enthüllt weitere Missstände im Vorgehen gegen Rechtsextremismus: Politik unterdrückte Ermittlungen gegen LKA-Chef, Neonazi „Piatto“ durfte in der JVA alles. Potsdam – Brandenburger Abwege: Sie sind typisch für den NSU-Untersuchungsausschuss in Landtag. Auch am Freitag wieder bekam dort – wie in jeder Sitzung – der offizielle Mythos einen Riss. Nämlich der, dass im seit 1990 SPD-regierten Brandenburg Politik, Behörden und Justiz Rechtsextremismus konsequent bekämpft haben. Im Gegensatz zu Sachsen, wie es etwa der verstorbene Ex-Generalsekretär Klaus Ness betont hatte. Davon bleibt immer weniger übrig. Es ging wieder einmal um den kriminellen Neonazi-Kopf Carsten Szczepanski, der ab 1994 unter dem Decknamen „Piatto“ für den Landesverfassungsschutz V-Mann war. Er verbüßte damals in der Justizvollzugsanstalt Brandenburg an der Havel eine Haftstrafe, verurteilt zu acht Jahren, nachdem am 8. Mai 1992 eine Meute junger Neonazis – er war ein Anführer – in Wendisch-Rietz einen nigerianischen Asylbewerber fast ertränkt hatte. Wie berichtet gibt es bereits den begründeten Verdacht, dass Szczepanski da bereits V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz oder eines anderen Nachrichtendienstes war.“Piatto“ durfte om offenen Vollzug ein Praktikum in einem Neonazi-Laden machen, der JVA-Abteilungsleiter wusste von nichts. Szczepanski, 1995 verurteilt, seit 1994 schon „Piatto“, war ab 1998 im offenen Vollzug. Er durfte am Tage raus. Zuständiger JVA-Abteilungsleiter war Gerhard Krüger. Als Zeuge wurde nun der 68-Jährige damit konfrontiert, dass Szczepanski damals ein Praktikum machen durfte – in einem rechten Devotionalienladen in Limbach-Oberfrohna in Sachsen, mindestens drei Autostunden entfernt. Krüger wusste das nach eigener Aussage nicht, konnte es sich nicht erklären, weil es allen Regeln und Vorschriften widerprach. Wem hätte es bekannt sein müssen? „In erster Linie mir“, antwortete er. Die JVA habe eigentlich, ehe Praktika genehmigt wurden, jeden Betrieb besucht. Szczepanski hatte in der Zelle einen Computer, ein Handy. Und nach Aussagen früherer Mithäftlinge gab es bei ihm nie Kontrollen. Er hatte dort braune Literatur und verbotene Musik-CDs, etwa die „Zillertaler Türkenjäger“. Es sei gang und gäbe gewesen, dass diese Musik über die Flure schallte, so die Zeugen. Bedienstete hätten nie eingegriffen. Auch das konnte sich Krüger nicht erklären. Schon vorher hatte Brandenburgs Justiz seit 1992 diverse Verfahren gegen den Neonazi selbst wegen Delikten wie illegalem Sprengstoffbesitz eingestellt oder ins Leere laufen lassen. Betroffen sind aber nicht nur die Aufbaujahre unter Regierungschef Manfred Stolpe, sondern auch die Regierungszeit von Matthias Platzeck (beide SPD) ab 2002. Im NSU-Ausschuss wurde ein Fall bekannt: So hat die Justiz im Fall der „Nationalen Bewegung“, die etwa für den Brandanschlag auf die jüdische Trauerhalle in Potsdam 2001 verantwortlich war, Pannen der Sicherheitsbehörden gedeckt. Eine geplante Razzia war von einem Verfassungsschützer an einen V-Mann verraten worden, weshalb die Durchsuchungen vorgezogen werden mussten. Das Landeskriminalamt (LKA) hatte durch Abhörmaßnahmen von dem Verrat aus der Behörde erfahren – blieb aber untätig. Erst 2003 war der Geheimnisverrat aufgeflogen – durch Recherchen des Tagesspiegel. Und jetzt wurde bekannt, dass eine Staatsanwältin in Potsdam deshalb gegen den damaligen LKA-Chef Axel Lüdders wegen Strafvereitelung ermitteln wollte. Innenminister war damals Jörg Schönbohm (CDU). Der Fall ging bis zu Generalsstaatsanwalt Erardo C. Rautenberg und dem damaligen Justizstaatssekretär Hans-Georg Kluge. Auf Druck von oben wurde die Staatsanwaltschaft gestoppt, es gab sogar eine Weisung an den Leitenden Oberstaatsanwalt Heinrich Junker. In einem Vermerk vom 1. August 2003 heißt es, Rautenberg wolle dafür sorgen, dass es keine offizielle Ermittlungen gibt. Sogar das Platzeck-Kabinett hat sich mit dem brisanten Fall befasst. In einem als „non-paper“ deklarierten Vermerk für die Kabinettssitzung am 5. August 2003 stand explizit, wie das Verfahren unterdrückt werden sollte. Als „zu erwartendes Ergebnis“ wurde angekündigt: Gegen Lüdders werde gar nicht erst ermittelt. Der Generalstaatsanwalt prüfe zudem die vom Ministerium bereits „in Zweifel gezogene Selbstverständlichkeit“, mit der die Staatsanwaltschaft Potsdam den Tatverdacht angenommen habe. Zudem hieß es im Kabinettsvermerk, für Lüdders laufe der Vorgang in die „allergünstigste Richtung“, obwohl es „gut begründbare, deutlich ungünstigere Wege“ der Abwicklung gebe. Auch der V-Mann-Führer wurde verschont. Wegen Geheimnisverrats wurde allein der Mann verurteilt, zu dem die Razzia durchgestochen worden war: der V-Mann und Neonazi Christian K.“ (Potsdamer Neue Nachrichten 13.1.2018)


NSU-Prozess: Opferanwältin nimmt Bundesanwaltschaft auseinander (Telepolis/Thomas Moser 11.1.2018)


Seit fünf Jahren laufen die Verhandlungen im NSU-Prozess. Kurz vor dem Ende rätseln viele Beobachter über eine zentrale Frage: Hatte die Terrorgruppe wirklich nur drei Mitglieder?

„Eine Existenz von rechten Hintermännern“ hätte sich weder in den jahrelangen Ermittlungen noch in den „zahlreichen Untersuchungsausschüssen bewahrheitet“, betonte Oberstaatsanwältin Anette Greger im vergangenen Sommer in ihrem Plädoyer. Allerdings haben die Untersuchungsausschüsse massive Zweifel daran geäußert, dass der NSU aus nur drei Personen bestanden haben soll. Politiker quer durch alle Fraktionen, unter ihnen der Ex-Polizist Clemens Binninger (CDU) und Petra Pau (Linke), sind überzeugt, dass es mehr Terroristen waren. Dass man hartnäckiger hätte ermitteln müssen. Masliya M. muss nach dem Anschlag in der Probsteigasse mit schwersten Verbrennungen in eine Spezialklinik geflogen und ins künstliche Koma versetzt werden. Sie überlebt nur, weil die Akkus der Bombe nach vier Wochen so gut wie leer waren. Wäre die Dose früher geöffnet worden, hätte es wahrscheinlich Tote gegeben. Trotzdem hat der Anschlag für die Staatsanwaltschaft Köln „keine besondere Bedeutung“, wie der Abteilungsleiter später vor dem NSU-Untersuchungsausschuss in Nordrhein-Westfalen freimütig und zum Befremden der Abgeordneten zugeben wird. Die Ermittlungen übernimmt auch nicht etwa die Mordkommission oder der Staatsschutz, sondern das Dezernat für Sprengstoff- und Branddelikte. Ein fremdenfeindliches Motiv ist für die Polizisten dort kein Thema. Und das, obwohl es Anfang der 90er Jahre in Köln mehrere Bombenanschläge auf Migranten gegeben hat, die ein ganz ähnliches Muster aufwiesen. Im Dezember 1992 fand eine türkische Familie ein paar Tage vor Weihnachten einen Geschenkkarton vor ihrer Haustür. Fatma C. schüttelte das Paket. Dabei kappte sie, ohne es zu ahnen, die Zündverbindungen. Als Fatma C. den Karton später öffnete, schoss eine Stichflamme heraus, verbrannte sie und ihren Schwager im Gesicht. Die Bombe, die fünf Liter Benzin enthielt, hätte tödlich sein können. Nur Wochen später, im Februar und März 1993, gab es zwei weitere Bombenanschläge, bei denen zwei Männer verletzt wurden. Unter ihnen der Fordarbeiter Recep S., der erblindete und berufsunfähig wurde. Wer hinter diesen Attentaten steckte, ist nie geklärt worden. Die Kripo sieht sich nicht einmal die alten Akten an. Die Ermittler vermuten den Attentäter aus der Probsteigasse im Umfeld der Familie M. und hören Telefone von Verwandten ab. Als dabei nichts herauskommt, glaubt die Kripo, dass der iranische Geheimdienst hinter dem Anschlag steckt. Der Verfassungsschutz befasst sich gar nicht erst mit dem Attentat, legt nicht mal eine Akte an. Unterdessen wird Masliya M. mehrfach operiert, lernt mühsam wieder laufen und essen. Nach sieben Monaten verlässt sie gegen den Rat der Ärzte die Klinik. Sie will zur Schule, steht kurz vor dem Abitur. Unter Hypnose beschreibt ihre jüngere Schwester der Polizei den Täter. Die Ermittler fertigen ein Phantombild. Es zeigt jenen Mann mit langen, gewellten Haaren, den auch ihr Vater beschreibt. Doch die Ermittlungen laufen ins Leere. Noch im selben Jahr stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Die Beamten erzählen der Familie etwas von einem „Einzeltäter“. Und dass sie „Zufallsopfer“ geworden seien. Im Juni 2004, dreieinhalb Jahre nach dem Anschlag auf den kleinen Laden, explodiert wieder eine Bombe in Köln. Diesmal in der Keupstraße, einer Meile mit vielen türkischen Geschäften. 22 Menschen werden verletzt, einige davon schwer. Wieder macht die Polizei Fehler, einer ist besonders peinlich: Zwei Polizisten, die am Tag des Attentats in der Keupstraße Streife gefahren sind, werden nicht vernommen. Auch diesen Bombenanschlag klärt die Polizei nicht auf. Erst mehr als sieben Jahre später, im November 2011, als Beate Zschäpe nach dem Tod ihrer Lebensgefährten Mundlos und Böhnhardt das Bekennervideo des NSU verschickt, kommt heraus, dass rechtsradikale Terroristen hinter den Morden und Sprengstoffanschlägen stecken. In dem Film sind nicht nur die blutüberströmten Mordopfer zu sehen. Die Neonazis bekennen sich auch zu den Bombenanschlägen in der Kölner Keupstraße und in der Probsteigasse. „Masliya M. ist nun klar, wie ernst uns der Erhalt der deutschen Nation ist“, heißt es in einer Version des Videos. Die Ermittler stellen in der letzten Wohnung der Terroristen außerdem eine Ausgabe des „Kölner Stadt-Anzeigers“ sicher, die über das Bombenattentat auf den Lebensmittelladen berichtet. „19.01.2001“ hat jemand mit Kugelschreiber über den Artikel gekritzelt, das Anschlagsdatum. Das Bundeskriminalamt identifiziert die Handschrift als die von Uwe Mundlos. Die Mutter von Masliya M. glaubt, Beate Zschäpe auf Fotos als die Frau zu erkennen, die Wochen vor dem Anschlag in ihr Geschäft gekommen ist und darum bat, die Toilette benutzen zu dürfen. Hat Beate Zschäpe den Laden ausgekundschaftet? Sie selbst bestreitet das. Böhnhardt habe die Bombe in das Geschäft gebracht, während Mundlos vor der Tür gewartet habe. Das hätten die beiden ihr erzählt. Sie sei an dem Anschlag nicht beteiligt gewesen. Aber war es wirklich Uwe Böhnhardt, der den Korb mit der Bombe in den Laden trug? Er zeigte nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Attentäter, den Vater und Tochter beschrieben haben. Auch Uwe Mundlos sah anders aus. Beide hatten sehr kurze, dunkle Haare. Das belegen Fotos, aufgenommen kurz vor dem Anschlag auf das Lebensmittelgeschäft. Als Djavad M. 2012 ein Bild von Böhnhardt gezeigt wird, sagt er zwar zunächst: „Er hat auch das knochige Gesicht, aber keine Brille. Ich kann aber nicht sagen, dass das der Mann ist. Er sah ungefähr so aus.“ Doch als man ihm weitere Fotos von Mundlos und Böhnhardt vorlegt, revidiert er seine Aussage: „Die beiden waren nicht bei mir im Geschäft. Ich glaube das nicht.“
Trotzdem kommt Oberstaatsanwältin Anette Greger zu dem Schluss, dass Djavad M. Mundlos und Böhnhardt als Täter „in Betracht gezogen“ habe. Der Untersuchungsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags widerspricht Greger in seinem Abschlussbericht aus dem Jahr 2017. „Mithin zog Djavad M. – entgegen der Aussage von Anette Greger – Uwe Böhnhardt nicht als möglichen Täter in Betracht; er schloss ihn vielmehr aus.“ Und es ist nicht nur die Beschreibung des Attentäters, die gegen Mundlos und Böhnhardt spricht: Vater und Tochter haben den Mann mit dem Korb Hochdeutsch sprechen hören. Mundlos und Böhnhardt, die in Thüringen geboren und aufgewachsen waren, sprachen Dialekt. Unklar ist auch, wie Böhnhardt und Mundlos auf den Tatort in der Probsteigasse gekommen sein sollen. Der kleine Laden von Djavad M. lag in einer unscheinbaren Wohnstraße am Rande der nördlichen Altstadt. Über dem Schaufenster hing im Dezember 2000 noch das Schild des früheren Pächters: „Lebensmittel, Getränkeshop Gerd Simon“. Woher sollten die Sachsen Mundlos und Böhnhardt wissen, dass hier eine Familie aus dem Iran Lebensmittel verkaufte? Anfang Februar 2012, drei Monate nachdem sich der NSU enttarnt hat, macht eine Mitarbeiterin des Bundesamtes für Verfassungsschutz eine brisante Entdeckung. Sie findet auf einer Festplatte ein Foto von Johann H. Er hat nicht nur längeres, gewelltes Haar, sondern ähnelt der Beschreibung des Attentäters auch sonst frappierend. Johann H. mischt mit bei einer rechtsradikalen Gruppe, die bald darauf verboten wird: bei der „Kameradschaft Köln“, auch „Kameradschaft Walter Spangenberg“ genannt. Spangenberg war ein Kölner SA-Mann, der 1933 bei Straßenkämpfen mit Kommunisten am Hansaplatz starb. Der Hansaplatz liegt in der Nähe der Probsteigasse. Und in einer Parallelstraße der Probsteigasse wohnte Spangenberg. Ist das der Grund, warum der kleine Lebensmittelladen als Tatort ausgesucht wurde? Ist Johann H. womöglich der Mann, der den Korb mit der Bombe in das Geschäft trug? Die Frau vom Bundesamt wendet sich am 8. Februar 2012 mit dem Foto an ihre Kollegen vom Landesamt für Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen. Die Beamten dort kennen Johann H. Er arbeitet seit 1989 als „Vertrauensperson des Verfassungsschutzes“. Rasch versichern die V-Mann-Führer ihrer Behördenspitze, Johann H. sei gar kein Rechtsradikaler. Er würde die Neonaziszene nur für den Verfassungsschutz ausspionieren. Einen Tag später, am 9. Februar 2012, gibt der stellvertretende Leiter des Landesamtes eine „dienstliche Erklärung“ für die Generalbundesanwaltschaft ab und wäscht Johann H. rein. „Anhaltspunkte für eine Tatbeteiligung bestehen nicht“, schreibt er – und zwar ohne dass weiter ermittelt worden wäre. Die Verfassungsschützer verlassen sich auf eine „Aktenrecherche“. Man müsse das „auch mit Augenmaß machen“, versucht die Abteilungsleiterin die Abgeordneten später vor dem NRW-Untersuchungsausschuss zu beschwichtigen. „Ob Sie jetzt eine Tatbeteiligung ausschließen: Das ist dann die subjektive Wahrnehmung. Das war damals die Meinung des Hauses, also des Fachbereichs, dass man gesagt hat: Der hatte damit nichts zu tun.“ In seiner „dienstlichen Erklärung“ verschweigt der Verfassungsschützer damals etwas Wesentliches: Johann H. ist 1985 als 18-Jähriger zu einer Jugendstrafe von einem halben Jahr auf Bewährung verurteilt worden – und zwar ausgerechnet wegen Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz. Er hatte Gasflaschen in einem leer stehenden Gebäude explodieren lassen. Eine Frau war verletzt worden, der Sachschaden hoch. Die Vorstrafe sei „mündlich“ an den Generalbundesanwalt weitergegeben worden, behauptet der Verfassungsschützer später vor dem Ausschuss. Belegen kann er das nicht. Am 10. Februar 2012 schickt die Generalbundesanwaltschaft die „dienstliche Erklärung“ weiter ans Bundeskriminalamt. Das BKA findet nicht nur heraus, dass Johann H. vorbestraft ist, sondern auch, dass er bei den Scharfschützen eines Bundeswehr-Reservisten-Vereins schießt – und deshalb leicht an Schwarzpulver kommt. In der blauen Kartusche, die in der Probsteigasse explodierte, war gut ein Kilo Schwarzpulver.
Die Ermittler besorgen sich ein Passfoto von Johann H. aus dem Jahr 2004. Auf dem Bild trägt er kurze Haare und einen Dreitagebart. Die Beamten malen ihm längere Haare, lassen ihm aber den Bart. Ein zweites Foto steuern die nordrhein-westfälischen Verfassungsschützer bei. Es ist der vergrößerte Ausschnitt aus einem Gruppenbild vom „Heldengedenktag 2002“, das Johann H. mit Neonazis der „Kameradschaft Köln“ zeigt. Ein Foto „von schlechter Qualität“, wie die Beamten später vor dem NRW-Untersuchungsausschuss einräumen müssen. Aber sie hätten nichts Besseres gehabt. Die beiden – offenbar kaum brauchbaren – Bilder werden Djavad M. und seiner jüngeren Tochter vorgelegt. Das Ergebnis: Vater und Tochter erkennen Johann H. nicht als den Attentäter wieder. Das Gesicht sei ja „leider nicht richtig zu erkennen“, sagt Masliyas kleine Schwester. Doch das BKA ist zufrieden. Es lägen aktuell „keine Anhaltspunkte für eine Täterschaft des Johann H. vor“, notieren die Beamten. Der V-Mann wird nicht einmal vernommen. Und auch die Generalbundesanwaltschaft bohrt nicht weiter nach. Die Spur ist für die Strafverfolger tot. Zwei Jahre später, Ende Juni 2014, entdecken Journalisten ein Foto von Johann H. im Internet. Sie veröffentlichen die Aufnahme zusammen mit dem Phantombild. Die große Ähnlichkeit ist auf den ersten Blick zu erkennen. Neue Ermittlungen lassen sich nun nicht mehr vermeiden. Das BKA zeigt Djavad M. und seiner Tochter noch einmal das alte Passbild, dazu das neue Foto aus dem Netz. Zu letzterem sagt Djavad M.: „Die Haare stimmen zu 100 Prozent. Das Gesicht ist auch ungefähr so gewesen. Er hat auch keinen Bart gehabt. Vom Herzen her würde ich sagen, er ist es.“ Die Tochter ist sich noch sicherer: „Ich kenne dieses Bild schon aus der Zeitung. Als ich es zum ersten Mal gesehen habe, dachte ich: Der ist es! Ich habe direkt ein Kribbeln gespürt, als ich das Bild gesehen habe. Er kam mir bekannt vor. Ein Schauern überkommt mich, so als ob ich diese Person schon einmal gesehen hätte. Das Gesamtbild ist schon sehr ähnlich.“ Das BKA informiert die Generalbundesanwaltschaft. Doch die obersten Strafverfolger des Landes sehen keinen Grund für weitere Ermittlungen gegen den V-Mann des Verfassungsschutzes. Am 4. August 2014 ruft Oberstaatsanwältin Anette Greger beim BKA an. Es seien „derzeit keine weiteren Maßnahmen in der Spur H. zu tätigen“, sagt sie. „Insbesondere ist ein Herantreten an Herrn H. nicht vorgesehen.“ Fotos aus der Presse seien „nicht belastbar“. Im August 2015, also ein Jahr später, vernimmt der Untersuchungsausschuss des Landtages in NRW Johann H. Die Abgeordneten machen den Job der Strafverfolger. Johann H. bestreitet, etwas mit dem Anschlag zu tun zu haben. Das Foto, das dem Phantombild so ähnlich sehe, sei erst 2011 auf einer Party geschossen worden. Er zeigt Bilder, angeblich aus dem Jahr 2001, auf denen er die Haare kurz trägt. Der Ausschuss findet zwar „keine Belege dafür, dass Johann H. die Sprengfalle hinterlassen hat oder in sonstiger Weise an dem Anschlag in der Probsteigasse beteiligt gewesen ist“. Aber der Abschlussbericht, den die Abgeordneten im März 2017 vorlegen, ist eine Ohrfeige für das Bundeskriminalamt, die Generalbundesanwaltschaft und den Verfassungsschutz. Der Ausschuss ist „der Ansicht, dass die Bearbeitung der Spur Johann H. nicht vollständig erfolgt ist“. Besonders „verwundert“ sind die Abgeordneten darüber, dass der Verfassungsschutz in NRW nicht in der Lage gewesen sein soll, bessere Fotos von Johann H. aufzutreiben, obwohl er für ihre Behörde arbeitete. Sie glauben, dass der Terrorist, der die Bombe im Korb brachte, noch frei herumläuft. „Es bestehen ganz erhebliche Zweifel daran, dass Uwe Böhnhardt oder Uwe Mundlos die Ableger des Sprengsatzes waren.“ Auch das Bekennervideo des NSU legt nahe, dass die Terroristen nicht nur zu dritt waren: Der Nationalsozialistische Untergrund ist „ein Netzwerk von Kameraden mit dem Grundsatz ‚Taten statt Worte'“, steht im Vorspann des Videos in weißer Schrift auf schwarzem Grund. Inzwischen dürfte es so gut wie aussichtslos sein, den Anschlag in der Probsteigasse noch gerichtsfest zu klären. Alle Asservate wurden 2006 vernichtet. Reste von Dose und Kartusche, an denen vielleicht noch Fingerabdrücke oder DNA-Spuren hätten gesichert werden können, flogen in den Müll. „Ein grober Fehler“, wie selbst der Abteilungsleiter der Kölner Staatsanwaltschaft vor dem NRW-Untersuchungsausschuss kleinlaut zugegeben hat. „Fest steht, dass nicht gründlich ermittelt worden ist“, sagt Edith Lunnebach, die Anwältin der Familie M. „Es ist zynisch, den Opfern anzulasten, dass sie den Attentäter nicht einwandfrei erkannt hätten. Gegen Johann H. hätte trotzdem ermittelt werden müssen.“ Masliya M. musste in den letzten Jahren immer wieder in die Klinik. Aber als sie als Zeugin vor dem Oberlandesgericht München saß, klang sie stark und entschlossen. Manchmal habe sie überlegt, Deutschland zu verlassen, sagte sie. Aber dann habe sie sich gedacht: „Ich lasse mich nicht aus Deutschland rausjagen. Jetzt erst recht nicht.“ Als Masliya M. das sagte, klatschten die Zuschauer. Beifall im Gerichtssaal kann mit Ordnungsgeld geahndet werden. Doch Richter Manfred Götzl, ein strenger Mann, sagte nichts. Die Frau, der der NSU klarmachen wollte, wie ernst ihm „der Erhalt der deutschen Nation“ war, arbeitet heute als Ärztin. Was Johann H., der enttarnte Spitzel, heute macht, ist unklar. Die Bundesanwaltschaft will dazu keine Stellungnahme abgeben, wie generell zu den Ermittlungen nicht. Sein Mandant sei kein Nazi, habe mit dem Anschlag in der Probsteigasse nichts zu tun, sagt sein Anwalt. Johann H. sei ein vom Verfassungsschutz „in die Naziszene eingeschleuster Mitarbeiter“ gewesen, der nur seinen „Job“ gemacht habe. Der Anwalt droht mit Klage, sollte der stern es wagen, über seinen Mandanten zu schreiben. (Stern.de 21.1.2018)


NSU-Zeuge in den Niederlanden festgesetzt:

„Seit Mitte Oktober 2017 wird der Bundesbürger Torsten O. in den Niederlanden festgehalten. Weder ist klar, was ihm konkret vorgeworfen wird, noch die Rechtsgrundlage, auf der die Zwangsmaßnahme geschieht. Das Besondere: Torsten O. ist ein Zeuge im NSU-Skandal. Im Jahr 2003 hatte er gegenüber einem Beamten des Verfassungsschutzes von Baden-Württemberg von einer Terrororganisation namens „NSU“ berichtet. 2015 wurde O. dazu vom Untersuchungsausschuss in Stuttgart vernommen. Damals bestritt er überraschend den Sachverhalt. Wenige Monate später bestätigte er ihn aber gegenüber dem Autor doch (vgl. Erfuhr der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg doch 2003 von NSU?. In der Vergangenheit war er auch Informant des Geheimdienstes. So vielschichtig wie Torsten O.s Geschichte ist auch das, was gegenwärtig in den Niederlanden abläuft. O. lebte zuletzt in Sachsen. Im Januar 2017 wurde er nach Absitzen einer langjährigen Haftstrafe aus dem Gefängnis entlassen. Zugleich stellte ihn das Landgericht aber unter Führungsaufsicht. Er bekam unter anderem die Auflage, sich regelmäßig zu melden. O. fühlt sich von deutschen Behörden seit Jahren verfolgt. Er berichtet, dass nach seiner Entlassung, wiederholt Polizei bei ihm vor dem Haus stand. Mitte Oktober packte er seine sieben Sachen und fuhr in die Niederlande. Dort beantragte er am 15. Oktober Asyl. Zwei Tage später wurde er in Gewahrsam genommen, wo er sich bis zum heutigen Tage befindet, seit mehr als neun Wochen also. Seit Mitte November ist er im zentralen Abschiebegefängnis der Niederlande in Zeist in der Nähe von Utrecht untergebracht. Doch abgeschoben wird er bisher nicht. Als Bundesbürger hat er das Recht, sich in ganz EU-Europa frei zu bewegen. Sein Anwalt hält O.s Arretierung für ungesetzlich und hat Beschwerde eingelegt. Bundesdeutsche Stellen äußern sich bisher nicht zu dem Fall. Sie müssen aber involviert sein. Möglich, dass dieser ungewöhnliche Umgang etwas mit der Rolle von Torsten O. im anhaltenden NSU-Skandal zu tun hat. Bekannt gemacht hat den Zeugen der frühere Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) von Baden-Württemberg, Günter S. Bereits im August 2003, also acht Jahre vor Auffliegen des NSU, hat O. den LfV-Beamten auf eine „Terrororganisation in Ostdeutschland“ aufmerksam machte, die sich „NSU“ nannte und zu der mindestens fünf Leute gehörten, zwei hießen Mundlos und Böhnhardt. Man kann davon ausgehen, dass das entsprechende Gespräch mit diesem Inhalt tatsächlich stattgefunden hat. O. ist der erste Zeuge, der zu einem so frühen Zeitpunkt vom „NSU“ gesprochen hat. Andere Zeugnisse sind schriftlicher Natur. Im Zuge der NSU-Aufklärung nach 2011 bestritten Ermittler und Verfassungsschützer allerdings offiziell immer, dass O. etwas über NSU ausgesagt habe. Im März 2015 waren er und der frühere Verfassungsschützer vor den Untersuchungsausschuss von Baden-Württemberg geladen: Günter S. blieb bei seiner Darstellung, O. habe ihm von „NSU“ berichtet. Torsten O. hingegen bestritt das – und stützte damit die offizielle Version (Siehe Befragungen von „T.O.“ und „G.S.“). Das änderte sich wenige Monate später grundlegend. Im Gespräch mit dem Autor machte O. eine Kehrtwendung und bestätigte doch die Version von S., er habe ihm gegenüber den „NSU“ erwähnt und mindestens den Namen Mundlos genannt. O. will aber nicht selber Kontakt zu der Gruppe gehabt haben, sondern von einem verdeckten Ermittler des Bundeskriminalamtes davon erfahren haben. Torsten O. arbeitete Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre in Heilbronn mit den Sicherheitsbehörden als V-Person des polizeilichen Staatsschutzes sowie als V-Mann des Verfassungsschutzes zusammen. Das sei auch der Grund gewesen, weshalb er zunächst die Version von S. bestritten und die offizielle übernommen habe, so O. Er sei unter Druck gesetzt worden, die Unwahrheit zu sagen. Zusätzlich erklärte er, über Tonaufzeichnungen nicht nur des Gespräches mit S. im Jahre 2003 zu verfügen, sondern auch über die mit den Offiziellen im Jahr 2011. Die Aufzeichnungen sollen sich im Ausland befinden, weder dem Bundeskriminalamt noch dem Untersuchungsausschuss wollte er sagen, wo genau. Ob sie tatsächlich existieren, ist schwer zu beurteilen. O. war damals, 2015, Strafgefangener und nicht in der Lage, die Aufzeichnungen persönlich zu holen. Im Januar 2017 war seine Haftstrafe verbüßt, und O. kam auf freien Fuß. Da er aber wegen eines Sexualdeliktes verurteilt worden war, stellte ihn das Landgericht nach seiner Entlassung unter Führungsaufsicht. Beantragt hatte das die Staatsanwaltschaft. Führungsaufsicht heißt unter anderem, er muss sich regelmäßig bei den Behörden melden. O. sieht darin eine Maßnahme, ihn unter Kontrolle zu halten und notfalls erneut kriminalisieren zu können. Die Führungsauflagen sollen dafür gesorgt haben, so O., dass er bisher seine Tonaufzeichnungen nicht aus dem Ausland holen konnte. Die Zeit sei zu knapp. Ein Verfahren gegen O. wegen Verstoßes gegen die Führungsaufsicht ist nicht bekannt. In den Augen von O. besteht auch keine Veranlassung dazu. Er habe seinen Wohnort nicht etwa unerlaubt verlassen, sondern sei von Deutschland in die Niederlande umgezogen, erklärt er. Dort könne er sich bei den Behörden zur Zeit nicht regelmäßig melden, weil er ja eingesperrt sei. Warum wird Torsten O. in den Niederlanden festgehalten und was haben deutsche Behörden damit zu tun?
Bekannt ist bisher Folgendes: Nach seiner Ingewahrsamnahme hat ihn das Justizministerium der Niederlande zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit erklärt und Asyl verweigert. Es stützt sich dabei auf das Strafregister O.s sowie auf die Auflagen der Führungsaufsicht. Und drittens auch auf seine Rolle im NSU-Verfahren. Sein Name tauche im Zusammenhang mit „rechtsextremen Gruppierungen“, mit den „Döner-Morden“ und mit dem „Phantom von Heilbronn“ auf, schreibt das Ministerium in einem Papier zum Fall Torsten O. (Mit dem „Phantom von Heilbronn“ war eine unbekannte Frau gemeint, die an der Ermordung der Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter beteiligt gewesen sein soll, was sich später als Trugschluss herausstellte.) Die Herkunft dieser Informationen soll auf „Google-Recherchen“ zurückgehen, heißt es in dem Papier allen Ernstes. Google-Abfragen als Grundlage für Asylentscheidungen? Woher das niederländische Justizministerium die Angaben aus O.s Strafregister und Führungszeugnis hat, ist unklar. Das Ministerium in Den Haag nimmt sehr freundlich zwar die Presseanfrage entgegen, warum und auf welcher Rechtsgrundlage Herr O. festgehalten werde, antwortet kurze Zeit später jedoch, es dürfe über einen Einzelfall nichts sagen. Welche Rolle spielen bundesdeutschen Stellen? Was wissen sie überhaupt? Von keiner ist eine verbindliche Antwort zu bekommen. Zu individuellen Einzelfällen äußerten sie sich nicht, erklärt unter anderem das Landeskriminalamt Niedersachsen analog der niederländischen Antwort. Die Bundesregierung leitet die Anfrage zur Beantwortung an das deutsche Justizministerium weiter, das mit genau derselben Formel erklärt, „aus datenschutzrechtlichen Gründen dürfen wir uns zu Einzelfällen nicht äußern.“ Warum überhaupt das Justizministerium zuständig sein soll, kann das Presseamt der Bundesregierung nicht erklären. Das tatsächlich zuständige Auswärtige Amt beteuert, von dem Fall noch nie etwas gehört zu haben. Normalerweise hätten die niederländischen Behörden die deutsche Botschaft in Den Haag über die Festnahme O.s informieren müssen, was aber nicht geschehen sei. Die Spur führt zur Bundespolizei. Zusammen mit der niederländischen Grenzpolizei arbeiten die Deutschen im Gemeinsamen Grenzkoordinationszentrum (GGC) in Kleve und Goch zusammen. Von der dortigen Dienststelle könnten die Informationen über Torsten O. stammen. Jedenfalls taucht das GGC an vielen Stellen in den niederländischen Dokumenten auf. Unter dem Datum 2. November 2017 wird eine Mitteilung aufgeführt, die vom GGC Kleve, sprich der Bundespolizei in Kleve, gekommen ist: „Sollte die Person [gemeint ist Torsten O.] für die NL als unerwünscht erklärt werden – Verlust der Freizügigkeit -, bitte ich einen Termin zur Überstellung vorzuschlagen. Mit freundlichem Gruß. Im Auftrag A[…] D[…]“ – heißt es wörtlich. Hat die Bundespolizei also den Niederländern vorgeschlagen, einen Bundesbürger zur „unerwünschten Person“ zu erklären, ihn einzusperren und abzuschieben? Wenn ja, wer hat das veranlasst und war das für die Bundespolizei zuständige Bundesinnenministerium (BMI) in den Vorgang einbezogen? Eine Antwort der Bundespolizei steht bislang aus. Das BMI hatte, nach dem Fall O. befragt, bereits im November mit der bekannten Formel geantwortet: „Zu Einzelsachverhalten äußern wir uns schon aus personen- und datenschutzrechtlichen Gründen nicht.“ Tatsächlich soll er, erklärt Torsten O., in den Niederlanden offiziell zur „persona non grata“ erklärt worden sein. Es ist die statusmäßige Voraussetzung, um ihn abzuschieben. Gefolgt von Inhaftierung. Zwei der drei von der Bundespolizei vorgeschlagenen Maßnahmen wurden also erfüllt. Die dritte – Abschiebung – konnte bisher nicht vollzogen werden, weil O.s Anwalt dagegen Beschwerde eingelegt hat. Die Gerichtsverhandlung dazu steht aus. (Telepolis/Thomas Moser 21.12.2017)


Politikwissenschaftler Hajo Funke im Nachdenkseiten Interview vom 15.12.2017:

„Bis heute bestürzt mich das Verhalten des Landesamtes für Verfassungsschutz in Thüringen, als es in den neunziger Jahren den Spitzen-V-Mann des Landesamts Tino Brandt unterstützt hat und ihm absoluten Quellenschutz garantiert hat, obwohl er teils mithilfe dieses Amts die damals bundesweit gefährlichste Gewaltorganisation des Neonazismus, den Thüringer Heimatschutz, aufgebaut hat. Ungehindert, sodass sich dieser Heimatschutz immer weiter radikalisiert hat, bis sich ein Teil entschlossen hat, als nationalsozialistischer Untergrund eine Kette an Morden zu begehen. Aber es ist nicht nur das Verhalten des Landesamts für Verfassungsschutz in Thüringen, sondern auch das Verhalten des Bundesamts in der entscheidenden Phase der Ausdehnung des Thüringer Heimatschutzes in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre. Trotz der monatelangen Bitten des BKA, V-Leute nicht weiter zu Brandstiftern werden zu lassen, hatte sich das Bundesamt in der „Operation Rennsteig“ zusammen mit den Thüringern entschlossen, noch mehr und systematisch V-Leute anzuwerben und einzusetzen. Auf der Liste der Anzuwerbenden waren übrigens auch Teile des Trios. Der vielleicht beste Untersuchungsausschuss, der erste Untersuchungsausschuss in Sachen NSU in Thüringen unter der ausgezeichneten Leitung von Dorothea Marx, hat darüber hinaus herausgefunden, dass der Verdacht auf Sabotage zur Auffindung des NSU-Trios zurecht erhoben wird. Dem Landesamt ist es damals gelungen, alle rechtsstaatlichen Kontrollen zu umgehen. Dies ist einer der Gründe für das ungeheure Ausmaß an neonazistischen Netzwerken und ihrer Gewaltbereitschaft gerade in diesem Land – ähnlich in Sachsen. Es zeigt, dass wenn man diese Personen und Strukturen lässt, sie sich ausdehnen und in ihrer Gewaltbereitschaft entgrenzen. Dies einzuhegen, bedarf sehr viel längerer Zeiträume und größerer Anstrengungen, als es zunächst zuzulassen. Der zweite Untersuchungsausschuss in Thüringen (…) konzentriert sich auf die Verbindungen der Neonazis mit den Gewaltstrukturen der organisierten Kriminalität. Sie sind in der Drogenkriminalität, aber auch im Menschenhandel und in der Kinderprostitution aktiv (gewesen). Da – wie sich gezeigt hat – Neonazis und V-Leute unter anderem männliche Kinder graumelierten Herren aus höheren Kreisen zugeführt haben, muss sogar von politischen Erpressungsstrukturen in dieser Zeit ausgegangen werden. Tino Brandt ist wegen vielfacher Kinderprostitutions-Kriminalität spät verurteilt worden und gegenwärtig in Haft. Ich möchte aber nochmal auf den Verfassungsschutz eingehen. Hier fällt besonders das Verhalten des Bundesamts zum Schutz des Spitzen-V-Mannes Ralph Marschner, der über lange Jahre an dem Ort gelebt hat, an dem auch das Trio untergetaucht war: in der größeren Kleinstadt Zwickau. Es gibt glaubwürdige Zeugen aus dem zweiten Untersuchungsausschuss des Bundestages, die belegen, dass dieser Ralph Marschner mit der gegenwärtig angeklagten Beate Zschäpe über einen längeren Zeitraum ein Kuschel-Verhältnis hatte und sie sich hinter seinem Computer getroffen haben. Ralph Marschner ist nie angemessen vernommen worden. Mehr noch: Man hat nie versucht, ihn aus der Schweiz nach Deutschland zu bringen, um ihn angemessen, auch vor dem Münchener Gericht, zu befragen. Die Bundesanwaltschaft hat es gewagt, dies für nicht erheblich zu halten. Das macht den Eindruck einer Vertuschung der Rolle Ralph Marschners durch die oberste Anklagebehörde der Republik. Ähnlich der Fall Corelli, der unter nicht zureichend geklärten Bedingungen 2014 an einer unerkannten Diabetes mit weniger als 40 Jahren gestorben ist. Corelli war über 20 Jahre eine Spitzenkraft des Bundesamts. Er war so wichtig und die Vertuschungsvermutung so stark, dass sich der erste Untersuchungsausschuss des Bundestages zum NSU-Komplex entschlossen hat, einen eigenen Sonderermittler, den bekannten Staatsanwalt Jerzy Montag, einzusetzen. Sein Bericht von über 330 Seiten wurde um mehr als 90 % geschwärzt, obwohl er selbst erklärt hat, dass seines Erachtens der gesamte Bericht hätte so veröffentlicht werden können. Diese Politik der Vertuschung wurde nur durch die Entscheidung in Hessen überboten, einen Bericht über den Mitarbeiter des Landesamts für Verfassungsschutz in Hessen Andreas Temme für 120 Jahre weder der Fachöffentlichkeit noch der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Andreas Temme war zum Zeitpunkt des Mordes an Halit Yozgat in dessen Internetcafé in Kassel anwesend.“


Funke nimmte weiterhin im Interview Stellung zur Ermordung der Polizistin Kiesewetter und den Verstrickungen des Staates in den NSU-Komplex:

„Die unmittelbare Ausführung erfolgte nicht durch Mitglieder des Trios, sondern durch andere, weitere Tatbeteiligte. Die Ermordung der Polizistin Michèle Kiesewetter dürfte kein Zufall sein, sondern ausgesuchtes Opfer durch einen Mix an gewalttätigen Neonazis in enger Verbindung mit der organisierten Kriminalität. Aber das bleibt solange eine Vermutung, solange eine besonders dicht geknüpfte Decke von Ermittlungsblockaden und Schweigen diesen Fall durchzieht und sogar die glaubwürdigen Zeugen und ihre Phantombilder nicht einmal in die Ermittlung durch die zuständige Staatsanwaltschaft eingeführt worden waren. Dieser empirisch nicht gedeckten Verengung hat sich die Bundesanwaltschaft schlicht angeschlossen und sich auch beim Attentat in Heilbronn auf die Täterschaft der beiden Männer des Trios fixiert. (…) Natürlich sind staatliche Behörden verstrickt. So wie beschrieben in Thüringen. So durch die Tatsache, dass sie in der Ausdehnung des V-Leute-Einsatzes Informationen erhalten haben dürften, die sie hätten unmittelbar an die zuständigen Behörden, etwa der Polizei, weitergeben müssen. Dies ist, wie es im Fall Thüringen drastisch belegt worden ist, vermutlich oft nicht der Fall gewesen. In der Bezeichnung: V-Leute sind ihnen aus dem Ruder gelaufen – ist dies immer wieder auch von den zuständigen Institutionen angedeutet worden. Wie aber geht man mit Strukturen und Personen, die aus dem Ruder gelaufen sind, um? Entweder deckt man sie auf und ist auch in der Gefahr, selbst belangt zu werden, etwa wegen Strafvereitelung im Amt – oder man entwickelt eine Mauer des Schweigens, ein Schweigekartell. Vor dieser Alternative dürften die Zuständigen oft gestanden haben. Sie haben sich offenkundig zu einer Strategie des Schweigens um jeden Preis verstanden. Einmal in dieser Schweigefalle, ist es nur logisch, dieses Schweigen umfassend, ja hundertprozentig aufrechtzuerhalten. Nur so lässt sich das systematische Schreddern der Akten einer Reihe von V-Leuten der „Operation Rennsteig“ durch die Zuständigen im Bundesamt für Verfassungsschutz am 11.11.2011 (!) in der „Aktion Konfetti“ erklären.“


Nebenkläger nennt Zschäpes Aussagen unglaubwürdig :

„Beate Zschäpe hat Redebedarf. Sie redet und redet und redet. Zwar hört nur ihr Verteidiger Mathias Grasel, was die Angeklagte am Donnerstag im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München zu sagen hat. Aber die Worte von Nebenklagevertreter Eberhard Reinecke zeigen offenbar Wirkung. Reinecke vertritt mehrere Opfer des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße. An diesem Tag beginnt er sein Plädoyer – und scheint bei Zschäpe einen Nerv zu treffen. Insbesondere als er über ihre Beziehung zum Mitangeklagten André E. und dessen Frau spricht. „Frau Zschäpe ist durchaus zu Empathie und Rücksichtnahme fähig, aber nicht gegenüber den Opfern, sondern nur gegenüber der Familie E.“, sagt der Anwalt. André E., seine Frau und seine Kinder besuchten Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach deren Untertauchen regelmäßig in deren Versteck. André E. versorgte sie mit Bahncards, mietete für sie eine Wohnung, ein Auto und drei Wohnmobile an. Reinecke nimmt nun auch André E.s Frau, Susan, in den Fokus. Es ist die Frau, die Zschäpe als ihre beste Freundin bezeichnete, mit der sie aber dennoch nie über Persönliches gesprochen haben will. Auf der Anklagebank sitzt Susan E. nicht. Zu Unrecht, wie Reinecke meint. Der Kölner Anwalt erinnert daran, dass Zschäpe Susan E. erst im Sommer 2006 – und damit nach den ersten neun Morden – kennengelernt haben will. Er hält das für eine Lüge. Es spreche vielmehr einiges dafür, dass Susan E. die mutmaßlichen NSU-Terroristen schon Mitte 2000 kennenlernte, als Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt nach Zwickau zogen. Susan E. lebte damals in Zwickau, sie ist dort geboren und aufgewachsen. Reinecke: „Der Gedanke wäre geradezu absurd, dass einer der wenigen Bekannten, die das Trio zunächst in Zwickau hatte, nämlich André E., ihnen nicht bereits damals seine Lebenspartnerin vorgestellt hat.“ Nach Überzeugung des Anwalts will Zschäpe die beiden schützen und ihre tatsächliche Beteiligung an den Taten verschleiern. Reinecke stellt eine Reihe von Überlegungen dar, die nahelegen, dass Susan E. möglicherweise aktiv dabei geholfen hat, dass die drei mutmaßlichen Terroristen nicht auffliegen. Reinecke sagt: „Jeder hier im Raum weiß, dass die extrem enge Beziehung zwischen Familie E. und dem Trio mit Sicherheit auch Kenntnis und Unterstützung der Mordtaten beinhaltete.“ Er sagt aber auch: „Allerdings lässt sich zur Zeit ein Beweis der Unterstützung – abgesehen von dem Anschlag in der Probsteigasse – nicht führen.“ Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass André E. das Fahrzeug anmietete, mit dem Mundlos und Böhnhardt damals nach Köln fuhren, um die Bombe in der Probsteigasse zu deponieren. André E. ist deshalb wegen Beihilfe zum versuchten Mord angeklagt. André E. und Zschäpe hören Reinecke aufmerksam zu. André E., der die Ausführungen anderer Nebenklagevertreter häufig mit einem Grinsen kommentiert, grinst diesmal nicht. Und Zschäpe redet in der folgenden Pause auf ihren Verteidiger ein. Es passt zu dem, was Reinecke schon zuvor gesagt hatte: „Frau Zschäpe hatte die realistische Einschätzung, dass ihr das Schweigen nichts nutzt. Insofern war nachvollziehbar, dass sie den Drang hatte, etwas zu sagen.“ Zumindest gegenüber ihrem Anwalt. (Süddeutsche 14.12.2017)


Dirk Laabs fragt ob der V-Mann „Nias“ – Teil einer gescheiterten Strategie ist:

„Das BfV führte also gleich mehrere V-Personen bei „Blood & Honour“ und warnte davor, durch ein Verbot diese Quellen aufzugeben. Tatsächlich war es kein Zufall, dass mit Stephan Lange der Anführer einer militanten Struktur als V-Mann rekrutiert wurde. Die Anwerbung des Kopfes der gefährlichsten Neonazi-Gruppe seiner Zeit passte vielmehr in die Strategie des Bundesamtes. Dort hatte man seit spätestens 1994 systematisch zentrale Figu­ren der militanten Neonazi-Szene als V-Männer rekrutiert, unter anderem:

• Michael See alias Tarif in Thüringen
• Thomas Richer alias Corelli in Sachsen-Anhalt
• Mirko Hesse alias Strontium aus Sachsen
• Ralf Marschner alias Primus ebenfalls in Sachsen

All diese Quellen waren organisierte, militante Neonazis – und sie hatten Kontakt zu NSU-Mitgliedern oder zu deren direktem Umfeld. Lange und Starke wurden ab dem Jahr 2000 als Informanten umworben und kamen zu der Gruppe der Spitzel hinzu. Mehrere Anhänger der „Blood & Honour“-­Bewegung waren zuvor den Untergrund gegangen: Uwe Böhnhardt, Uwe Mund­los und Beate Zschäpe. Damals hatten international organisierte Rassisten verstärkt begonnen, ihre Propaganda in die Tat umzusetzen. 1999 waren Bomben in London und der erste Sprengsatz des NSU in Nürnberg explodiert. In Nürnberg erschossen NSU-Mitglieder im September 2000 auch Enver Şimşek. Man stieß also keine leeren Drohungen aus, sondern setzte die Konzepte der Bewegung buchstabengetreu in die Tat um. Der Grundgedanke hinter den Konzepten ist in einem BKA-Vermerk aus dem Jahr 2000 nachzulesen, in dem ein „Blood & Honour“-Papier zitiert wurde: „Wir glauben an die Militanz, Direkte Aktionen, Führerlosen Widerstand [sic] und Nationale Revolution. … wir vertreten diesen … einsamen und immer gefährlichen Standpunkt, weil wir die Misserfolge der alten Methoden gesehen haben.“ Die diversen parlamentarischen NSU-­Untersuchungsausschüsse konnten bislang belegen, dass das BfV eine Art Früh­warnsystem aufgebaut hatte. V-Personen aus der militanten Szene sollten berichten, wann und wo Neonazis in den Untergrund gehen wollten, um dann die Propaganda vom Rassenkrieg in die Tat umzusetzten. Dafür waren die V-Personen – theoretisch – an der richtigen Stelle platziert: sie waren führende Akteure der militanten rechten Bewegung – lang genug dabei, um auch von gefährlichen und geheimen Plänen etwas mitzubekommen. Wie sich zudem herausstellen sollte, waren Böhnhardt und die anderen auf die Hilfe von anderen Akteuren angewiesen, die ihr legales Leben nicht aufgegeben hatten. Denn der Widerstand mag zwar führerlos gewesen sein, aber allein handelten die bekannten Mitglieder des NSU nicht. Unter den wichtigsten Unterstützern waren fast ausnahmslos „Blood & Honour“-Mitglieder und -Anhänger – die Gruppe also, die so massiv von den Verfassungsschutzämtern und der Polizei unterwandert war. Fast zwangsläufig waren unter den NSU-Unterstützern auch V-Personen. Diese Akteure standen dabei in der Szene nicht abseits, sondern hatten den Kampf der rassistischen und neonazistischen Gruppen aktiv mit vorangetrieben – gedeckt von den staatlichen Behörden. Man wollte ja genau diese vernetzten und gewaltbereiten Akteure als Informanten haben. Die schlagendsten Beispiele:

• Der Polizeiinformant Thomas Starke gab zu, 1997 Uwe Mundlos Sprengstoff organisiert zu haben.
• Mirko Hesse alias Strontium, Chef der Hammerskins – eine rivalisierende, aber in den Kernzielen mit „Blood & Honour“ deckungsgleiche Gruppe – beklagte sich im Gefängnis, dass er keine „Terrorgruppe“ aufgebaut habe, um dann nicht von den „Kameraden“ besucht zu werden.
• Stephan Lange hatte unter anderem die „Blood & Honour“-Fibeln („The Way Forward“) aus dem Englischen mit übersetzt, in denen Gewalt und führerloser Widerstand propagiert wurde.
• Und vor allem: Ralf Marschner alias V-Mann Primus beschäftigte laut Aussage mehrerer Zeugen Uwe Mundlos in einer seiner Firmen, als der NSU schon begonnen hatte, Menschen umzubringen. Er half also dabei mit, dass die Untergrundterroristen ein abgetarntes Leben führen konnten.

Doch obwohl die diversen Verfassungsschutzämter und das LKA Berlin all diese Quellen an der scheinbar richtigen Stelle geführt haben, wollen die Behörden nichts von der Gewalteskalation ab 1999 mitbekommen haben. Das BfV betont unermüdlich, dass seine Quellen mit direkten Kontakt zu „Blood & Honour“ – Primus, Nias, Corelli – keine konkreten Informationen über den NSU, seine Mitglieder und ihre Anschlagspläne geliefert hätten. Wenn die V-Männer doch das Entscheidende angeblich verpasst haben – als aus Propaganda Mord wurde – ließe das nur einen Schluss zu: Das V-Personen-­Frühwarnsystem hat vollständig versagt, man hatte ohne Gegenleistung die Grenzen des Rechtsstaates niedergerissen. Doch für einen solchen Schluss ist es auch fünf Jahre nach der sogenannten Selbstenttarnung des NSU viel zu früh. Denn es sind noch nicht einmal alle V-Personen bekannt, die in der Bewegung „Blood & Honour“ geworben worden waren. Was haben diese noch unbekannten Informanten über die Phase berichtet, als aus Worten Taten wurden? Genauso wenig liegen alle Berichte der V-Person vor, die direkt aus der sächsischen Sektion von „Blood & Honour“ Sachsen in Chemnitz berichtet hat – der Ort, wo sich die Mitglieder des NSU auf ihre ersten Taten vorbereitet hatten. Die vielen Untersuchungsausschüsse konnten daher bislang die Kernfrage also noch gar nicht beantworten: Wie genau ist die Strategie der Verfassungsschutzämter – Unterwanderung und teilweise Steuerung der militanten Neonazi-Szene – in Bezug auf den NSU tatsächlich gescheitert? Haben alle V-Männer die Behörden angelogen und ihre „Kameraden“ gedeckt? Oder ist es anders herum: Haben einzelne Quellen vielleicht doch mehr als bislang bekannt zum NSU, deren Mitgliedern, Unterstützern und Plänen gemeldet– und es sind tatsächlich die Verfassungsschutzämter, die seit November 2011 die Wahrheit vertuschen? Das Verhalten der Behörden spricht dafür. Verfassungsschützer wollten den verstorbenen V-Mann Corelli unter falschem Namen begraben lassen, sie schredderten Akten und noch immer verschleiern verschiedene Verfassungsschutzämter konsequent, wie viele Quellen sie in der Nähe des NSU wirklich platziert hatten. Der Verfassungsschützer Lothar Lingen, ein Beamter des BfV, der im Amt Ende 2011 gezielt Akten vernichten ließ, erklärte seine Handlung so: „Die bloße Bezifferung der seinerzeit in Thüringen vom BfV geführten Quellen mit acht, neun oder zehn Fällen hätte zu der …Frage geführt, aus welchem Grunde die Verfassungsschutzbehörden über die terroristischen Aktivitäten der Drei eigentlich nicht informiert worden sind. Die nackten Zahlen sprachen ja dafür, dass wir wussten, was da läuft, was aber nicht der Fall war. Und da habe ich mir gedacht, wenn der quantitative Aspekt also die Anzahl unserer Quellen im Bereich des THS [Thüringer Heimatschutz] und Thüringen nicht bekannt wird, dass dann die Frage, warum das BfV von nichts gewusst hat, vielleicht gar nicht auftaucht.“ Der NSU-Komplex wird erst dann aufgeklärt, wenn ein Untersuchungsausschuss auf Bundesebene in einem ganz anderen Umfang als bisher Zugriff auf die Akten aller relevanten Behörden hat. Ohne dass die Ämter – wie bislang – selber entscheiden dürfen, welche Dokumente sie liefern. Stephan Lange alias „Nias“, hätte über den NSU nichts berichtet, teilte das BfV inzwischen mit. Doch bislang hat das Amt auch keine einzige „Nias“-Akte an den Bundestag übergeben. Ob das BfV diese Dokumente jemals gegenüber einem Parlament offen legen muss, hängt auch davon ab, ob es noch nennenswerten öffentlichen Druck geben wird, wenn bei dem NSU-Prozess in München die Urteile gesprochen worden sind.“ (Antifaschistisches Infoblatt/Dirk Laabs 7.12.2017)


NSU-Unterstützerin Mandy S. war auch in der fränkischen Neonazi-Szene aktiv:

Recherchen von Bayerischem Rundfunk und Nürnberger Nachrichten belegen, dass die Sächsin Mandy S. in engem Kontakt mit führenden Neonazis in Franken stand. In ihrem früheren Wohnort im mittelfränkischen Landkreis Roth hat sie zusammen mit ihrem damaligen Freund aus der Skinhead-Szene beim örtlichen Schützenverein Schießübungen absolviert. Auch in der rechtsextremen Szene in Oberfranken war sie aktiv, beispielsweise in Gräfenberg (Lkr. Forchheim), Marktredwitz und Selb (beide Lkr. Wunsiedel). Mandy S. gilt als eine der wichtigsten und frühesten Helferinnen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Die Bundesanwaltschaft wirft ihr vor, Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe 1998 beim Untertauchen geholfen und die Drei in der Wohnung eines Freundes in Chemnitz einquartiert zu haben. Im Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bildung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung steht sie an siebter Stelle hinter Beate Zschäpe. Ihr Anwalt widerspricht der Aussage, S. habe den NSU bewusst unterstützt. Jedoch haben die Recherchen eine tiefe Verstrickung von Mandy S. ins rechtsextremistische Umfeld ergeben. Sie gehörte über Jahre hinweg gewaltbereiten Neonazi-Organisationen an, verteilte Flugblätter in Nürnberg, nahm an Aufmärschen der Rechten in Gräfenberg (Lkr. Forchheim) teil sowie an Schulungen des vorbestraften Neonazis Matthias Fischer aus Fürth. Die Sächsin Mandy S. war von den Zielen der – inzwischen verbotenen – „Fränkischen Aktionsfront“, die Fischer ins Leben gerufen hatte, fasziniert und wollte eine „Sächsische Aktionsfront“ in Chemnitz aufbauen. Sie besuchte Fischer persönlich in seiner damaligen Wohnung in Fürth, die sich in der Nähe eines Tennisvereins befand. Auch zu gewaltbereiten Organisationen wie „Blood and Honor“ fühlte sie sich hingezogen. Ein fingierter Mitgliedsausweis des Tennisclubs, ausgestellt auf den Namen von S., aber mit einem Foto von Beate Zschäpe versehen, fand sich im November 2011 im Brandschutt in der Zwickauer Frühlingsstraße, der letzten Wohnung des NSU-Trios. Mandy S. hatte Beate Zschäpe auch ihre AOK-Krankenkassen-Karte zur Verfügung gestellt, damit diese unerkannt zum Arzt gehen konnte. S. lebte von Sommer 2002 bis März 2003 im fränkischen Büchenbach (Lkr. Roth) – zum Zeitpunkt, als der NSU in Nürnberg bereits zwei Morde verübt hatte. Beim dortigen Schützenverein übte sie das Schießen. Die Polizei interessierte sich zuletzt auch für die Frage, ob sich während dieser Zeit Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos mit S. in der fränkischen Region getroffen hatten. Mandy S. war noch bis Anfang 2011 Mitglied der mittlerweile verbotenen „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige“ (HNG) und nahm an deren Treffen teil. Sie soll einen wegen Totschlags eines Homosexuellen in Amberg inhaftierten Skinhead unterstützt und betreut haben. Immer wieder war sie mit führenden Köpfen der Neonazi-Szene liiert. Politiker und Nebenklagevertreter kritisieren das zögerliche Verhalten der Ermittlungsbehörden bei der Enttarnung der NSU-Unterstützer. Sie fürchten, dass nach dem Urteil gegen Beate Zschäpe die Verfahren eingestellt werden, auch gegen Mandy S. Der frühere bayerische Ministerpräsident und Innenminister Günther Beckstein (CSU) geht ebenfalls von einem Helfer-Netz aus: „Ich meine, dass es Mitwisser und Mittäter in Nürnberg und der Region geben muss.“ Die sächsische Linkspartei-Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz, die sich intensiv mit den Aktivitäten von Mandy S. befasst, sagte im Gespräch mit BR und Nürnberger Nachrichten: „Frau S. ist für mich eindeutig ein Mitglied dieses Gesamtunterstützernetzwerkes. Sie war in dieser Szene vernetzt, diese Anzeichen sind nachweisbar.“ Antonia von der Behrens, eine Nebenklagevertreterin im NSU-Prozess, befürchtet, dass die Ermittlungen nach dem Urteilsspruch im NSU-Prozess beendet werden. Wörtlich fügte sie hinzu: „Man hält das Verfahren noch offen, um uns eigentlich als Nebenklagevertreter zu vertrösten.“ (BR 8.12.2017)


NSU-Ausschuss: Kritik an Ermittlern in MV:

Im NSU-Unterausschuss hat der Politikwissenschaftler Gideon Botsch auf zahlreiche ungeklärte Fragen im Zusammenhang mit den Taten der rechtsextremistischen Terrorgruppe hingewiesen. Botsch hatte bereits für den Bundestags-Untersuchungsausschuss zum NSU ein Gutachten geschrieben. Sein Auftrag war es auch, mögliche Verbindungen des NSU nach Mecklenburg-Vorpommern zu untersuchen. Den Ermittlungsbehörden im Nordosten stellte Botsch bei der Anhörung am Donnerstag in Schwerin kein gutes Zeugnis aus. Es sei bekannt gewesen, dass eine Führungsfigur des Neonazi-Netzwerks Blood & Honour in direkter Nähe des Tatorts in Rostock gemeldet gewesen sei, wo Mehmet Turgut 2004 durch den NSU ermordet wurde. Doch in Rostock seien Ermittlungen in diese Richtung nach dem Mord nicht geführt worden. Dies sei umso unverständlicher, weil andere Ermittlungsansätze zu Drogenkriminalität, Aktionen der kurdischen PKK und im persönlichen Umfeld keinen Erfolg gebracht hätten. „Dass damit eine reale Chance verpasst wurde, dem NSU auf die Spur zu kommen, scheint mir offensichtlich“, so Botsch. Insgesamt seien die Ermittlungen in Mecklenburg-Vorpommern nicht gut gelaufen, sagte Botsch dem NDR: „Ich halte die Aufarbeitung der beiden Tatkomplexe im Land – dem Mord an Mehmet Turgut 2004 und die beiden Banküberfälle 2006 und 2007 – für besonders schlecht“, so Botsch. Es müsse öffentlich aber auch mit Mitteln des Parlaments mehr Licht in die Vorgänge gebracht werden. Mehr Licht ins Dunkel bringen könnte möglicherweise ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss. Der ist zwar wesentlich teurer als der jetzige Unterausschuss, hat dafür aber auch weitgehendere Rechte. So kann ein Untersuchungsausschuss Zeugen laden und anhören oder Akten von Behörden anderer Bundesländer einfordern. Nur einen Unterausschuss einzusetzen, sieht Botsch daher kritisch – schließlich gehe es bei den NSU-Terrorakten im Land um einen Mord und bewaffnete Raubüberfälle. (NDR 7.12.2017)


NSU-Prozess: „Verfassungsschutz, Bundesanwaltschaft und Gericht haben die Aufklärung behindert“ (Telepolis/Thomas Moser 30. November 2017)


NSU Komplex Heilbronn: Polizistenmord vor den Augen der Polizei? (Telepolis/Thomas Moser 02. Dezember 2017)

Der Generalbundesanwalt soll den Verfassungsschutz „aktiv geschützt“ haben, so die Vorwürfe der Nebenkläger. Beim NSU-Prozess geht es schon lange nicht mehr nur um Beate Zschäpe:

„Die Vorwürfe nehmen kein Ende. Bei den Plädoyers der Nebenkläger im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München attackiert ein Opferanwalt nach dem anderen die Behörden, vor allem die Bundesanwaltschaft und den Verfassungsschutz. Und auch beide gemeinsam. „Der Generalbundesanwalt hat den Verfassungsschutz aktiv geschützt, indem er in der Anklage nur die V-Leute und Informanten aufführte, an deren Erwähnung er quasi nicht vorbei kam“, sagte nun am Dienstag die Berliner Anwältin Antonia von der Behrens. Sie vertritt den jüngsten Sohn des 2006 von den NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in Dortmund erschossenen Türken Mehmet Kubasik. Die Anwältin nannte drei Spitzel, die in der Anklageschrift genannt werden, und mehrere weitere, die aus Sicht der Nebenkläger auch hätten erwähnt werden müssen. Das Zusammenspiel von Bundesanwaltschaft und Verfassungsschutz, so wie es Nebenkläger und ihre Anwälte sehen, kritisierte von der Behrens auch anhand eines weiteren Falles. Der Generalbundesanwalt hat nach Auffassung der Juristin da speziell auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) „aktiv geschützt“. Dies sei im Zusammenhang mit der „Operation Konfetti“ öffentlich geworden. Mit dem makabren Begriff ist die Schredder-Affäre des BfV gemeint. Ein Referatsleiter hatte 2011, kurz nach dem Auffliegen des NSU, Unterlagen zu sieben V-Leuten aus der rechtsextremen Szene in den Reißwolf stecken lassen. Ein halbes Jahr später kam es heraus, der damalige BfV-Präsident Heinz Fromm trat zurück. Der Generalbundesanwalt habe die Akten, deren Vernichtung der BfV-Beamte „angeordnet hat und die später zum Teil rekonstruiert wurden, zu keinem Zeitpunkt eingesehen oder angefordert“, kritisierte von der Behrens. Sie monierte auch, dass Oberstaatsanwältin Anette Greger, die mit zwei Kollegen für die Bundesanwaltschaft im Prozess sitzt, sich 2015 gegen den Antrag von Opferanwälten aussprach, die teilweise wiederhergestellten Akten beizuziehen und den BfV-Beamten als Zeugen zu hören. Dazu zitierte von der Behrens auch aus der Aussage, die der Verfassungsschützer gemacht hatte, als die Bundesanwaltschaft ihn 2014 vernahm. An diesem Punkt gab es dann wieder einmal Ärger mit einem der Verteidiger von Beate Zschäpe. Er müsse beanstanden, dass der Vorsitzende Richter zulasse, „dass groß und breit aus den Akten vorgelesen wird“, sagte Anwalt Wolfgang Heer. Es gehe in der Hauptverhandlung „nicht um eine Anklage gegen den Staat“. Sondern nur darum, zu würdigen, was im Prozess passiert sei, „nicht außerhalb“. Von der Behrens bekam jedoch Unterstützung nicht nur von weiteren Opferanwälten, sondern auch von der geprügelten Bundesanwaltschaft. Der Vortrag der Anwältin „hält sich noch im Rahmen des Zulässigen“, sagte Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten. In der Kritik, die von der Behrens äußere, könne auch „ein Appell an die Aufklärungspflicht“ des Strafsenats gesehen werden. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl bewertete das Plädoyer ähnlich, „ich denke, dass es sich im Bereich des Zulässigen bewegt“. Verteidiger Heer beantragte dazu einen Gerichtsbeschluss. Götzl unterbrach dafür die Hauptverhandlung. Der Richter verkündete dann eine Stunde später den Beschluss des Strafsenats, die Beanstandung des Plädoyers zurückzuweisen. Die scharfe Kritik der Nebenklage-Anwälte an den Behörden und die Intervention aus den Reihen der Verteidiger Zschäpes sind fast schon ein Ritual im NSU-Prozess. Verbunden mit der im Beschluss stehenden Aufforderung, die Schlussvorträge nicht zu stören. Bislang haben die Richter immer zugunsten der plädierenden Opferanwälte entschieden. (Tagesspiegel 5.12.2017)


Dem NSU-Untersuchungsausschuss in Thüringen gehen die offenen Fragen nicht aus:

“ Ermittlungslücken, Schlamperei – Tatort-Arbeit, die allen polizeilichen Grundsätzen widerspreche. Dorothea Marx, die Vorsitzende des Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses sagt, rund um den Suizid der beiden NSU-Mörder Böhnhardt und Mundlos blieben einige Fragen für immer offen. Die Tage um den NSU-Suizid in Eisenach waren erstes Schwerpunktthema im Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss. Dieser Komplex sei abgeschlossen, laut Marx warten aber neue Fragen:

„Wir haben einen ganz dicken Brocken vor uns, das ist der Bereich der organisierten Kriminalität! Der also sehr viele Schnittmengen mit den Neonazis hat, gerade in Thüringen. Das fängt an bei der Waffenbeschaffung für den NSU und setzt sich möglicherweise auch fort bei der Geldbeschaffung. Auch da müssen wir dringend reinschauen! Da gab es Verbindungspersonen im Bereich der Polizei.“
(Dorothea Marx, Vorsitzende Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss)

Akten über V-Leute des Thüringer Landeskriminalamts könnten neue Erkenntnisse liefern. Allerdings wartet das Parlament seit Monaten auf eine Einsicht in diese Akten. Denn anders als Geheimdienst-V-Leute, unterstehen V-Leute der Polizei keiner parlamentarischen Kontrolle. Und diesen Umstand kritisiert auch Dorothea Marx:

„Es gibt tatsächlich überhaupt keine Kontrolle, weder von vorgesetzten Dienststellen noch parlamentarisch. Und es kann ja wohl nicht sein, dass an der Schnittstelle von polizeilicher Ermittlungsarbeit und Schwerstkriminalität überhaupt nicht geguckt wird, wie da V-Leute eingesetzt werden, wie die bezahlt werden.“
(Dorothea Marx, Vorsitzende Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss)

Politiker aller Parteien wollen mehr wissen über die polizeilichen V-Leute, denn man ist sich sicher: In Thüringen gibt es mehr NSU-Unterstützer, als bisher bekannt. Und das Neonazi-Netzwerk funktioniere erschreckenderweise immer noch, meint Linken-Politikerin Katharina König-Preuss. Sie verweist beispielsweise auf den Neonazi-Überfall auf eine Kirmesgesellschaft in Ballstädt 2014:

„Personen, die im Thüringer Heimatschutz in den 90er Jahren aktiv waren und so auch in den Akten des NSU-Untersuchungsausschusses auftauchen, sind zum Teil auch Personen, die im Ballstädt-Prozess angeklagt sind – also 20 Jahre später immer noch in der Ideologie verwurzelt.“
(Katharina König-Preuss, Die LINKE)

Auch aktuelle Anmelder von Anti-Flüchtlingsdemos tauchten schon in den NSU-Akten auf. Das Netzwerk der Thüringer Neonazis weiter entwirren, das will auch die CDU. Allerdings klingt CDU-Obmann Jörg Kellner wesentlich pessimistischer, als die Politiker von rot-rot-grün. Und das liege vor allem daran, dass es im Thüringer Untersuchungsausschuss kaum noch neue Erkenntnisse gebe:

„Wir haben bis jetzt 106 Zeugen gehört. Der Erkenntnisgewinn hält sich sehr in Grenzen. Man merkt es ja auch am medialen Interesse, das spürbar zurückgegangen ist, weil es ganz einfach nicht mehr so viel Neues gibt.“
(Jörg Kellner, CDU-Obmann)

Die CDU könnte sich deshalb vorstellen, dass der Untersuchungsausschuss noch vor der Landtagswahl 2019 endet – SPD, Linke und Grüne wollen die verbleibende Arbeitszeit dagegen voll ausschöpfen.“ (MDR 7.11.2017)


Rechter Terror: Viele NSU-Spuren führen nach MV:

„Da sind noch eine Menge Punkte, die man sich angucken muss.“ Dirk Laabs, Buchautor und Experte zum sogenannten nationalsozialistischen Untergrund (NSU), hat am Donnerstag im Landtag für eine weitere Aufklärung der Taten des Terror-Trios um Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe in Mecklenburg-Vorpommern geworben. Laabs trat vor dem NSU-Unterausschuss des Innenausschusses auf. Die Abgeordneten dort wollen eigentlich die Frage klären, warum die rassistische Mordserie des NSU auch in Mecklenburg-Vorpommern solange unentdeckt blieb und warum die Ermittler Fehler machten, denn sie gingen lange von Taten im Drogenmilieu aus. Das Gremium kommt aber nicht weiter, weil wichtige Rechte auf Akteneinsicht und Zeugenvernehmung fehlen. Freunde und Unterstützer des NSU in MV? Experten aber kann der Ausschuss hören und Laabs gab den Abgeordnete einige neue Einblicke. Er sagte, es sei Zeit, den Aktivitäten des NSU in Mecklenburg-Vorpommern intensiver nachzugehen. Immerhin habe es in Rostock im Februar 2004 den Mord an dem Imbissverkäufer Mehmet Turgut gegeben, sei in Stralsund Ende 2006, Anfang 2007 kurz hintereinander zweimal eine Sparkasse ausgeraubt worden. Und das abgetauchte Terror-Trio habe sich mehrfach in Mecklenburg-Vorpommern aufgehalten, habe Freunde und Unterstützer gehabt. Was wusste der V-Mann des Verfassungsschutzes? Aber noch immer, so Laabs, gebe es viel Ungeklärtes. Der NSU-Experte nannte etliche Beispiele: Die Erwähnung des NSU in dem vom späteren NPD-Landtagsabgeordneten David Petereit herausgegebenen Neonazi-Magazin „Der Weiße Wolf“ und ein dort abgedruckter Dank für eine Spende im Jahr 2002. Die Hintergründe dieser „ersten Nennung des NSU überhaupt“ seien noch immer nicht klar – vor allem habe der Landesverfassungsschutz von der 2.500 Euro Spende schon vorher erfahren – über einen V-Mann. Es sei zu fragen, wie „die Quelle in Mecklenburg-Vorpommern das rausgekriegt hat, dass es diese Spende gab?“, so Laabs. Das sei einer der „Knackpunkte“, aber bisher seien weder der V-Mann noch sein V-Mann-Führer oder andere verantwortliche im Landesverfassungsschutz befragt worden.Terror-Trio konnte sich in MV verstecken. Außerdem habe das NSU-Trio offenbar Verbindungen zu einer Frau gehabt, die in der Nähe des Tatorts in Rostock wohnte – dort hätten die Drei auch übernachtet. Martina J., so NSU-Experte Laabs, sei später Sekretärin in der NPD-Landtagsfraktion geworden – bisher sei sie nie gefragt worden, obwohl es über sie sicher auch Erkenntnisse des Verfassungsschutzes gebe. Laabs nannte einen weiteren offenen Punkt: Die Werbe-Aktion des Landes-Verfassungsschutzes für mehr V-Leute in der rechtsextremen Szene unter dem Stichwort „Obstwiese“ Ende 2000, nach dem ersten Mord des NSU. Zu klären sei, welche Art V-Leute man haben wollte, meinte Laabs. Der Geheimdienst sei eine Antwort bisher schuldig geblieben. Experte kritisiert V-Leute scharf. Laabs nannte die Arbeit der szenezugehörigen V-Leute höchst zweifelhaft. Im Fall Turgut in Rostock hätten die Zuträger der Polizei einen Mord im Drogenmilieu in Spiel gebracht und damit die Ermittler auf die falsche Spur gesetzt. „Die Ermittler sind im Wesentlichen an ganz entscheidenden Stellen auf V-Leute hereingefallen. Das ist gerade im Fall Rostock extrem merkwürdig, wie maßgeschneidert diese Aussagen kommen, das meiste hat sich dann auch in Luft aufgelöst“. Der Buchautor und Journalist ermunterte die Abgeordneten, Licht ins Dunkel zu bringen. Es sei wichtig, sich auch für die Fehler der Sicherheitsbehörden zu interessieren. Das Parlament dürfe das nicht durchgehen lassen – auch nach sechs Jahren und diversen Untersuchungsausschüssen nicht. Vor Ort, so Laabs in seinem Plädoyer für einen Untersuchungsausschuss in Mecklenburg-Vorpommern, könne man die Details besser klären. Linke forderte Untersuchungsausschuss. Für den Innenexperten der Linken, Peter Ritter, ist danach klar: Nur ein echter Untersuchungsausschuss mit dem Recht auf Akteneinsicht und Zeugenvernehmung könne die Dinge aufklären. Bisher stehe man in Mecklenburg-Vorpommern noch am Anfang. Die AfD-Fraktion meinte, der Staat habe das V-Männer-System finanziert und damit auch den NSU entstehen lassen. Die CDU-Abgeordnete Ann Christin von Allwörden äußerte sich zurückhaltend: Das Innenministerium habe bereits alles offen gelegt, sie ließ durchblicken, dass sie einen Untersuchungsausschuss für unnötig hält.“ (NDR 12.10.2017)

In der ersten öffentlichen Anhörung der Präsidenten der Nachrichtendienste des Bundes durch das Parlamentarische Kontrollgremium im Deutschen Bundestag am 5. Oktober 2017 nahm BfV Chef Maaßen Stellung zur Causa NSU:

„Beim NSU hatte ich, als ich 2012 den Dienst angetreten habe im BfV, die Feststellung gemacht, dass ein Großteil der Informationen im Zusammenhang mit dem Rechtsextremismus/Rechtsterrorismus in Thüringen und in den neuen Ländern meinem Haus gar nicht bekannt war. Diese Informationen sind erst nach dem 4.11.2011, also nach Aufdeckung des NSU, ich sage mal, uns in sehr großem Umfang zur Verfügung gestellt worden. Das war keine böse Absicht, so meine Einschätzung der Landesämter, sondern war der damaligen Rechtslage auch geschuldet, wonach die Länder uns die Informationen zur Verfügung zu stellen hatten, die wir für unsere Arbeit benötigen. Das BfV benötigt die Informationen, die es braucht, wenn es nicht nur um ein Land geht, sondern um die Bundessicherheitslage oder die Lage in mehreren Bundesländern. Nun war man in Thüringen der Auffassung gewesen, dass vielleicht da wo Thüringer Heimatschutz draufsteht auch nur Thüringen betroffen ist. Diese Informationen haben wir jedenfalls in den 2000er Jahren nicht erhalten, sondern erst, wie gesagt, nach dem 4.11.2011. Und so war es in anderen Fällen auch gewesen. Wir sind also als BfV sehr, sehr spät informiert worden, und wir waren eigentlich auch nicht in der Lage gewesen als Zentralstelle die Fäden zusammenzuziehen, zu erkennen, dass also der Thüringer Heimatschutz nicht nur Thüringen betrifft, sondern dass auch andere Länder betroffen sind.“

Da tagt das Parlamentarische Kontrollgremium zum ersten mal öffentlich und kein einziger deutscher Journalist bemerkt oder hinterfragt diese bizarre Apologetik des obersten Verfassungsschützers Maaßen, der die Rolle des BfV in der Operation Rennsteig, die Operation Konfetti im BfV und die länderübergreifenden Aktivitäten des Thüringer Heimatschutzes schlicht ausblendet und dem Parlament faustdicke Lügen auftischt:

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Temmes letzter Auftritt im NSU-Ausschuss lässt alle Fragen offen:

„Zum dritten und wahrscheinlich letzten Mal hat Ex-Verfassungsschützer Andreas Temme im NSU-Untersuchungsausschuss ausgesagt. Zur Aufklärung der Umstände des Mordes an Halit Yozgat trug er wieder nicht bei. Bis Jahresende will der NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags seine Beweisaufnahme beenden, um noch zeitig vor der Landtagswahl im Herbst 2018 seinen Abschlussbericht vorzulegen. Gut 100 Zeugen hat er bereits gehört, um die Umstände des Mordes am Kasseler Internetcafé-Betreiber Halit Yozgat am 6. April 2006 zu erhellen. Zentrale Frage dabei: Wusste der hessische Verfassungsschutz von dem geplanten Mord, der den Rechtsterroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) zugeschrieben wird? Diese Frage beantwortet der damalige Quellenführer des Verfassungsschutzes, Andreas Temme, seit Jahren beharrlich mit Nein. Dass sie ihm seit Jahren beharrlich immer wieder gestellt wird, liegt daran, dass niemand Temme glauben mag. Das war auch an diesem Freitag so, als der 50-Jährige zum dritten und wahrscheinlich letzten Mal vor dem NSU-Untersuchungsausschuss in Wiesbaden aussagte. Die allgemeinen Zweifel an seinen Aussagen nagen an ihm, jedenfalls verbat er sich mithilfe des Ausschussvorsitzenden Hartmut Honka (CDU) am Ende seiner öffentlichen Aussage offenkundig spöttische Lacher im Publikum: „Das empfinde ich als respektlos. Das gehört sich auch jemandem gegenüber nicht, der angegriffen wird.“ Janine Wissler, Obfrau der Linken im Ausschuss, hatte ihn zuvor gefragt, ob er wirklich bei seiner „Version“ der Vorgänge am 6. April 2006 festhalten wolle: dass er rein zufällig zum Zeitpunkt des Mordes oder unmittelbar davor in Yozgats Internetcafé gewesen sei, rein gar nichts von der Tat bemerkt habe, sich aber auch nicht als möglicher Zeuge bei der Polizei gemeldet habe – obwohl er keine zwei Wochen vorher von einer Vorgesetzten per E-Mail gebeten wurde, nach Hinweisen auf die damals noch sogenannte Ceska-Mordserie (alle neun Morde des NSU an Migranten wurden mit einer Ceska-Pistole verübt) zu forschen? „Das ist keine Version, sondern die Wahrheit“, antwortete Temme. Ihm falle die Erklärung dafür auch schwer. Auch dafür, warum er zunächst annahm, dass er nicht am Tattag, sondern einen Tag zuvor im Internetcafé gechattet habe. Warum er das nicht überprüft habe, als er nur wenige Tage später sein Profil bei der Chatseite „ilove.de“ löschte, da ihm der Flirt mit einer Online-Bekanntschaft angesichts seiner schwangeren Frau plötzlich nicht mehr richtig erschien. Temme zermarterte sich nach eigenem Bekunden oft den Kopf über der Frage, wie das damals war: War er noch im Intenretcafé und übersah er den niedergeschossenen Halit Yozgat, einen stattlichen Mann, am Boden hinter dem Tresen in dem kleinen Raum? Oder ging er unmittelbar vorher aus dem Café, und direkt nach ihm kamen die NSU-Mörder hinein? Eine Sonderkommission der Polizei rekonstruierte damals anhand der Zeugenaussagen der Besucher des Internetrcafés den möglichen Tathergang: Sagten alle die Wahrheit, bleiben rund 40 Sekunden, in denen die NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos unbemerkt das Internetcafé betreten, Halit Yozgat mit zwei Schüssen töten und wieder hinausgehen hätten können. Andreas Temme, dem man als Verfassungsschützer eine gesteigerte Aufmerksamkeit unterstellen möchte, hätte sich dann mit den Mördern mehr oder minder die Klinke in die Hand gegeben, wie auch eine Rekonstruktion des Falles durch die Künstlergruppe Forensic Architecture ergab. Ist das wahrscheinlich? Und, sollte Temme noch im Gebäude gewesen sein: Ist es wahrscheinlich, dass er keinen Schuss hörte oder roch, dass er das Fallen des Erschossenen nicht bemerkte? SPD-Obfrau Nancy Faeser ließ am Freitag Ausschnitte aus dem Video von Forensic Architecture abspielen, das auch bei der documenta 14 gezeigt wird. Sie halfen der Erinnerung des Zeugen Temme nicht auf die Sprünge.
Immer wieder wies Temme darauf hin, dass das alles bereits elf Jahre her sei und er ja auch schon mehrfach in den Untersuchungsausschüssen des Bundestags und des hessischen Landtags und im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München dazu ausgesagt habe. Immer hinterließ er dieselben Fragen – wie jetzt bei seinem mutmaßlich letzten öffentlichen Auftritt.“ (Hessenschau.de 25.8.2017)

NSU-Prozess: Die Bundesanwaltschaft zerstört den Rechtsstaat. Mit ihrem manipulativen Verhalten täuscht die zentrale Strafverfolgungsbehörde Gericht und Öffentlichkeit :

„Angesichts des Schlussvortrages der Bundesanwaltschaft drängt sich mir die Frage auf, in welcher Welt Oberstaatsanwältin Greger in den letzten sechs Jahren gelebt hat, seitdem der rechtsterroristische NSU aufflog.“
(Nebenklageanwalt Yavuz Narin, Stuttgarter Nachrichten, 1.8.2017)

„Die Bundesanwaltschaft hat im NSU-Verfahren Staatsschutz im umfassenden Sinne betrieben – also auch Schutz vor einer zu weitgehenden Aufklärung und einer damit sicherlich einhergehenden Beschädigung des Verfassungsschutzes.“
(Nebenklageanwalt Stephan Kuhn, Spiegel Online, 11.9.2017)

„Die Bundesanwaltschaft sagt, bei dem Prozess gehe es nicht um Aufklärung, sondern um Bestrafung. Sie hat nicht Recht. Es geht um gesellschaftlichen Frieden, Bestrafung ist das Mittel, Aufklärung das Ziel.“
(Nebenklageanwalt Mehmet Daimagüler, Kundgebung in Berlin, 17.9.2017)

Die in Karlsruhe sitzende Bundesbehörde ist die zentrale Figur des Verfahrens. Sie hat die Federführung, erteilt die Ermittlungsaufträge und ist im Besitz der Akten und Vernehmungsprotokolle. Sie entscheidet über Anklagevorwürfe und -erhebungen oder auch darüber, ob und wenn ja, welche Akten in den Prozess eingeführt werden. Die zu dem Kasseler Ex-Verfassungsschutzbeamten Temme wurden zum Großteil nie eingeführt. Es war die BAW, die entschieden hat, dass konkret jene fünf Angeklagten sich vor Gericht verantworten müssen – und neun weitere Verdächtige bisher nicht. Unter diesen neun befindet sicher mindestens eine V-Person, wahrscheinlich mindestens zwei, außerdem Kontaktpersonen zu V-Personen. Was an Substanz in diesen neun weiteren Ermittlungsverfahren vorliegt, weiß bisher nur die Behörde allein. Dasselbe gilt für ein weiteres, ein zehntes, sogenanntes Sammel- und Strukturverfahren mit dem Titel „NSU/Unbekannt“. Darin soll alles gesammelt werden, was sich sonst noch so im Komplex NSU ergibt. Beispielsweise ein Zeuge, der eine Handyaufnahme vom Tatort Theresienwiese am Tattag des Polizistenmordes in Heilbronn besessen haben will. Was alles und was konkret sich im Verfahren „NSU/Unbekannt“ befindet, ist – wie sinnig – „unbekannt“. Ein Opferanwalt wies jüngst darauf hin, dass sich die BAW mit diesen Parallelverfahren die Möglichkeit verschafft hat zu entscheiden, „welche Ermittlungsergebnisse dem Gericht vorgelegt werden – und welche nicht“. Selbst eventuell relevantes Material für das laufende Zschäpe-Wohlleben-Eminger-Verfahren kann unbemerkt in den Parallelverfahren geparkt und so dem Zugriff auch der Nebenklage entzogen werden:

„Wenn der Generalbundesanwalt nicht wollte, dass die Verfahrensbeteiligten Kenntnis einer Vernehmung erlangen, dann hat er den Zeugen im Strukturverfahren vernommen. So hatte er den rechtlichen Spielraum, die Vernehmung nicht dem Gericht vorzulegen.“ (Rechtsanwalt Stephan Kuhn)

(Telepolis 19.9.2017)


NSU-Prozess: Ein Plädoyer wird zur „Kriegserklärung“:

Die Bundesanwaltschaft hat sich entschieden: Sie duldet keine Einwände und bleibt bei ihrem tendenziösen Kurs in Sachen NSU. An Tag drei ihres Plädoyers vor dem Oberlandesgericht München ging es um die zehn Morde und drei Sprengstoffanschläge. Die Anklagebehörde versucht unbeirrt, ihre irrige Drei-Täter-Theorie durchzupowern – wider alle Erkenntnisse, die durch Ermittler, Untersuchungsausschüsse, Anwälte, Journalisten und den Prozess selber erzielt wurden. Nicht nur unabhängige Beobachter erkennen darin eine Art Kriegserklärung der obersten Strafverfolgungsinstanz des Staates an ihre Kritiker. Auch in den Reihen der Nebenklage, sprich Anwälten der Opferfamilien, wird vom „Krieg“ gesprochen, den die Beamten in den roten Roben führten. Alles auf die drei Täter Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos, Beate Zschäpe zu reduzieren, heißt, mutmaßliche weitere Täter, Mittäter oder Helfer zu schützen – das kommt Rechtsbeugung und Strafvereitelung im Amt gleich. (…) Noch verwerflicher: Die Oberstaatsanwältin verschwieg auch, dass das BKA in seinem Ermittlungsbericht einräumen muss, „keine Klarheit über Ablauf der Tat und Anzahl der beteiligten Personen“ zu haben und ein „eindeutiger Nachweis, dass zumindest Böhnhardt und Mundlos in unmittelbarer Tatortnähe waren, nicht erbracht“ werden konnte. LKA und BKA – „selbsternannte irrlichternde Experten“? Schließlich: Ein interner Schriftwechsel zwischen BND, MAD, Bundeskanzleramt und Bundesanwaltschaft legt nahe, dass es amtliche Hinweise auf die Anwesenheit von zwei US-amerikanischen FBI-Agenten am Tatort während der Tat gab. Sie sind bisher nicht offengelegt. Auch um dieses Kapitel, das seit Monaten den NSU-Untersuchungsausschuss von Baden-Württemberg beschäftigt, machte die Plädierende einen großen Bogen, sprich: sparte es aus. Was ist in Heilbronn tatsächlich passiert? Wie hängen die Ceska-Morde an neun Migranten mit dem Mord an der Polizistin Kiesewetter zusammen? Warum wurde in Heilbronn nicht die Ceska als „verbindende Signatur“ eingesetzt? Antworten darauf könnten zu einem bislang unbekannten Hintergrund führen, der weit über das Trio hinausreichen würde. Im Propagandavideo mit den Taten taucht der Polizistenmord mit einem einzigen Bild am Schluss, einer Collage mehrerer Fotos zur Theresienwiese inklusive einer der Dienstwaffen, auf. Damit werden zwar alle zehn Morde sowie zwei Sprengstoffanschläge in einen Zusammenhang gebracht, warum findet sich zu dem spektakulären Verbrechen von Heilbronn aber nicht mehr auf dem Video? Die Bundesanwaltschaft geht selektiv mit Indizien und Belegen um. Und die große Frage, die sich stellt, lautet: Warum? Um was für Täter handelt es sich? Die Verstrickung des Verfassungsschutzes und seiner V-Leute böte ein ausreichendes Motiv dafür. Oder ist da noch mehr? Bedenklich ist: Die Behörde lässt nicht objektive Fakten sprechen, um zu dem von ihr präsentierten Ergebnis zu kommen, sondern setzt ihre institutionelle Macht ein: ‚Es ist so, weil wir es sagen.‘ Ganz nebenbei beschädigt damit eine Instanz des Rechtsstaates den Rechtsstaat. Und es lässt außerdem nichts Gutes für die weitere Aufklärung erwarten. Denn, selbst wenn man Beate Zschäpe für ihre Tatbeteiligung aburteilt, ist der Mordkomplex „NSU“ noch lange nicht abgeschlossen. Nicht nur, weil gegen neun Personen Ermittlungsverfahren laufen. Nach den Auftritten der Ankläger bisher sieht alles eher nach Schlussstrich aus, als nach vollständiger juristischer wie politischer Aufklärung. Allerdings gelingt dieser Schlussstrich seit Jahren nicht. (Telepolis 30.7.2017)


NSU-Prozess: Ankläger verteidigen ihre tendenziöse Anklage:

„Was der Ankläger als scheinbar objektiv und unabänderlich hinstellt, ist jedoch die Entscheidung seiner Behörde gewesen. Sie ist für die Auswahl – nur – dieser fünf Angeklagten verantwortlich, ganz subjektiv. Gegen neun weitere Verdächtige ermittelt sie bisher lediglich. Die Mörder seien Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos „und niemand anderes“, beharrte Diemer, Beate Zschäpe sei Mittäterin, unterstützt worden sei der NSU von den Angeklagten „hier im Saal“. Warum die Menschen sterben mussten, sei aufgeklärt, ebenso die Sprengstoffanschläge in Köln. Der Anschlag auf die zwei Polizeibeamten in Heilbronn sei ein Angriff auf „unseren Staat“ gewesen. Die Opfer seien „willkürlich“ ausgesucht worden und das Motiv sei nicht in ihrer Persönlichkeit oder irgendeiner Vorgeschichte begründet. Namentlich nannte er die erschossene Polizistin Michèle Kiesewetter. Ganz offensichtlich reagierte der Bundesanwalt auf die anhaltende Kritik an der Arbeit der Bundesanwaltschaft. Sein Prolog gipfelte in einer Art Abrechnung. Vor allem im Fall Kiesewetter, bei dem die Hauptverhandlung ein „eindeutiges Ergebnis“ erbracht habe, gebe es „haltlose Spekulationen selbsterklärter Experten“, so Herbert Diemer wörtlich – und ergänzte: „Experten, wie Irrlichter, wie Fliegengesurre!“ Konkret wurde er nicht. Und so bleibt es der Phantasie des Beobachters überlassen, wen er denn mit dieser Rhetorik meinte: Die SoKo Parkplatz des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg, die auf mindestens vier bis sechs Täter in Heilbronn gekommen war? Das Bundeskriminalamt, das bis heute keine Klarheit über die Anzahl der beteiligten Personen hat und keinen Nachweis erbringen konnte, dass Böhnhardt und Mundlos am Tattag in unmittelbarer Tatortnähe waren? Den schwerverletzten Kollegen von Kiesewetter, der im Prozess erklärte, ihm fehle nach wie vor das Motiv? Die Mitglieder des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag, die einheitlich der Meinung sind, die Zwei-Täter-Theorie sei nicht haltbar? Anwälte der Nebenklage, die die BAW kritisieren – oder etwa nur ein paar unbedeutende Journalisten? Wie wenig überzeugt muss jemand von seiner eigenen Theorie sein, der in dieser Art auf begründete Einwände eindrischt. Es ist vor allem eine Demonstration: diese Bundesanwaltschaft in diesem Sicherheitsapparat wird nicht von ihrer Linie abweichen und sei sie noch so widerlegt. Der Machtkampf um Aufklärung oder Verschleierung hält unvermindert an. Was streckenweise diesen Prozess prägte, dringt nun in der Schlussrunde wieder nach oben.“ (Telepolis 26.7.2017)


Verfassungsschutz will NSU-Bericht für 120 Jahre wegschließen:

„Was hat der VS-Beamte Temme mit dem Mord in Kassel zu tun? Eine absurd lange Sperrfrist soll vor allem eines signalisieren: „Bei uns kriegt Ihr nichts mehr raus!“ 120 Jahre – für diese Dauer hat das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) von Hessen einen internen Bericht gesperrt, in dem es auch um den NSU-Mord von Kassel und die mögliche Verwicklung seines Mitarbeiters Andreas Temme gehen dürfte. Das schürt einerseits den Verdacht: Was derart lange geheim gehalten werden soll, muss brisant sein. Andererseits kann diese absurde Sperrfrist als Botschaft verstanden werden an die Öffentlichkeit und diejenigen, die weiterhin aufklären wollen: ‚Von uns erfahrt Ihr nichts mehr. Gebt auf!'“ (Telepolis 16.7.2017)


Linke beklagt „Missachtung“ des NSU-Ausschusses. Interner Verfassungsschutz-Bericht wurde von Hessen nicht nach Berlin geliefert. Minister Beuth verteidigt das Vorgehen:

„Es geht um 250 Seiten, die es in sich haben: Das Landesamt für Verfassungsschutz Hessen hatte im Jahr 2014 in einem Bericht Missstände seiner früheren Arbeit eingeräumt. Die Abgeordneten des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag bekamen das Dokument aber nicht zu sehen. Das bestätigte das Innenministerium in Wiesbaden am Freitag auf Anfrage der Frankfurter Rundschau. Die Linken-Obfrau in Berlin, Petra Pau, kritisierte, Hessen habe dem Gremium die Existenz des Berichts „unterschlagen“. Sie sprach von einer „bewussten Missachtung“ der Beweisbeschlüsse. „Das fügt sich nahtlos ins Bild, das wir die ganze Zeit vom hessischen Innenministerium hatten: Vertuschen, verheimlichen und die eigene Verantwortung im NSU-Komplex leugnen“, sagte Pau der FR. In dem Bericht ist etwa von einem Hinweis aus dem Jahr 1999 auf „National Sozialistische Untergrundkämpfer Deutschlands“ die Rede, der wohl untergegangen sei, aber an einen anderen Landes-Verfassungsschutz weitergeleitet worden sei. Teile des Dokuments hält Hessen offenbar für so brisant, dass sie bis ins Jahr 2134 als geheim eingestuft sind. Der Sprecher von Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) verteidigte das Vorgehen: Das Dokument sei „nicht vom Untersuchungsgegenstand des Bundestags-Untersuchungsausschusses umfasst“, sagte Michael Schaich. Die vom Bundestag getroffenen Beweisbeschlüsse seien „auf Personen- und Sachakten sowie konkrete Sachverhalte gerichtet“ gewesen. Daneben gelte, dass der Bundestagsausschuss nur das Handeln von Bundesbehörden sowie den Austausch zwischen Bund und Ländern zum Gegenstand habe. „Es gehört nicht zu den Aufgaben eines Bundestags-Untersuchungsausschusses, das Verwaltungshandeln einer einzelnen Landesbehörde zu betrachten“, erläuterte Beuths Sprecher. „Dafür sind ausschließlich die jeweiligen Landtage zuständig.“ Der Bericht einer Landesbehörde, der sich „selbstkritisch mit Verwaltungsvorgängen zurückliegender Dekaden“ befasse, gehöre „ausschließlich in den Untersuchungsausschuss eines Landtages“. Mit dem Beweisbeschluss „HE-10“ hatte der Bundestagsausschuss von Hessen Akten über den NSU und seine Mitglieder erbeten, aber auch „über weitere Personen oder über Organisationen aus ihrem Unterstützerumfeld sowie über gegebenenfalls bestehende Verbindungen zu rechtsextremen Vereinen oder Organisationen“. Innenminister Beuth muss voraussichtlich im NSU-Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags aussagen. Das beantragt die Linke, wie sie am Freitag in Wiesbaden bekannt gab. Linken-Obmann Hermann Schaus will Beuth zu dem internen Bericht befragen, den die hessischen Abgeordneten zwar einsehen können, aber über den sie in öffentlicher Sitzung nur in Auszügen sprechen dürfen.“ (FR Online 1.7.2017)


Die politische Ordnung hinter dem NSU-Rätsel:

„Untersuchungsausschuss No. 2 des Bundestages legt seine Ergebnisse vor – Sie ernst zu nehmen hieße, der Bundesanwaltschaft das Verfahren aus der Hand zu nehmen – Nur, wer soll das tun? – „Wir wissen nicht, wie es war. Wir wissen aber, dass es nicht so war, wie es die Bundesanwaltschaft darstellt.“ Auf diese Formel lässt sich das ungelöste Rätsel NSU bringen. Und in etwa so sieht es auch der Untersuchungsausschuss des Bundestages, der nun seine Arbeit beendete. Der Wert dieses Ausschusses liegt im Politischen. Mit seiner Sicht auf den Mordkomplex des NSU hat er der obersten Ermittlungsinstanz, der Bundesanwaltschaft, widersprochen und damit nichts weniger getan, als die Deutungshoheit der Exekutive anzugreifen. Die sagt: Alle 28 Taten – zehn Morde, drei Sprengstoffanschläge, 15 Raubüberfälle – seien von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos allein begangen worden, ohne Hilfe ortskundiger Dritter, unterstützt lediglich von Beate Zschäpe. Nein, entgegnet entschieden der Untersuchungsausschuss des Bundestages, die Zwei- bzw. Drei-Täter-Theorie ist nicht haltbar. Es müssen mehr Täter gewesen sein. Es muss Helfer in den Tatstädten gegeben haben. Und es ist auch denkbar, dass Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe, das sogenannte NSU-Kerntrio, nicht an allen Delikten beteiligt war. Drei Mal saßen Vertreter der Bundesanwaltschaft vor diesem Ausschuss. Drei Mal kam es also zum direkten Aufeinandertreffen der Antagonisten in Sachen NSU-Aufklärung. Keinmal konnten die Ankläger aus Karlsruhe ihre Zwei-Täter-Theorie gegen die Zweifel der Parlamentarier behaupten. Obwohl sie alle Akten kennt, alle Ermittlungsschritte bestimmt, kann diese Behörde viele Fragen zum NSU nicht beantworten. Sieht man einmal davon ab, dass es auch Fragen gibt, die sie nicht beantworten will. Die Bundesanwaltschaft ist am Bundestagsausschuss gescheitert, könnte man sagen. Allerdings ist auch der Ausschuss gescheitert – seinerseits nämlich an der Bundesanwaltschaft wie am Bundesverfassungsschutz. Ausdruck einer Pattsituation zwischen Aufklärung und Vertuschung, die seit fünf Jahren anhält.Grund genug aber, um in der nächsten Legislaturperiode erneut einen NSU-Untersuchungsausschuss einzusetzen. „Wir wissen nicht, wie es war“. Zwei Sätze, die geeignet sind, das gesamte Ermittlungswerk der Strafverfolger in Sachen NSU umzustülpen: „Wir wissen nicht, wie es war.“ Dieser Satz ist ein Eingeständnis des Scheiterns nach über fünf Jahren Aufklärungsbemühungen. Er dokumentiert das Wissen über das eigene Unwissen. Aber er bedeutet auch: Alles ist offen. Der zweite Satz – „Wir wissen, dass es nicht so war, wie es die Bundesanwaltschaft darstellt“ – beendet eine Behauptung. Die der offiziellen NSU-Version. Er bezichtigt den Ermittlungsapparat im besten Falle der Unfähigkeit, im schlechtesten der Manipulation. Darüber kann man nicht zur Tagesordnung übergehen. Indem der Bundestagsausschuss das offizielle Narrativ in Frage stellt, widerspricht er der obersten Anklagebehörde des Staates geradezu hoheitlich. Es ist der Widerspruch der Legislative gegenüber der Exekutive, wenn auch nicht formuliert von den Parteienhäuptlingen, so aber zumindest von ihnen geduldet. Jedenfalls ist dieser Widerspruch strenggenommen ein Politikum höchsten Grades. Denn damit fallen zwei staatliche Gewalten auseinander und sind nicht mehr deckungsgleich. Doch zwei Wahrheiten kann es nicht geben, wenn man am Gewaltmonopol des Staates festhalten möchte. Was soll denn gelten? Welche Maßnahmen von welcher Institution sind denn legitimiert?  Die Raub- und Mordserie der NSU hat eine politische Dimension. Das sichtbar gemacht zu haben, ist eine der stärksten Leistungen dieses Ausschusses. Verantwortlich dafür bemerkenswerterweise vor allem ein CDU-Abgeordneter: der Ausschussvorsitzende Clemens Binninger. Binninger scheidet aus dem Bundestag aus. Vielleicht ist das der Preis, den er bezahlt hat. Dreizehn Jahre lang wurden die Täter nicht gefasst und keine einzige Tat aufgeklärt. Morde haben in Deutschland eine hohe Aufklärungsquote. Neun von zehn werden gelöst. Hier sind es null von zehn. Jetzt, nach dem Auffliegen des NSU im November 2011, gibt sich die Bundesanwaltschaft mit drei Tätern zufrieden, obwohl es Hinweise auf weitere gibt und obwohl hinter dem Trio auch Fragezeichen stehen. An keinem der 28 Tatorte DNA-Spuren oder Fingerabdrücke der angeblichen Täter Böhnhardt und Mundlos. Dagegen viel unbekannte DNA. Sie wird nicht mit den meisten Personen des NSU-Umfeldes abgeglichen. Dasselbe gilt für Mobilfunknummern – nicht überprüft. Dasselbe für die 14 Phantombilder in Heilbronn. Dasselbe für die 30 000 Autokennzeichen aus der Ringfahndung nach dem Mord in Heilbronn. Wie sein Vorgänger ist auch dieser Ausschuss am Bundesverfassungsschutz gescheitert, der seine V-Leute schützt, sein Wissen geheim hält, seine Hauptamtlichen lügen lässt – und alles wiederum abgeschirmt durch die Bundesanwaltschaft. Man braucht für gewöhnlich nur einen kleinen Gegenstand, um auch in das größte Gebäude zu gelangen: einen Schlüssel. Die Präsidenten, Abteilungs- und Referatsleiter der Geheimdienste spielen gegenüber den Parlamentariern immer wieder großzügig die Hausherren, die angeblich aus dem Inneren ihrer Refugien berichten. Was sie den Kontrolleuren aber vorenthalten, ist ein zentraler Gegenstand, so klein, dass er nicht auffällt: der Schlüssel. Ein Schlüssel zum Zugriff auf Akten ist zum Beispiel ihre Paginierung, also die fortlaufende Numerierung der Seiten. Eigentlich Standard der Aktenführung. Doch im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) herrscht die Praxis vor, die Akten nicht zu paginieren. In einer kurzen Ausschusssekunde konnte man das erfahren. Fehlende Paginierung – das erscheint wie eine Banalität. Ohne fortlaufende Numerierung der Seitenzahl jedoch kann kein Untersuchungsausschuss überprüfen, wieviel Akten des Bestandes er bekommen hat und wieviel nicht. Besonders tückisch: Die im Amt ausgesuchten und für einen Ausschuss zusammengestellten Seiten werden dann mit einer eigenen Paginierung versehen. Dadurch wird der Ausschuss getäuscht und merkt es nicht einmal. Wie arbeitet der Geheimdienst mit nicht paginierten Akten? Wie findet er Inhalte? Diese Schlüssel werden bisher nicht preisgegeben. Damit wird Kontrolle unmöglich gemacht. In einer anderen kurzen Ausschusssekunde kam ein weiterer Sachverhalt zum Vorschein, der eine ganz neue Tür zum Hintergrund des NSU-Komplexes aufstößt. Der V-Mann Ralf Marschner, geführt vom BfV unter dem Decknamen „Primus“, etwa zehn Jahre lang in der Neonazi-Szene von Zwickau tätig, mit Verbindungen zu Mundlos, Zschäpe, Böhnhardt, wofür es glaubhafte Zeugen gibt – dieser V-Mann genießt die Patronage der Bundesregierung. Dessen Akten, gestand in einem unüberlegten Moment seiner fünfstündigen Befragung ein Oberstaatsanwalt, seien selbst für die Bundesanwaltschaft gesperrt.Ein V-Mann, der Chefsache ist und den regulären Ermittlungsbehörden entzogen – was hat das zu bedeuten? Es führt zurück zum Statement des Innenstaatssekretärs Klaus-Dieter Fritsche im letzten Ausschuss: „Es dürfen keine Staatsgeheimnisse bekannt werden, die ein Regierungshandeln unterminieren.“ Ganz offensichtlich berührt der NSU-Skandal Regierungshandeln. Den falschen Schwur der Chefin, alles zu tun, um die Morde aufzuklären und die Hintermänner aufzudecken, woran die die zuständigen Behörden mit Hochdruck arbeiten würden, kann man dabei getrost als Machtfolklore verbuchen und vergessen. Die Arbeit der vielen Untersuchungsausschüsse hätte längst zu politischen Konsequenzen führen müssen. Nicht im Sinne mittelmäßiger läppischer Empfehlungen wie „bessere Zusammenarbeit“ der Behörden. Das berührt den Sicherheitsapparat nicht wirklich, sondern stellt eher eine Verbeugung vor ihm dar. Aber im Sinne der Entmachtung der Exekutive und ihrer tatsächlicher Kontrolle durch die Parlamente. Man könnte damit anfangen, die Vertreter der Exekutive aus den internen Beratungen und nicht-öffentlichen Zeugenvernehmungen der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zu werfen. Politische Konsequenzen zu ziehen, das hieße, die Ausschüsse zu stärken. Warum sollen sie sich an die Regeln von Behörden halten müssen, die ihr Untersuchungsgegenstand sind? Seit wann entscheidet ein Ladendieb, was er herausgibt und was nicht? Warum sollen sie nicht selber in die Registraturen der Ämter gehen können und die benötigten Akten ziehen? Warum keine Ombudspersonen in den Ausschüssen, die zum Beispiel Fragerecht haben? Oder sogar die Einführung eines allgemeines öffentliches Fragerecht in U-Ausschüssen? Bei der Justiz gibt es die Schöffen, die von außen kommen. Quis custodiet ipsos custodes? Konsequent sein hieße aber auch, gegen die Verfassungsschutzämter zu ermitteln und der Bundesanwaltschaft das Verfahren zu entziehen. Nur, durch wen und was folgt? Eine neue, vielleicht international besetzte Ermittlungskommission? Sichtbar hinter dem NSU-Rätsel wird eine politische Ordnung. Bundesanwaltschaft und Bundesverfassungsschutz sind Teile davon. Es ist diese Ordnung, die den Skandal nicht aufklären will. Daneben steht eine Gesellschaft, die ihn nicht aufklären kann. Dass er nicht gelöst wird, ist ein Sieg dieser Ordnung. Aber dass er auch nach fünf Jahren nicht normalisiert und entsorgt werden kann, ist eine Niederlage dieser Ordnung. Das heißt: Der Machtkampf wird weiter gehen. Ein dritter NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag wäre das Mindeste. Ohne werden sich die Sicherheitsbehörden, allen voran die Verfassungsschutzämter noch mehr der Kontrolle entziehen. Fordern tut ihn bisher niemand.“ (Telepolis/Thomas Moser 30.6.2017)


Beschlussempfehlung und Bericht des 3. Untersuchungsausschusses gemäß Artikel 44 des Grundgesetzes (Vorabfassung vom 23.6.2017)


Hinweis auf NSU nicht verfolgt. Ein interner Bericht des hessischen Verfassungsschutzes zu der Mordserie des NSU enthält Kritik am eigenen Amt:

„Der hessische Verfassungsschutz und mindestens eine andere Verfassungsschutzbehörde erhielten Ende der 90er Jahre einen Hinweis auf „National Sozialistische Untergrundkämpfer Deutschlands“. Zumindest in Hessen wurde der Hinweis nicht weiterverfolgt. Die Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) flog 2011 auf und wird beschuldigt, von 2000 bis 2007 zehn Menschen ermordet zu haben. Der Hinweis aus dem Jahr 1999 geht aus dem internen Bericht über die Aktenprüfung im hessischen Landesamt für Verfassungsschutz hervor, der vom früheren Innenminister Boris Rhein (CDU) 2012 in Auftrag gegeben worden war und der Frankfurter Rundschau in Auszügen vorliegt. Einzelne Ergebnisse waren erstmals am Montag bekannt geworden, als die hessische Linken-Fraktionsvorsitzende Janine Wissler im NSU-Untersuchungsausschuss bei der Befragung von Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) daraus zitierte. Weite Abschnitte des Berichts sind als geheim eingestuft – teilweise für 90, teilweise für 120 Jahre. In einem Zwischenbericht, den der Verfassungsschutz am 19. Dezember 2013 ans Innenministerium übersandte, wird festgestellt, „wie oft interessanten Hinweisen oder Anhaltspunkten zum Zeitpunkt der Datenerhebung nicht wirklich nachgegangen wurde“. Als Beispiel dafür wird der Hinweis auf die „National Sozialistischen Untergrundkämpfer Deutschlands“ angeführt. Wie genau dieser Hinweis aussah, steht in einer geheimen Anlage zum Bericht, die der FR nicht vorliegt. Aus dem Bericht ist zu erfahren, dass es im August 1999 einen Briefwechsel zwischen dem hessischen und einem anderen, ungenannten Landesverfassungsschutz gab. Es ging darum, wer zuständig war – denn der Hinweis war anscheinend von einer Person gekommen, die nicht in Hessen wohnte, während der außerhessische Verfassungsschutz einen hessischen Wohnort angenommen hatte. „Insbesondere in den 1990er Jahren wurde Sachverhalten nicht immer adäquat nachgegangen“, stellte der Verfassungsschutz 2013 über die eigene Arbeit in früheren Zeiten fest. Im Abschlussbericht von 2014 ist zu lesen, dass die Akten „keine Bezüge oder Informationen zu den Straf- und Gewalttaten des NSU“ enthielten. Sie umfassten allerdings „Informationen zu szenetypischen Aktivitäten“ des NSU-Trios „bzw. zu Personen aus deren Umfeld“. (FR Online 27.6.2017)

Der Chefermittler im Fall der Ermordung von Halit Yozgat, Gerald Hoffmann, 2012 vor dem PUA:


Bouffier im NSU-Ausschuss: Drei kleine Zugeständnisse:

„Mehr als zehn Stunden lang sagte Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) am Montag öffentlich im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags aus. Die wichtigsten Erkenntnisse Klar war, dass Bouffier nichts anderes oder Neues aussagen wollte als bei seiner Vernehmung durch den NSU-Ausschuss des Bundestags im September 2012 Er konnte weder das ganz durchhalten noch seine bisherige Linie, dass er sich in dem an Ermittlungspannen und Skandalen reichen NSU-Komplex nichts vorzuwerfen habe Das Verhalten des damaligen Verfassungsschützers am Tatort des Kasseler NSU-Mords im April 2006 bleibt rätselhaft. Mit dem Ministerpräsidenten kam der prominenteste Zeuge seit langem in den Ausschuss, der die Versäumnisse der Behörden bei der Aufklärung des Mordes an Halit Yozgat am 6. April 2006 in Kassel aufklären soll. Volker Bouffier war damals hessischer Innenminister, ihm unterstanden mit Polizei und Verfassungsschutz die maßgeblichen Behörden. Dass er wesentlich Neues zu dem Komplex beisteuern würde, erwartete ernstlich wohl niemand. Dennoch war der Sitzungssaal 302 im Hessischen Landtag restlos gefüllt. Bouffier drückte am Anfang sein Bedauern über das Versagen der Behörden und sein Mitgefühl mit den trauernden Angehörigen der Opfer der NSU-Mordserie aus. Das glich mitunter bis aufs Wort seinem Eingangsstatement im Bundestag. Passend fügte Bouffier an, dass er nicht mehr sagen könne als 2012 – zumal die Ereignisse von 2006 nun noch länger her seien. Das hielt er die ersten zwei Stunden problemlos durch. Weil mit den Ausschussvorsitzenden Hartmut Honka und CDU-Obmann Holger Bellino zwei Parteifreunde Bouffiers dem Zeugen eher Antwortmöglichkeiten vorlegten als ihn in der Sache etwas fragten („Ist das Ihr Zeichen auf dem Vermerk?“, „Kann das der Grund für Ihre damalige Entscheidung gewesen sein?“), dauerte es so lange bis zur ersten kritischen Frage. Die kam von SPD-Obfrau Nancy Faeser. Warum sich Staatsanwaltschaft Kassel und Verfassungsschutz letztlich nicht auf ein Vorgehen zur direkten Befragung der Quellen des damaligen V-Mann-Führers Andreas Temme einigen konnten, wo sie sich doch im August 2006 auf eine Methode verständigten? Bouffier antwortete nur, hätten sie sich geeinigt, hätte es seiner umstrittenen Verweigerung der direkten Vernehmung („Sperrvermerk“) im Oktober 2006 nicht bedurft. Also scheine es keine Einigung gegeben zu haben. Dass die Verfassungsschützer der Staatsanwaltschaft nicht trauten, was die Geheimhaltung der Namen der sensiblen islamistischen Quellen anging, musste ihm erst Bellino quasi einflüstern. Hatte Bouffier sich nicht besonders auf seine Aussage im Landtagsausschuss vorbereitet? Auffällig jedenfalls, dass er sehr oft auf seine frühere Aussage im Bundestag verwies. Oder ziemlich häufig Erinnerungslücken anführte – das wäre nach so langer Zeit nicht unbedingt verwunderlich. Nur: Im Bundestag tat er das praktisch gar nicht, und damals war 2006 auch schon sechs Jahre her. Sicher kann ein Minister nicht mit allen Details in seinem Zuständigkeitsbereich beschäftigt sein, dafür hat er seinen Stab aus Referenten und Sachbearbeitern. Und so zog Bouffier sich, je öfter es um Details ging, auf den Standpunkt zurück: Mit Details war er selbst nicht befasst. Man möge die jeweiligen Verfasser von Vermerken und Sprechzetteln befragen. Umgekehrt verlor der frühere Innenminister nicht ein kritisches Wort über die Mitarbeiter in Ministerium, Polizei und Verfassungsschutz. Nur eben Temme verhielt sich falsch, indem er am Tatort eines Mordes anwesend war und sich nicht als Zeuge bei der Polizei meldete. Zwar schloss Bouffier – anders als die Leitung des Landesamts für Verfassungsschutz – schon früh aus, dass Temme weiter beim Verfassungsschutz arbeitete. Aber warum war dessen berufliche Zukunft und Bezahlung eines der wenigen Details, um die sich der Minister nach eigener Aussage selbst kümmerte? Und warum sagte er den Ausschussmitgliedern erst nach Vorhalt eines Vermerks, dass er die Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens gegen Temme befürwortete? Zu dem kam es nie, was ihm die Opposition seit langem vorwirft. So fahrig er mitunter inhaltlich wirkte, so ruhig saß Bouffier mehr als zehn Stunden auf seinem Stuhl. Nur sein rechter Fuß wippte unablässig. Einmal flehte er um ein Stück Erdbeerkuchen. Hartnäckige Fragen der Obleute von SPD und Linksfraktion rangen Bouffier dann aber immerhin drei kleinere Zugeständnisse ab: Er hätte wenigstens das geheim tagende Parlamentarische Kontrollgremium über seine Kenntnis des Mordverdachts gegen einen Verfassungsschützer informieren können – in Begleitung eines Staatsanwalts, der darauf achte, dass die laufende Ermittlung nicht gefährdet werde durch Bekanntwerden von Details. Bislang hielt Bouffier das für strikt ausgeschlossen. Er hätte den Rat des Landespolizeipräsidenten übergehen und die Eltern des ermordeten Halit Yozgat treffen sollen, nachdem sie ihn in einem Brief darum baten. Damals befürchtete man eine Beeinflussung der Ermittlung (man suchte damals zuvorderst im familiären Umfeld nach dem Mordmotiv). Er drückte sich im Innenausschuss im Juli 2006 wohl missverständlich aus, als er sagte, Temme habe ein Alibi für die Zeit eines anderen NSU-Mordes, „er kann es also nicht gewesen sein. Davon kann man ableiten: Er ist unschuldig.“ Er habe sich diese Unschuldigsprechung nicht zu eigen gemacht, habe nur eine allgemeine Möglichkeit formuliert. Warum er wiederum nicht in diesem Ausschuss im Juli 2006 den Abgeordneten klipp und klar sagte, er habe nicht aus der Zeitung, wie viele ihn verstanden, davon erfahren, sondern am 21. April durch die Polizei, konnte Bouffier nicht schlüssig erklären: „Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt.“ Oder warum ignorierte er einen Sprechzettel, der ihm schon diese Aussage für die Ausschusssitzung im Mai 2006 nahelegte? „Das hätte doch nur Sinn, wenn man etwas vertuschen oder nicht berichten wollte, das wäre doch irre“, sagte Bouffier. Eben diesen Eindruck vermittelt der NSU-Komplex allerdings immer wieder. (Hessenschau.de 26.6.2017)

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NSU-Ausschuss: So verteidigt sich Bouffier im Dauerverhör. (die ursprüngliche Headline zogen die Autoren der FR zurück. Sie lautete: „So windet sich Volker Bouffier heraus.“ In einer mehr als zehn Stunden langen Befragung verteidigt sich Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier vor dem NSU-Ausschuss des Hessischen Landtags. Was hat er zu sagen?

„Noch vor seiner Vernehmung im NSU-Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags versucht Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) am Montag, die Luft etwas herauszunehmen. Er könne heute, elf Jahre nach dem Mord an Halit Yozgat in Kassel, auch nicht mehr sagen als vor fünf Jahren, als er bereits vom NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags vernommen wurde. Dann geht er hinein in den gut mit Besuchern gefüllten Sitzungsraum und bekräftigt seine Positionen in den mehr als sechs anschließenden Stunden: Es sei richtig gewesen, eine Sperrerklärung für die V-Leute von Andreas Temme abzugeben, und das Parlament habe er auch nicht früher unterrichten dürfen. Andreas Temme ist der Verfassungsschützer, der zur Tatzeit am Tatort war, nach eigenen Angaben aus privaten Gründen. Die Ermittler wollten die V-Leute vernehmen, mit denen er Kontakt hatte. Fünf von Temmes V-Leuten seien aus der islamistischen Szene gekommen. Nur um die sei es gegangen, betonte der damalige Innenminister und heutige Ministerpräsident Bouffier. Der Verfassungsschutz habe deutlich gemacht, dass die Sicherheit des Landes bedroht gewesen wäre, wenn diese Informanten auffliegen würden. Islamistische Anschläge seien kurz vor der Fußball-WM in Deutschland „eine reale Gefahr“ gewesen. Niemals sei es aber um Temmes rechtsextremen V-Mann Benjamin Gärtner gegangen. Wenn er geahnt hätte, dass es um eine rechtsextreme Quelle ginge, hätte er gesagt: „Die kann man selbstverständlich vernehmen“, versicherte Bouffier. Doch er habe nichts davon gewusst, dass zu Temmes Quellen auch ein Rechtsextremist gehörte. Am 6. April 2006 war Yozgat in seinem Internetcafé erschossen worden. Die Tat wird heute den rechtsextremen Terroristen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) zugerechnet. Seinerzeit stand aber zunächst Verfassungsschützer Temme unter Tatverdacht. Zunächst stritten Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz, ob die V-Leute vernommen worden durften. Bouffier behielt sich die Entscheidung vor – und untersagte schließlich die direkte Vernehmung der Informanten. „Es war die einzige Sperrerklärung, die ich jemals in dieser Form abgegeben habe“, betonte Bouffier. Dabei hatten sich am 17. August 2006 Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft auf ein Verfahren verständigt, wie die Extremisten befragt werden könnten, ohne dass ihre Namen öffentlich bekannt würden. Bouffier konnte sich zunächst nicht daran erinnern – auch als ihm ein entsprechender Vermerk vorgelegt wurde, den er abgezeichnet hatte. Später sagte er, seine Fachabteilung sei zu dem Schluss gekommen, dass eine Vernehmung trotzdem nicht möglich sei, da die Staatsanwaltschaft nicht garantieren könne, dass die Identitäten wirklich geheim gehalten werden. Der Ministerpräsident hielt seine damalige Sperrerklärung weiter für richtig: „Aus meiner Sicht kann ein verantwortlicher Innenminister in einer solchen Situation nicht anders entscheiden.“ Bouffier verteidigte auch den Umstand, dass er den Landtag erst im Juli 2006 über Temmes Anwesenheit am Tatort unterrichtete, als das schon in der Zeitung gestanden hatte. Das war drei Monate nach der Tat. Anderenfalls wären Ermittlungen in der Mordserie durch öffentliche Informationen behindert worden, sagte er. Die „unbefriedigende Situation aus der Sicht des Parlaments“ könne er aber nachvollziehen, räumte Bouffier ein. Bereits im Mai 2006 war Bouffiers Staatssekretärin Oda Scheibelhuber (CDU) allerdings darauf vorbereitet worden, die Abgeordneten in einer Sitzung über den Mord in Kassel zu unterrichten. Sie hatte einen „Sprechzettel“ dabei, machte davon aber keinen Gebrauch. Warum, konnte Bouffier nicht beantworten. Er argumentierte lediglich, dass es nicht möglich gewesen wäre, die Anwesenheit des Verfassungsschützers am Tatort an die Öffentlichkeit geraten zu lassen. In dem Sprechzettel stand aber nach SPD-Obfrau Nancy Faesers Angaben gar nichts über Verfassungsschützer Temme. So erfuhren die Abgeordneten nicht einmal, dass der Mord in Kassel Teil der bundesweiten Serie mit der Ceska-Waffe war, die heute dem NSU zugerechnet wird. Als Bouffier im Juli 2006 dann das Parlament informierte, sagte er einen umstrittenen Satz. Es sei „betrüblich“, dass auch der zuständige Minister erst aus der Zeitung von den Vorgängen erfahre. Der Ministerpräsident bestritt, dass er damit den Tatverdacht gegen Verfassungsschützer Temme gemeint habe. Das Bedauern, dass auch er erst aus der Zeitung Informationen erhalte, habe sich vielmehr „auf Einzelheiten der Ermittlungen“ bezogen. Im Innenausschuss sagte Bouffier auch, Temme sei „rein privat“ in Yozgats Internetcafé gewesen. Am Montag betonte der Regierungschef, das könne er „aus eigener Kenntnis nicht sagen“. Er habe sich auf die Informationen von Verfassungsschutz und Innenministerium gestützt. Seit fast drei Jahren bemüht sich der hessische Untersuchungsausschuss in mittlerweile 55 Sitzungen um Aufklärung. Dabei war herausgekommen, dass es seinerzeit einen CDU-Arbeitskreis im hessischen Landesamt für Verfassungsschutz gab. Temme soll nach Angaben seines damaligen Vorgesetzten Frank-Ulrich Fehling mehrfach an Grillfeiern des Arbeitskreises teilgenommen haben. Fehling hatte auch gesagt, Bouffier sei mindestens einmal da gewesen. Der Ministerpräsident sagte, er habe Temme nicht persönlich kennengelernt. Jedenfalls könne er sich an keine Begegnung mit ihm erinnern. Auch von der Tatsache, dass es einen CDU-Arbeitskreis im Verfassungsschutz gab, habe er nichts gewusst. In seiner Amtszeit habe er „sicher Hunderte von Grillfesten besucht“. Er habe „nicht in Erinnerung, dass ich Herrn Temme jemals begegnet wäre“. Die Zuhörer horchten auf, als Linken-Obfrau Janine Wissler deutlich machte, dass ein interner Untersuchungsbericht des Landesamts für Verfassungsschutz „erhebliche Versäumnisse“ für die Zeit seit 1992 herausgefunden habe: Spuren seien nicht immer verfolgt worden, zudem seien mehr als 500 Aktenstücke verschollen. Insgesamt 390 Hinweise auf Sprengstoff und Waffen bei Neonazis seien bis 2012 registriert worden. Auch ein Indiz auf einen „Nationalen Untergrund“ habe dem Verfassungsschutz vorgelegen, es sei dem Bericht zufolge aber „nicht dokumentiert“, ob diesem überhaupt nachgegangen worden sei. Bouffier nannte die Zahl der Waffenhinweise bei Rechtsextremisten „nicht ungewöhnlich“, da es im Schnitt um rund 20 Fälle im Jahr gehe. Die Aussagen des internen Berichts wollte er aber nicht eingehend kommentieren, da ihm nur einzelne Zitate vorgehalten würden. Bisher war im Untersuchungsausschuss lediglich bekannt geworden, dass Bouffiers Minister-NachfolgerBoris Rhein (CDU) diese Untersuchung 2012 in Auftrag gegeben hatte, nachdem der NSU im November 2011 aufgeflogen war. Rhein konnte sich bei seiner Vernehmung im März allerdings nicht daran erinnern, jemals einen Zwischen- oder Endbericht erhalten zu haben. Nach Wisslers Angaben war zu Rheins Amtszeit 2013 ein Zwischenbericht vorgelegt, aber als unzureichend zurückgegeben worden. Der „Abschlussbericht zur Aktenprüfung“ sei im November 2014 geliefert worden. Große Teile des internen Untersuchungsberichts sind nach Angaben der Linken allerdings geheim. Sie dürften erst 120 Jahre nach der Fertigstellung, nämlich im Jahr 2134, veröffentlicht werden.“ (FR Online 27.6.2017)

Der hessische Ministerpräsident bestritt vor dem NSU-Untersuchungsausschuss erneut, die Abgeordneten belogen zu haben. Er räumte aber manche Ungenauigkeit ein:

„Bouffier räumte an einigen Punkten ein, dass Dinge hätten besser laufen können. So hätte er nach eigenen Angaben der Staatsanwaltschaft erlaubt, den rechtsextremen V-Mann Benjamin Gärtner zu vernehmen – wenn er gewusst hätte, dass dieser Zeuge nicht zu den islamistischen V-Leuten gehörte, die unbedingt vor Offenlegung geschützt werden sollten. Gärtner und die Islamisten wurden vom Verfassungsschützer Andreas Temme geführt, der in Kassel am Tatort war, nach eigenen Angaben für einen privaten Chat. Bouffier räumte auch ein, dass die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen Temme angemessen gewesen wäre. „Man hätte das zum Beispiel durch einen aus Südhessen machen können oder aus einem anderen Landesamt. Das kann man sich vorstellen“, schlug er vor. Trotz grober Verstöße war ein Disziplinarverfahren gegen Temme nur auf dem Papier geführt worden. Schließlich gestand Bouffier nach langer Auseinandersetzung mit seinen eigenen Aussagen im Landtags-Innenausschusses vom 17. Juli 2006: „Sie sind in der Tat hoch interpretationsfähig. Ich hatte gehofft, es ist klar, was ich gesagt habe.“ Damals hatte Bouffier die Abgeordneten erstmals über den Kasseler Mord und Temmes Anwesenheit informiert – erst nachdem die Bild-Zeitung und Spiegel online im Juli 2006 berichtet hatten, dass ein hessischer Verfassungsschützer am Tatort gewesen war. Bouffier war hingegen schon am 21. April 2006 von Landespolizeipräsident Norbert Nedela informiert worden, dass der Verfassungsschützer Andreas Temme kurz vorher festgenommen worden sei. Doch die Sitzungen des Innenausschusses und der geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollkommission Verfassungsschutz (PKV) im Mai verstrichen, ohne dass die Regierung Informationen herausrückte. Am 17. Juli 2006 nahm Bouffier vor den Abgeordneten Stellung, die empört waren, erst aus der Zeitung von den Vorgängen zu erfahren. Der damalige Innenminister erwähnte mit keinem Wort, dass er schon seit April Bescheid wusste. Stattdessen sagte er den Satz: „Dass Abgeordnete etwas aus der Zeitung erfahren und nicht durch den Minister, ist betrüblich – insbesondere dann, wenn es auch der Minister erst aus der Zeitung erfährt.“ Und er betonte: „Ich kann doch nur über etwas berichten, von dem ich überhaupt weiß.“ Hat Bouffier die Abgeordneten also belogen? So hat die Frankfurter Rundschau diese Aussagen in einem Kommentar bewertet, worauf der Ministerpräsident im Februar 2015 fuchsteufelswild reagierte. Man konnte das im Untersuchungsausschuss am Montag noch einmal erleben, denn dort wurde das Video von Bouffiers Pressekonferenz eingespielt, in deren Verlauf er dem FR-Korrespondenten vorwarf: „Sie haben schlicht Falsches in Ihrem Kommentar geschrieben.“ Damals wie heute behauptet Bouffier, seine Angabe, er habe „etwas aus der Zeitung erfahren“, habe sich nicht auf die Festnahme Temmes bezogen, sondern auf Einzelheiten – etwa dass bei Temme ein Buch über Serienmörder gefunden worden oder dass ermittelt worden war, dass Temme zumindest für einen der neun Morde mit der immer gleichen Ceska-Waffe ein Alibi hatte. „Wenn’s missverständlich ist, dann ist das bedauerlich“, kommentierte der Ministerpräsident sein damaliges Zitat. Es wäre aber abwegig anzunehmen, dass er erst aus der Zeitung von der Verhaftung Temmes erfahren habe. „Das wäre ja völlig irre“, sagte Bouffier. „Es ist doch klar, dass bei einer solchen Maßnahme der Minister informiert wird.“ Warum aber sagte Bouffier dann in der Sitzung nicht, dass er seit dem 21. April Bescheid wusste, ohne das Parlament zu informieren? „Ich weiß es heute nicht mehr“, erwiderte er auf die Fragen des Linken-Obmanns Hermann Schaus. Es könne „schon sein in freier Rede, dass dann die Präzision ein bisschen darunter leidet“. SPD und Linke halten es weiterhin für eine Missachtung des Parlaments, dass Bouffier den Abgeordneten damals nicht gleich reinen Wein eingeschenkt habe. Er berief sich darauf, dass durch öffentliche Informationen laufende Ermittlungen hätten behindert werden können. Warum aber informierte der damalige Innenminister nicht wenigstens die geheim tagende PKV, bohrte der Grünen-Abgeordnete Jürgen Frömmrich nach? Bouffier antwortete vage – und kam im Laufe der Befragung selbst zu dem Schluss, er hätte den Generalstaatsanwalt in die Parlamentsgremien mitnehmen sollen, damit dieser entscheiden könne, wie weit Informationen gegeben werden könnten. Den Verdacht, er habe die Anwesenheit des Verfassungsschützers Temme am Tatort vertuschen wollen, wies Bouffier energisch zurück. „Ich wüsste gar nicht, was zu vertuschen gewesen wäre“, gab er zu Protokoll. „Spannend wäre es gewesen, wenn der dienstlich da gewesen wäre“, räumte Bouffier ein. Darauf gebe es aber keine Hinweise. In jener Innenausschuss-Sitzung vom Juli 2006 hatte Bouffier noch den Pressebericht über Temmes Alibi für eine Tat zitiert und gefolgert: „Er kann es nicht gewesen sein. Daraus kann man auch ableiten, dass der Mann unschuldig ist.“ Der Linken-Abgeordnete Schaus hielt Bouffier daraufhin vor, die Folgerung sei falsch, da ein Alibi für einen Mord nicht bedeute, dass jemand die anderen Taten nicht begangen haben könne. Heute gibt sich Bouffier in dieser Frage deutlich zurückhaltender. Bei seiner Pressekonferenz von 2015, die per Video eingespielt wurde, antwortete er auf die Frage, ob Temme dienstlich im Internetcafé gewesen sei: „Das weiß ich nicht.“ Das bekräftigte der Ministerpräsident auch bei seiner Vernehmung im Untersuchungsausschuss. „Ich kann es aus eigener Kenntnis nicht sagen“, formulierte er jetzt. Der Untersuchungsausschuss arbeitet bereits seit drei Jahren, verfügt aber noch immer nicht über alle Akten. Noch kurz vor der Montags-Sitzung waren weitere Akten geliefert worden, inzwischen sind es fast 2000 Aktenordner. Nicht nur die Landtagsopposition beklagt das Tempo der Aktenlieferung, das langsamer sei als in jedem anderen Bundesland. Auch der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags hatte – sogar mit Unterstützung von Bouffiers CDU – die „lückenhafte Aktenvorlage“ aus Hessen festgestellt und darin „eine erhebliche Beeinträchtigung“ der Aufklärungsarbeit gesehen. Bouffier sieht keinen Grund für solche Klagen. „Das wurde sorgfältig nach meiner Kenntnis gemacht“, sagte. Die Zuständigen hätten ihm das „in verschiedenen Runden“ berichtet, „nicht zuletzt unter dem Aspekt, die halbe Behörde ist lahmgelegt“, weil man „Blatt für Blatt“ umdrehen müsse. (FR Online 27.6.2017)


Bundesanwaltschaft, BKA und LKA sabotieren NSU-Ausschuss:

„NSU-Aufklärung 2017 live – dabei geht es weniger um die Taten und Täter, als um diejenigen, die aufklären sollten und nicht wollen. Die Ermittlungsbehörden Bundesanwaltschaft (BAW), Bundeskriminalamt (BKA) und Landeskriminalamt von Baden-Württemberg (LKA) behindern fortgesetzt die Arbeit des parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) des Landes. Das reicht bis zu Demütigungen. Doch der Ausschuss hat sich das selber zuzuschreiben. Er unterwirft sich seit zweieinhalb Jahren der Exekutive und deren Regeln. Die jüngste Sitzung lieferte dazu gleich drei Beispiele. Sie zeigen nebenbei, dass wir uns nach wie vor mitten im Skandal befinden und die Sicherheitsbehörden Teil davon sind. Thema des Baden-Württemberg-Ausschusses ist der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter vom April 2007 in Heilbronn – der letzte der zehn Morde, die dem NSU zugeschrieben werden. Die BAW behauptet, die Täter seien allein Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gewesen. Haltbar ist das nicht. Dennoch stützt der Ausschuss in Stuttgart die Sicht der Karlsruher Behörde. Er meint aber, es müsse Unterstützer gegeben haben. Die sucht er seit Monaten in Neonazi-Kreisen des Landes. Nach wie vor gibt es eine Reihe von offenen Spuren im Fall Heilbronn, die einen anderen Tatablauf nahelegen. Eine wurde jüngst von dem ARD-Magazin Report Mainz und vom Stern veröffentlicht. Danach waren am Tattag, dem 25. April 2007, bis kurz vor dem Anschlag auf die zwei Polizeibeamten um 14 Uhr Handys von zwei Islamisten am Tatort Theresienwiese eingeloggt. Der U-Ausschuss in Stuttgart weiß das seit Dezember 2015, doch erst aufgrund der aktuellen Berichterstattung wurde er jetzt aktiv. Vom Generalbundesanwalt (GBA) erbat er Ermittlungen zu den Handynummern. Der lehnte postwendend ab, wie der PUA-Vorsitzende Wolfgang Drexler (SPD) öffentlich mitteilte: Laut GBA gebe es keine Hinweise auf Verbindungen zu islamistischen Kreisen. Das sei eine bloße Vermutung und nicht durch Tatsachen gestützt. Die obersten Ermittler der Bundesrepublik verteidigen ihre Zwei-Täter-Theorie ohne Rücksicht auf Widersprüche und andere Erkenntnisse. Beispiel eins der Aufklärungsblockade seitens der Behörden. Es folgte Beispiel zwei: Das Bundeskriminalamt und die Personalie Thomas Starke. Starke zählte zum unmittelbaren Umfeld des untergetauchten Trios Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe. Er war einmal mit Zschäpe liiert, lieferte den dreien nach Jena Sprengstoff und besorgte ihnen nach ihrer Flucht nach Chemnitz den ersten Unterschlupf. Spätestens ab November 2000 war er eine V-Person des Staatsschutzes. Heute ist Starke einer der neun Beschuldigten, gegen die Ermittlungsverfahren wegen NSU-Unterstützung laufen. Starke unterhielt in der Vergangenheit Kontakte nach Baden-Württemberg, unter anderem nach Heilbronn. Noch bis 2011 soll er immer wieder in Baden-Württemberg gewesen sein. Eine Vertreterin des LKA bezeichnete Starke im Februar 2017 gegenüber dem Ausschuss als „ganz entscheidende Figur“, die „solch interessante Angaben zu Baden-Württemberg“ gemacht habe, wie keine andere. Da gegen ihn ermittelt wird, hat Starke ein Auskunftsverweigerungsrecht. Der U-Ausschuss wollte deshalb vom BKA wissen, was der Mann in seinen Vernehmungen mit dem BKA 2012 ausgesagt hat und was man noch alles über ihn weiß. Doch statt den dafür kompetenten Hauptsachbearbeiter als Zeugen abzustellen, schickte die Behörde einen untergeordneten Kriminalkommissar aus München, der lediglich bei ein paar der Vernehmungen dabei war. Viele Fragen konnte der Zeuge nicht beantworten. Auskünfte zur V-Mann-Tätigkeit Starkes verweigerte er gleich ganz. Die meisten Obleute äußerten sich über das Verhalten des BKA verärgert. Eine „Torpedierung unserer Arbeit“ nannte es der SPD-Obmann Boris Weirauch. Der Grünen-Obmann Jürgen Filius sprach von einem „befremdlichen Auftritt“. Er habe nicht den Eindruck, dass beim BKA ein „Aufklärungswille bestehe und man kooperativ“ sein wolle, so wörtlich. Das ziehe sich wie ein „roter Faden“ durch. Filius kritisierte auch das Verhalten des BKA-Vertreters, der den Zeugen begleitete und die Sitzung im Saal persönlich verfolgte. Er sei „stoisch“ dabei gesessen, „ohne Reaktion“ und ohne auf den Ausschuss zuzugehen. Das gilt aber auch umgekehrt. Auch der Ausschuss suchte nicht den direkten Kontakt zu dem BKA-Mann, der ihm sogar namentlich bekannt ist. Die Befragung muss nun mit dem verantwortlichen Sachbearbeiter des BKA wiederholt werden. Getoppt wurde das Ganze dann durch Beispiel drei der Obstruktion: Das Landeskriminalamt und die Manipulierung von Zeugen. Steffen J. war einer der Neonazis aus Ludwigsburg, die Freundschaften mit Gesinnungskameraden aus Chemnitz pflegten. Er ist bis heute geduldeter vielfacher Waffenbesitzer. Zschäpe oder Mundlos, die in den 90er Jahren mehrfach in Ludwigsburg waren, will er aber nie persönlich begegnet sein. Und das obwohl sein Name in einem Mundlos-Brief auftaucht. Gegen Ende seiner Befragung im Ausschuss erwähnte J. dann einen Vorgang, der zu denken geben muss. Nach aktuellen Kontakten zu früheren Kameraden gefragt, nannte er den Namen von Hans-Joachim S. aus Ludwigsburg, der auf der bekannten Telefonliste von Mundlos steht und der im Januar 2017 selber als Zeuge vor diesem Ausschuss saß. S. habe gewusst, dass er, J., nun auch als Zeuge vor den Ausschuss geladen worden sei. Woher habe der das gewusst? Antwort: Vom LKA. Hat die Polizei eine bevorstehende Zeugenvernehmung in die rechte Szene lanciert? Wenn ja, woher hat sie die Information, welcher Zeuge geladen werden soll? Doch damit nicht genug. Steffen J. erklärte weiter, dass noch vor seinem Auftritt im Landtag das LKA mit ihm eine eigene Vernehmung terminierte. Überraschung im Saal. Worum ging es bei dieser LKA-Vernehmung? Antwort: Um das Szenemitglied Jug P. Der Rechtsextremist P. aus Baden-Württemberg gehört zu den Kontaktpersonen nach Chemnitz und Jena. Laut BKA soll er in Waffengeschäfte involviert gewesen sein. Steffen J. hatte ihn nach eigenen Angaben im Januar und im April 2017 in Ludwigsburg getroffen. Doch woher wusste das LKA von diesem Kontakt? Sollte sich die Geschichte bestätigen, hätte das LKA auf Zeugen, die der Ausschuss vernehmen will, direkt Einfluss genommen. Einerseits durch die Streuung von Informationen über Ladungen und andererseits durch vorherige eigene Vernehmungen. Das wirft eine Vielzahl von Fragen auf und macht möglicherweise eine eigene Vernehmung der LKA-Verantwortlichen im Ausschuss nötig. Was steht in der Vernehmung mit Steffen J.? Was will das LKA von Jug P.? Wurde Hans-Joachim S. tatsächlich informiert? Und wenn ja, warum? Hat das LKA noch bei weiteren Zeugen ähnlich gehandelt? Zum Beispiel im Falle von Corinna Brunsch? Am 30. Januar 2017 hatte der Ausschuss beschlossen, sie als Zeugin zu laden. Sie war einst ebenfalls in der rechtsextremen Szene von Ludwigsburg aktiv und kannte Mundlos und Zschäpe persönlich. Drei Tage nach dem Ladungsbeschluss verstarb Corinna Brunsch am 2. Februar 2017 plötzlich. Sie war zwar in einer schlechten gesundheitlichen Verfassung, aber erst 46 Jahre alt. Wurde sie sowie die Szene ebenfalls vorfristig durch das LKA „gewarnt“?  Und auch folgende Frage stellt sich nun: Woher hat das LKA die Information über die Ladung von Zeugen durch den Ausschuss? Etwa durch die Vertreter des Innenministeriums, die auch an internen Beratungssitzungen des Ausschusses teilnehmen dürfen? Damit holt den Ausschuss möglicherweise ein Problem ein, das er schon in seiner ersten Arbeitszeit im Jahre 2015 hatte: Damals flossen über die Ministerialen vertrauliche Informationen aus dem UA an das Innenministerium und dann an LKA oder den Generalbundesanwalt ab. Als das bekannt wurde, beschloss der Ausschuss kurzeitig, die Vertreter des Innen- und des Justizministeriums aus seinen internen Sitzungen zu verbannen. Bei der zweiten Auflage des Ausschusses wurde das wieder rückgängig gemacht. Heute dürfen die Funktionäre wieder wie selbstverständlich an den nicht-öffentlichen Beratungssitzungen des Gremiums teilnehmen. Und das, obwohl das Untersuchungsausschussgesetz (UAG) es anders vorsieht. Mitglieder der Regierung sollten zu internen Sitzungen nur Zutritt haben, wenn der Ausschuss das beschließt. (§ 10 UAG). Der Ausschuss hat diese Reihenfolge einfach umgedreht: Er erteilte den Regierungsvertretern eine Art Blanko-Erlaubnis zur Teilnahme. Wenn sie nicht dabei sein dürfen, ist ein gesonderten Beschluss nötig. Der mögliche Verrat von Zeugenladungen aus den eigenen Reihen – das wäre also ein selbstverschuldetes Problem des Ausschusses. Dass Zeugenladungen in der Szene kursierten, stieß bei einigen Mitglieder auf Kritik (Weirauch, Drexler: „Das geht überhaupt nicht!“, Filius: „Kann nicht hingenommen werden.“), es hieß aber auch, man wolle zunächst beim LKA ergründen, was da vorgefallen sei. Eine Stellungnahme wollte das LKA gegenüber Telepolis nicht abgeben – aus prinzipiellen Gründen und „aus Respekt vor dem Untersuchungsausschuss“, so ein Sprecher. Verweigerte Ermittlungen durch die Bundesanwaltschaft, ein falscher Zeuge des BKA, Beeinflussungen seitens des LKA – dass obendrein ein Zeuge nicht erschien, komplettiert die Sabotage dieses U-Ausschusses. Markus Mike F. zählte zur Chemnitzer und Jenaer Neonazi-Szene, zog Anfang der 90er Jahre nach Baden-Württemberg und war einer der wichtigsten Verbindungsleute zwischen der ost- und westdeutschen Szene. Er hatte auch Kontakte nach Heilbronn. Schon gegenüber der zahnlosen, weil mit wenig Kompetenz ausgestatteten Ermittlungsgruppe (EG) Umfeld des LKA, hatte F. 2013 die Aussage verweigert, ohne dass er dafür belangt werden konnte. Jetzt hatte ihn der Ausschuss geladen. Er blieb ihm unentschuldigt fern. Andererseits lieferte die Sitzung weitere Details der engen Verflechtung zwischen Neonazis aus Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen. So erfuhr man, dass der Anführer des Netzwerkes Blood and Honour von Sachsen, Jan B. Werner, der unter anderem an der Waffenbeschaffung für das Trio beteiligt gewesen sein soll, bei der NPD-Funktionärin Heike Simone W. zu Besuch war.Auch gegen Werner läuft ein Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft. Das Besondere: Die NPD-Frau wohnte in Oberstenfeld, knapp 20 km südöstlich von Heilbronn, jenem Ort, wo ein halbe Stunde nach dem Polizistenmord, das mutmaßlich von Uwe Böhnhardt angemietete Wohnmobil von der Polizei registriert wurde. Bei der Ringfahndung wurden lediglich Auto-Kennzeichen aufgeschrieben, aber keine Fahrzeuge kontrolliert. In oder bei Oberstenfeld wohnten noch mehr Szenemitglieder: Der frühere NPD-Funktionär Jörg H. sowie Andreas Graupner, ebenfalls aus Chemnitz nach BaWü umgesiedelter Rechtsextremist, der zum NSU-Umfeld zählte. Sind Böhnhardt und Mundlos nach der Tat in Oberstenfeld untergeschlüpft? Die Zeugen verneinten das für sich. Und Hinweise auf ein Unterkommen in dem Ort wollen die Ermittler nicht haben. Fuhr das Duo die Fluchtstrecke über Oberstenfeld, weil sie sie kannte? Oder saßen die beiden etwa gar nicht am Steuer des Fahrzeuges und andere Personen, Täter oder Helfer des Mordanschlages, suchten in Oberstenfeld Schutz? Jedenfalls: Ob und wenn ja, wie die rechtsextreme Szene mit dem Polizistenmord zusammenhängt, bleibt bisher ein Rätsel. Wer aber andere Täter als die beiden Uwes ausschließt, wie es der Ausschuss in Einklang mit der BAW tut, wird dieses Rätsel – mutmaßlich – nicht lösen. Vielleicht ist das fortgesetzte Scheitern dieses Ausschusses auch der Hintergrund einer aktuellen Personalie. Mit Matthias Fahrner verlässt innerhalb weniger Monate nach Simon L. der zweite wichtige Berater das Ausschussbüro. Fahrner war seit fünf Jahren intensiv mit dem NSU-Skandal befasst, zunächst als Vertreter des Landes Baden-Württemberg beim ersten U-Ausschuss des Bundestages, danach als rechte Hand des UA-Vorsitzenden Drexler in Stuttgart. Er will nun mit NSU nichts mehr zu tun haben. Man könnte darin eine Absetzbewegung erkennen, wenn nicht zugleich ein spektakulärer Zugang zu verzeichnen wäre: Mit Rudolf K. heuert bei der AfD-Fraktion ein Mann an, der vor kurzem selber noch als Zeuge vor diesem Ausschuss saß. K. war einmal Mitarbeiter des US-Militärgeheimdienstes MI (Military Intelligence) in Hanau. Nach Aufdeckung des NSU meldete er sich bei der Polizei und gab an, er habe am Tag nach dem Polizistenmord ein Gespräch zweier US-Beamten mit angehört, die sich über eine missglückte US-Operation am Vortag in Heilbronn unterhalten hätten. In Heilbronn sei der Terrorist und Geheimdienstinformant Mevlüt Kar observiert worden. Vor dem Ausschuss in Stuttgart wiederholte K. diese Version allerdings nicht. Er äußerte sich allgemein und unbestimmt, die zwei GIs hätten nur über den Anschlag geredet. Nach seinem Zeugenauftritt soll ihn die AfD, die bisher gleichsam nicht durch besonders investigative Fragen aufgefallen ist, auf eine Mitarbeit angesprochen haben. Er nahm das Angebot an, erklärt aber, dass die AfD für ihn politisch „ganz weit weg“ sei. Die Identität dieses neuen AfD-Mitarbeiters enthüllte während der öffentlichen Presserunde nach der Sitzung kein anderer als der Ausschussvorsitzende selber. (Telepolis/Thomas Moser 23.6.2017)


Verdacht auf Falschaussage. Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Ex-Verfassungsschützer Temme:

„Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt gegen Ex-Verfassungsschützer Andreas Temme wegen des Verdachts auf Falschaussage. Das hat ein Sprecher der Behörde auf Anfrage von hr-iNFO bestätigt. Anlass der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Berlin ist eine Strafanzeige gegen Temme, die die Links-Fraktion im Hessischen Landtag vor drei Monaten in Kassel stellte. Die Linke wirft Temme vor, vor dem Bundestags-Untersuchungsausschuss zur NSU-Affäre vor fünf Jahren gelogen zu haben. Temme behauptete damals, die Morde der Terrorzelle NSU seien dienstlich nie ein Thema gewesen. Die Linke sieht das aber durch Dokumente widerlegt, die dem NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags vorliegen. Demnach fragte Temmes Vorgesetzte ihre Mitarbeiter per Mail, was diese über die Mordserie wüssten. Temme habe einen Ausdruck dieser Mail abgezeichnet, er sei also dienstlich sehr wohl mit den Morden konfrontiert worden, schlussfolgert die Linke. Der Mordserie, die seit 2011 der Terrorzelle NSU zugerechnet wird, fiel im April 2006 auch der Kasseler Internetcafé-Betreiber Halit Yozgat zum Opfer. Zur Tatzeit oder kurz davor hielt sich auch der damalige Verfassungsschutzmitarbeiter Temme im Internetcafé auf. Die Ermittler verdächtigten ihn daraufhin, etwas mit der Tat zu tun zu haben. Der Verdacht hat sich aber nicht erhärtet. Temme bestreitet bis heute, von der Tat etwas mitbekommen zu haben. Die Staatsanwaltschaft Berlin hat nun die Ermittlungen aus Kassel übernommen, weil Temme die mögliche Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss in Berlin abgegeben hat. Es gelte das Tatortprinzip, so ein Sprecher der Berliner Behörde. Am kommenden Montag beschäftigen die NSU-Morde auch wieder hessische Landespolitik. Ministerpräsident Bouffier wird vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags aussagen. Bouffier war 2006, zur Zeit des Mordes an Halit Yozgat, als hessischer Innenminister auch für den Landesverfassungsschutz zuständig. Mit einer Sperr-Erklärung verhindert Bouffier damals, dass die Polizei die von Temme geführten V-Leute vernehmen konnte. Mehrere Fraktionen wollen von Bouffier wissen, warum er die Ermittlungsarbeit damals in dieser Weise beschränkte. (hessenschau.de 23.6.2017)


Der Abschlussbericht des NSU-Ausschusses ist „mehr als ernüchternd“. Die Abgeordneten beanstanden das Versagen der Sicherheitsbehörden bei der Suche nach Mittätern. Sie sehen das V-Leute-System als gescheitert an:

„Zehn Morde, drei Anschläge, 15 Raubüberfälle. Für die schlimmste rechtsterroristische Mordserie steht bis heute Beate Zschäpe vor Gericht. Der Bundestag hat nun Bilanz gezogen und seinen zweiten Bericht zu den Terrortaten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) vorgelegt. Die Kritik an den Sicherheitsbehörden ist darin deutlich – und kommt von allen Fraktionen. Nachdem der Untersuchungsausschuss des Parlaments zum NSU seit Dezember 2015 getagt hat (es war bereits der zweite), wollen die Abgeordneten nun am Donnerstag ihren Abschlussbericht verabschieden. Der taz lag der weit über 1.000 Seite umfassende Report vorab vor. Hier in Auszügen die wichtigsten Kritikpunkte: Bis heute sieht die Bundesanwaltschaft den NSU als Trio: Beate Zschäpe, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt. Der Ausschuss sieht das anders: Es ließen sich „zahlreiche unmittelbare und mittelbare Kennbeziehungen der Terrorgruppe NSU in die lokalen, regionalen und überregionalen Neonaziszenen nachweisen“. So erschossen die Terroristen in Dortmund den Kioskbetreiber Mehmet Kubașik in der Mallinckrodtstraße. Das war wenige Meter von einer damals bei Neonazis beliebten Gaststätte entfernt, dem Deutschen Hof. Auch in der Straße wohnte Siegfried „SS-Siggi“ Borchert, eine führende Szenegröße. Und gleich mehrere Dortmunder Neonazis pflegten Kontakte nach Thüringen oder zum militanten Blood-&-Honour-Netzwerk, das den NSU unterstützte – einer von ihnen hielt mit Zschä­pe noch in Haft Briefkontakt. Bemerkenswert auch der Fall der Sächsin Mandy Struck. Dem NSU-Trio vermittelte sie die erste Wohnung nach dem Untertauchen, Zschäpe lieh sie ihre Personalien. Dennoch konnte sich Struck den Ermittlern als unbedeutend präsentieren. Der NSU-Ausschuss gewann ein anderes Bild: Eine „Macherin“ sei Struck gewesen, wiederholt an Neonazi-Aktionen beteiligt und mit Szeneangehörigen liiert. Sie stehe für Helfer, die Ermittler „intensiver in den Fokus nehmen“ hätten müssen. Eine „strukturelle Aufhellung des breiteren Unterstützernetzwerks ist nicht erfolgt“, lautet das bittere Fazit aller Fraktionen. Dabei sei „deutlich ersichtlich, welche Protagonisten und Netzwerke an deren einzelnen Tat- und Aufenthaltsorten Kontakt zu Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe hatten“. Die Folge: Bis heute dürften NSU-Helfer unbehelligt herumlaufen. Der Ausschussvorsitzende Clemens Binninger (CDU) sagte am Mittwoch bei einer persönlichen Bilanz im Bundestag: „Unsere Zweifel, dass der NSU nur ein Trio war, sind nicht kleiner geworden.“ Die DNA-Spuren: An keinem einzigen der 27 NSU-Tatorte wurden DNA-Spuren von Böhnhardt, Mundlos oder Zschä­pe gefunden. Dafür gibt es etwa vom Tatort in Heilbronn, wo der NSU 2007 die Polizistin Michéle Kiesewetter erschoss, bis heute sechs ungeklärte DNA-Funde. Die Ermittlungen dazu wurden 2011 abgebrochen – „bedauerlich“, wie der Ausschuss findet. Von den mehr als 100 bekannten Kontaktpersonen des NSU gebe nur von 31 DNA-Muster. Auch sei der vorletzte Unterschlupf des Trios, eine über Jahre genutzte Wohnung in der Zwickauer Polenzstraße, nie auf Spuren untersucht worden. Der Bericht kritisiert: Es sei „zu bedauern, dass im Rahmen der Ermittlungen nicht auf eine konsequente und umfassende DNA-Erhebung Wert gelegt“ wurde. Erstaunlich sei dies auch, da die NSU-Opferangehörigen durchaus um freiwillige DNA-Abgaben gebeten wurden. Die Funkzellendaten: Am 15. Juni 2005 wurde Theodoros Boulgarides in München vom NSU erschossen. Am Tatnachmittag konnte ein Anruf auf ein Handy von Böhnhardt oder Mundlos ermittelt werden, abgegeben von einer Telefonzelle in der Nähe des Trio-Unterschlupfs in Zwickau. War es Zschäpe? Die Ermittler wissen es nicht. Der Ausschuss kritisiert: Viel zu sporadisch seien Funkzellendaten überprüft worden. Dabei seien in den Ermittlungen etwa 82 Rufnummern aufgetaucht, die gleich an drei NSU-Tatorten in Funkzellen eingebucht waren. Dem nachzugehen, hätte „umfassender erfolgen können und müssen“. Die V-Leute: „Primus“ nannte der Bundesverfassungsschutz seinen Zwickauer V-Mann Ralf Marschner. Von 1992 bis 2002 berichtete der Rechtsrockmusiker, zehnfach verurteilt, dem Amt aus der Szene. Der NSU-Ausschuss erklärt, Marschner hätte „aufgrund seiner kriminellen Vita weder als V-Mann angeworben noch zehn Jahre lang durch denselben V-Mann-Führer geführt werden dürfen“. Ein Zeuge berichtete im Ausschuss, Marschner habe Mundlos in seiner Baufirma beschäftigt, ein anderer will Zschäpe in dessen Modeladen gesehen haben. Beide Zeugen seien „glaubwürdig“, heißt es in dem Bericht. Der ehemalige Spitzel indes bestreitet, das Trio jemals gekannt zu haben. Für den Ausschuss ist das „lebens- und realitätsfremd“. Harsch fällt auch das Urteil über den V-Mann Thomas „Corelli“ Richter aus. Sechzehn Jahre hatte der bestens vernetzte Neonazi dem Verfassungsschutz zugearbeitet. Ein viel zu enges Verhältnis habe es hier zu seinem V-Mann-Führer gegeben, der sich selbst einmal als „Sozialarbeiter“ beschrieb und seinen Spitzel als „Demokraten“. Dass der Verfassungsschutz eine DVD mit der Titeldatei „NSU/NSDAP“, die ihm „Corelli“ übergab, nicht auswertete, sei ein „schwerwiegender Fehler“ gewesen. Denn zuvor war in einem Neonazi-Heft bereits einem „NSU“ gedankt worden. Spätestens jetzt also hätte man „vertiefte Nachforschungen“ anstellen müssen, wer hinter dem Kürzel steckt. Für den Ausschluss ist bis heute „nicht ausgeschlossen“, dass „Corelli“doch Kenntnisse über das Trio hatte. Bei seinem plötzlichen Tod wegen eines diabetischen Komas sehen die Parlamentarier indes keine Fremdeinwirkung. Ihr Urteil aber ist klar: „Höchst problematisch“ sei der V-Leute-Einsatz in der Zeit der NSU-Taten verlaufen. Immer wieder seien „sehr junge, vorbestrafte, ökonomisch von den Zahlungen des BfV abhängige Führungsaktivisten“ verpflichtet worden. Viele hätten die Szene weiter gestützt. So habe „Corelli“ zahlreiche rechte Onlineseiten betrieben – und sich vom Geheimdienst seine Technik finanzieren lassen. Damit, so kritisiert der Ausschuss, habe sich die Szene „jahrelang vernetzen und Aktivitäten planen können“. Ihre gemeinsame Forderung: V-Mann-Führer müssten künftig rotieren oder im Sinne eines „Vier-Augen-Prinzips“ enger mit ihren Stellvertretern zusammenarbeiten. Linke und Grüne fordern in ihren Sondervoten zum Bericht mehr: V-Leute im rechtsextremen Bereich müssten generell abgeschafft werden. Der Verfassungsschutz: Auch der Geheimdienst kommt insgesamt nicht gut weg. Just am 11. November 2011, dem Tag des öffentlichen Bekanntwerdens der NSU, ließ im Bundesverfassungsschutz der Referatsleiter Lothar Lingen die Akten von sieben Thüringer V-Leuten schreddern. Warum? Er habe „endlose Prüfaufträge“ vermeiden wollen, offenbarte Lingen 2014 der Bundesanwaltschaft. Und: Er habe gehofft, dass dann „die Frage, warum das BfV von nichts gewusst hat, vielleicht gar nicht auftaucht“. Für den Ausschuss ist damit erwiesen, dass Lingen die Existenz der V-Leute „verschweigen“ wollte. Insgesamt habe der Verfassungsschutz im NSU-Komplex „mangelnde Analysefähigkeit“ bewiesen, auch „erhebliche Defizite in der Dienst- und Fachaufsicht“. Die SPD sieht die Reformen deshalb „lange noch nicht beendet“. Die Linke will den Verfassungsschutz abschaffen, die Grünen ihn auflösen und neu gründen: nur zur Gefahren- und Spionageabwehr. Die Ermittler: Die federführende Bundesanwaltschaft habe lange den Eindruck einer „Vorfestlegung auf einer Täterschaft ausschließlich von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe“ vermittelt. Ihre Antworten auf die Frage nach Mittätern und Helfern seien „mehr als ernüchternd“. Ausschusschef Binninger bekräftigte am Mittwoch: „Das war sehr absolut auf die Trio-These festgelegt.“ Dabei gebe es starke Hinweise auf das Gegenteil. So hätten Zeugen nach dem Mord an der Polizistin Kiesewetter von bis zu sechs Tätern, teils blutverschmiert, berichtet. Die Aussagen seien „von solcher Qualität“, dass sie nicht „weggewischt“ werden könnten, resümieren die Abgeordneten. Es wäre eigentlich „alles daran zu setzen gewesen, solche Personen zu ermitteln“. Dazu kommen auch handwerkliche Fehler. Gerade zu Anfang sei die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden „von Dilettantismus, mangelnder Kooperationsbereitschaft und der Missachtung einfachster Standards geprägt“ gewesen. Über Zeugen und abgehörte Gespräche hätte man den Aufenthaltsort des untergetauchten Trios durchaus ermitteln können. Später seien die Länderpolizeien zu wenig in die Ermittlungen des BKA eingebunden gewesen, Ermittler hätten zu häufig gewechselt. Bilder von Videoüberwachungen seien teils „nur oberflächlich“ ausgewertet worden. Der Verfassungsschützer Andreas Temme, der am NSU-Tatort in Kassel war, sei erst nur befragt, nicht aber seine Wohnung durchsucht worden („ein schwerer und nicht reparabler Fehler“). Und ein V-Mann, der unter Verdacht stand, bei dem NSU-Anschlag in Köln 2001, den Sprengsatz im Geschäft deponiert zu haben, wurde bis heute nicht einmal befragt. Der Ausschuss fordert deshalb für künftige BKA-Großermittlungen „mehr Kontinuität, Effizienz und eine Minimierung von Wissensverlust“.“ (taz 22.6.2017)


NSU-Ausschuss im Clinch mit Generalbundesanwalt:

“ Welche Bedeutung haben Funkzellentreffer im Tatzeitraum des Polizistenmords am 25. April 2007 im Bereich der Heilbronner Theresienwiese? Dieses Thema kocht nun wieder auf, nachdem unter anderem die SÜDWEST PRESSE berichtet hatte, dass damals auch zwei Rufnummern von Personen mit Verbindungen in die islamistische Szene in den Funkzellen eingeloggt waren. Durch Recherchen dieser Zeitung wurde zudem bekannt, dass die Treffer den Ermittlern bereits 2009 bekannt waren, die Leitung der Soko „Parkplatz“ aber eine Beamtin ausgebremst hatte, diese weiter zu untersuchen. Dem ersten NSU-Untersuchungsausschuss wurden die Daten laut Ausschussvorsitzendem Wolfgang Drexler (SPD) am 18. Dezember 2015 bereitgestellt, also unmittelbar vor Ende der Beweisaufnahme. Nun aber machen Drexler und die anderen Obleute ein Jahr nach Einsetzung des zweiten Ausschusses Druck, dass die Treffer doch noch ausgewertet werden. Allerdings will der Generalbundesanwalt (GBA) nicht so recht mitwirken. „Er ist der Meinung, das muss man nicht machen“, so Drexler. Der GBA gehe davon aus, dass nur Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt vom Nationalsozialistischen Untergrund die Tat begangen haben können. „Für den Untersuchungsausschuss ist das nicht nachvollziehbar“, so Drexler am Montag. Es müsse geklärt werden, welche Rolle die beiden Personen hinter den Nummern in den beiden Islamisten-Verfahren gespielt haben. Außerdem sei es wichtig zu prüfen, ob die Heilbronner Mörder von anderen Rechtsex­tremen unterstützt worden seien. Das Gremium glaube nicht an die Zwei-Täter-Theorie, bei der Mundlos und Böhnhardt zufällig aus Ostdeutschland nach Heilbronn gefahren sind, dann auf der Theresienwiese auf die beiden Polizisten Michèle Kiesewetter und Martin A. gestoßen seien und spontan entschieden hätten, sie wegen der Waffen anzugreifen. Kiesewetter starb, A. überlebte schwerverletzt. Das Gremium sei überzeugt, dass die Täter Helfer hatten. Daher sei es wichtig, die gesicherten und noch vorhan­denen Funkzellendaten auf bekannte Rufnummern von örtlichen Neonazis zu prüfen. Der Ausschuss wolle sich nun erneut mit einem Brief an den Generalbundesanwalt wenden. Außerdem sollen die beiden Beamten geladen werden, die mit den Funkzellendaten betraut waren. Zudem soll bei der Bundesnetzagentur geprüft werden, ob zu den Kreuztreffern Personendaten vorhanden sind. „Wir lassen da auch nicht locker“, so Drexler weiter. „Vielleicht muss man dann auch zum Schluss den zuständigen Bundesanwalt als Zeuge laden.“ Möglich sei auch, dass der Heilbronner Staatsanwalt Christoph Meyer-Manoras erneut aussagen muss. Er hatte im Jahr 2015 erklärt, es habe beim Mord keine Hinweise auf Islamisten gegeben. (Südwest Presse 20.6.2017)


Der hessische Verfassungsschutz war schon 1996 nah dran am späteren NSU. Ein Spitzel lieferte Fotos von Beate Zschäpe. Aber was passierte damit?

„Chemnitz, 14. September 1996. In einem düsteren Saal hängen Hakenkreuz-Fahnen an der Wand, betrunkene Skinheads liegen sich in den Armen, auf der Bühne Neonazi-Bands – hinter ihnen das Banner des damals noch nicht verbotenen Neonazi-Netzwerks „Blood and Honour“. Mit dabei: Beate Zschäpe – und ein bisher unbekannter Spitzel des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV). Der V-Mann berichtete später dem Inlandsgeheimdienst von dem Konzert und lieferte Fotos ab. Zschäpe, die im Hintergrund einer Aufnahme deutlich zu sehen ist, will er nicht kennen, so notieren es hessische Beamte damals. In der Behörde lagerte die Sammlung, die der Frankfurter Rundschau und Frontal 21 vorliegt, wohl jahrelang in einem Aktenschrank. Die Bilder hätten vielleicht dazu beitragen können, das kaum eineinhalb Jahre später von der Polizei zur Fahndung ausgeschriebene NSU-Kerntrio zu stellen. Denn auch einer der Helfer der ersten Stunde ist darauf neben Zschäpe zu sehen: Thomas S. Der Blood-and-Honour-Mann aus Chemnitz war später selbst ein Zuträger der Polizei. Als die drei Neonazis Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Januar 1998 abtauchen, fahren sie von Jena just in die sächsische Stadt, in der der hessische Spitzel Zschäpe bei dem Konzert fotografiert hatte. (…) Das Landesamt für Verfassungsschutz lieferte die Bilder aus den 90er Jahren schließlich 2012 an die dann zuständigen Bundesbehörden und nach Sachsen, sagte die damalige Abteilungsleiterin Rechtsextremismus, Iris Pilling, vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags aus. Da hatte sich der NSU schon selbst enttarnt, im Kölner Sitz des Bundesamtes für Verfassungsschutz wurden Akten geschreddert und immer dringlicher stellte sich die Frage: Was wussten die Behörden über die Gesuchten und ihr Netzwerk? Der damalige hessische Innenminister Boris Rhein (CDU) wies das LfV deshalb an, nochmals alle Akten zu durchforsten. Das Ergebnis: „Keine Hessenbezüge zum NSU-Trio“. So fasste es Rhein als Zeuge vor dem NSU-Ausschuss in Wiesbaden zusammen. Der Abschlussbericht des LfV selbst ist bis heute für die Öffentlichkeit geheim. Ob die Bildersammlung schon in den 90er Jahren auch Polizei und anderen Bundesländern zur Verfügung gestellt wurde, will der hessische Verfassungsschutz auf Anfrage nicht sagen – aus Achtung vor dem Prozess in München sowie dem laufenden NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags, heißt es aus der Behörde. Die möglichen Verbindungen des NSU in das Bundesland sind deswegen von großer Bedeutungen, weil noch immer völlig unklar ist, wieso die Neonazis am 6. April 2006 ausgerechnet den damals 21-jährigen Halit Yozgat in seinem Internetcafé in Kassel ermordeten. Wie kamen die Täter ausgerechnet auf die nordhessische Stadt? Wie auf den Laden von Yozgat? Hatten sie ortskundige Helfer? Für keine der zehn Mordopfer ist diese Frage bisher geklärt. Der zweite NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags hatte sich zum Ziel gesetzt, mehr über das Netzwerk des NSU ans Licht zu bringen. Die Fotos aus Hessen bekamen die Abgeordneten allerdings erst auf Nachfrage im März 2017 zu sehen – da hatten sie schon damit begonnen, am Abschlussbericht zu arbeiten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte sie zuvor nicht an das Gremium weitergegeben. Ob der damalige Spitzel heute etwas sagen könnte zu den Kontakten seiner Kameraden nach Sachsen und Thüringen? Die Öffentlichkeit und die Abgeordneten in den Ausschüssen werden es wohl nicht erfahren. Es lasse sich nicht mehr rekonstruieren, wer die Person sei, sagte Pilling als Zeugin im Parlament aus. Auch dazu, ob das inzwischen gelungen ist, will sich ihre Behörde auf Nachfrage nicht äußern. Im NSU-Komplex ist der hessische Verfassungsschutz immer wieder besonders im Fokus. Das liegt vor allem am früheren Mitarbeiter Andreas Temme, der am Tatort des NSU-Mordes in Kassel war. Er meldete sich damals nicht als Zeuge, geriet zeitweilig unter Verdacht und sagte stets aus, nur privat und rein zufällig im Internetcafé gewesen zu sein. Von der Tat habe er nichts mitbekommen und er habe sich auch zuvor dienstlich nicht mit der Mordserie befasst, die heute dem NSU zugerechnet wird. Daran gibt es Zweifel, denn Temme zeichnete Mitte März 2006 eine ausgedruckte E-Mail seiner Vorgesetzten ab, in der sie darum bat, V-Leute auf die Taten anzusprechen. Als die Polizei nach dem Mord im April 2006 Temme noch als Verdächtigten im Visier hatte, wollten die Ermittler auch seine V-Leute befragen. Das untersagte schließlich der damalige hessische Innenminister und heutige Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU). Dies hätte die Sicherheit des Landes Hessens gefährdet, hieß es in der Begründung damals. Seine Entscheidung, den Schutz der Geheimdienst-Quellen vor einer möglichen Enttarnung höher als die laufende Mordermittlung zu gewichten, ist nicht nur im hessischen Untersuchungsausschuss heftig umstritten. Bouffier soll sich Ende Juni dort als Zeuge dazu äußern. Nach Bekanntwerden des NSU hatte es stets geheißen, Temme habe zu jener Zeit nur den Neonazi Benjamin Gärtner als V-Mann in der rechten Szene geführt. Wie die FR berichtete, hatte er aber zumindest vertretungsweise Kontakt zu zwei weiteren Spitzeln aus diesem Umfeld, wenn ein Vorgesetzter verhindert war. Nach Recherchen von Frontal 21 und Frankfurter Rundschau traf Temme wenige Tage nach dem Mord in Kassel einen V-Mann, der über die NPD berichtete, in dem Kasseler „Café am Freibad“. Wer hinter dem Decknamen VM 340 steckt, ist bis heute nicht öffentlich bekannt, genau wie bei dem Spitzel, der die Bilder lieferte. Anders als Gärtner konnten beide nach dem Auffliegen des NSU von der Polizei nicht verhört werden.“ (FR 20.6.2017)


„Blood and Honour“-Chef arbeitete offenbar wesentlich früher mit dem Verfassungsschutz zusammen:

„Nach der Enttarnung des ehemaligen Deutschlandchefs der verbotenen Neonaziorganisation „Blood and Honour“ als V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz weisen neuere Recherchen der ARD-Magazine FAKT und REPORT MAINZ darauf hin, dass der Anwerbevorgang von Stephan L. offenbar bereits im Jahre 1997 begonnen hat und damit wesentlich früher als bisher bekannt. Das bestätigen mehrere mit dem Vorgang vertraute Personen den ARD-Politmagazinen.
Von 1997 bis 2000 war Stephan L. als Deutschlandchef maßgeblich am Aufbau und der Steuerung bundesweiter Strukturen von „Blood and Honour“ beteiligt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte in geheimer Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums angegeben, mit „NIAS“ sei von 2002 bis 2010 zusammen gearbeitet worden.

‚Wenn es tatsächlich zutreffend ist, dass Stephan L. schon ab 1997 an das Bundesamt für Verfassungsschutz gemeldet hat, dann ist sehr wahrscheinlich, dass er auch über Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt berichtet hat. Man muss davon ausgehen, dass er die ab 1997 gekannt hat. Er hatte ganz enge Kontakte in dieser Zeit zur sächsischen Sektion von Blood and Honour. (Antonia von der Behrens, Anwältin der Nebenklage im NSU-Prozess)

Bis heute war lediglich bekannt, dass der V-Mann den Decknamen „NIAS“ trug und von 2002 bis 2010 für das BfV tätig gewesen sein soll. Seine Aufgabe sei es gewesen, das 2001 wirksam gewordene Verbot von „Blood and Honour“ zu überwachen. Laut Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz in geheimer Sitzung habe „NIAS“ keine Informationen zum NSU geliefert, seine Berichte seien aber ergiebig und relevant gewesen. Als Deutschlandchef war Stephan L. unter anderem am Aufbau der „Blood and Honour“ Sektion in Sachsen beteiligt. Er setzte seinen Freund Jan W. persönlich als Chef der Sektion ein. Jan W. wiederum war zu jener Zeit einer der wichtigsten Unterstützer des untergetauchten Trios. Er half ihnen bei der Beschaffung von Geld, Wohnungen und Ausweisen. Die persönlichen Kontakte zwischen dem V-Mann „NIAS“ und Jan W. waren in dieser Zeit eng. Recherchen von FAKT und REPORT MAINZ ergeben zudem, dass der V-Mann dem BfV über Gespräche mit dem Sektionschef von „Blood and Honour“ Sachsen, Jan W., berichtet hat.

‚Dass es bei Blood and Honour einen sehr hochrangigen V-Mann gegeben hat, bestätigt eigentlich nur das Bild, das wir schon über all die Jahre bekommen haben, nämlich das Bild, dass der Verfassungsschutz ganz nah am untergetauchten NSU-Kerntrio offenbar V-Leute hatte.‘ (Uli Grötsch, SPD Bundestagsabgeordneter und Obmann der SPD im NSU-Untersuchungsausschuss)

Stephan L. hat sich in der Zeit vor seiner offiziellen Verpflichtung 2002 als besonders vertrauenswürdige Quelle erwiesen und wurde bei Vertragsabschluss mit dem BfV in die hohe Gruppe „C“ eingestuft.

Martina Renner, Mitglied für die LINKE im Innenausschuss des Bundestages sagte den ARD-Magazinen:

‚Wenn „NIAS“ als C-Quelle seinen Vertrag mit dem BfV unterschrieben hat, dann war er zu dem Zeitpunkt tatsächlich eine wichtige Quelle für das Bundesamt für Verfassungsschutz und hat in der Erprobungsphase eben auch den Nachweis erbracht, dass er entsprechend hoch auch eingruppiert werden kann.‘ (Martina Renner, Mitglied für die LINKE im Innenausschuss des Bundestages)

Das Bundesamt für Verfassungsschutz teilte schriftlich mit, die Fragen betreffen „den operativen Kernbereich der Arbeit des Bundesverfassungsschutzes. Daher kann das BfV keine Auskünfte erteilen, die Rückschlüsse zulassen, ob es eine VP mit einem bestimmten Namen gegeben hat oder nicht. Dies gilt sowohl für den Fall einer Zusammenarbeit des BfV mit einer Person als auch für den Fall einer nicht erfolgten Zusammenarbeit.“ „Blood and Honour“ ist seit dem Jahr 2001 als Organisation in Deutschland verboten. Deutsche Nachrichtendienste gehen inzwischen aber davon aus, dass sich die verbotene Organisation zumindest in Teilen der Bundesrepublik neu aufbaut. (Fakt/ARD 13.6.2017)


Entsprang der NSU einem Thüringen-Sumpf? Untersuchungsausschuss in Erfurt beleuchtet Bezüge von Neonazis zur Organisierten Kriminalität – Parallelen zu Sachsen:

„Wann entstand der NSU, wie kam er zustande, wer zählte alles dazu, was wollte er? Viele Grundfragen der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ sind bis heute ungeklärt. Ungeklärt auch deshalb, weil die Ceska-Mordserie an neun Migranten und der Polizistenmord von Heilbronn so gar nicht zusammenpassen wollen. Fremdenhass als Mordmotiv hier – organisierte Kriminalität da? Wenn ja, wo ist die Verbindung? Identifiziert sind bisher nur Bestandteile der Tätergruppierung: Neonazis, V-Leute, kriminelle Geschäftemacher, Polizisten. Wie sie zusammenhängen, ist aber unklar. Der NSU-Untersuchungsausschuss in Thüringen nimmt sich seit einiger Zeit das Feld OK (Organisierte Kriminalität) vor und versucht, Verbindungen zu Rechtsextremisten, die zum Beispiel im Thüringer Heimatschutz (THS) aktiv waren, zu beleuchten. Dabei sorgt seit zwei Sitzungen eine Geschichte für Aufsehen, die sich vor über 16 Jahren ereignete, aber nun zu neuen Erschütterungen und anhaltenden Schlagwellen führte. Und die möglicherweise zu Hintergründen führt, wie sie aus dem sogenannten „Sachsen-Sumpf“ bekannt sind: illegale Geschäfte, an denen Anleger, Politiker und Amtsträger beteiligt waren, Korruption, kriminelle Machenschaften. Es ist auch ein Stück Nachwendegeschichte – Kämpfe um Verkauf und Aufteilung eines eigentumslosen Landes. Kronzeuge ist ein früherer leitender Kriminalbeamter des Landeskriminalamtes (LKA) namens Andreas G., tätig im Bereich OK, Dienststelle war Weimar. Zu den handelnden Personen gehörte unter anderem der frühere NPD-Funktionär und V-Mann des Verfassungsschutzes Thomas Dienel, ganz früher einmal FDJ-Sekretär und SED-Mitglied. Es gehörte ein Abteilungsleiter des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) dazu, ein ehemaliger Innenminister, ein SPD-Landtagsabgeordneter, ein unbekannter Neonazi und mutmaßlicher V-Mann aus Jena – sowie der höhere Polizeibeamte Michael Menzel, Finder der Kiesewetter-Pistole im ausgebrannten Wohnmobil in Eisenach, in dem auch die toten Böhnhardt und Mundlos lagen. Er leitete im November 2011 die Ermittlungen um die Toten von Eisenach. Heute ist Menzel Kriminaldirektor und im Thüringer Innenministerium tätig. Vor allem der unbekannte Mann aus Jena und Menzel sind die Links zum NSU. Die Geschichte geht in aller Kürze so: Im Jahre 2000 berichtete der Informant Thomas Dienel dem Kripobeamten Andreas G. und dessen Kollegen M. von einem Geschäftsmann, der ihn beauftragt habe, einen Killer zu finden, der seine Frau umbringen soll. Die Angaben bewahrheiteten sich, der Geschäftsmann wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Im Juni 2001 gab es ein weiteres Gespräch der beiden OK-Fahnder mit Dienel in Weimar. Dabei schilderte er, dass ein ZDF-Journalist im Besitz der Festplatten aus den PCs sei, die 1997 im Innenministerium gestohlen wurden, und dass auf diesen Festplatten Unterlagen zur Telefonüberwachung des LfV gespeichert seien. Er berichtete über Gespräche mit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Heiko Gentzel und Informationen über Telefonüberwachungen, die er von ihm bekommen haben will. Er erwähnte, dass Informationen aus dem LfV über einen Abteilungsleiter des Amtes (Herr H.) an den früheren Innenminister Richard Dewes (SPD) gingen, sogar noch als Dewes nicht mehr Minister, sondern nur noch Abgeordneter war. Dienel sprach über die Enttarnung des V-Mann Tino Brandt im Thüringer Heimatschutz (THS), und er wusste von der bevorstehenden Entlassung des LfV-Vizepräsidenten Peter Jörg Nocken. Nocken wurde wenig später tatsächlich entlassen und ins Innenministerium versetzt. Offensichtlich verfügte Dienel, der zu diesem Zeitpunkt offiziell kein VS-Spitzel mehr gewesen sein soll, nach wie vor über Hintergrundinformationen aus dem Verfassungsschutz. War die angebliche Beendigung seiner Informantentätigkeit vielleicht wiederum nur eine Legende? Schließlich berichtete Dienel den Kripomännern G. und M. noch über Bedrohungen seiner Person durch die rechte Szene in Jena und Erfurt. Allem Anschein nach flossen Informationen, auch über sein Insiderwissen, in die Szene ab. Die Beamten Andreas G. und M. fertigten von den Aussagen Dienels ein dreiseitiges Protokoll. Es trägt das Datum vom 7.6.2001 sowie die Überschrift: „Hinweis zum Verbleib möglichen Diebesgutes, Diebstahl Computer aus dem Thüringer Innenministerium“. Der MDR hat das Protokoll am Donnerstagmorgen (8. Juni 2017) noch vor Beginn der Ausschusssitzung ins Internet gestellt und damit seine Existenz bestätigt. Es galt als verschollen oder wurde als Erfindung bzw. Fälschung hingestellt. Und das wiederum hängt mit Teil zwei der Protokoll-Affäre zusammen. Denn, so der Zeuge und Ex-Kripomann Andreas G. weiter, am folgenden Tag, dem am 8. Juni 2001, exakt vor 16 Jahren, erschien jener Michael Menzel bei ihnen in der Dienststelle und verlangte die Aushändigung des Protokolls sowie die Löschung im Computer. Die Beamten taten wie befohlen – behielten für sich heimlich aber einen Ausdruck des Dokumentes zurück. Die Anordnung Menzels sei „ungewöhnlich“ gewesen, so Andreas G. im Ausschuss, denn „dass wir polizeiliche Unterlagen aus dem System herauslöschen, war undenkbar“. So etwas sei niemals zuvor und niemals danach vorgekommen. Und er ergänzt: „Ich würde es auch nie wieder machen.“ Als Andreas G. im Mai 2017 vor dem Ausschuss aussagte, wurde seine Befragung nach einer Intervention der Vertreter des Innenministeriums unterbrochen und auf die jetzige Sitzung im Juni vertagt. Das Ministerium sollte bis dahin das Dienel-Protokoll besorgen. Nun liegen beide Fassungen vor: eine mit den Unterschriften der beiden Beamten und eine ohne. Die vom MDR veröffentlichte, ist die mit den Unterschriften, die von Menzel eingezogen worden war. Es ist nicht die, die der Ausschuss vorgelegt bekommen hat, nämlich die heimlich ausgedruckte. Offensichtlich muss die Menzel-Fassung noch an einem geheimen Platz im Ministerium lagern, von wo sie an den MDR lanciert wurde. Versteckt gehaltene Dokumente? Gibt es vielleicht einen Giftschrank mit Schriftstücken, die sich eignen, Personen gegebenenfalls unter Druck setzen zu können? In diesem Fall die Sozialdemokraten Gentzel und Dewes? War Dienel gar auf Gentzel angesetzt gewesen? Die erste Aussage von Andreas G. im Mai führte zu Reaktionen. Heiko Gentzel räumte einen „kurzen Kontakt“ zu Thomas Dienel ein, bestritt aber, ihn mit Informationen aus der Parlamentsarbeit versorgt zu haben. Michael Menzel erklärte gegenüber dem MDR, die Aussagen des Kripobeamten G. seien „gelogen“. Er habe „nie die Löschung des Dokuments angeordnet“. Er bestätigte aber, damals bei der Kriminalpolizeistation in Weimar aufgetaucht zu sein. Er habe die Aussagen Dienels geprüft und einen entsprechenden Bericht an die Staatsanwaltschaft Erfurt geschickt. Fraglich ist unter anderem, in welcher Funktion Menzel eigentlich tätig geworden ist. Nach eigenen Angaben im NSU-Ausschuss des Bundestages war er im Juni 2001 Kripochef in Saalfeld. Als solcher dürfte er kaum weisungsbefugt gegenüber Kripobeamten in Weimar gewesen sein. Ins LKA jedoch will Menzel erst im Dezember 2001 gewechselt sein und danach ins Innenministerium. Welchen Auftrag hatte er also im Juni 2001 und von wem? Steht in der Protokollaffäre Dienel-Menzel Aussage gegen Aussage? Andreas G. jedenfalls blieb dem Widerspruch Menzels zum Trotz jetzt bei seiner zweiten Zeugenvernehmung im Ausschuss nicht nur bei seiner Darstellung, sondern bekräftigte sie mit weiteren Details aus der damaligen Zeit. Mit seinem Kollegen M. steht außerdem ein zweiter Zeuge bereit. M. soll damals ins Innenministerium zitiert worden sein, wo ihm die „Marschrichtung“ gezeigt wurde, so G., der sich selber zu jenem Zeitpunkt im Urlaub befand. Die Marschrichtung hieß: „Wir haben Dienels Angaben im Protokoll zu vergessen. Es war nicht erwünscht, dass wir weitermachen.“ Sprich: nicht ermitteln, vor allem zu Politikern, zum Verfassungsschutz und zur rechten Szene. Nach einer Einschätzung gefragt, kommt der Experte für Organisierte Kriminalität auf die „wilden 90er Jahre“ zu sprechen, jenem Nachwendejahrzehnt mit strukturellen Umbrüchen nach dem Ende der DDR. Er spricht von Immobiliengeschäfte jener Jahre „im ganz großen Stil“, bei denen die Politik im Hintergrund „die Fäden gezogen“ habe und von Projekten, die „vom Land gesponsert“ wurden. In Weimar führten sie Ermittlungen, bei denen es um Immobilien im Wert von über 30 Millionen gegangen sei. Es habe „illegale Treffen von Politikern mit Politikern anderer Länder gegeben“. Es sei um Exportgeschäfte nach Russland gegangen. Einmal hätten sie Hinweise bekommen, dass sich ein Landespolitiker in Thüringen mit dem russischen Nationalisten und Duma-Abgeordneten Wladimir Schirinowski getroffen habe. Sie hätten dazu nicht ermittelt, stattdessen aber der BND. Ein politischer und wirtschaftlicher Sumpf, in dem auch gewalttätige, kriminelle Neonazis gediehen und zu tun bekamen. In Jena trieb in den 1990er Jahren eine Bande ihr Unwesen, zu der aus dem späteren NSU-Kerntrio mindestens Uwe Böhnhardt gehörte. Die Anführer, zwei Brüder namens Ehrhardt, waren zugleich Informanten des LKA. Dienel, der Zuträger, soll unter anderem von rechten Aktivisten aus Jena bedroht worden sein. Darunter mindestens ein V-Mann. Den Namen wollte er den Ermittlern nicht nennen, aus Angst. Kurz zuvor, im Mai 2001, war der V-Mann Tino Brandt, zugleich Anführer des rechtsradikalen Thüringer Heimatschutzes, enttarnt worden. Und zwar durch „einen Verräter aus den eigenen Reihen“, wie der damalige Leiter der LfV-Abteilung für V-Mann-Werbung und -Führung, Eckhard Stelzer, jetzt gegenüber dem Ausschuss sagte. „Beschaffung“ nennt der Nachrichtendienst das Anwerben von Spitzeln. Ein ehemaliger Verfassungsschützer bestätigt damit den Verdacht, dass Brandt aus dem Amt heraus verraten worden war. Aber wozu? War das nur Ausdruck von Machtkämpfen in dem Dienst? Oder war der V-Mann vielleicht den Gesuchten, Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe, zu nahe gekommen, und es drohte ihr Auffliegen? Sollten sie also durch Brandts Enttarnung geschützt werden? Neu auch das: Nach der Affäre Brandt habe das LfV, so der damalige Beschaffungschef, sämtliche Quellen abgeschaltet. Alle hätten Angst gehabt selber aufzufliegen. Die Folge sei gewesen, dass der Landesverfassungsschutz fast „ein dreiviertel Jahr lang keine Zugänge“ zur rechten Szene mehr gehabt habe, ehe neue Quellen angeschafft werden konnten. Das sei durch zwei große Anwerbeaktionen namens „Saphira 1“ und „Saphira 2“ unter Federführung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) geschehen. So wie Jahre zuvor durch die Operation „Rennsteig“. Das Trio wurde damals noch mit Haftbefehlen gesucht. Allerdings, und auch das muss stutzig machen, habe seine V-Mann-Abteilung von der Abteilung „Auswertung“ in jenen Jahren „keinen einzigen Auftrag erhalten, nach den Untergetauchten zu forschen“, so Stelzer weiter. Die Auswerter sind die, die im Nachrichtendienst das Sagen haben. Sie erteilen den Beschaffern die konkreten Aufträge – oder eben nicht. Im Dienst gilt der Grundsatz: „Die Auswertung steuert die Beschaffung.“ Und noch eine Kuriosität ergab die Vernehmung des Geheimdienstpensionärs. Nach dem Untertauchen der drei verhandelte das Amt mit den Eltern von Böhnhardt und Mundlos über die Möglichkeit, dass sich die Gesuchten stellen. Der Deal scheiterte. Die Rechnung für die Anwälte der Familien Böhnhardt und Mundlos aber bezahlte der Verfassungsschutz. Er habe diese Rechnung selber in den Unterlagen im Amt gefunden, so Stelzer. Abgeschaltete V-Leute in einer Zeit, als die Terrorgruppe des NSU mit dem Morden und Rauben begonnen hatte? Oder vielleicht Umwidmungen von Mitarbeitern für einen anderen Dienstherren? Denn nach wie vor sind zahlreiche Quellen nicht enttarnt, die für das BfV gearbeitet haben. Anlass zu einer solchen Überlegung gibt ausgerechnet die Figur Thomas Dienel. Auch er soll abgeschaltet worden sein, hinterließ allerdings Spuren, die dem Kriminalisten Andreas G. seltsam vorkamen. Plötzlich sei Dienel im Bereich Suhl aufgetaucht, dann in Sachsen. Wie könne es sein, dass ein V-Mann „quer durch Deutschland reist und nirgends auf einer Liste steht“? Denn auf den einschlägigen Verzeichnissen von Rechtsextremisten in Thüringen sei der Name Thomas Dienel nicht zu finden gewesen. Der seines Bruders Torsten dagegen schon. Welche Listen?, will der Ausschuss wissen, die mit möglichen Unterstützern des NSU? „Genau!“, so Andreas G. Dass die Jahre alte Aussage dieses Neonazis und V-Mannes heute wieder Aktualität hat, ist auf die ungelösten NSU-Ermittlungen und die ungeklärten Hintergründe der Mordserie zurückzuführen. Das Dienel-Protokoll müsse neu bewertet werden, meinte der Zeuge G. Der Fall müsse verfolgt werden. Von dem ganzem Vorgang erfahren hat der Ausschuss übrigens durch einen unbekannten Hinweisgeber.“ (Telepolis/Thomas Moser 10.6.2017)


NSU-Aufklärung und Zensurversuche/Streit um TV-Dokumentation über den ungeklärten Kiesewetter-Mord:

„Er wolle erreichen, dass der Film nicht noch einmal ausgestrahlt wird. Das erklärte der SPD-Landtagsabgeordnete von Baden-Württemberg Wolfgang Drexler gegenüber der Presse. Der Film: Das ist die TV-Dokumentation über den ungeklärten Polizistenmord von Heilbronn von Clemens und Katja Riha, Titel: „Tod einer Polizistin. Das kurze Leben der Michèle Kiesewetter“, ausgestrahlt in der ARD am 24.April. Drexler ist zugleich Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses von Baden-Württemberg. Er taucht in dem Film genauso auf wie der Autor dieser Zeilen. Drexler hat seine Aussage vor Veröffentlichung etwas abgeschwächt und will den Film „in dieser Form“ nicht noch einmal ausgestrahlt haben. In welcher Form lässt er offen. Wie auch immer: Man muss seine Worte als klare Aufforderung zur Zensur verstehen. Zumal er sie so verstanden haben will. Denn der Politiker ist in der Vergangenheit schon einmal so vorgegangen. Aufforderung zur Zensur – schon das müsste ausreichen, seine Eignung für den Vorsitz dieses wichtigen Untersuchungsausschusses grundlegend in Frage zu stellen. Die TV-Dokumentation der Rihas hat in bestimmten Kreisen zu heftigen, ja, panischen Reaktionen geführt – vor allem bei Bundesanwaltschaft, aber auch einigen Medien und Politikern wie Drexler. Der Tabubruch des Filmes besteht darin, die Tat als „ungeklärt“ zu bezeichnen und der Bundesanwaltschaft die Deutungshoheit abzusprechen. Die oberste Ermittlungsbehörde der Bundesrepublik behauptet wider alle begründete Einwände, die Tat sei von den beiden NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos allein verübt worden. An der offiziellen Version darf nicht gerüttelt werden. „Kippt Heilbronn, dann kippt das gesamte NSU-Verfahren“, sagt in der Dokumentation der Kriminologe Thomas Feltes, früher einmal Rektor der Polizei-Fachhochschule von Villingen-Schwenningen und völlig unverdächtig, etwa ein „Verschwörungstheoretiker“ zu sein – abgesehen sowieso von der Inhaltsleere eines derartigen Anwurfs. Kippt ein Fall, kippt der gesamte Komplex – das trifft auf mehrere Tatorte zu, Eisenach, Kassel, Köln etwa, aber auf den von Heilbronn besonders. Wenn man die Migrantenmorde und den Polizistenmord, die nichts gemein zu haben scheinen, zusammen bringt, könnte man auf einen bisher unbekannten Hintergrund dessen stoßen, was der „NSU“ tatsächlich war oder noch ist. Erst vor wenigen Tagen berichteten das ARD-Politikmagazin Report (Mainz) und der Stern über Hinweise auf die Anwesenheit von Islamisten mit Verbindungen zur Sauerland-Gruppe zur Tatzeit am Tatort Theresienwiese in Heilbronn. Sie könnten im Zusammenhang mit einem geplanten Waffendeal gestanden haben. Die Hinweise, die auf Handynummern beruhen, hielt das Bundeskriminalamt bisher gegenüber dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages geheim. Der Ausschuss von Baden-Württemberg hingegen hatte die Unterlagen bereits im Dezember 2015 erhalten. wie jetzt gegenüber der Presse bestätigt wurde. Gearbeitet hat das Gremium mit ihnen allem Anschein nach nicht. Die TV-Dokumentation über den Kiesewetter-Mord scheint einen Nerv getroffen zu haben. Auffällig ist die Aggressivität der Anwürfe. Der Sozialdemokrat Wolfgang Drexler nennt die Dokumentation in einer Presseerklärung, die der Landtag von Baden-Württemberg verbreitete, „grob falsch“, „unsachlich“, „anstößig“, „perfide“. Er schrieb an die Intendanten der ARD, um die „Einhaltung journalistischer Grundsätze“ anzumahnen. Sein Ziel: den Film verbieten. Der MdL Drexler zählte zu der übergroßen Landtagsmehrheit, die sich nach dem Auffliegen des NSU im November 2011 drei Jahre lang mit Händen und Füßen gegen einen Untersuchungsausschuss zum Polizistenmord von Heilbronn stemmte, ehe er nicht mehr verhinderbar war. Seither soll der Parlamentarier aufklären, was er vorher nicht aufklären wollte. Skepsis ist angebracht. Was Drexler angreift, sind konkrete Recherchen, die geeignet sind, die offizielle Version anzutasten. Beispiel: Die Beamtin Michèle Kiesewetter war als „Nicht offen ermittelnde Polizistin“ (NoeP) in die Rauschgiftfahndung involviert. Dabei hat sie Drogen konsumiert. Dafür gibt es mehr als einen Zeugen. Doch Journalisten, die das herausfinden, sind nicht verantwortlich für den Befund. Wer sie aber deshalb diffamiert, will diesen Befund offensichtlich nicht. Ihn zu verschweigen, käme einer Verschleierung gleich. „In unserer intensiven mehrjährigen Aufklärungsarbeit hat sich aber auch gar nichts dafür ergeben, dass Michèle K. Heroinkonsumentin gewesen wäre“, so Ausschussleiter Drexler. Doch das zeugt nur von der oberflächlichen Arbeit dieses Ausschusses. Er könnte sich nun ja um die Zeugen bemühen, die wir Journalisten gefunden haben. Danach sieht es bisher aber nicht aus. Dem Ausschuss ist auch nicht aufgefallen, dass die Sondereinheit der Polizei in Böblingen, zu der Kiesewetter gehörte, den Mordermittlern des Landeskriminalamtes Unterlagen zur NoeP-Tätigkeit Kiesewetters vorenthalten hat. Warum? Ihm ist nicht aufgefallen, dass bei der Obduktion der toten Polizistin die toxikologische Untersuchung, eigentlich Standard, unterblieb. Warum? Wie mutwillig Drexlers Angriffe sind, zeigt seine Formulierung über die im Film „verwendeten Bilder der grausam Ermordeten im Badeanzug“. Zunächst: Es war ein Bikini, den die junge Michèle an hatte. Aber Herr Drexler scheint Probleme mit Frauenrechten zu haben. Er spielt den religiösen Fundi und stört sich an der Bekleidung einer jungen Frau, die sie anzunehmender Weise freiwillig und gerne trug. Schon gar nicht wurde „die grausam Ermordete“ im Badeanzug gezeigt, sondern ein lebendiger Mensch. Die Ermordete war eine Polizistin in Uniform, die im Film unkenntlich gemacht wurde.Drexler will, dass die TV-Dokumentation nicht mehr gezeigt wird. So wie es vor zwei Jahren schon einmal einer anderen 45-Minuten-Dokumentation über den NSU erging, ebenfalls von Clemens und Katja Riha, Titel: „NSU – Kampf um die Wahrheit“. Auch damals kam Drexler in dem Film vor. Nach der Ausstrahlung beschwerte er sich beim Intendanten des ZDF. Kurz danach hat der Sender den Film aus dem Programm genommen. Er wurde nie wieder ausgestrahlt. Und Drexler scheint stolz darauf zu sein. Der Intendant (Thomas Bellut) habe ihm mitgeteilt, schreibt Drexler den Rihas, dass „der Beitrag für weitere Ausstrahlungen und bei „youtube“ gesperrt und aus den Mediatheken herausgenommen wurde“. Nun, auf YouTube ist er freilich zu sehen (z.B. hier). Wie damals wandte sich Drexler auch jetzt mit seiner Kritik nicht etwa an die zuständigen Redaktionen, sondern er ging direkt in der Hierarchie nach ganz oben. Eigentlich könnte man dankbar sein, wenn jemand, der Zensur einfordert, sich dazu bekennt. Dann weiß man, woran man ist und kann Konsequenzen ziehen – oder verlangen. Nicht so hier. Keine sehr ruhmvolle Rolle spielt zum Beispiel der SWR, der die Dokumentation mit produziert hat. Kurz vor Ausstrahlung im Dritten am 26. April um 20.15 Uhr hat sie der Sender selber aus dem Programm genommen und sich davon distanziert. Nachfragende Journalisten und Zuschauer bekamen ungefähr so viele verschiedene Antworten, wie es der Zahl der Fragesteller entsprach. Weil wenige Tage vor Ausstrahlung Berichte über die Entdeckung eines „NSU“-Schriftzuges am Tatort in Heilbronn kursierten, habe man vermeiden wollen, dass der Film als überholt erschien und ihn deshalb abgesetzt, hieß es einmal. Ein anderer Zuschauer erhielt die Antwort: „Wir waren froh, dass wir es mit dem Film in die ARD geschafft haben, wo er auch ein größeres Publikum erreicht hat. Und das mit Erfolg.“ Einer Zuschauerin wurde geschrieben: „Nach Fertigstellung der Produktion haben sich neuen Erkenntnisse ergeben und deshalb haben wir uns entschieden, die Sendung nicht auszustrahlen.“ Jetzt wird sie es doch. Sie wurde für Mittwoch, 17. Mai, 23.30 Uhr, kurzfristig ins Programm des SWR-Dritten genommen. Zur Zeit bekommen Journalisten die Antwort, „einige Wochen vor dem geplanten Termin“ sei deutlich geworden, dass der Film „nicht ins Formatschema von ‚betrifft‘ um 20.15 Uhr passen“ würde, so dass erst ein „neuer Sendetermin gesucht werden musste“. Der RBB zeigt den Film übrigens am 23. Mai um 22.45 Uhr. Wie es aussieht, war Zensor Drexler mit seiner Initiative doch nicht erfolgreich. Dennoch ist der gesamte Vorgang höchst bedenklich. Er stellt auch ein Misstrauensvotum gegenüber Redaktionen dar, denen die Fähigkeit abgesprochen wird, kritischen Journalismus zu verantworten. Wer aber meint, das Publikum spüre nicht, wenn mit Spielchen und Tricksereien operiert wird, unterschätzt es gewaltig. Politiker vom Schlage Drexlers und manche ARD-Verantwortliche liefern so die Munition für diejenigen, die die öffentlich-rechtlichen Medien lieber heute als morgen abschaffen würden. Das schreibe ich auch als jemand, der seit fast 30 Jahren als Autor und freier Mitarbeiter mit den verschiedenen ARD-Anstalten verbunden ist, deren öffentlich-rechtliche Verfasstheit verteidigt und zum zehnten Jahrestag des Kiesewetter-Mordes selber zwei Radio-Dokumentationen beim WDR und RBB veröffentlicht hat. Die Filmemacher Clemens und Katja Riha empfinden es als „skandalös“, wie Wolfgang Drexler gegen Journalisten vorgehe. Das offenbare eine „merkwürdige Auffassung von Medien und der Rolle von Journalisten“. „Pikant“ sei zudem, dass Drexler als Verwaltungsrat selbst Mitglied des SWR sei, der den Film mit produziert hat. Das zeige, dass es eine „Vermischung von Interessen gibt, auch politischen“. Anscheinend gibt es akzeptierte Lügen und nicht akzeptierte. Als ein Grüner Landtagsabgeordneter in der kurzzeitigen Enquêtekommission von Baden-Württemberg erwischt wurde, die Unwahrheit gesagt zu haben, nutzte das die CDU-Fraktion, um die Zusammenarbeit mit dem kritischen und NSU-kundigen MdL aufzukündigen und die Enquête platzen zu lassen. Dass in der Folge der Untersuchungsausschuss eingesetzt wurde, konnte diese Fraktion damals nicht überschauen. Es war eine Ironie der Geschichte, denn auch die CDU hatte kein Interesse an einem solchen Ausschuss. Die fortgesetzten Unwahrheiten selbst eines Ausschuss-Vorsitzenden aber bleiben bis heute folgenlos. Sie werden akzeptiert, weil sonst auch dieses Gremium platzen müsste. Damit ginge aber ein noch größeres politisches Desaster einher, weil der Verlust der Kontrolle über die NSU-Aufklärung drohen würde. (Thomas Moser /Telepolis 17.5.2017)


Stephan „Pinocchio“ Lange, Ex-Deutschland-Chef von Blood & Honour als V-Mann enttarnt:

„Der ehemalige Deutschland-Chef der seit 2000 verbotenen Neonazi-Gruppierung „Blood and Honour“ war offenbar V-Mann des Verfassungsschutzes. Das geht aus Recherchen von ARD-Politmagazinen hervor. Einen entsprechenden Verdacht soll es in der Neonazi-Szene selbst gegeben haben. Der ehemalige Deutschland-Chef der verbotenen Neonazi-Gruppe „Blood and Honour“ ist offenbar V-Mann des Verfassungsschutzes gewesen. Wie aus Recherchen der ARD-Politmagazine Report Mainz, Report München und Fakt hervorgeht, vermittelte das Landeskriminalamt Berlin den Mann in den 1990er-Jahren an den Verfassungsschutz. Er soll laut Sicherheitsbehörden die Strukturen in Deutschland wesentlich mit aufgebaut haben. Die Magazine berufen sich auf einen geheimen Vermerk des Berliner LKA. Demnach entstand dieser nach einem Gespräch des LKA mit einem anderen V-Mann, dem sächsischen „Blood and Honour“-Aktivisten Thomas S. Dieser hatte angegeben, dass der Deutschland-Chef in der Szene unter Spitzelverdacht stehe, da er bei einem Strafverfahren eine vergleichsweise milde Strafe von 3000 Mark erhalten habe. Daraufhin vermerkte das Berliner LKA: „[Der Deutschland-Chef von Blood and Honour] wurde durch das LKA 514 an das BfV vermittelt. Es ist anzunehmen, dass dies im anhängigen Strafverfahren dafür sorgte, dass die Entscheidung für den Erlass eines Ordnungsgeldes der einer Verurteilung vorgezogen wurde.“  Den Magazinen liegen zudem mehrere vertrauliche Aussagen verschiedener Verfassungsschutz-Behörden zum ehemaligen „Blood and Honour“-Chef vor. Auffällig seien dabei die Behauptungen, der Mann sei im Jahr 2000 aus der Organisation ausgestiegen und unterhalte nur noch lose Kontakte. Die aktuellen Recherchen belegen jedoch, dass der Ex-Chef auch weiterhin in der Szene aktiv war. So schickte ihm das Bundesinnenministerium im September 2000 persönlich die Verbotsverfügung der Vereinigung zu – in seiner Eigenschaft als deren Anführer. Sowohl das Bundesamt für Verfassungsschutz sowie das betroffene LKA Berlin wollten laut den ARD-Magazinen auf Anfrage keine Auskunft erteilen. Sie beriefen sich auf den „operativen Kernbereich der VP-Führung“, weswegen sie keine Aussagen über die V-Mann-Tätigkeit des Ex-„Blood and Honour“-Chefs geben können. Im Interview mit den Magazinen sagte der Präsident des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz, Stephan Kramer: „Es ist unbestritten, dass es schwierig wird, wenn sie den Vorstandsvorsitzenden als V-Person führen. Wenn eine Grenze überschritten wird, wo es nicht nur um Informationsgewinnung, sondern auch um Steuerung geht, wenn auch nur das Risiko besteht, würde heute jeder […] Behördenleiter sofort die Reißleine ziehen und sagen: ‚Das geht überhaupt nicht.'“ Die Obfrau der Grünen im NSU-Untersuchungsausschuss, Irene Mihalic, fordert Aufklärung: „Wenn der Deutschland-Chef von ‚Blood and Honour‘ V-Mann war, ist da ganz klar eine Grenze überschritten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz muss jetzt im Bundestag lückenlos aufklären. Eine Aussage, man könne dazu nichts sagen, reicht nicht mehr. Sie müssen sich jetzt umfassend erklären.“ „Blood and Honour“ war in Deutschland 2000 verboten worden, zusammen mit ihrem bewaffneten Arm „Combat 18“. Die Gruppierung galt als eines der wichtigsten Unterstützernetzwerke des rechtsterroristischen NSU. So sollen Aktivisten dem NSU-Trio Wohnungen zur Verfügung gestellt haben. Einem ehemaligen Spitzenfunktionär wird vorgeworfen, mit der Beschaffung einer Waffe für den NSU beauftragt worden zu sein. Die rechtsextreme Gruppierung „Blood and Honour“ und ihr bewaffneter Arm „Combat 18“ sind trotz eines Verbots in Deutschland offenbar wieder aktiv. Nach Recherchen von NDR und SZ hat der Verfassungsschutz zahlreiche Hinweise darauf. In den vergangenen Monaten sollen sich nach Informationen von NDR und „Süddeutscher Zeitung“ Hinweise darauf gemehrt haben, dass „Combat 18“ wieder aktiv sei. Der MDR berichtete vor wenigen Tagen von vier Durchsuchungen in Thüringen, die es bereits im November des vergangenen Jahres im Zusammenhang mit „Blood and Honour“-Aktivitäten gegeben haben soll. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes soll die Organisation international vernetzt seien – etwa mit der rechtsextremen Szene in Russland.“ (Tagesschau.de 16.5.2017)


Im NSU-Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtages packte am Donnerstag ein langjähriger Fahnder aus. Mit seiner Aussage ist der Ausschuss wieder bei den Skandalen der frühen Thüringer Nachwende-Jahre angekommen – in eine Zeit, als der Verdacht bestand, dass Thüringer Landespolitik, Geheimdienste und Polizeibehörden in einem dubiosen Netzwerk verstrickt waren:

“ Horst Meier* (Name geändert) brauchte etwa eine Stunde, bis er sich so richtig warm geredet hat. „So läuft das hier in Thüringen“, ruft er an diesem Donnerstag sichtlich erregt in den Saal 001 des Thüringer Landtages. Zuvor hatte er in staunende und ungläubige Gesichter der Abgeordneten des Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss geschaut, als er ihnen von einem Treffen mit Thomas Dienel erzählt. Die schillernde Figur Dienel spielte in Thüringen seit den neunziger Jahren immer wieder eine Rolle. Bis Mitte der neunziger Jahre war der ehemalige NPD-Funktionär V-Mann des Verfassungsschutzes. Aktuell droht ihm ein großes Betrugsverfahren vor dem Landgericht Gera. Während der Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss in den vergangenen Monaten mehr oder weniger vor sich hinplätscherte, nahm er heute wieder Fahrt auf. Und das lag in erster Linie an der Geschichte, die Horst Meier über Thomas Dienel im Ausschuss heute erzählte. Meier, Kriminalbeamter in Weimar und langjähriger Fahnder in Thüringen, war vor den Ausschuss am Donnerstag als Zeuge geladen. Der beschäftigt sich derzeit mit dem Thema „Verbindung von Organisierter Kriminalität und Neonazis“. Meier sollte Auskunft aus seiner Zeit im LKA-Dezernat 65 Sonderermittlungen geben, das sich in frühen Neunzigern mit Organisierter Kriminalität beschäftigt hatte. In diesem war er nach eigener Aussage zwischen 1991 und 1993. Doch Meier begann im Laufe seiner Vernehmung sich immer weiter von dieser Zeit zu entfernen. Bis er bei seinem Treffen mit Dienel im Juni 2001 angelangt war. Dienel habe sich bei ihm und den Kollegen der Kripo Weimar damals 2001 gemeldet und als Zeuge eine Aussage gemacht. Es sei um einen Geschäftsmann aus dem Weimarer Land gegangen, der auf Dienel zugekommen war. Der habe ihm angetragen, jemanden zu engagieren, der seine Frau umbringen sollte. Mit diesen Informationen sei Dienel zu ihnen gekommen, so der Beamte. Als sie ihn ein weiteres Mal vernehmen wollten, tauchte er nicht mehr auf. Meier und ein Kollege seien dann zu Dienel gefahren und hätten mit ihm geredet. Das sei im Juni 2001 gewesen. „Da hat er uns die Geschichte aus Jena erzählt“, sagte Meier. Dienel habe ihm und seinem Kollegen berichtet, dass er von V-Leuten aus Jena aus der rechten Szene, die für den Verfassungsschutz gearbeitet hätten, mit dem Tod bedroht worden sei. „Es war Dienel körperlich anzumerken, dass er Angst gehabt hatte, umgebracht zu werden“, so Meier. Doch Dienel packte weiter aus. Laut Meier hatte er auch interne Informationen über politisch wichtige Leute, auch aus dem Thüringer Innenministerium gehabt. Die Abgeordneten des NSU-Ausschuss wurden hellhörig. Mehrere fragten nach, doch Meier wollte keine weiteren Details nennen. Aber, er habe das Ganze mit seinem Kollegen damals 2001 in einem Protokoll niedergeschrieben. Doch damit hätten die Probleme erst richtig begonnen. Denn nach einigen Wochen sei der hohe Polizeibeamte Michael Menzel aus dem Thüringer Innenministerium erschienen. Er habe ihn und seinen Kollegen aufgefordert, das Protokoll von dem Gespräch mit Dienel zu löschen. „So läuft das hier in Thüringen“, ruft Meier nun, sichtlich erregt. Jetzt wurden die Abgeordneten des Untersuchungsausschusses noch hellhöriger. Denn bei Michael Menzel handelt es sich um den Beamten, der als damaliger Leiter der Polizei Gotha die Ermittlungen rund um das Auffliegen des NSU 2011 geleitet hatte. Einen Job, für den er immer wieder in der Kritik stand. Menzel hatte alle Vorwürfe zu angeblich schlampiger Ermittlungsarbeit in Eisenach stets zurückgewiesen. Nun diese brisante Info des Zeugen Meier im heutigen Ausschu Bereits während Meiers Geschichte über Dienel, das Protokoll und Menzels angeblicher Aufforderung zur Löschung, wurden die Beamten des Thüringer Innenministeriums im Ausschuss immer nervöser. Nach einigem Hin und Her zwischen Ministerium und der Linken Obfrau Katharina König einigte sich der Ausschuss auf eine Unterbrechung. Im Ergebnis muss Meier nun in der kommenden Sitzung im Juni erneut erscheinen. Bis dahin soll das Innenministerium das Protokoll besorgen. Denn 2001 hat Meier nach eigener Aussage das Dokument vor Menzel nur zum Schein gelöscht. Später habe er es einem anderen Ministeriumsmitarbeiter ausgehändigt. Nach Informationen von MDR THÜRINGEN existiert das brisante Dokument noch. Mit Meiers Aussage ist der NSU-Untersuchungsausschuss wieder bei den Skandalen der frühen Thüringer Nachwende-Jahre angekommen. Als es um Lecks im Landeskriminalamt ging, als Verfassungsschutz-V-Leute durch Journalisten enttarnt wurden, als Computer beim Umzug des Innenministeriums verschwanden oder CDs mit Geheimdaten in den Briefkästen von Zeitungsredaktionen landeten. In einer Zeit, als der Verdacht bestand, dass Thüringer Landespolitik, Geheimdienste und Polizeibehörden in einem dubiosen Netzwerk verstrickt waren. Meier nährt diese Annahme allein schon damit, dass er selber Mitte der Neunziger Jahre erlebt habe, wie große Verfahren gegen die Organisierte Kriminalität ausgebremst wurden. „Wir haben Gelder für fingierte Waffenankäufe nicht bewilligt bekommen“, so der Beamte. Damit seien unter anderem Ermittlungen gegen die Russenmafia geplatzt. Als sie sich beschwert hätten, seien im Gegenzug gegen ihn und seine Kollegen Verfahren eingeleitet worden. Vorwurf: Geheimnisverrat. „So läuft das hier in Thüringen“, ruft Meier noch mal erregt in den Raum. Fast fünf Jahre sei gegen ihn und andere verdeckt ermittelt worden. Meier ist mit seinen Vorwürfen nicht alleine. Sein früherer Dezernatsleiter aus dem LKA, der vor ihm als Zeuge an diesem Donnerstag dran war, wunderte sich noch heute, dass sein Bereich damals ohne Grund eingestampft worden sei. „Die Gründe kennen ich auch heute, nach 22 Jahren, nicht“, sagte der erfahrene Ermittler. Nach seiner Aussage habe es im Thüringer LKA eine tiefe Kluft zwischen den westdeutschen Führungsbeamten und den ostdeutschen Ermittlern gegeben. Da seien Leute als Vorgesetzte aus den westdeutschen Ländern gekommen, die für die Personalführung „völlig ungeeignet“ waren. Er und auch Meier deuteten immer wieder an, dass sie bestimmten Vorgesetzten durch ihre Ermittlungen auf die Füße getreten und deshalb kalt gestellt worden seien. Allein: der genaue Beweis dafür fehlt. Um die Suche nach dem Jenaer Bombentrio ging es heute auch noch. Denn MDR THÜRINGEN hatte im April öffentlich gemacht, dass in den Zielfahndungsakten Daten über abgefangene SMS fehlen. Die Zielfahnder des Thüringer Landeskriminalamts hatten 1998 nach dem Untertauchen das Handy des ehemaligen sächsischen Neonazis Jan Werner überwacht. Werner stand damals im Verdacht, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe bei der Flucht geholfen zu haben. Nun, fünf Jahre nach dem Auffliegen des Trios wurde bekannt, dass in den alten Akten ganze Datensätze über Seiten fehlen. Der Ausschuss wollte Am Donnerstag die Sache aufklären. Dazu hatte sich der Ausschuss Beamte des Thüringer LKA einbestellt, die im November/Dezember 2011 die alten Akten aufgearbeitet hatten. Doch keiner konnte das genau erklären. Der eine sagte, dass die Daten 1998 nicht hätten aus den Akten verschwinden können. Aber beim Sortieren 2011 sei ihnen auch nichts aufgefallen. Damit bleibt auch dieses Kapitel des NSU-Komplexes weiter ungelöst. (MDR 11.5.2017)


Heilbronner Mordfall Kiesewetter. Handy-Spuren nach Ulm und Neu-Ulm:

„Zehn Jahre nach dem Mord an der Heilbronner Polizistin Michèle Kiesewetter haben das ARD-Magazin „REPORT MAINZ“ und der „Stern“ neue Details enthüllt, auch zur Dschihadistenszene. Die Bundesanwaltschaft hält Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt vom sogenannten Nationalsozialistischen Untergrund, NSU, für die alleinigen Täter. Aber vielleicht hatten sie ja doch Helfer, Mitwisser oder Unterstützer aus einem Bereich, den man zunächst nicht vermuten würde, nämlich aus der Dschihadistenszene im Raum Ulm, das legen die Recherchen der ARD-Sendung „REPORT MAINZ“ und der Zeitschrift „Stern“ nahe. Es sind demnach zwei Handy-Nummern, die nach Ulm und Neu-Ulm führen, und zwar zur Islamistenszene, die vor zehn Jahren, als der Mord passierte, in den beiden Städten sehr aktiv war, zum Beispiel im damaligen Neu-Ulmer Multi-Kultur-Haus. Nach den Berichten wurden Handydaten ausgewertet und dabei zwei auffällige Nummern entdeckt. Beide Nummern waren unmittelbar vor dem Mord in Heilbronn in der Funkzelle um die Theresienwiese, dem Tatort, eingeloggt. Eine der beiden Nummer, eine 016er Nummer, war dem Bundeskriminalamt bei den Ermittlungen gegen die islamistische Sauerlandgruppe aufgefallen. Zwei dieser radikalen Islamisten, die im April 2007 Sprengstoffattentate in Deutschland geplant hatten, stammten aus Ulm. Die andere, eine 017er Nummer, war der Polizei schon 2003 aufgefallen, als sie die Todesfälle von Dschihadisten aus Ulm und dem Stuttgarter Raum untersuchte. Wenn nun just diese beide Handynummern kurz vor dem Mord an Kiesewetter in unmittelbarer Nähe in Heilbronn benutzt wurden, drängt sich die Frage auf: Hatten Mundlos und Böhnhardt, hatte der NSU, Kontakte zu Islamisten? Gab es Mitwisser oder Kontaktleute aus der Dschihadistenszene in Ulm und Neu-Ulm, wo ja damals zur selben Zeit islamistische Terrorhelfer regelmäßig verkehrten? Oder war es purer Zufall, dass mit diesen auffälligen Handynummern gerade in unmittelbarer zeitlicher wie örtlicher Tatortnähe in Heilbronn telefoniert wurde? Die Handynummern waren durch einen Datenabgleich bei Europol aufgefallen. „REPORT MAINZ“ und der „Stern“ legten nach Einsicht in zugespielte Akten dar, dass die Ermittler in Deutschland diesen Handynummern gar nicht weiter nachgegangen sind. Federführend bei den Ermittlungen ist die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Die Bundesanwaltschaft hat die Presseanfrage von „Report Mainz“, warum der Spur nicht nachgegangen wurde, unbeantwortet gelassen. Allerdings äußerte sich am Mittwochnachmittag eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft gegenüber dem SWR Studio Ulm. Zu den Handynummern nahm sie keine Stellung. Aber wörtlich sagte sie: „Wir sind allen uns bekannten Hinweisen auf einen islamistischen Hintergrund nachgegangen. Es haben sich daraus aber keine relevanten Hinweise ergeben.“ (SWR 10.5.2017)


Wolf Wetzel interviewt Thomas Moser zu der NSU/Kiesewetter Doku:

„Wetzel: Im weiteren Verlauf seiner Mitteilung kommt Wolfgang Drexler auf die zahlreichen Todesfälle in Baden-Württemberg zu sprechen, die die Frage aufgeworfen hatten: Warum sterben potenzielle Zeuge so jung und auf so ungewöhnliche Weise? Drexler sagt dazu klipp und klar, dass die „Todesfälle im Komplex Florian H.“ aufgearbeitet wurden, sprich: „der Verdacht von Fremdverschulden jeweils plausibel ausgeräumt“ seien. Wie plausibel ist das?

Moser: Tut mir leid, aber hier sagt dieser Mann, immerhin Landtagsabgeordneter, Sozialdemokrat, die Unwahrheit, meiner Meinung nach bewusst. Die Untersuchung des Todesfalles Florian H. hat dieser Ausschuss mittendrin abgebrochen und nicht zu Ende geführt. Anlass war die Weigerung der Familie H., dem Ausschuss Geräte Florians zu übergeben, weil sie das Vertrauen in den Ausschuss verloren hatte. Daraufhin hat Drexler eine Hausdurchsuchung bei den H.s durchführen lassen. Anschließend hat der Ausschuss seine Nachforschungen zum Tod von Florian demonstrativ eingestellt. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart erklärt zwar, Florian H. habe Suizid begangen, restlos belegt ist das aber nicht. Ein Gutachter stellte fest, dass der junge Mann einen tödlichen Medikamentenmix intus hatte und handlungsunfähig war, als der Wagen explodierte. Florian H. ist in seinem Auto verbrannt. Dann folgte der zweite Todesfall, der die Ex-Freundin von Florian H. betraf, Melisa M. Sie starb an einer Lungenembolie. Das ist zweifelsfrei. Wie aber das Blutgerinnsel zustande kam, das die Lungenembolie ausgelöst hat, können die Gerichtsmediziner nicht sagen. Der Ausschuss hat sich mit diesem Todesfall überhaupt nicht beschäftigt. Drexler hat das damit begründet, dass das ja gar nicht durch den Untersuchungsauftrag gedeckt sei. Etwas Befremdlicheres habe ich selten gehört. Nach der Drexlerschen Logik hätte man bei der Beschlussfassung des U-Auftrages ja geradezu davon ausgehen müssen, dass eine Zeugin, dass Melisa stirbt, um ihren Tod untersuchen zu können. Als drittes starb dann der neue Freund von Melisa, Sascha W. Er soll sich erhängt haben. Aber er war in einer neuen Beziehung und seine Frau erwartete ein Kind. Auch diesen Todesfall hat der Ausschuss nicht untersucht. Wir sind bei unseren Recherchen an den Nachbar geraten, der beide – Melisa und Sascha – gut kannte. Von Beruf ist der Mann übrigens Polizist. Er hat uns erzählt, dass Melisa nach ihrer Vernehmung im Ausschuss Bedrohungen erhalten habe – „um ihr Leben“, sagte er wörtlich. Die Szene findet sich im Film. Doch was macht der NSU-Ausschuss und sein Vorsitzender in Stuttgart? Statt sich für diesen Zeugen zu interessieren und ihn zu laden, wird alles als „ausgeräumt“ erklärt. Dieser Ausschuss leistet einen Offenbarungseid. Tatsächlich will er nicht aufklären, sondern so tun als ob. Ich finde das unerträglich.

Wetzel: Am Ende seiner Pressemitteilung greift Drexler das „Urteil einer profunden Journalistin“ auf. Es handelt sich dabei um eine Redakteurin der Süddeutschen Zeitung, der er sich nur anschließen könne, „die schreibt, dass es ‚um so ärgerlicher sei, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen eine krude Story vorgesetzt zu bekommen, die nicht zur Erkenntnis, sondern geradewegs hinein in den Dschungel der Verschwörungstheorien’ führe.“ Diese fordert ziemlich direkt die Programmdirektoren dazu auf, uns nicht länger solche „kruden Stories“ vorzusetzen. Kann man so etwas als Repressionsdrohung verstehen?

Moser: Wenn uns diese Story nicht vorgesetzt werden soll, heißt das, sie muss verschwinden. Das ist Zensur. Mit dem ersten Riha-Film ist das ja passiert. Mit dem zweiten soll, wenn es nach Anette Ramelsberger und Wolfgang Drexler geht – und er zitiert sie ja wahrscheinlich nicht aus Versehen – dasselbe geschehen. Das ist bedenklich. Es ist aber mehr. Es ist die Demonstration des Misstrauens in Redaktionen und ihre Arbeit, ein Angriff auf die innere Pressefreiheit könnte man sagen. Der Film wurde vorgeschlagen und angenommen. Er wurde von verantwortlichen Redakteuren und Redakteurinnen betreut. Er wurde redaktionell abgenommen und produziert. Das alles soll nicht mehr gelten. Wenn so ein Film kassiert wird, – und der erste wurde ja kassiert – wird zugleich eine Redaktion entmündigt und zerstört.“ (Rubikon 3.5.2017)


Siehe da. Der SWR hat die kritische Doku zum Kiesewetter Mord kurzfristig aus dem Programm genommen. Das darf Zuschauern um 20:15 nicht zugemutet werden. Mitglied im Verwaltungstrat des SWR ist Wolfgang Drexler:

Die ARD-Dokumentation über die offenen Fragen des Kiesewetter-Mordes von Clemens und Katja Riha hat viel Zustimmung erfahren – und bemerkenswerte Ablehnungen. Eine der absonderlichsten kommt von Wolfgang Drexler (SPD), dem Vorsitzenden des NSU-Untersuchungsausschuss von Baden-Württemberg. Er übernimmt das Urteil der SZ-Kommentatorin (s.o.) vom „Dschungel der Verschwörungstheorien“. Vor allem aber hat er sich bei den Intendanten der ARD über den Film beschwert. Eigentlich halte er sich bei der Bewertung auch bisweilen weniger sachlicher Medienbeiträge „bewusst überaus [!] zurück“, schreibt Drexler in seiner Pressemitteilung zu dem Film. Das stimmt wieder einmal nicht. Vor nicht mal zwei Jahren hat sich der Parlamentarier über eine andere NSU-Dokumentation von Clemens und Katja Riha („NSU – Kampf um die Wahrheit“) beim Intendanten des ZDF beschwert. Das ZDF hat den Film damals aus dem Programm genommen und seither nicht mehr gezeigt. Jetzt hat der SWR mit diesem neuen Film genau dasselbe getan – kurz vor Ausstrahlung aus dem Programm genommen und sich distanziert. Bundesanwaltschaft, Bundeskriminalamt, etablierte Medien, etablierte Politiker. Die gravierende politische Erkenntnis ist: Die Beharrungskräfte, die Blockierer im Falle NSU, sitzen in der Mitte der Gesellschaft. Mit ihren Vorwürfen greifen sie nicht etwa eine (Verschwörungs-)Theorie an, die ja gar nicht aufgestellt wird, sondern Recherchen. Was sie wollen, ist, dass nicht berichtet wird über Ungereimtheiten, offene Fragen, Details, die nicht in die offizielle Hypothese passen. Das alles soll verschwiegen werden. Ein anderer Begriff für Vertuschen. Drexler kritisiert an dem Riha-Film unter anderem auch, dass Michèle Kiesewetter als Jugendliche „im Badeanzug“ [Anm.: Es war ein Bikini] gezeigt wird. Hier wird das Bemühen sichtbar, irgendetwas gegen die recherchierenden Journalisten zu finden. Notfalls zieht man es an den Haaren herbei. Und sie messen mit zweierlei Maß. Denn die offizielle Theorie, wie sie die BAW vertritt, ist für sie sakrosankt. Jedoch: Dass Böhnhardt und Mundlos die alleinigen und einzigen Täter beispielsweise in Heilbronn waren, ist nicht beweisen. Es ist nicht einmal belegt, dass sie am Tatort waren. Die Version der BAW ist nichts weiter als eine ziemlich dürftige Verschwörungstheorie. Dreimal mussten BAW-Vertreter im dem NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag Rede und Antwort stehen. Sie blieben mehr Antworten schuldig, als sie gaben. Die Staatsanwälte des Bundes konnten ihre eigene Hypothese, sprich ihre spezifische Zwei-Täter-Uwe-Uwe-Theorie, nicht gegen die Zweifel der Abgeordneten daran verteidigen. Etablierte Gruppen als Träger des Denunziationsunwesens – leider ist dieser Befund nicht vollständig. Denn der Erfolg des Begriffes „Verschwörungstheoretiker“ hängt auch damit zusammen, dass er auch aus einer unerwarteten Richtung kommt. In den Reihen der Linken und von Antifa-Gruppen werden solcherart undifferenzierte Vorwürfe ebenfalls gepflegt und gegen Ketzer verwandt, die nicht ihrer reinen Lehre entsprechen. Damit bedienen sie, ob sie wollen oder nicht, die Interessen des Sicherheitsapparates. Und sie arbeiten vor allem mit an Herstellung und Verbreitung eines substanzlosen, aber giftigen Mittels aus der Küche der Geheimdienste, das wie eine Jokerkarte eingesetzt werden kann, um Kritiker diskreditieren zu können, ohne argumentieren zu müssen. Ironie der Geschichte – oder besser: Logik der Geschichte – ist, dass mit diesem Mittel auch sie selbst attackiert werden, wie beispielsweise jüngst im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss. Absender dort der CDU-Obmann. Was sind Verschwörungstheorien gegen Verschwörungspraktiken?

Wo Geheimdienste beteiligt sind, herrscht die Konspiration – etwas anderes anzunehmen ist lächerlich. Allerdings finden wir sie zur Genüge auch im sicherheitspolitischen Alltag:

Wenn eine Verfassungsschutzvorgesetzte sich mit einem Mitarbeiter, gegen den wegen Mordverdachtes ermittelt wird, in einer Autobahnraststätte trifft;

wenn ein Staatsanwalt an den offiziellen Ermittlungen vorbei ein Anschlagsopfer zu sich bestellt, stundenlang mit ihm über die Tat redet und ihm anschließend auferlegt, das Gespräch gegenüber der Kripo zu verschweigen;

wenn die Bundesanwaltschaft (BAW), das Polizeipräsidium Berlin und der Innensenat von Berlin beschließen, gegenüber dem Bundestagsuntersuchungsausschuss geheim zu halten, dass einer der NSU-Beschuldigten eine V-Person war;

wenn im Jahre 2015 Polizisten gegenüber Zeugen neue Befragungen vornehmen, aber keine Behörde sich zu diesen Ermittlungen bekennt;

wenn die BAW am Rande des Prozesses in München gegenüber Medienvertretern über Opferanwälte herzieht und das dann zum vertraulichen Hintergrundgespräch erklärt – wie soll man das alles nennen?

Ob es Zufall ist, dass dieselben Medien, die sich den Vorgaben der BAW unterordneten, am lautesten „Verschwörungstheorie!“ rufen, überlasse ich dem Betrachter. (Thomas Moser/Telepolis 27.4.2017)


Aust und Laabs berichten von neuen Zeugen, die bestätigen, dass Uwe Mundlos beim Bau Service des BfV V-Mannes Marschner angestellt war:

Ralf Marschner, alias „Manole“, alias V-Mann „Primus“ des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Er wird nun von neuen Zeugen massiv belastet. Bereits im April vergangenen Jahres hatte das Autorenteam der „Welt“ bei Recherchen für die ARD-Dokumentation „Der NSU-Komplex“ exklusiv berichtet, dass ein Zeuge NSU-Terrorist Uwe Mundlos als Mitarbeiter bei der Zwickauer Firma des Verfassungsschutzspitzels, beim „Marschner Bau-Service“, identifiziert hatte. Mundlos soll dort „als eine Art Vorarbeiter“ in den Jahren 2000 und 2001 eingesetzt worden sein. Sofort nach diesen Enthüllungen leitete das Bundeskriminalamt (BKA) Nachermittlungen ein. Deren Ergebnisse, als VS-vertraulich eingestuft, liegen der „Welt“ vor. Sie zeigen, dass zwei neue Zeugen Mundlos eindeutig auf Marschner-Baustellen erkannt haben. Und sie zeigen ebenso deutlich die Bemühungen der BKA-Ermittler, diese unliebsamen Hinweise auf die Aktivitäten eines Verfassungsschutzspitzels kleinzuschreiben und für „nicht relevant“ zu erklären. Dies alles, obwohl einer der neuen Zeugen, Frank M., Mundlos nicht nur klar identifiziert hatte, sondern ihn mit seiner Aussage auch erstmals nicht nur auf Baustellen in Sachsen, sondern in der Nähe von Tatorten der NSU-Morde verortet. Mundlos habe mit ihm 2000 und 2001 gemeinsam auf Marschner-Baustellen in Erlangen und München gearbeitet, gab Frank M. in der BKA-Vernehmung zu Protokoll. Man habe „nicht unsere richtigen Namen nennen“ dürfen, sagte M. aus, da die meisten der bei Marschner beschäftigten Rechtsextremisten „wohl frisch aus dem Gefängnis kamen“. Auf Fahrten zu und von den Baustellen, so M. auch zum Autorenteam, habe permanent Nazimusik aus den Lautsprechern gedröhnt. „Manole hat mir gesagt, dass das Musik aus den USA ist und dass man zu dieser Mucke auch gut Leute umbringen kann.“ Marschners Bau-Service hatte zum Zeitpunkt dreier NSU-Morde verschiedene Fahrzeuge angemietet: am 13. Juni 2001, als in Nürnberg der Änderungsschneider Abdurrahim Özüdogru ermordet wurde, am 27. Juni 2001, als in Hamburg der Gemüsehändler Süleyman Tasköprü erschossen wurde, und am 29. August 2001, als in München der Gemüsehändler Habil Kilic umgebracht wurde. Der Tatort in Nürnberg ist übrigens von Erlangen, wo der Zeuge M. mit Mundlos gearbeitet haben will, nur 20 Kilometer entfernt. Von der Baustelle in München sind es gerade sieben Kilometer. Somit gewinnt die Frage, ob V-Mann „Primus“ einen oder mehrere der Naziterroristen zeitweilig beschäftigte, eine mörderische Brisanz. Schon zuvor hatten Zeugen ausgesagt, Beate Zschäpe in einer weiteren Marschner-Firma, einem Geschäft für rechtsextreme Szenekleidung in Zwickau, als Mitarbeiterin gesehen zu haben. Marschner selbst bestreitet vehement, das NSU-Trio je auch nur gesehen zu haben. Kein Kontakt? In einer 90.000-Einwohner-Stadt mit einer überschaubaren, verschworenen und gut vernetzten Neonazi-Szene, in der V-Mann „Primus“ eben gerade wegen seiner hervorragenden Verbindungen auch in den militanten Bereich vom Bundesamt für Verfassungsschutz angeworben und als Quelle geführt und bezahlt wurde? In einer Szene, in der das NSU-Trio bis zum Abtauchen Marschners sieben Jahre lang lebte, Besucher empfing, Unterstützer traf, Banküberfälle beging, Morde und Campingurlaube plante? Möglich – aber doch eher unwahrscheinlich.“ (Welt Online 25.4.2017)


Die nächste Panne:

„Am 27. April 2007, zwei Tage nach dem Mord an der 22-jährigen Polizistin Kiesewetter, fotografierte die Polizei den Tatort eingehend. Auf einem der Fotos ist am Sockel des Backsteingebäudes der Schriftzug „NSU“ in schwarzer Schrift zu erkennen. Die Ermittler werteten den Hinweis offenbar nicht aus. Der Name der Terrorgruppe „NSU“ wurde erst im November 2011 bekannt, nachdem sich Mundlos und Böhnhardt erschossen hatten und eine Bekenner-DVD aufgetaucht war. Auf der bekannte sich der „NSU“ auch zum Kiesewetter-Mord. Auf der anderen Gebäudeseite befindet sich an der Wand ein Metallgitter, auf dem ein weiterer Schriftzug zu erkennen ist. Das Polizeifoto zeigt eine Buchstabenkombination, die an das Logo des „NSU“ erinnert, das die Terrorgruppe in ihrem Bekennervideo verwendete. Da die Polizeifotos zwei Tage nach dem Kiesewetter-Mord auf der Heilbronner Theresienwiese und nach einer Kranzniederlegung am Tatort aufgenommen wurden, können nur die Täter Mundlos und Böhnhardt oder eingeweihte Helfer der Terrorgruppe die Schriftzüge im April 2007 angebracht haben. In den Ermittlungsakten findet sich kein Hinweis auf eine Untersuchung der Schriftzüge. Die fehlende Auswertung der Tathinweise wäre eine weitere Panne bei der Aufklärung der „NSU“-Morde.“ (ZDF Heute Online 24.4.2017)


SZ Gerichtsreporterin Ramelsberger tut das was sie immer tut, wenn kritische KollegInnen ihre Arbeit verrichten: sie desinformiert mittels Nebelkerzen, selektiver Darstellungen und schreit laut „Verschwörungstheorie“:

„Bereits vor einem Jahr hat die ARD in einem viel beachteten Dreiteiler den NSU-Komplex bearbeitet. Schon da ergriff all jene Unbehagen, die sich wenigstens rudimentär mit den Tatsachen der Mordserie auskennen. Da tauchte im Film plötzlich ein V-Mann auf, der genau wusste, wie der Staat in der Mordserie mit drinhing, und dann, als er endlich auspacken wollte, mit seinem Auto explodierte. Diese Szene war der Schluss der Trilogie und sie suggerierte, dass die NSU-Täter Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und die nun vor Gericht stehende Beate Zschäpe nur Marionetten eines dunklen Netzwerks waren. Schon das war hochproblematisch: Viele Zuschauer werden diesen erfundenen Schluss für real gehalten haben. Aber: So einen V-Mann, so einen Unfall hat es nie gegeben. Der Eindruck wurde dennoch vorsätzlich erweckt. Noch schlimmer ist diese Art der Legendenbildung, wenn sie nicht als Spielfilm, sondern als Dokumentation daherkommt, die vorgibt, der Wahrheit über den Tod der vom NSU ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter nachzuspüren – passgenau zum zehnten Todestag. Um es kurz zu machen: Dieser Film besteht in erster Linie aus Fragen, die in Unheil dräuendem Unterton gestellt werden. Das Wort „angeblich“ wird so ausgiebig benutzt, dass jede noch so abstruse Behauptung juristisch abgepuffert wird. Seriös ist sie deshalb noch lange nicht. Eine Heroindealerin – von hinten gezeigt – darf der toten Polizistin sogar andichten, dass sie drogenabhängig war, nur weil sie als verdeckte Ermittlerin erfolgreich im Drogenmilieu arbeitete. Die Behauptung ist durch nichts gedeckt: Alle ihre Kollegen haben Kiesewetter als fröhlich, gesund und bodenständig geschildert. Und das ist nur ein Beispiel. Zwielichtige Zeugen erzählen ungebremst Dinge, die längst vor Gericht widerlegt wurden. Auf Teufel komm raus wird versucht, das Bild einer Verschwörung zu zeichnen. Allein, es gibt dafür keine Belege. Und die Behauptungen werden nicht dadurch wahrer, dass der Film fast übergeht, was Beate Zschäpe vor Gericht zugegeben hat, die Frau, die es am besten wissen muss: Dass ihre Freunde an jenem Tag über die Polizistin Kiesewetter und ihren Kollegen Martin A. hergefallen waren, weil sie eine gute Polizeipistole haben wollten. Die Realität ist oft profan. Es gibt noch offene Fragen im Fall NSU, man hätte sie gerne geklärt. Umso ärgerlicher ist es, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen eine krude Story vorgesetzt zu bekommen, die nicht zur Erkenntnis, sondern geradewegs hinein in den Dschungel der Verschwörungstheorien führt.“ (SZ Online 24.4.2017)


Die ARD „Verschwörungdoku“ vom 24.4.2017:

Tod einer Polizistin – Das kurze Leben der Michèle Kiesewetter

In der Doku kommt der Kriminologe Thomas Feltes zu Wort und sucht nach Erklärungen:

„Man will auf keinen Fall Hinweise, daß es eben möglicherweise mehr wie zwei Täter waren, sechs Täter möglicherweise in Heilbronn, das vertiefen. Warum,kann ich Ihnen auch nicht sagen. Ich kann nur vermuten, daß das damit zusammenhängt, daß dann natürlich auch alle anderen Ermittlungen vollkommen neu auf den Prüfstand gestellt werden müßten und vielleicht sogar die ganze These, was dieses NSU-Trio anbetrifft, im Grunde genommen hinfällig werden würde. Also, wenn Heilbronn kippt, dann kippt das ganze NSU-Verfahren. Wenn das NSU Verfahren kippt, dann haben wir tatsächlich ein rechtsstaatliches Problem.“

Warum wurde nicht nach den blutverschmierten Männern in der Nähe des Tatorts von Heilbronn gefahndet? Warum wurden die Phantombilder nicht veröffentlicht? Der damalige Staatsanwalt Klaus Pflieger äußert in der Doku eine plausible Erklärung:

„Wir können nicht nach einer Person fahnden, der verdächtig ist an diesem schrecklichen Mord und an dem versuchten Mord an dem Polizeibeamten beteiligt gewesen zu sein. Da laufen wir Gefahr möglicherweise völlig unschuldige Personen, die zufällig Nasenbluten hatten oder eilig unterwegs waren, in aller Öffentlichkeit nach denen zu fahnden.“


Der RBB „Verschwörungsjournalist“ Thomas Moser in einem Radio Feature zum selben Thema:

Der rätselhafte Anschlag: 10 Jahre nach dem letzten Mord des Nationalsozialistischen Untergrundes in Heilbronn


Zehn Jahre nach der Ermordung von Michelle Kiesewetter erklärt die Ausschussvorsitzende des Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses, dass die Aufklärung des Falles verhindert wird:

„Vor zehn Jahren wurde eine aus Thüringen stammende Polizistin in Heilbronn erschossen. Lange verfolgten die Ermittler eine falsche Spur. Die Vorsitzende des Thüringer NSU-Ausschusses sieht bei den Behörden zu wenig Aufklärungswillen. Zehn Jahre nach den tödlichen Schüssen auf die Polizistin Michèle Kiesewetter sieht die Vorsitzende des Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses, Dorothea Marx, die Aufklärung durch Behörden behindert. Es sei an der Zeit, neben den NSU-Terroristen „auch diejenigen disziplinarisch und strafrechtlich zur Rechenschaft zu ziehen, die pflichtwidrig die Aufklärung verhindern“, erklärte die SPD-Politikerin am Sonntag in Erfurt. Nach Auffassung von Marx bestehen erhebliche Zweifel daran, dass die aus Thüringen stammende Polizistin in Baden-Württemberg nur zufällig Opfer der ebenfalls aus Thüringen stammenden Neonazis Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos geworden ist. Es sei offenkundig geworden, dass Kiesewetter und ihr bei der Thüringer Polizei tätiger Onkel bei Ermittlungen eingesetzt waren, die über das Milieu organisierter Kriminalität Verbindungen zur Neonaziszene und nach Baden-Württemberg aufwiesen. Marx erklärte, das Aufklärungsversprechen nach Auffliegen der NSU-Terrorgruppe Ende 2012 werde „immer noch und immer wieder von Behörden und Verantwortlichen torpediert“. Sie wollten die „Aufdeckung massiver Ermittlungsfehler und die nahen Beziehungen diverser Dienste durch V-Leute, aber auch von Informanten der Polizei zum Netzwerk der Täter verhindern“. Bis heute würden Akten geschwärzt sowie die Auskunft über die Identität und Arbeit von V-Leuten und Informanten verweigert. Der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestags, Clemens Binninger (CDU), hatte sich ebenfalls skeptisch zur These des Generalbundesanwalts geäußert, die 22 Jahre alte Kiesewetter sei 2007 ein Zufallsopfer des NSU gewesen. Sie war Beamtin der Böblinger Bereitschaftspolizei.“ (T-Online 23.4.2017)


Kiesewetter-Mord: Gibt es einen Zeugen für einen Waffendeal am Tatort? Thomas Moser kommentiert den fehlenden Aufklärungswiillen des NSU-Ausschusses in Baden-Württemberg:

„Eine Rechtsanwältin meldet sich freiwillig als Zeugin – und fängt sich ein Strafverfahren ein. So endete die jüngste Sitzung des Untersuchungsausschusses (UA) von Baden-Württemberg. Die Obleute dieses Gremiums lieferten damit ein weiteres Beispiel, wie man Spuren zerstört und Zeugen verjagt. Und es drängte sich der Eindruck auf: Das war gewollt. Um diese Fragen geht es: Waren am 25. April 2007, als die Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter erschossen und ihr Kollege Martin Arnold lebensgefährlich verletzt wurde, Vertreter eines US-Dienstes vor Ort und wurden Zeugen des Anschlages? Stand ihre Anwesenheit in Zusammenhang mit der terroristischen Sauerlandgruppe, die damals observiert wurde? Sollte auf der Theresienwiese in Heilbronn eine Waffenübergabe stattfinden? Einem solchen möglichen Szenario gab die Rechtsanwältin Ricarda L. jetzt im Untersuchungsausschuss von BaWü neue Nahrung. Die 47-jährige Strafrechtlerin vertrat im Sauerlandverfahren einen der Beschuldigten, Adem Yilmaz. Im Zusammenhang mit diesem Terrorverfahren will L. von einer Kontaktperson Informationen bekommen haben, die sie jetzt und nach Absprache mit einem Kollegen, der über ähnliche Informationen verfügt, dem U-Ausschuss zur Verfügung stellen wollte. Jene Kontaktperson habe ihrer Erinnerung nach im Februar 2009 im Zusammenhang mit dem Polizistenmord davon gesprochen, dass die sogenannte „unbekannte weibliche Person“ nicht der Täter gewesen sei. Damals verfolgten die Ermittler eine unbekannte Frau, deren DNA an vielen Tatorten in Deutschland, aber auch in Österreich sichergestellt wurde, so auch in Heilbronn. Erst Ende März 2009 entpuppte sich die Spur als eine Trugspur. Die Wattestäbchen waren mit der DNA einer Verpackerin kontaminiert. Entscheidend: Die Kontaktperson der Rechtsanwältin Ricarda L. hätte demnach schon Wochen vor der Aufdeckung dieser Trugspur gewusst, dass keine Frau unmittelbar an dem Mord beteiligt war. Ihr Informant, so Ricarda L. im Ausschuss weiter, habe stattdessen geschildert, dass damals in Heilbronn eine Waffenübergabe stattfinden sollte. Daran sei ein Mann beteiligt gewesen, den er nur als „den Türken“ bezeichnete, der aber sowohl für den türkischen Geheimdienst MIT als auch für den amerikanischen Geheimdienst CIA gearbeitet habe. Auch die CIA sei vor Ort gewesen. Einen Namen nannte ihr Informant nicht, so Ricarda L., für sie handelte es sich um den Deutsch-Türken Mevlüt Kar. Kar soll die Sauerlandgruppe mitbegründet haben. Nach Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes (BKA) soll Kar am 22.4.2007 in der Türkei Sprengzünder entgegen genommen haben, die dann nach Deutschland gebracht wurden. Anschläge verübte die Gruppe nicht. Sie flog im Herbst 2007 auf. Kar jedoch wurde nicht festgenommen (vgl. Das Arbeitsleben des V-Manns Mevlüt Kar in Deutschland). Selbst wenn jener „Türke“ mit Geheimdienstverbindungen nicht Kar gewesen sein sollte, hätte in Heilbronn laut Schilderung jenes Informanten eine Aktion stattgefunden, die in der offiziellen Version des Polizistenmordes nicht vorkommt. Sie korrespondiert aber mit jenem behördeninternen Schriftverkehr zwischen Bundesnachrichtendienst (BND), Militärischem Abschirmdienst (MAD) und Bundesanwaltschaft (BAW) von Dezember 2011, in dem Folgendes festgehalten ist: Laut Mitteilung eines US-Verbindungsbeamten seien zwei FBI-Agenten Zeugen der Schüsse auf die zwei Polizisten geworden. Die US-Seite habe der deutschen Seite angeboten, darüber zu sprechen. Der BND soll das abgelehnt haben. Die Mitglieder des Ausschusses in Stuttgart hatten kaum weitergehende Fragen an Ricarda L., – zum Beispiel, woher ihr Informant sein Wissen habe – sondern wollten vor allem eines: dessen Name. Den verweigerte die Rechtsanwältin mit der Begründung, ohne das Einverständnis der Quelle, werde sie sie nicht offenbaren. Denn, wenn wahr sei, was die Quelle sage, sei sie gefährdet. Und sie werde keine Quelle ohne deren Einverständnis gefährden. Ricarda L. erklärte aber, die Quelle überzeugen zu wollen, vor dem Ausschuss auszusagen. Außerdem deutete sie an, dass es für den Ausschuss „ein Leichtes“ sei, selber den Namen herauszubekommen. Der Ausschuss blieb bei seiner Forderung nach Nennung des Namens. Um welchen Hintergrund es geht, zeigte das Statement des Ausschussvorsitzenden Wolfgang Drexler (SPD): „Wir gehen davon aus, die Täter waren die zwei Uwes. Wenn Ihr Informant sagt, er kenne die Täter, muss er ja gewusst haben, dass es die zwei Uwes sind.“ Die Brisanz erschließt sich umgekehrt: Stimmt die Aussage des Informanten der Anwältin Ricarda L., passt sie nicht zur offiziellen Tatversion der Bundesanwaltschaft und der Polizistenmord von Heilbronn wäre wieder offen. Das ist der Nerv. Unfreiwillig offenbarte der Ausschussvorsitzende, dass das Gremium sowieso nichts anderes glaubt, als die offizielle Version. Schon Monate vorher, im Herbst 2016, hatten mehrere Obleute erklärt, die FBI-Geschichte sei „in sich zusammengefallen, wie ein Kartenhaus“. Und als im November 2016 das frühere Mitglied der Sauerlandgruppe, Fritz Gelowicz, vor dem Ausschuss auftrat, bogen hinterher mehrere UA-Mitglieder dessen Aussage, er könne nicht wissen, ob Mevlüt Kar am Tattag in Heilbronn war, um in die Aussage: Gelowicz habe erklärt, Kar sei nicht in Heilbronn gewesen. Dieser Ausschuss hat sich längst festgelegt: Es darf nicht sein, was nicht sein soll. Warum aber will er dann den Namen eines Informanten, der etwas anderes belegen könnte? Das kam auch der Zeugin Ricarda L. seltsam vor. Auf die Frage, warum sie sich überhaupt gemeldet habe, antwortete sie: „Ich werde es auch nie mehr tun. Vor allem gegenüber einem Untersuchungsausschuss, der sowieso der Meinung ist, es waren die zwei Uwes.“ So verschreckt man Zeugen. Allerdings trug das Ganze Züge einer Inszenierung. Der Obmann der Grünen, Jürgen Filius, konfrontierte die Zeugin mit der unwahren Behauptung, der von L. erwähnte Kollege, den er namentlich nannte, arbeite an einer Publikation und fragte dann rhetorisch: „Wollte er deshalb, dass Sie hierher kommen?“ Damit unterstellte Filius, von Beruf selber Rechtsanwalt, zwei Anwälte hätten vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss eine bewusste Falschaussage geplant und vorgenommen. Schließlich die Krönung dieses Sitzungstages: Die Obleute beschlossen, beim Amtsgericht Stuttgart die Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen Ricarda L. zu beantragen. Sie habe kein Zeugnisverweigerungsrecht. Ob sie dadurch den Namen des Informanten erfahren, ist mehr als fraglich. Sollte das Gericht, den Antrag ablehnen, was durchaus möglich ist, kann man eher davon ausgehen, dass die Anwältin ihre Quelle nicht mehr überzeugen will, vor diesem Ausschuss auszusagen. Dazu der Ausschussvorsitzende Drexler: „Dann ist es halt so.“ War das das Ziel: eine Spur und einen Zeugen kaputtzumachen? Gepaart war das Szenario der Obleute mit Verbalradikalismus, man könne sich das nicht bieten lassen und lasse sich nicht an der Nase herumführen. Die Abgeordneten messen mit zweierlei Maß: Von Verfassungsschützern und Staatsanwälten beispielsweise haben sie sich wiederholt und klaglos an der Nase herumführen lassen. Nicht unerwähnt lassen kann man, dass ausgerechnet die Abgeordnete der AfD gegen den Ordnungsgeld-Antrag stimmte. Sie zweifle nicht an der Glaubwürdigkeit der Rechtsanwältin L. So gibt man nebenbei dieser Partei Spielraum und baut sie auf. Der Vorgang erinnert verdächtig an andere ähnliche Vorgänge dieses Ausschusses. Als die Familie des in seinem Auto verbrannten Neonazi-Aussteigers Florian H. nicht mehr mit dem Ausschuss kooperieren wollte, weil sie das Vertrauen verloren hatte, ließ Drexler im September 2015 eine Hausdurchsuchung bei ihr durchführen. Anschließend erklärte das Gremium demonstrativ, sich mit dem Tod des jungen Mannes nicht mehr befassen zu wollen. Seit kurzem hat der Ausschuss einen Bericht des BND über die Abläufe in seinem Haus bezüglich der Informationen über die zwei FBI-Beamten vorliegen. Er umfasst zehn Seiten und ist so geheim, dass ihn die Abgeordneten nur im Geheimraum des Landtages lesen, aber keine Kopien mitnehmen dürfen. Zum Inhalt erfuhr man nichts. Der frühere BND-Präsident Ernst Uhrlau soll im Dezember 2016 in nicht-öffentlicher Sitzung abgestritten haben, dass es in Heilbronn eine Geheimdienstoperation gab. Warum aber ist dann der BND-Bericht derart geheim eingestuft? Kann man das nicht eher als eine Bestätigung werten, dass etwas Geheimhaltungsbedürftiges vorliegt? Daraufhin sagte der Ausschussvorsitzende, für ihn sei der Bericht „nicht geheimhaltungswürdig“. In München interessieren sich auch die Anwälte des Angeklagten Ralf Wohlleben für die FBI-Spur. Sie sollen beim U-Ausschuss in Stuttgart die Unterlagen dazu angefordert haben. Weil das der Ausschuss abgelehnt haben soll, formulierte die Wohlleben-Verteidigung einen Beweisermittlungsantrag, um über das Gericht an diese Unterlagen zu kommen. Nebenklageanwälte reagierten unterschiedlich. Einer nannte es, einen „sinnlosen Vorstoß in Richtung Verschwörungstheorie“. Walter Martinek jedoch, der Anwalt des Anschlagopfers Martin Arnold, schloss sich dem Antrag an. Er, wie auch sein Mandant, sehen noch Aufklärungsbedarf.“ (Telepolis 24.3.2017)


Die hessische Linke zeigt Andreas Temme an:

„Die hessische Linken-Fraktion hat am Mittwoch Strafanzeige gegen den früheren hessischen Verfassungsschützer Andreas Temme wegen uneidlicher Falschaussage gestellt. Durch ein neu aufgetauchtes Dokument sei nachgewiesen, dass Temme im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags gelogen habe, sagte der Obmann der Linken im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss, Hermann Schaus, in Wiesbaden. Der Ausschuss arbeitet die Rolle der Behörden bei den Morden der rechten Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) auf. Der ehemalige V-Mann-Führer des Verfassungsschutzes war nach Angaben der Linken, anders als von ihm selbst behauptet, bereits vor dem NSU-Mord in Kassel vom 6. April 2006 dienstlich mit der Ceska-Mordserie befasst. Temme habe ein Schreiben vom März 2006 abgezeichnet, mit dem er von seiner Vorgesetzten aufgefordert wurde, seine V-Leute zu der Mordserie zu befragen, sagte Schaus. Im Bundestags-Untersuchungsausschuss hatte Temme 2012 hingegen behauptet, die Mordserie mit der immer gleichen Ceska-Waffe vor der Tat in Kassel „so, in dieser Form, noch nicht wahrgenommen“ zu haben. Weiter sagte er wörtlich: „Nein, dienstlich war es definitiv kein Thema.“ Temme hatte sich am Tattag zur Tatzeit – oder wenige Sekunden davor – am Tatort, einem Internetcafé, aufgehalten und sich anschließend nicht bei der Polizei gemeldet. Der damalige Innenminister und heutige Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) hat stets beteuert, Temmes Aufenthalt sei rein privat gewesen und habe keinen dienstlichen Hintergrund gehabt. Daher habe er die Abgeordneten des Landtags auch monatelang nicht informiert, bis die Presse im Juli 2006 über die Anwesenheit des Verfassungsschützers am Tatort berichtete. Nun stellt die Linke infrage, ob sich Temme wirklich nur privat im Internetcafé aufgehalten habe. Am Freitag, 24. März, vernimmt der NSU-Untersuchungsausschuss im Wiesbadener Landtag drei Zeugen. Die Sitzung ist öffentlich. Interessierte Bürger werden gebeten, sich unter 0611 – 350484 bei Herrn Richter anzumelden. Boris Rhein (CDU), ehemaliger Innen- und heutiger Wissenschaftsminister, ist um 9.30 Uhr erster Zeuge. Iris Pilling, Abteilungsleiterin des hessischen Verfassungsschutzes soll von 12 Uhr an gehört werden. Anschließend wird der ehemalige Leiter der Verfassungsschutz-Außenstelle Kassel, Frank-Ulrich Fehling, vernommen.Zudem zeigt sich die Oppositionspartei verwundert darüber, dass das Dokument mit Temmes Namenszug erst im Dezember auf ausdrückliche Aufforderung der Linken geliefert worden sei. Schaus will wissen, warum Bouffiers Landesregierung das Aktenstück vorher weder der Polizei noch den Untersuchungsausschüssen im Bundestag und im Hessischen Landtag vorgelegt habe. CDU-Obmann Holger Bellino erwiderte, bisher wisse man nicht, ob das Kürzel tatsächlich von Temme und von vor der Tat stamme. Am Freitag wird das Dokument Thema im hessischen NSU-Ausschuss sein. Dann wird die Verfassungsschutz-Abteilungsleiterin Iris Pilling vernommen, die 2006 die Mail an die Außenstellen verschickt hatte. Dort war sie ausgedruckt und von den V-Mann-Führern abgezeichnet worden, da es noch keinen Mailzugang für alle Bediensteten gab. Auch der ehemalige Innenminister Boris Rhein (CDU) ist als Zeuge geladen. Er war zuständig, als 2012 die Akten für den Bundestags-Untersuchungsausschuss zusammengestellt wurden.“ (FR 22.3.2017)


Eine Zeugin im NSU-Ausschuss in BW macht eine erstaunliche Aussage zum Kiesewetter-Mord:

„Welche Rolle spielten ausländische Geheimdienste beim Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter? Eine Zeugenaussage beim NSU-Untersuchungsausschuss im Stuttgarter Landtag gab am Montag neue Anhaltspunkte. Eine Rechtsanwältin, die sich selbst als Zeugin gemeldet hatte, sagte aus, eine Kontaktperson habe ihr erklärt, es sei am 25. April 2007 auf der Theresienwiese in Heilbronn um ein Waffengeschäft gegangen. Die Anwältin verteidigte ein Mitglied der islamistischen Sauerlandgruppe, die Terroranschläge in Deutschland verüben wollten. Nach Angaben ihrer Kontaktperson sei am Tag der Ermordung Kiesewetters ein Türke in Heilbronn gewesen, der sowohl für den türkischen Geheimdienst MIT als auch für den amerikanischen Geheimdienst CIA gearbeitet haben soll. Die Anwältin erklärte, sie habe aus diesen Angaben geschlossen, dass es sich bei dem Türken um Mevlüt K. gehandelt habe. Er soll der Sauerlandgruppe Zünder geliefert haben. Die Aussage steht im Widerspruch zu diversen Zeugenbefragungen, dass Mevlüt K. am 25. April 2007 nicht in Heilbronn gewesen sein konnte. „Aus Sicherheitsgründen“ wollte die Zeugin den Namen der Kontaktperson nicht nennen. Sowohl amerikanische als auch deutsche Behörden hatten beteuert, es habe keinen Einsatz gegen Islamisten am Tattag in Heilbronn gegeben. Der Ausschuss beschloss, ein Ordnungsgeld gegen die Anwältin beim Amtsgericht zu beantragen. „Wir sind der Auffassung, dass sie kein Zeugnisverweigerungsrecht hat“, sagte Ausschusschef Wolfgang Drexler (SPD). Bislang habe es keine Zeugen gegeben, die die Anwesenheit von Mevlüt K. auf der Theresienwiese am Tattag bestätigt hätten. Das Gremium hatte auch Mitglieder der Sauerlandgruppe befragt.“ (SWR 22.3.2017)


Am 8.3.2017 behauptet die Staatsanwaltschaft Bayreuth und das Polizeipräsidium Oberfranken dass es keinen Zusammenhang zwischen dem Tod der Schülerin Peggy und Uwe Böhnhardt geben soll. Wie ein ca. Cent großes Stück Stoff vom Eisenacher Tatort 5 Jahre später an den Fundort der Leiche von Peggy gelangen konnte, wurde nicht erklärt, da die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind.


Am selben Tag wird zum wiederholten mal ein ungeheuerlicher Vorgang aus Thüringen bekannt:

„Neue Behördenpanne im NSU-Komplex. Es fehlen 114 Kurznachrichten. Aufregung im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages: In Unterlagen des Thüringer Landeskriminalamtes Thüringen fehlen mehrere Seiten Protokolle aus einer Telefonüberwachung. Wo sie abgeblieben sind, ist unklar.(von Axel Hemmerling und Ludwig Kendzia) Es ist der August 1998 in Chemnitz. Seit sieben Monaten sind Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe auf der Flucht. Ihnen auf der Spur ist der Thüringer LKA-Zielfahnder Sven Wunderlich. Dass die Drei in Chemnitz sein sollen, hatte Wunderlich immer wieder gehört. Doch bisher ist seine Suche vergeblich gewesen. Wunderlich ist aber ein Zielfahnder, der nicht so schnell aufgibt. Er weiß, bei einer solchen Flucht muss nicht nur das familiäre Umfeld, sondern auch Freunde oder Kameraden aus der rechten Szene als mutmaßliche Helfer gesehen werden. Wunderlich forscht in Chemnitz nach und ist schnell auf der Spur des Neonazis Jan Werner. Eine Szenegröße, mit guten Kontakten zum Neonazi-Netzwerk „Blood & Honour“. Diese Kontakte sind es, die LKA-Fahnder Wunderlich interessieren. Denn wer im Untergrund lebt, braucht Hilfe – das ist seine These. Mit dieser konnte Wunderlich die Staatsanwaltschaft Gera überzeugen, ihm beim Amtsgericht die Genehmigung zu besorgen, das Handy von Werner anzuzapfen. Zwischen August und November 1998 fing das Thüringer Landeskriminalamt Tausende von SMS ab. Offenbar waren die Kurznachrichten das beliebteste Kommunikationsmittel von Jan Werner. In der Fachsprache der Polizei werden die abgefangenen Nachrichten als sogenannte S-Records bezeichnet. Gespeicherte SMS, die in ausgedruckter Form Hunderte von Seiten füllen. Jede der SMS hat eine Kennnummer, und diese Nummern ziehen sich fortlaufend durch die Akten. Werner kommunizierte mit all seinen Kameraden per SMS, und das Thüringer LKA las mit. Doch in keiner Textmitteilung werden Mundlos, Böhnhardt oder Zschäpe erwähnt. Dafür ein „Bums“. Am 25. August 1998 schreibt Werner einem Kameraden mit dem Namen Carsten Szczepanksi einen SMS. „Hallo, was ist mit dem Bums?“. Dieser Satz ist in den Ermittlungen des NSU-Komplexes von zentraler Bedeutung. Denn bei Carsten Szczepanski handelt es sich um den ehemaligen V-Mann des brandenburgischen Verfassungsschutzes „Piatto“. Nach dem Auffliegen des NSU im November 2011 und den Auswertungen der alten Akten ging das Bundeskriminalamt davon aus, dass so codiert über Waffen und Sprengstoff für das Trio kommuniziert wurde. Deshalb sind Werners SMS brisant. Doch nun, über fünf Jahre nach dem Auffliegen, droht eine erneute Behördenpleite. Denn im Untersuchungsausschuss des Bundestages wurde festgestellt, dass 114 SMS, die Werner mutmaßlich empfangen oder versendet hatte, in den Akten fehlen. Konkret geht es um Nachrichten zwischen 26. August 1998 15:31 Uhr und dem 27. August 1998 06:58. Es gibt zwischen den SMS-Protokollnummern 1748 und 1862 eine Lücke. Die räumt das Thüringer Innenministerium in einem Schreiben an den Bundestagsuntersuchungsausschuss ein. In dem vertraulichen Papier, das MDR THÜRINGEN vorliegt, heißt es: „Die vom Untersuchungsausschuss festgestellte Lücke in den TKÜ-Unterlagen […] besteht tatsächlich.“ Ein technisches Versagen der Aufzeichnungsgeräte kann ausgeschlossen werden. Denn vom Handy eines anderen, damals überwachten Neonazis ging um 15:32 eine SMS bei Werner ein. Diese Überwachung lief also. Wie die Daten aus den Akten verschwunden sind, kann das Ministerium nicht erklären. Es sind aber nicht die einzigen SMS, die fehlen. MDR THÜRINGEN hat bei einer Analyse der Akten weitere Lücken gefunden. So fehlen am 29. August 1998 22 Textnachrichten in den Protokollen. Der Untersuchungsausschuss des Bundestages versucht nun zu klären, wie die Daten aus den Akten verschwinden konnten. Die wichtigste Frage dabei: Ist das vor oder nach der Enttarnung des NSU-Trios am 4. November 2011 passiert? Sollten damit eventuell Spuren verwischt werden und wenn ja, warum? Oder, fehlen die SMS aufgrund von schlampig geführten Akten? Für die Linken-Obfrau im NSU-Untersuchungsausschuss in Berlin, Petra Pau, deutet alles auf eine Manipulation hin. Pau sagte MDR THÜRINGEN: „Die Akten der Zielfahndung zu einem zentralen Unterstützer des NSU-Kerntrios sind ganz offensichtlich manipuliert worden.“ Für sie müsse die Frage, wer dafür verantwortlich sei, dringend geklärt werden. Der Ausschuss will nun prüfen, ob LKA-Beamte aus Thüringen als Zeugen vorgeladen werden sollen. Besonders drei Beamten kämen da in Frage. Sie sollen nach dem Auffliegen des Trios die alten Akten durchgesehen haben – darunter auch die brisanten Abhörprotokolle. Alle drei Polizisten waren damals in die Suche nach dem Trio eingebunden gewesen. (MDR Online 8.3.2017)


Thomas Moser ergänzt zum jüngsten Todesfall im NSU-Komplex (Corinna B.):

„Der Ausschuss erfuhr am 7. Februar von ihrem Ableben. In einer Pressemitteilung warf der Vorsitzende des Gremiums die Frage auf, „ob die Zeugin eines natürlichen Todes gestorben ist und Fremdeinwirkung oder Fremdverschulden ausgeschlossen“ werden kann. Nach Angaben eines Mediziners, der bei der Leichenschau dabei gewesen sein soll, spreche „nichts für einen unnatürlichen Todesfall“, heißt es in dem öffentlichen Schreiben zum Tod der Zeugin. Eine rechtsmedizinische Untersuchung ist allerdings nicht mehr möglich. Die Tote wurde bereits eingeäschert. Wer das entschieden hat, konnte bisher nicht in Erfahrung gebracht werden, zusammen mit einer ganzen Reihe weiterer Fragen. Unbekannt sind bis dato die Todesumstände der Frau, die zuletzt krank und auf eine Gehhilfe angewiesen gewesen sein soll. Ein Sprecher des Justizministeriums von BaWü erklärt lediglich: „Es scheint alles sehr wenig spektakulär zu sein. Es war kein unnatürlicher Todesfall.“ Umso seltsamer, dass die Todesursache nicht genannt wird. In welcher Stadt Corinna B. gestorben ist, wird bisher ebenfalls nicht mitgeteilt. Gelebt haben soll sie in dem Ort Tamm, nördlich von Ludwigsburg. Doch in Tamm ist sie nicht gestorben, wie man bei der örtlichen Stadtverwaltung erfährt. Vom Untersuchungsausschuss des Landtages, der die amtliche Sterbeurkunde der betreffenden Kommune erhielt und damit wissen müsste, wo Frau B. starb, gibt es keine Auskunft. Er will den Fall erst am 24. Februar in seiner nächsten Sitzung thematisieren.“

Wolf Wetzel kommentiert am 15.2.2017 in der Jungen Welt das Zeugen Sterben im NSU Komplex:

„Schon vor dem jüngsten Todesfall im Dunstkreis der NSU-Ermittlungen konnte selbst die Reporterin der Welt-Gruppe, Hannelore Crolly, dieses Zeugensterben nur noch mit Sarkasmus aushalten: »Im Angebot als Todesursachen sind (…) zwei Suizide, einer aus Liebeskummer, einer einfach nur so, außerdem die Lungenembolie einer 20jährigen und der ›unerkannte Diabetes‹ eines V-Mannes im mittleren Lebensalter. Der starb, so die offizielle Version, aus heiterem Himmel am Zuckerschock.« Als diese Zeilen im Februar 2016 geschrieben wurden, waren es vier – und wenn man den mysteriösen Feuertod des 18jährigen Arthur Christ hinzunimmt, fünf. Anders als die übrigen war Christ, ein mutmaßlicher Augenzeuge des Mordes an der Polizistin Michèle Kiesewetter, bereits Jahre vor der Aufdeckung des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) in der Nähe von Heilbronn tot aufgefunden worden – im Januar 2009. Ob es Mord oder Selbstmord war, blieb unklar. Nun ist eine weitere Zeugin tot – mit nur 46 Jahren bisher mit Abstand die älteste. Sie starb am 2. Februar und hätte womöglich über die Frühgeschichte des NSU und seine Verbindungen nach Baden-Württemberg Auskunft geben können. Der NSU-Untersuchungsausschuss des dortigen Landtags verschweigt ihren Namen. Bisher spreche »nichts für einen unnatürlichen Todesfall«, hieß es am Donnerstag in einer Pressemitteilung des Gremiums. Das wird wohl auch so bleiben, denn das »Beweismittel« ist bereits eingeäschert worden. Obwohl man sich bemüht habe, dies zu verhindern – leider zu spät. Der Journalist Thomas Moser gibt den Namen der Frau mit Corinna B. an. In den 1990er Jahren zählte sie zur Neonaziszene Ludwigsburgs. 1996 soll sie dort eine Szenekneipe gemeinsam mit Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos besucht haben, die heute als Gründer des NSU gelten. Laut Moser war Corinna B. zeitweise die Freundin von Hans-Joachim S., dessen Name auch auf einer Adressliste stand, die Mundlos 1998 bei seinem überstürzten Untertauchen in Jena zurückgelassen hatte. Vor allem Mundlos und Zschäpe hätten ab Mitte der 1990er bis Anfang der 2000er Jahre regelmäßig ihre »Kameraden« in Ludwigsburg besucht. Von diesen engen Kontakten des mutmaßlichen NSU-Kerntrios zu Baden-Württembergs Neonaziszene wollen die Sicherheitsbehörden lange nichts gewusst haben. Als Staatsschutzbeamte vom Untersuchungsausschuss gefragt wurden, ob es eine Neonaziszene in und um Heilbronn gäbe, haben sie dies bestritten. Auch die 2014 veröffentlichte Ergebnisse der »Ermittlungsgruppe Umfeld« (EG Umfeld) sah keine Verbindungen des NSU in das Bundesland. Knapp zwei Jahre nach Bekanntwerden des NSU Ende 2011 – also fast fünf Jahre nach dem Tod von Arthur Christ – war im September 2013 der 21jährige Neonaziaussteiger Florian Heilig verbrannt. Nach ersten offiziellen Einschätzungen soll er nur Stunden, bevor er vor Mitarbeitern des Landeskriminalamtes Angaben zum Kiesewetter-Mord machen wollte, Selbstmord begangen haben. Auf Christ und Heilig folgte im März 2014 der Ex-V-Mann Thomas Richter alias Corelli (39), zunächst offizielle Todesursache: Zuckerschock. Im März 2015 kam dann Florian Heiligs Exfreundin Melisa Marijanovic, offizielle Todesursache: Lungenembolie; knapp ein Jahr später deren Verlobter Sascha Winter, der im Februar 2016 angeblich Suizid beging. Bei Heilig und »Corelli« wurden später Zweifel laut – und die Todesermittlungen wiederaufgenommen. Bisher ohne Ergebnis. Am 2. Februar schließlich Corinna B. – Todesursache unklar. Fest steht: Sie sollte als Zeugin vernommen werden. Bekannt war und ist auch, dass Zeugen in Baden-Württemberg bedroht wurden und dies klar zum Ausdruck gebracht hatten – wie in den Fällen Florian Heilig und Melisa Marijanovic. Es stellt sich die Frage, warum sie nicht geschützt wurden und inwieweit sie auch für Sicherheitskreise lästig waren. 2013 hatte Baden-Württembergs Innenministerium entgegen früheren Behauptungen die Existenz eines hochkarätigen V-Mannes in der Neonaziszene zugeben müssen – und mehr noch, es handelte sich um Achim Schmid, den Gründer eines baden-württembergischen Ku-Klux-Klan-Ablegers. Nach offiziellen Angaben war der rassistische Geheimbündler von 1996 bis 2000 für das Landesamt für Verfassungsschutz tätig. Mitglied des Ku-Klux-Klan war auch Thomas Richter alias Corelli. Richters Name stand auf jener Adressliste von Uwe Mundlos. Der Verfassungsschutz war also selbst Bindeglied zwischen Neonazigruppen. Dass die Ermittlungssabotage in Baden-Württemberg bis heute anhält, zeigt ein weiteres Beispiel. Der Untersuchungsausschuss des Bundestags griff im Herbst 2016 eine Personalie auf, die allen bekannt ist, die mit dem Heilbronner Polizistinnenmord von 2007 vertraut sind: Markus Frntic. Er war Mitglied in der neonazistischen Organisation »Blood and Honour« (B & H). Als diese verboten wurde, baute er die Vereinigung »Furchtlos und treu« auf. Ein Foto, das im Juli 2015 den Stuttgarter Nachrichten vorlag, zeigt Frntic zusammen mit Marcel Degner – ehemals Kassenwart von B & H und nach heutigen Angaben des Thüringer Verfassungsschutzes auch zeitweise dessen V-Mann. Er soll im November 1999 Geld für die drei abgetauchten Neonazis aus Jena gesammelt haben. Auch Thomas Starke, Informant der Berliner Polizei und zeitweise Geliebter Zschäpes, sei auf dem Bild mit Frntic zu sehen. Im Bundestagsausschuss wurde folgerichtig eine leitende Kriminalbeamtin gefragt, was sie über Frntic wisse. Die Antwort: »Zu ihm gab es Ermittlungen. Aber ich kann keine Angaben machen, weil die Person eingestuft ist«, zitierte sie Thomas Moser in einem Bericht für das Portal Telepolis im Oktober. Die Einstufung als geheim legt den Schluss nahe, dass es hier um die »Schutzbedürftigkeit« eines V-Mannes geht. Der Untersuchungsausschuss Baden-Württembergs hat die Akte Frntic bisher nicht angefordert. Zweifellos hätte die Zeugin Corinna B. vieles einordnen, bestätigen und ergänzen können. Sie war womöglich nicht nur für ihre »Kameraden« eine Gefahr. Warum konnte eine Einäscherung nicht verhindert werden? Ein Anruf hätte genügt.“


Am 8. Februar 2017 wird der Tod einer weiteren potenziellen Zeugin in Baden-Württemberg bekannt. Es ist die sechste Zeugin, die für den NSU-VS-Komplex in Baden-Württemberg von Bedeutung war:

„Der NSU-Untersuchungsausschuss im Landtag hat es mit einem weiteren Todesfall zu tun. Eine frühere Rechtsextremistin und Freundin des mutmaßlichen NSU-Mitglieds Beate Zschäpe ist Anfang Februar gestorben. Die Tote sollte ursprünglich als Zeugin geladen werden. Wie Ausschusschef Wolfgang Drexler (SPD) am Donnerstag in Stuttgart mitteilte, bat das Gremium das Justizministerium um Auskunft über den Tod der Frau. Zuletzt lebte die Tote in einem Pflegeheim bei Ludwigsburg. Sie sei bereits tot gewesen, bevor sie die Ladung erhalten habe, so Drexler gegenüber dem SWR. Es spreche derzeit nichts für einen unnatürlichen Tod. Der Ausschuss interessiert sich für die Frau, weil sie in den 1990er Jahren zu einer Gruppe von Rechtsextremisten im Raum Ludwigsburg gehört haben soll. Diese wiederum habe im Austausch mit der Neonazi-Szene in Jena und Chemnitz gestanden. „Sie kannte Zschäpe, Mundlos, Bönhardt, war also da bei Treffen dabei und hat wohl mit jemanden zusammengelebt, der in Baden-Württemberg Mitveranstalter von Geburtstagspartys war“, sagte Drexler weiter. „Das waren deklarierte rechtsextreme Skinheadbands, szenetypsicher Besucher sind da gekommen. Das wäre für uns eine interessante Zeugin gewesen.“ Hintergrund: Die Rechtsterroristen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) sind nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft für zehn Morde zwischen 2000 und 2007 verantwortlich, darunter ist auch der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn. Das NSU-Trio hielt sich mehrmals in Baden-Württemberg auf. Der NSU-Ausschuss will nun beraten, ob noch Ermittlungen zum Tod der Frau möglich sind. Die Leiche ist allerdings bereits verbrannt worden. Das Gremium will sich in seiner Sitzung am 24. Februar mit dem Thema beschäftigen und erwartet, dass das Justizministerium bis dahin genauer Auskunft gibt. (SWR.de 9.2.2017)


Der Landtag Baden-Württemberg informiert am 9.2.2017:

„Beschlossene, noch nicht geladene Zeugin verstorben. Stuttgart. Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses „Das Unterstützerumfeld des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) in Baden-Württemberg und Fortsetzung der Aufarbeitung des Terroranschlags auf die Polizeibeamten M. K. und M. A.“, Wolfgang Drexler MdL, hat das Justizministerium um Auskunft über den Tod einer Zeugin gebeten, die am 2. Februar 2017 verstorben war. Der Vorsitzende erklärte dazu: „Das Ausschusssekretariat hat am 7. Februar 2017 nach einer standardmäßigen Einwohnermeldeauskunft zur Vorbereitung einer Ladung der Zeugin erstmals von der Meldebehörde vom möglichen Ableben der Zeugin erfahren und sich umgehend um eine amtliche Bestätigung bemüht. Am Morgen des 8. Februar 2017 wurde der Tod der Zeugin durch das zuständige Standesamt bestätigt und die Sterbeurkunde übersandt. Da wir leider bereits mit bedauerlichen Todesfällen zu tun hatten, habe ich das Sekretariat sofort beauftragt, beim Innen- und Justizministerium nachzufragen, ob dort etwas vom Tod der Zeugin bekannt wäre. Nachdem bei uns gegen 10:20 Uhr weitere Informationen eingingen, dass die Einäscherung wohl im Laufe des Tages erfolgen werde, haben wir beim Justiz- und Innenministerium angeregt, dringend Maßnahmen zu erwägen, um die spätere Aufklärung nicht unmöglich zu machen bzw. zu erschweren. Leider war, wie wir später erfahren haben, wohl die Einäscherung bereits erfolgt, bevor wir uns erstmals an die Ministerien wenden konnten. Ich habe, insbesondere durch ein Schreiben vom gleichen Tag, dem Justizministerium mitgeteilt, dass der Ausschuss großes Interesse daran hat, zu wissen, ob die Zeugin eines natürlichen Todes gestorben ist und Fremdeinwirkung oder Fremdverschulden bei ihrem Tod ausgeschlossen werden kann. Nach einer ersten Antwort des Ministeriums habe ich am heutigen Tag die Obleute der Fraktionen im Ausschuss entsprechend in Kenntnis gesetzt.“ Aus den dem Ausschuss bislang mitgeteilten Informationen spreche nichts für einen unnatürlichen Todesfall, so Wolfgang Drexler weiter. Dies habe wohl auch ein forensisch erfahrener Mediziner bestätigt, der an der Leichenschau mitgewirkt habe. Der Ausschuss werde in seiner nächsten Sitzung am 24. Februar 2017 den Sachverhalt ansprechen und erwarte die Beantwortung seiner Anfrage an das Justizministerium über den Fortgang der Aufklärung: „Jetzt sind die Behörden vor Ort und die zuständigen Ministerien in der Verantwortung“, sagte der Vorsitzende weiter. Er sei sicher, dass die weiteren Abklärungen ebenso wie die Information des Ausschusses und der Öffentlichkeit mit der gebotenen vollständigen Gründlichkeit, Sorgfalt und Umsicht durch die zuständigen Behörden betrieben werden: „Ich bin zuversichtlich, dass die Behörden ihre Lektionen gelernt haben.“ Der Ausschuss werde im Rahmen seines Auftrags die Ermittlungen der zuständigen Behörden unterstützen und, wie immer, überaus aufmerksam, kritisch und unabhängig begleiten, betonte Drexler. Die Zeugin gehörte in den 1990er Jahren mutmaßlich zu einer Gruppierung von Rechtsextremisten im Raum Ludwigsburg, welche im persönlichen Austausch mit der Neonazi-Szene in Jena und Chemnitz standen. 1996 soll sie in diesem Rahmen eine Szenegaststätte in Ludwigsburg gemeinsam mit Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos besucht haben. Später war sie liiert mit einem aus Thüringen stammenden und in Baden-Württemberg wohnhaften zentralen Mitveranstalter diverser als „Geburtstagsfeiern“ deklarierter Konzerte rechtsextremer Skinheadbands und szenetypischen Besuchern aus dem gesamten Bundesgebiet, darunter auch der Band „Noie Werte“.“


Der Mord an dem 9-jährigen Bernd Beckmann rückt in den Fokus. Der Tatverdächtige Enrico T., ein Freund Böhnhardts, stand unter Tatverdacht. Und wieder einmal zeigen sich im NSU-Komplex Widersprüche und Belege dafür, dass Beweismittel vernichtet wurden:

„Uwe Böhnhardt, mutmaßlich eines der Kernmitglieder der Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU), geriet 1994 in das Visier einer Jenaer Mordkommission. Die versuchte damals, den Mord an dem neunjährigen Bernd Beckmann aufzuklären. Aus Ermittlungsakten, die der „Welt“ vorliegen, geht hervor, dass Böhnhardt für die Tat kein Alibi hatte und das als konkrete Spur in dem Fall bearbeitet wurde. Die Polizei nahm ihm damals Haarproben ab, um sie mit DNA-Spuren am Fundort der Kindesleiche abzugleichen. Die Ermittlungen in Richtung Böhnhardt, auch das wird aus den Akten klar, wurden damals jedoch nicht gründlich genug geführt. Bisher war öffentlich nur bekannt, dass ein Freund des Rechtsradikalen lange als einer der Hauptverdächtigen in dem Fall galt. Dass Böhnhardt selber kein Alibi für die Tat hatte, ist neu. Eine Sonderkommission des Thüringer Landeskriminalamts (LKA) arbeitet nun die Altakten des Falles seit Monaten auf. Eine sonderbare Spur hatte die Thüringer Ermittler dazu gebracht, den Fall neu aufzurollen: Am Fundort der Leiche des vor gut 15 Jahren verschwundenen Mädchens Peggy K. war Böhnhardts DNA festgestellt worden. Plötzlich stellte sich die Frage: War Böhnhardt – mutmaßlicher Terrorist, Bankräuber, Mörder – auch noch in einen Kindesmord verwickelt? Die neunjährige Peggy war im Mai 2001 in Oberfranken verschleppt worden. Überreste ihrer Leiche wurden erst 14 Jahre später in Thüringen gefunden. Wenige Tage nach der Feststellung der Böhnhardt-DNA am Fundort von Peggys Leiche dann die vermeintliche Wende: Eine Verunreinigung sei der Grund für die Spur, hieß es in Presseberichten. Der Beweis für diese These fehlte jedoch; die zuständige Staatsanwaltschaft in Bayreuth ließ nur verlauten, dass sowohl am Fundort von Peggy als auch bei der Obduktion von Böhnhardt „teilweise identisches Spurensicherungsgerät“ verwendet worden sei. Eine Aussage zu einer möglichen Kontamination könne, so die Staatsanwalt, „erst nach weiteren umfassenden und zeitaufwendigen Ermittlungen getroffen werden“. Diese Untersuchung dauert auch drei Monate später immer noch an. Die Staatsanwaltschaft wollte der „Welt“ nicht sagen, wie weit man mit den Ermittlungen ist. Ein Ergebnis hatte der rätselhafte DNA-Fund jedoch: Eine Thüringer Sonderkommission bekam den Auftrag, ungeklärte Kindermorde neu zu bewerten. Und hierbei steht besonders ein Fall im Zentrum: der Mord an Bernd Beckmann in Jena. Seine Mutter meldete den Neunjährigen am 6. Juli 1993 als vermisst. Er war nach der Schule nicht nach Hause gekommen; zuletzt wurde er in der Nähe des Wohnhauses seiner Großeltern im Stadtteil Lobeda gesehen. Zwölf Tage später wurde seine Leiche von Kindern am Ufer der Saale gefunden. Bernd Beckmann war erdrosselt worden. Die Mordkommission ermittelte, dass der Junge vor seinem Tod an verschiedenen Orten im Viertel Lobeda gesehen wurde. Dort lebte damals auch Uwe Böhnhardt. Der war Teil einer Jugendgang, die Autos stahl und auch sonst zunehmend kriminell wurde. Ein Mitglied geriet ins Visier der Mordermittler: Enrico T., damals 18 Jahre alt. In der Nähe der Leiche des Jungen war ein Außenbordmotor gefunden worden. Zeugen sagten aus, diesen Motor an einem Boot von Enrico T. gesehen zu haben, das dieser oft in der Nähe des Fundorts der Leiche an einem Anleger vertäut hatte. T. gab bei der Polizei an, das Boot sei ihm kurz vor dem Verschwinden des Jungen gestohlen worden. Mehrere Freunde hätten von dem Boot gewusst, darunter Böhnhardt. So verhörte die Polizei diesen im April 1994. Der damals 16-Jährige ging in die achte Klasse, war aber wenige Monate zuvor erst aus dem Gefängnis entlassen worden. Er hatte mehrere Monate in Untersuchungshaft gesessen. Unter anderem hatte er einen Jungen schwer misshandelt und Geld von ihm erpresst. In der Haft hatte Böhnhardt einen Mithäftling gefoltert, unter anderem heißes Plastik auf seinen Rücken tropfen lassen. Das aber wussten die Polizisten nicht, die ihn in der Mordsache Beckmann verhörten. Die gewannen vielmehr einen positiven Eindruck von Böhnhardt und notierten: Der Zeuge erkläre, nur aus Dummheit in die Straftaten anderer hineingezogen worden zu sein. Seiner Erscheinung nach – Springerstiefel, Bomberjacke – sei Böhnhardt zwar rechts einzuordnen; inzwischen trage er die Haare aber länger, zum Scheitel gekämmt. Ein in sich ruhender 16-jähriger Ex-Krimineller: „Auch nach der Erläuterung des Hintergrundes der Entnahme von Körperhaaren blieb Böhnhardt ruhig.“ Die Polizisten schlossen nach „subjektiver Einschätzung“ eine Täterschaft aus: „Es wird vorgeschlagen, die Spur Böhnhardt abzulegen.“ Ein auf den ersten Blick unscheinbarer Nebensatz im Vermerk über die Aussage Böhnhardts lässt jedoch aufhorchen. Der blieb, so schrieben die Beamten, „bei allen ihn konfrontierenden Fragestellen“ gelassen – „dies auch im Bewusstsein, kein Alibi zu haben“. Denn er konnte auch mit „Hilfestellungen“ keine Angaben zu einem Alibi machen. Das aber heißt: Eine Beteiligung Böhnhardts an dem Verbrechen lässt sich nicht ausschließen, da er eben kein Alibi für die Tatzeit hatte.
Allerdings wird es schwer für die Ermittler werden, die nun den Fall neu aufrollen, der Wahrheit näher zu kommen und Böhnhardts Rolle abschließend zu klären. Denn die Akten offenbaren, wie an vielen anderen Stellen im NSU-Komplex auch, Lücken, Widersprüche und Belege dafür, dass wichtige Beweismittel vernichtet worden sind. Auf dieses Problem stieß auch zehn Jahre nach dem Mord ein Team von Ermittlern, das schon einmal versucht hatte, den ungelösten Fall zu klären. Zu ihrer Verblüffung mussten sie feststellen, dass mehrere Asservate, unter anderem fremde Haare, die man an der Leiche des Jungen festgestellt hatte, bereits vernichtet worden waren. Auch war nicht auszumachen, ob der Junge missbraucht worden war: „Beachte: Ein Abstrich aus der Genito-/Analregion sowie aus dem oralen Bereich wurde nicht vorgenommen. Ein Eindringen in den Afterbereich … wurde nicht untersucht.“ Zudem gab es kaum Fotos vom Fundort und „kein Faserverteilungsbild der Bekleidung des Opfers“. Weiter hieß es: „DNA-Auswertung nicht abgeschlossen.“ Es finden sich mehrere Vermerke, in denen sich Beamte später intern über die unvollständigen Ermittlungen beschwerten. Die vorhandenen Akten zeigen immerhin, dass Enrico T. sehr viel schwerer belastet wurde als bislang bekannt. Diese Informationen lagen etwa dem Gericht in München, wo T. mehrfach aussagen musste, nicht vor. So verstrickte er sich nach dem Mord in seinen Aussagen bei der Polizei in Widersprüche. Und wie Böhnhardt hatte T. kein Alibi. Er erklärte, dass er zum Zeitpunkt des Mordes 200 Meter entfernt in seiner Garage gewesen sei. Zudem wurde der Jenaer Junge, wie die Gerichtsmediziner feststellten, mit einem Draht erwürgt, dessen Beschaffenheit klar einzugrenzen war: Ein Draht der gleichen Machart wurde auch in T.s Wohnung gefunden. Noch Jahre nach dem Mord hielten die Ermittler deshalb den jungen Mann aus Jena-Lobeda für dringend tatverdächtig. Immer wieder schrieben sie der Staatsanwaltschaft, die über eineinhalb Jahre lang auf die Schreiben der Polizei nicht reagierte. Und das, obwohl ein weiterer Zeuge T. schwer belastet hatte: T. habe ihm gegenüber den Mord an einem Kind zugegeben. Die Polizei hielt den Zeugen für glaubhaft und schlussfolgerte: „Die wesentlichen Spuren sind alle in Bezug zum Verdächtigen, Herrn T., zu bringen.“ Trotzdem versandete die Spur. Die zuständige Staatsanwaltschaft entschied sich vielmehr dafür, intensiv gegen einen Mann zu ermitteln, der wegen mehrerer Sexualdelikte vorbestraft war und in Tatortnähe gearbeitet hatte. Er wurde zeitweise abgehört und durch das Mobile Einsatzkommando observiert. Allerdings wussten die Ermittler, dass er ein Alibi hatte. So endete diese Spur zwangsläufig in der Sackgasse. Bei Enrico T. indessen sind solche Maßnahmen – intensives Abhören, Observationen – nicht zu erkennen. Es findet sich keine Erklärung dafür, warum man irgendwann von T. abgelassen hat. Unklar ist, ob ihn irgendein Indiz entlastet hat. T. saß nach dem Mord an Bernd Beckmann lange Zeit im Gefängnis; er wurde zum Berufskriminellen. 2012 geriet er wieder in den Blickpunkt – und damit auch wieder der ungeklärte Mord an dem Kind. T. stand im Verdacht, dabei geholfen zu haben, dem NSU eine seiner Mordwaffen, die Ceska 83, beschafft zu haben. Die Waffe hatte ein Schweizer Staatsbürger, Hans-Ulrich Müller, 1996 in seinem Heimatland besorgt, samt Schalldämpfer. Das Verblüffende: Dieser Mann taucht ebenfalls in den Akten zum Mordfall Beckmann auf. In der Hosentasche des Opfers war ein Fetzen Lagenzellstoff gefunden worden, der in der EU nicht hergestellt wird. Die Ermittler bekamen heraus, dass Enrico T. eng mit dem Schweizer Müller befreundet war – das brachte man offenbar mit dem Stoff in Verbindung. Der Schweizer hatte einiges zu verbergen, so hielt man in einem Dokument fest: „Müller hielt sich auch unter falschem Namen in Kaatschen-Weichau (bei Camburg) verborgen, wo er regelmäßig von Enrico T. besucht wurde; ebenso war der Müller in der Garage des T. Er ist Schweizer Staatsbürger, mehrfach vorbestraft und z. Z. in der Schweiz inhaftiert.“ Hatte der junge Bernd Beckmann etwas gesehen, was er nicht sehen sollte? Nach der Aussage einer Zeugin hatte T. spätestens 1997 in seiner Garage Waffen versteckt, darunter eine Maschinenpistole. In der Nähe dieser Garage wurde die Leiche von Bernd Beckmann gefunden. Die Möglichkeit einer Verdeckungsstraftat wurde damals nicht intensiv verfolgt. Und just in diesem Garagenkomplex mietete auch Beate Zschäpe eine Garage, allerdings erst nach dem Mord an dem Jungen. Die Garage nutzten unter anderem Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos als Lager und Bombenwerkstatt. Als sie Anfang 1998 von der Polizei durchsucht wurde, setzten sich Böhnhardt und seine Freunde aus Jena ab. Enrico T. hat in seinen Aussagen vor Gericht im NSU-Prozess und beim BKA jede Beteiligung am Beckmann-Mord bestritten. Beim BKA behauptete er, Böhnhardt habe etwas mit der Tat zu tun. Ob Enrico T. am Ende recht hat oder nur von seiner eigenen Rolle ablenken will, wird schwer aufzuklären sein. Inzwischen bemühen sich sowohl der NSU-Ausschuss des Bundestags als auch der des Thüringer Landtags, Licht ins Dunkel zu bringen. Dabei dürfte die Rolle von Ron E. von besonderem Interesse sein. Der Mann führte mit seinem Bruder eine Verbrecherbande in Jena an. Für diese soll der Schweizer Waffenhändler des Öfteren Pistolen besorgt haben, auch Enrico T. arbeitete für ihn. Eine Ex-Freundin meldete sich 1998 bei der Polizei und fragte, ob DNA-Spuren am Tatort gesichert worden seien, etwa Haare. Erst nach mehreren Nachfragen gab sie zu, dass E. sie geschickt habe. Warum sind die Thüringer Ermittler dieser Information über Ron E. nicht mit Nachdruck nachgegangen und haben geklärt, warum er sich so für den Mord interessiert hat? Ein Grund könnte sein, dass Ron E. zeitweilig als Informant für das LKA Thüringen gearbeitet hat. Ob er damals von seinen Führungsbeamten auch zum Kindesmord befragt worden ist, werden die verschiedenen NSU-Untersuchungsausschüsse klären müssen. “ (Welt Online 3.2.2017)


Kiesewetter-Mord: Bundesanwaltschaft verweigerte Ermittlern Akten :

„Frank Dittrich, Vizechef des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) von BaWü machte eine Bemerkung, eher beiläufig, die eine ganze Geschichte erzählt. Zunächst: Der Verfassungsschutz will keine Erkenntnisse über Kontakte der rechtsextremen Szene mit dem NSU gehabt haben, als der sich schon so nannte und das Morden ab 2000 begonnen hatte. Dass er doch welche gehabt haben muss, sei an dieser Stelle einmal ausgeklammert. Es betrifft unter anderem die Affäre um den LfV-Beamten Günter S., der im Jahre 2003 von einem Informanten über eine ostdeutsche Terrorgruppe namens „NSU“ sowie einem Mitglied namens „Mundlos“ und vier weiteren Mitgliedern erfahren haben will. Die Behörde bestreitet das, und die Abgeordneten glauben ihr, können den Sachverhalt deshalb auch dem LfV-Vertreter nicht vorhalten. Als der Ausschuss nun wissen wollte, welche Rolle der Landesverfassungsschutz nach dem allgemeinen Bekanntwerden des NSU am 4. November 2011 einnahm, antwortete Frank Dittrich so: Seit Ende November 2011 hätten sie mehrfach Befragungen ihrer Quellen vorgenommen – ohne großen Erfolg. Sogar als dann die Phantombilder von Heilbronn in der Zeitung veröffentlicht wurden, – im Juli 2013 – hätten sie ihre Quellen anhand dieser Phantombilder ebenfalls befragt, allerdings erneut ergebnislos. Was der Verantwortliche einer nominellen Sicherheitsbehörde mit dieser Bemerkung, sollte sie stimmen, so ganz nebenbei offenlegte: Der Verfassungsschutz hat die Phantombilder, die die Ermittler der Sonderkommission (SoKo) Parkplatz ab 2007 für die Fahndung nach den Polizistenmördern erstellen ließen, offensichtlich nie bekommen. Er hat damit also nie arbeiten und bei der Tätersuche mithelfen können. Das rückt erneut das fragwürdige Handeln der zuständigen Staatsanwaltschaft Heilbronn in den Blickpunkt, die der SoKo Parkplatz jegliche Veröffentlichung eines Phantombildes zu Fahndungszwecken untersagt hatte. Selbst intern wurde dieses Mittel zur Aufklärung also sabotiert. Keines der Phantombilder ähnelt nur im geringsten Uwe Böhnhardt oder Uwe Mundlos, die nach Ansicht der Bundesanwaltschaft die alleinigen Täter von Heilbronn gewesen seien. Wenn nun eine Verfassungsschutzbehörde mit diesen Bildern, die nicht zu den behaupteten Tätern passen, ihre V-Leute befragt, bedeutet das gleichzeitig: Das LfV muss selber Zweifel an dieser Zwei-Täter-Uwe-Uwe-Theorie gehabt haben. In der Tat war die SoKo Parkplatz vor dem November 2011 zu der Einschätzung gelangt, der Anschlag müsse von mindestens vier bis sechs Tätern durchgeführt worden sein.Nicht genug: Auch mit der sogenannten Garagen-Adress-Liste von Uwe Mundlos will es dem Nachrichtendienst ähnlich ergangen sein wie mit den Phantombildern. Auf der Liste stehen über 40 Namen von Personen inklusive Telefonnummern aus Jena, Chemnitz, Rostock oder Nürnberg. Vier V-Männer sind darunter, einer war „Corelli“ alias Thomas Richter. Drei Personen kamen aus Ludwigsburg. Zwei von ihnen befragte der Ausschuss zum Ende der Sitzung ebenfalls, der dritte ist vor Jahren verstorben. Diese Telefonliste, die die Polizei im Januar 1998 bei einer Razzia in Jena in einer von Zschäpe gemieteten Garage fand, – daher der Name – und seitdem im Besitz des BKA war, soll dem LfV von BaWü, wie Dittrich erklärte, erst Anfang 2013 zur Verfügung gestellt worden sein. Und erst daraufhin will das Amt von den engen und langjährigen Verbindungen zwischen den Neonazi-Szenen von Chemnitz, Jena und Ludwigsburg gewusst haben.Der größte Schlag gegen die Mordermittler beim LKA in Stuttgart erfolgte von ganz oben nur ein halbes Jahr nach der Aufdeckung des NSU. Zunächst hatte das LKA mit seiner SoKo Parkplatz noch dem BKA zugearbeitet, als sogenannter „regionaler Ermittlungsabschnitt“, kurz: „RegEA“. Doch zum Mai 2012 wurde die Gruppe aufgelöst. Der Beschluss fiel exakt einen Tag nach dem fünften Jahrestag des Kiesewetter-Mordes am 26.4.2012. Dass die Ermittlungen längst nicht abgeschlossen waren, belegte die Einsetzung der Ermittlungsgruppe (EG) Umfeld durch den Innenminister im Januar 2013. Warum löst man eine Ermittlungsgruppe auf und gründet eine nächste?, fragte sich der Abgeordnete Boris Weirauch, SPD. Vielleicht liegt die Antwort in den fehlenden Kompetenzen der EG Umfeld, die nur folgenlose Befragungen durchführen durfte, aber keine zwingenden Vernehmungen. Als „Papiertiger“ bezeichneten mehrere Mitglieder des NSU-Ausschusses im Bundestag sie.Durfte das von oben angeordnete Ermittlungsziel „Böhnhardt und Mundlos“ nicht gefährdet werden? Bekannt ist das seit 2013 durch die Arbeit des ersten NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages und bekam den Namen Chemnitz-Ludwigsburg-Connection. Der Baden-Württemberg-Ausschuss hinkt vier Jahre hinterher. Allerdings wurden Barbara E.-N. und Hans-Joachim S., zwei der drei Ludwigsburger auf der Liste, nun zum ersten Mal öffentlich vernommen. Sie mussten bisher weder in einem UA noch im Prozess in München Rede und Antwort stehen. Durch die beiden Zeugen, heute 48 Jahre alt, bekam man einerseits einen tiefen Einblick in die rechtsextreme Szene Ludwigsburgs von damals, die bemerkenswerte Sympathisanten hatte. So erklärte S., Polizisten hätten sie mit den Worten aufgemuntert: „Eigentlich macht Ihr das Richtige.“ Und der Vater von einem aus ihrer Clique sei ein Polizeibeamter gewesen. Sichtbar wurde andererseits die intensive und weitverwurzelte Vernetzung der Szenen zwischen Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen, zwischen Ludwigsburg, Stuttgart, Heilbronn und Chemnitz, Jena, Gera. Man besuchte sich regelmäßig gegenseitig und übernachteten bei seinen Kameraden. Die Ludwigsburger fuhren mit ihren ostdeutschen Freunden unter anderem auch nach Heilbronn oder Öhringen, das bei Heilbronn liegt. In der Nähe von Öhringen will auch eine V-Frau des LfV BaWü Beate Zschäpe im Jahr 2006 im Kreis anderer Leute getroffen haben. Neben Namen baden-württembergischer Neonazis, die zentrale Rollen spielten, wie Jug Puscaric, laut BKA in Waffengeschäfte involviert, oder Markus Frntic, mutmaßlich eine V-Person einer Sicherheitsbehörde, erfuhr man aus dem Mund der beiden Ludwigsburger Zeugen viele Namen aus der ostdeutschen Neonazi-Szene, deren Nähe zum späteren NSU-Trio sich in den letzten Jahren herausgestellt hat: Markus Friedel, Torsten Schau, Thomas Starke, Stefan Apel (Cousin von Zschäpe) oder ein gewisser Enrico Rickmann. Der war nicht nur ebenfalls immer wieder in Ludwigsburg und auch in Heilbronn, sondern außerdem V-Mann des Verfassungsschutzes. S. beschrieb ihn als rücksichtslosen Schläger. Von einer Gruppe namens „NSU“ oder dass das Trio untergetaucht war, hätten sie nichts gewusst, erklärten E.-N. und S. Von den Verbrechen hätten sie erst nach dem November 2011 erfahren und seien geschockt gewesen. Dass Mundlos so etwas getan habe, habe ihn verwundert, sagte Hans-Joachim S. und fügte hinzu: „Dem Rickmann hätte ich es zugetraut.“ Nun sind Staats- und Verfassungsschutz gefragt: War oder ist Frntic ein Informant? Was wusste die Quelle Rickmann über die Neonazi-Szene von Ludwigsburg und Heilbronn? Welche Aufträge hatte er?“ (Telepolis 3.2.2017)



NSU-Ermittlungen: Zweifel an der Drei-Täter-Theorie „weggesteuert“?

„Diese Zweifel verkörperte bei genauem Zuhören auch Otmar Soukup, Leiter der im November 2011 nach dem Auffliegen des NSU gebildeten Besonderen Aufbau-Organisation des BKA, kurz: „BAO Trio“. Auf der einen Seite gibt es den offiziellen Soukup, den hohen BKA-Mann, der die offizielle Version des Geschehens mitträgt, wie sie an erster Stelle die Bundesanwaltschaft vertritt: Die Taten seien aufgeklärt, die alleinigen Täter seien Böhnhardt und Mundlos gewesen, die zusammen mit Zschäpe den „NSU“ bildeten, der mit dem Tod der Männer aufgehört habe zu existieren. Auf der anderen Seite steht der inoffizielle Soukup, der Zeuge, rechenschaftspflichtig gegenüber der Öffentlichkeit, der nun Abgeordneten Recht geben muss, die sich im Lauf der Jahre qualifizierte Kenntnisse verschafft haben und begründete Fragen aufwerfen, die die offizielle Version in Zweifel ziehen. Stellvertretend drückt das Irene Mihalic (Bündnisgrüne) aus: „Wir fragen uns, ob die Hypothese ‚es waren die drei‘ haltbar ist oder ob es nicht noch weitere Beteiligte gibt. Das ist eine Motivation für uns in diesem Ausschuss.“ Und Otmar Soukup räumt gegenüber dem Gremium ein, sie hätten sich solche Fragen auch gestellt und noch weitere Unterstützer vermutet. Es ist der inoffizielle Soukup, der das sagt. 400 Leute arbeiteten anfänglich für die BAO Trio, um die massenhaften Details, Spuren und Asservate abzuklären. Alles gesteuert in enger Abstimmung mit dem Generalbundesanwalt (GBA) in Karlsruhe. Diese breitangelegte Arbeitsweise ging auf Kosten des Erkennens von Zusammenhängen. Ihm wäre es lieber gewesen, so Soukup, mit 50 Leuten drei Jahre arbeiten zu können – nämlich „gründlich“. Stattdessen hatten sie nur ein halbes Jahr Zeit, denn im Mai 2012 drängte die oberste Anklagebehörde als Herrin des Verfahrens auf die Fertigstellung der Anklageschrift. Vorausgegangen war die Stellungnahme des Bundesgerichtshofes (BGH), der in Bezug auf die Untersuchungshäftlinge an das Beschleunigungsgebot erinnert habe, so Soukup. Er sei erstaunt gewesen, dass es „so früh so einen Beschluss“ gab. Im Fall der RAF seien die Ermittlungen auch länger gelaufen. In welchem Zusammenhang die Stellungnahme des BGH und der Beschluss der BAW genau standen, ist nicht ganz klar. Juristen vertreten die Auffassung, dass durchaus längere U-Haft-Fristen möglich sind. Auch Soukup selber beendete für sich die NSU-Ermittlungen und verließ die BAO Trio nach neun Monaten Ende August 2012 noch vor der Anklageerhebung. Im selben Monat, im Mai 2012, wurde auch der sogenannte Regionale Ermittlungsabschnitt (RegEA) der BAO Trio in Baden-Württemberg offiziell geschlossen – als erster von allen RegEAs und mitten in der Arbeit. Der Ausschussvorsitzende Clemens Binninger (CDU) will wissen, warum die BaWü-Abteilung der BAO Trio geschlossen wurde. Und der inoffizielle Soukup antwortet: „Ich hätte ihn weiterlaufen lassen.“ Doch für den offiziellen Soukup war das nicht erforderlich, weil der Polizisten-Mord erledigt und ausermittelt gewesen sei. Binninger, Fachmann in Sachen Heilbronn-Mord, hält die zwei unbekannten DNA-Muster dagegen, die an dem schwerverletzten Polizeibeamten gefunden wurden. Soukup antwortet, dieses Detail sei ihm nicht bekannt. Binninger erwähnt, das Landeskriminalamt BaWü, eben der sogenannte RegEA, sei mitten dabei gewesen, DNA-Abgleiche vorzunehmen, als es seine Tätigkeit beenden musste. Soukup antwortet, von ihm oder dem BKA habe es keine Anweisungen gegeben, Ermittlungen zu stoppen. Möglicherweise hänge das mit der Bundesanwaltschaft zusammen.Möglicherweise ist das aber auch zu einfach. Aus anderen Zeugenbefragungen vor diesem Ausschuss ist bekannt, dass auch im Bundeskriminalamt Maßgaben für die NSU-Ermittlungen erfolgten – von ganz oben. Nach Aussage des Nachfolgers von Soukup als Chefermittler zum NSU, Axel Kühn, habe BKA-Präsident Jörg Ziercke angewiesen, nicht nach den Versäumnissen in der Vergangenheit zu schauen, sondern die Täterschaft von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe nachzuweisen. Das ist nicht unbedingt gelungen. Und beim Polizistenmord von Heilbronn gibt es sogar einen amtliche Beleg dafür. Ausgerechnet das BKA schreibt in seinem Bericht an die Bundesanwaltschaft: Ein eindeutiger Nachweis, dass zumindest Böhnhardt und Mundlos am Tattag in Tatortnähe waren, habe nicht erbracht werden können. Dieser Befund nun ist nicht inoffiziell, sondern höchst offiziell. (…) Eine ganze Reihe von Zeugen hat der Ausschuss allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen. Fragwürdig ist das auch deshalb, weil die Zeugen zum Teil im Prozess in München oder in einem anderen U-Ausschuss öffentlich aussagen mussten. So schon letztes Mal Volker H., der bei der Flucht des Trios aus Jena im Januar 1998 mithalf, zusammen mit Juliane W., der Freundin von Ralf Wohlleben und V-Frau des Verfassungsschutzes. Nun zwei Neonazi-Aussteiger, darunter die Ex-Freundin von André Kapke, einem der neun weiteren NSU-Beschuldigten. Dann ein gewisser Sven M., Kontaktperson des V-Mannes „Corelli“ alias Thomas Richter, der ihn für den Ku Klux Klan rekrutiert hatte. Und auch Alexander H. aus Chemnitz, Vermieter von Wohnmobilen an das Trio. Zweimal soll der Auto-Vermieter in oder in der Nähe einer Stadt gewesen sein, als dort ein NSU-Mord verübt wurde und die mutmaßlichen Täter oder Helfer mit seinen Fahrzeugen hingefahren waren: im April 2006 in Dortmund und im April 2007 in Heilbronn. Wieder nur Zufall? Im Untersuchungsausschuss in Stuttgart war H. bereits vernommen worden, zwar öffentlich, aber ohne dass jener Ausschuss seine mögliche Anwesenheit in Dortmund und Heilbronn weiter untersucht hätte. (Telepolis 2.2.2017)


Thomas Moser berichtet am 22.1.2017 erneut aus dem PUA des Bundestages. Der ehemalige Verfassungsschützer Wolfgang Cremer verwickelt sich in Widersprüche, die Vertreter der Bundesregierung intervenieren während seiner Befragung und das Handy des V-Mannes Stadler war zum Zeitpunkt eines NSU-Mordes in der Funkzelle des Tatorts eingeloggt. Auch Moser bestätigt, dass der BfV-Mitarbeiter Axel Minrath aka Lothar Lingen die Unwahrheit gesagt hat. Minrath war offenbar doch in die Suche nach dem Trio (Operation Drilling) involviert:

„Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (TLfV) startete die Operation „Drilling“, um die Drei zu finden. Das BfV half mit. Dabei war unter anderem der BfV-Beamte Axel Minrath beteiligt, besser bekannt unter dem Decknamen „Lothar Lingen“. Bei seiner Befragung vor dem Bundestagsausschuss am 29. September 2016 hatte „Lingen“ abgestritten, in die OP Drilling eingebunden gewesen zu sein. „Mir sagt der Fall nichts“, hatte er als Zeuge erklärt. Doch die Abgeordneten sind bei ihren Recherchen auf ein Schriftstück gestoßen, das das Gegenteil belegt. Eine sogenannte Deckblatt-Meldung des BfV über eine Information der Quelle „Teleskop“ bezüglich der Fahndung nach dem Trio. Unterschrieben ist die Meldung mit „Minrath“, dem Klarnamen von „Lingen“. Um wen es sich bei „Teleskop“ handelt, ist auch den Abgeordneten trotz wiederholter Nachfrage bisher nicht mitgeteilt worden. Bekannt ist lediglich, dass die Person hinter dem Decknamen „Teleskop“ bei der gemeinsamen Anwerbeaktion mehrerer Geheimdienststellen namens OP Rennsteig gewonnen worden war. Zusammen mit etlichen anderen Informanten, die alle Decknamen mit „T“ bekamen: Unter anderem „Terrier“, „Tinte“, „Tusche“ – einzig die Quelle „Tarif“ ist enttarnt. (…) „Lingen“ war im BfV für die Anwerbe-Operation Rennsteig zuständig. Und er war der entscheidende Mann, der im November 2011 nach der Aufdeckung des NSU die „T“-Akten löschen ließ. Ein anderer V-Mann lieferte Informationen zum Aufenthalt der drei Untergetauchten Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe in Chemnitz bzw. Sachsen: „Piatto“, mit bürgerlichem Namen Carsten Szczepanski, tätig von 1994 bis 2000 für den Verfassungsschutz von Brandenburg. Vor allem zwischen August und Oktober 1998 berichtete er wiederholt über Spuren der drei in der mutmaßlichen Unterstützerszene des Netzwerkes „Blood and Honour“. Die Abgeordneten interessiert, ob diese Informationen „Piattos“ das BfV erreicht haben, das damit dann zum Beispiel über seine Quellen in Sachsen nach den Gesuchten hätte forschen können. Doch Cremer bestreitet, dass das BfV „dort eigene Quellen“ gehabt habe. Das allerdings ist unwahr. Als BfV-Quellen bekannt sind bisher mindestens der Chemnitzer Neonazi und Anführer der rechtsextremen Hammerskins, Mirko Hesse, Deckname „Strontium“, sowie der Zwickauer Neonazi Ralf Marschner, Deckname „Primus“. Marschner hatte nach Angaben von Zeugen in Zwickau direkten Kontakt mindestens zu Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Damit konfrontiert, gibt Cremer zu, dass ihm der Name „Primus“ etwas sage. Bei der Frage, welche Aufträge der V-Mann „Primus“ vom BfV erhalten habe, interveniert der Vertreter der Bundesregierung, Richard Reinfeld, das dürfe nicht in öffentlicher Sitzung beantwortet werden. Etwas später erklärt der Zeuge Cremer sogar, die Quelle „Primus“ sei zu seiner Zeit abgeschaltet worden. Nichts mehr von „keine eigenen Quellen“. In den vom Amt zu „Primus“/Marschner gelieferten Akten haben die Abgeordneten keine Informationen zu den Firmen von Marschner gefunden, sagen sie. In der Firma Bauservice Marschner soll Mundlos gearbeitet haben. Was eine Quelle berichte, komme auch in die Akte, erklärt Cremer. Allerdings würden die Quellen nicht immer alles und auch selektiv berichten. Allerdings gibt es noch eine andere Möglichkeit, warum Abgeordnete in den Akten nicht finden, was sie suchen: Das Amt enthält es ihnen schlicht vor – und sie merken es nicht einmal. Aber sie hegen einen Verdacht. Sie fragen den Geheimdienst -Mann, ob in den Akten die Seiten „durchpaginiert“ werden, sprich: eine fortlaufende Seitennummerierung existiert. Cremer will ausweichen und erklärt: „Sie sollen durchpaginiert werden.“ Die Regierungsvertreter erkennen die Falle, in die er tappt und stellen richtig: „Eine Paginierung findet nicht statt.“ Lediglich die ausgesuchten Akten, die einem U-Ausschuss vorgelegt werden, bekommen eine eigene Paginierung. Paginierung von Seiten – etwas, das für eine behördliche Aktenführung Standard ist und unverzichtbar, weil sonst Sachverhalte nicht oder nur sehr schwer wiederauffindbar sind, wird bei Geheimdiensten programmatisch nicht praktiziert. Das ergibt nur Sinn, wenn man die Akteninhalte im Zweifel abschotten will. Einem U-Ausschuss, der Akten anfordert, kann man mit dieser Methode vorlegen, was man will, ohne dass der verifizieren kann, ob etwas fehlt und gegebenenfalls welche Seiten. Das ist nichts anderes als ein Instrument der Täuschung und Entwaffnung der Parlamente und ihrer Untersuchungsausschüsse. Der V-Mann „Piatto“: für den Verfassungsschutz von Brandenburg, der ihn 1994 verpflichtete, eine „reichhaltige Quelle“, auf dessen Informationen sich mehrere Vereinsverbote stützten, wie der frühere stellvertretende VS-Chef von Brandenburg, Jörg Milbradt, heute 73 Jahre alt und Rentner, vor dem Ausschuss erklärte. Doch an diesen V-Mann knüpfen sich unverändert zahllose Fragen. Die Rekrutierung menschlicher Quellen war dem Dienst in Brandenburg erst 1993 nach Inkrafttreten des VS-Gesetzes möglich. Vor dem Oberlandesgericht in München, wo Carsten Sz. verkleidet als Zeuge auftreten durfte, erklärte er, schon 1991 Informant gewesen zu sein. Das wurde bisher von keiner Behörde bestätigt. Milbradt erklärt, er könne es „nicht definitiv ausschließen“, halte es aber für unwahrscheinlich. Von Bedeutung ist das vor allem, weil Sz. den Mordversuch an dem nigerianischen Asylbewerber Steve E. 1992, für den er zu acht Jahren Haft verurteilt wurde, dann als Mitarbeiter eines Dienstes begangen hätte. Die Abgeordnete Petra Pau, Linke, ist in der Biografie von Carsten Sz. auf Verdächtiges gestoßen. Vor Jahren hatte die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage ihrer Fraktion, ob gegen Szczepanski ermittelt werde, mit „Nein“ geantwortet. Das jedoch stimmte nicht, denn gegen den bekannten Neonazi wurde wegen Mitgliedschaft im Ku Klux Klan ermittelt – allerdings ohne Konsequenzen für Sz. „Was war das Motiv, ihn davonkommen zu lassen?“, fragt die Abgeordnete und ergänzt: „Gab es eine Gegenleistung von Carsten Sz.?“ Der frühere VS-verantwortliche Milbradt antwortet: „Ich gebe Ihnen Recht, der Gedanke ist nicht so abwegig. Ich habe aber keine Erkenntnisse darüber.“ Das Amt führte noch einen weiteren V-Mann in der rechtsextremen Szene: Toni Stadler. Szczepanski und Stadler kannten sich. 2003, nach seiner angeblichen Enttarnung, zog Stadler nach Dortmund um. Er habe aber nicht mehr für den Verfassungsschutz gearbeitet, heißt es bisher offiziell. Dennoch hat der Mann dort Spuren hinterlassen – auch im Zusammenhang mit dem NSU. Bekannt war bisher die Aussage eines Polizei-Informanten in Dortmund, Stadler soll kurz vor dem Mord an Mehmet Kubasik im April 2006 an einen oder beide Uwes eine Waffe übergeben haben. Stadler selber bestreitet das. Jetzt hat der Bundestagsausschuss herausgefunden, wie der Abgeordnete Uli Grötsch, SPD, darlegte, dass das Handy von Stadler am Tag des Mordes am 4. April 2006 in der Funkzelle des Tatortes Mallinckrodtstraße eingeloggt war. Dieser Sachverhalt, den das BKA ermittelt hat, war bisher öffentlich nicht bekannt. War ein ehemaliger V-Mann also in der Nähe des Mordes? Wenn ja, warum?“


Der NSU-Ausschuss widmet sich dem Disziplinarverfahren gegen den Ex-Verfassungsschützer Andreas Temme. Unter den Mitgliedern herrscht Unverständnis darüber, dass es eingestellt wurde:

„Es sind deutliche Worte, insbesondere für eine Mitarbeiterin des Landesamts für Verfassungsschutz Hessen (LfV) als Zeugin im NSU-Ausschuss des Landtags: Sie finde es „unsäglich“, dass ihr ehemaliger Kollege Andreas Temme so „ungeschoren“ davongekommen und das Disziplinarverfahren gegen ihn eingestellt worden sei. Das sagte Regierungsdirektorin Katharina Schweda am Freitag aus. Sie war 2006 mit den disziplinarrechtlichen Vorermittlungen gegen Temme betraut. (…) Acht Verfehlungen listete die Zeugin als Vorermittlerin des Disziplinarverfahrens auf, wie sie im Ausschuss berichtete. Das brisante Verfahren vertraute man im LfV damals ausgerechnet einer Mitarbeiterin an, die noch nie zuvor mit solchen Vorgängen befasst gewesen war, wie sie aussagte. Sie sei die einzige Juristin im Amt gewesen, die dafür infrage gekommen sei, erklärte Schweda diesen Umstand. Für Ärger in der Opposition sorgte, dass der damals von ihr erstellte Vermerk den Abgeordneten nicht vorliegt. Und das, obwohl am Vorabend die Landesregierung mit der sogenannten Vollständigkeitserklärung gerade erst versichert hatte, nun alle relevanten Akten an den Ausschuss geliefert zu haben, der seit Mitte 2014 tagt. Im LfV selbst war man 2006 offenbar nicht besonders daran interessiert, gegen den Mitarbeiter vorzugehen – trotz der Liste an Vergehen. Eine Zeugin aus dem Innenministerium schilderte im Ausschuss, dass sie im Auftrag ihres Hauses dafür sorgen sollte, dass das LfV im Juli 2006 unverzüglich ein förmliches Disziplinarverfahren gegen Temme einleitet. Der war damals zwar suspendiert, hätte aber kurz darauf ins Amt zurückkehren können. Damals war der Verdacht gegen einen „Verfassungsschützer“ in einer noch unaufgeklärten Mordserie bereits öffentlich geworden. In einem von der Polizei zu jener Zeit abgehörten Telefonat, das im Ausschuss abgespielt wurde, überredete schließlich ein Vorgesetzter Temme dazu, selbst ein Disziplinarverfahren gegen sich zu beantragen. Er solle „nach dem Willen des Ministers“ seine Bezüge aber nicht verlieren, sagte der Beamte seinem Mitarbeiter tröstend. Woher er den Willen des damaligen Innenministers Volker Bouffier (CDU) kannte, konnte die Zeugin aus dem Innenministerium nicht erklären. Temme wurde schließlich versetzt, das förmliche Disziplinarverfahren eingestellt, Schwedas Liste mit Vergehen spielte keine Rolle mehr. SPD-Obfrau Nancy Faeser wertete deren Aussage als „erneuten Beleg dafür, dass Herr Temme mit allen Mitteln geschützt werden sollte“. Es gelte zu ermitteln, von wem und warum. Hermann Schaus (Linke) sagte, LfV und Innenministerium hätten Temme „Dauerurlaub und Schutz vor Konsequenzen“ gesichert und das „trotz oder aufgrund seiner Anwesenheit an einem NSU-Tatort“. CDU-Obmann Holger Bellino bewertete dies ganz anders. Das Innenministerium habe dafür gesorgt, dass Temme nicht ins LfV zurückkehrte und so „hohe Sensibilität walten lassen“. Das träfe aber „in dieser Frage leider nicht auf alle Mitarbeiter im LfV“ zu.“ (FR 20.1.2017)


In seinem  Artikel „Der NSU und das unbekannte kriminelle Netz“ hinterfragt Thomas Moser die Verflechtungen des NSU mit der Organisierten Kriminalität. Die Spuren reichen von der Jenaer Bande um die Brüder Ron Ehrhardt und Gil Ehrhardt (beide V-Personen der Polizei) über Verbindungslinien, der in Heilbronn getöteten Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter, bis hin zum hessischen Hells Angels Milieu zu dem der hessische Verfassungsschützer Andreas Temme Kontakte pflegte:

„Zusammengefasst: Es gab Querverbindungen zwischen den Mitgliedern des Trios, der Ehrhardt-Bande, der Wi.-Sicherheitsfirma, der Rockerszene, der Kiesewetter-Familie und dem Verfassungsschützer Temme.“


Am 19.1.2017 schreibt Zeit Online über neue Informationen zum Ex-BfV-Mitarbeiter „Lothar Lingen“, der NSU relevante Akten vorsätzlich schreddern ließ. Lingen hatte bislang immer behauptete er habe keine Bezüge zum NSU oder dem Umfeld gehabt. Dies ist offensichtlich ebenfalls unwahr:

„Neue Aktenfunde bringen nun auch Lingens wichtigstes Entlastungsargument zu Fall. Er hatte sich darauf berufen, kein direktes Vertuschungsmotiv gehabt zu haben, weil er dienstlich nichts mit dem NSU oder dessen Umfeld zu tun gehabt und dort keine V-Leute geführt habe. Nein, beharrt er auch auf mehrfaches Nachfragen im Untersuchungsausschuss im September 2016, für V-Leute in Thüringen sei er nicht zuständig gewesen. Unterlagen aus dem Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz widersprechen dieser Aussage. Die Behörde war ab 1998 in die Suche nach dem späteren NSU-Trio eingebunden, der Vorgang hieß „Drilling“. Drei Ordner umfasst die Akte, und in einem findet sich eine spannende sogenannte Deckblattmeldung des BfV. Darin teilte die Kölner Bundesbehörde den Länderkollegen Informationen mit, die sie unter anderem durch V-Leute gewonnen hatte. Die Meldung, auf die es ankommt, stammt vom 19. Dezember 2001. Sie schildert Erkenntnisse, die das Bundesamt „durch persönliche Gespräche“ in Jena mit einem V-Mann namens „Teleskop“ gewonnen habe. (Dahinter verbarg sich ein Funktionär der NPD-Jugendorganisation JN.) In der vierseitigen Meldung geht es unter anderem um André Kapke, den von Tarif erwähnten Freund der drei Untergetauchten, außerdem um Ralf Wohlleben, einen weiteren NSU-Unterstützer, auch das Trio selbst wird als „die noch flüchtigen Rohrbombentäter“ erwähnt. Der Inhalt ist nicht explosiv, wohl aber die Unterschriften auf dem Deckblatt. Dort stehen die Namen zweier BfV-Beamter – einer davon ist der Klarname von Lothar Lingen. Lingen war entgegen allen Beteuerungen offensichtlich doch mit mindestens einem Thüringer V-Mann befasst.“


The same procedure as every year. Geschwärzte Akten:

„Der NSU-Untersuchungsausschuss des Brandenburger Landtags fordert einen offeneren Umgang mit den Akten des Verfassungsschutzes zu V-Leuten und der rechtsextremen Szene. Bereits im Januar wolle man über eine entsprechende Änderung des Untersuchungsausschuss-Gesetzes beraten, sagte der SPD-Obmann im Ausschuss, Björn Lüttmann, am Montag bei einer Zwischenbilanz im Landtag. Die Obleute von CDU, Linken und Grünen beklagten, dass in den Akten zu viele Passagen geschwärzt worden seien. Die Parlamentarier wollen zudem auch über Inhalte aus besonders geschützten Akten in öffentlicher Sitzung diskutieren können.“ (Berliner Zeitung 19.12.2016)


The same procedure as every year. Fehlende Akten:

„Fehlende Akten behindern aus Sicht der LINKEN erheblich die Arbeit des NSU-Untersuchungsausschusses im Thüringer Landtag. So habe das SPD-geführte Innenministerium dem Gremium bisher keine Unterlagen rund um die Organisierte Kriminalität übersandt, sagte die Obfrau der Partei, Katharina König, der Deutschen Presse-Agentur. Infolgedessen könnten sich die Ausschussmitglieder nicht auf die nächsten Sitzungen vorbereiten und auch keine Zeugen laden. Ursprünglich hatte das Ministerium eine erste Aktenlieferung für Mitte Oktober angekündigt.“ (ND 6.1.2017)


The same procedure as every year. Zu spät gelieferte Akten:

„In den aus Hessen gelieferten Unterlagen entdeckten die Abgeordneten Hinweise auf einen zweiten V-Mann in der rechtsextremen Szene, von dem, sollte sich das bewahrheiten, bisher nichts bekannt war. Auch Alexander Kienzle, einer der Anwälte der Familie Yozgat, der die Ausschusssitzung in Berlin verfolgte, war das neu. Der Ausschuss kritisierte, dass die Dokumente erst zwei Tage vor der Sitzung durch das hessische Innenministerium geliefert worden waren. Die Abteilungsleiterin des LfV, Iris Pilling, wollte in öffentlicher Sitzung keine Auskunft darüber geben, wie viele V-Leute Temme insgesamt und wie viele in der rechten Szene er geführt hatte, ob es diesen zweiten V-Mann also gab. Sie sollte die Frage in einer als „geheim“ – also höher als „nicht-öffentlich“ – eingestuften Sitzung am Abend beantworten. Über das Ergebnis war bisher nichts in Erfahrung zu bringen. In öffentlicher Sitzung antwortete sie zuvor lediglich auf verklausulierte Weise. Auffällig ausführlich erklärte sie, dass das Amt zwischen „V-Leuten“ und „Informanten“ unterscheide. V-Männer würden gezielte Aufträge bekommen, Informanten lediglich Informationen aus ihrem Umfeld liefern. Benjamin Gärtner, sogenannte „Gewährsperson 389“, sei ein Informant gewesen, aber kein V-Mann. Grund: Sein Informationsaufkommen sei „dürftig“ gewesen. Auf die Frage der Linken Abgeordneten Petra Pau, die die Unterscheidung zwischen V-Mann und Informant nicht machte, ob Temme mehr als zwei Quellen im rechtsextremen Bereich führte, sagte Pilling: „So wie Sie die Frage stellen: nicht mehr.“ Und ergänzte, im eigentlichen Sinne, sei es „nicht mehr als die eine“. Das lässt Interpretationsspielraum: Gab es neben dem „Informanten“ Gärtner also noch „einen richtigen V-Mann“? Oder: Wurde der nicht von Temme, sondern von einem anderen Beschaffer des Amtes geführt? Jedenfalls wäre damit die Frage aufgeworfen, warum das Amt diese Quelle bisher unterschlug. Ist die Verstrickung des Verfassungsschutzes in den NSU-Mord von Kassel noch größer als bisher angenommen? Verbirgt dich dahinter die „Kasseler Problematik“?, von der Temmes Vorgesetzter einmal in einem von der Polizei abgehörten Telefonat sprach. Bis heute ist nicht klar, was damit gemeint war oder ist. (Telepolis/Thomas Moser 17.12.2016)



Thomas Moser berichtet unermüdlich aus dem NSU-Ausschuss des Bundestages. Skandalöse Aussagen einer BfV Verantworlichen, die es nie in die Tagesschau schaffen werden.Der Inlandsgeheimdienst führt Parlament und Öffentlichkeit fortgesetzt vor:

Und nun, am 1. Dezember 2016, ist die BfV-Verantwortliche „Dinchen Franziska Büddefeld“, in den fraglichen Jahren Leiterin der Abteilung Rechtsterrorismus/Rechtsextremismus, als Zeugin im U-Ausschuss geladen und tischt den Abgeordneten und Zuhörern eine weitere, völlig neue Version dieser Affaire auf – die vierte. Sie geht so: Von der Aktenvernichtung will sie erst im Juni oder Juli 2012 erfahren haben. „Das hat bis dahin keiner geahnt“, erklärt sie. Danach sei es darum gegangen, die Akten zu rekonstruieren. In „wesentlichen Teilen“ sei das gelungen, aber eben nicht komplett. Doch der Obmann der CDU, Armin Schuster, hat sich die rekonstruierten Akten angeschaut und eine Diskrepanz festgestellt. Während der Verantwortliche Lingen in der Vernehmung mit BAW und BKA die Aktenvernichtung mit der Begründung gestand, er habe unangenehme Fragen verhindern wollen, sei sein, Schusters, Eindruck zu diesen Akten ein anderer, nämlich: „Furchtbar langweilig, bis auf eine Akte.“ Warum dann aber derart „belangloses Zeug“ geschreddert werden sollte, verstehe er nicht. Schuster wörtlich: „Muss ich annehmen, dass genau das rekonstruiert wurde, was nicht spannend ist?“ Es ist, als lege er den Finger in genau die richtige Wunde. Frau Büddefeld kommt ins Schleudern. Sie habe, als sie davon erfuhr, Lingen gefragt, wie er denn dazu gekommen sei, die Akten zu vernichten. Aber der habe keine Aussage machen können, erklärt sie und ergänzt, O-Ton: „Er stand völlig ratlos vor mir.“ Eine „völlig ratlose Aktenvernichtung“ im Bundesverfassungsschutz – nach einer Realisierungssekunde quittieren Zuhörer auf der Tribüne das mit Lachen aus Hohn und Spott. Beobachter kennen die „völlige Ratlosigkeit“ des Verfassungsschutz-Personals bereits ausgiebig von dem ehemaligen hessischen VS-Beamten Andreas Temme. Auch er ist bis heute „völlig ratlos“ über sich selber, dass er jenes Internetcafé in Kassel stillschweigend verließ, nachdem dort der Besitzer ermordet worden war. Doch die Aufführung im Bundestag ist noch nicht zu Ende. Armin Schuster versucht es noch einmal: „Was konnte denn die Motivation für die Aktenvernichtung sein, wenn es angeblich keine NSU-Bezüge gegeben hat?“, fragt er: „Die Anzahl der T-Fälle? Den Ruf des BfV zu retten – aber warum? Ich versteh’s langsam nicht mehr!“ – „Herr Abgeordneter Schuster, ich weiß es nicht“, gibt die BfV-Frau kleinlaut von sich: „Er hat mir damals auch keine Antwort geben können.“ Und wieder wörtlich: „Ich hatte einen emotional sehr beteiligten Referatsleiter vor mir.“ Nun setzt der Abgeordnete Schuster zum letzten finalen Zug an: „Die Behandlung der Affaire damals im ersten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages“, beginnt er und fragt nach einer Kunstpause: „War das hilfreich für das BfV?“ Auf der Tribüne nun lautstarkes Lachen. Schachmatt. Die Beamtin sagt nichts mehr. Eine Sicherheitsbehörde, die seit Jahren die parlamentarische Demokratie hintergeht, Antworten vortäuscht oder Ratlosigkeit, je nachdem – das ist der Befund. Doch immerhin scheint das Spiel inzwischen erkannt zu sein. Dieser Auftritt war ein schlagendes Argument für die öffentliche Vernehmung von Zeugen der Geheimdienste. Aus Chronistenpflicht sei ergänzt: Die BfV-Verantwortliche Büddefeld will auch von jener Vernehmung „Lingens“ durch BAW und BKA im Oktober 2014, bei der er den „Vorsatz“ der Datenlöschung einräumte, nichts gewusst haben.“ (Telepolis 3.12.2016)


NSU-Mordserie ungeklärt. Thomas Moser erklärt wie Böhnhardt und Mundlos zu Alleintätern erklärt wurden. Der Untersuchungsausschuss des Bundestages hinterfragt die Ermittlungen des BKA:

„Eine tendenziöse Festlegung bestimmte die Ermittlungen nach dem Auffliegen des NSU-Trios im November 2011. Bis dahin war keine der 27 Taten, die zwischen 1998 und 2011 verübt wurden, darunter die zehn Morde, aufgeklärt worden. Doch als am 4. November 2011 Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos starben, entschieden die obersten Ermittlungsbehörden ganz schnell: Die zwei waren die alleinigen Täter, ohne Mittäter, bei allen Verbrechen. Lediglich Beate Zschäpe, Hauptangeklagte des Prozesses in München, habe sie unterstützt. Die Ermittlungen sollten von da an so geführt werden, dass Böhnhardt und Mundlos die Tat nachgewiesen wird. Das erklärte einer der führenden Ermittler des Bundeskriminalamtes (BKA) den Abgeordneten des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag, Axel Kühn. Kühn, 43 Jahre alt, leitete damals das Lagezentrum des BKA, gehörte zum Führungsstab der „BAO Trio“ (Besondere Aufbau-Organisation, sprich: die zentrale Ermittlungskommission im NSU-Komplex) und führte bis zum Mai 2015 im BKA die Nachfolgekommission „EG Trio“. Die Anweisung kam von ganz oben, dem BKA-Präsidenten Jörg Ziercke, so Kühn. Ziercke habe erklärt, Aufgabe der BAO sei es nicht, „Pannen und Defizite der Vergangenheit aufzudecken, sondern einen Nachweis zu erbringen, dass Böhnhardt und Mundlos die Täter waren“. Kritik daran hatte Kühn nicht. (…) Durch den NSU-Ausschuss weiß man, dass manche Personen im NSU-Komplex absolute Chefsache sind und selbst die Bundesanwaltschaft (BAW) die Finger von ihnen lässt: So im Fall von Ralf Marschner, dem Zwickauer Neonazi-Aktivisten, Geschäftsmann und V-Mann des Bundesverfassungsschutzes, der direkten Kontakt zum abgetauchten Trio gehabt hat. Dessen Akte ist selbst für die BAW tabu. Obwohl an keinem der 28 Tatorte DNA-Spuren oder Fingerabdrücke der mutmaßlichen Täter Böhnhardt und Mundlos festgestellt wurden, stattdessen viel unbekannte DNA, blieb die einseitige Fixierung auf die beiden toten NSU-Männer. Es gab keine anderen Ermittlungsrichtungen. (…) Die Abgeordneten im NSU-Ausschuss im Bundestag wollen vom BKA-Vertreter Kühn wissen, ob die Ermittler Führungspersonen des BfV zu diesen Aktenlöschungen vernommen haben. Zunächst kann der das nicht beantworten. Er berichtet aber, dass das in ihrem Haus „Wellen geschlagen“ habe. Als der Ausschuss nachhakt, zieht er sich auf die Anweisung des BKA-Präsidenten Ziercke zurück, die BAO Trio habe „nicht nach den Versäumnissen schauen sollen, sondern wie der Tatnachweis zu führen“ sei. Die Abgeordnete Irene Mihalic, Grüne, entgegnet, es gehe doch nicht um „Versäumnisse“ oder ein „Versehen“ in einer Behörde, sondern um „Vorsatz“. Kühn weiter: Sie hätten sowieso nicht die Hypothese gehabt, dass V-Leute beim NSU dabei waren. Darauf Mihalic: „Was veranlasst Sie zu sagen, V-Leute hatten mit dem Trio nichts zu tun?“ Kühn: „Felsenfest kann ich’s nicht sagen“. Und der Abgeordnete Frank Tempel, Linke: „Welchen Sinn machte es denn dann, Akten zu schreddern?“ Die Antwort bleibt der BKA-Vertreter schuldig.“ (Telepolis/Thomas Moser 26.11.2016)


Hoppla. Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt nun doch gegen den Organisator der Operation Konfetti:

„Die Staatsanwaltschaft Köln hat Ermittlungen gegen einen Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln eingeleitet. Das bestätigte die Behörde am Dienstag (22.11.2016) auf Nachfrage des WDR. Der Mitarbeiter mit Tarnnamen „Lothar Lingen“ hatte eine Woche nach dem Auffliegen der rechten Terrorgruppe „NSU“ am 4. November 2011 die Vernichtung mehrerer Akten von V-Leuten aus Thüringen angeordnet, die möglicherweise in Verbindung zu dem Trio stehen. In einer Vernehmung hatte Lingen erklärt, die Aktenvernichtung auch deshalb angeordnet zu haben, um Fragen zu einer Verbindung des Verfassungsschutzes zu dem Trio zu vermeiden. Mehrere Rechtsanwälte und Politiker hatten deshalb Strafanzeige gegen den Verfassungsschützer gestellt. Die Staatsanwaltschaft Köln hatte aber bislang Ermittlungen gegen ihn abgelehnt, weil die Behörde keinen Anfangsverdacht sah. Das hat sich nun offenbar geändert. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sind wichtig, weil die Taten sonst verjähren würden und nicht mehr verfolgt werden könnten.“ (WDR 22.11.2016)


Verfassungsschützer log im NSU-Prozess:

„Ein geheimer Bericht des Brandenburger Verfassungsschutzes legt nahe, dass der Dienst die Fahndung nach den drei NSU-Tätern sabotierte, um seine Quelle zu schützen. Das will das Amt verschleiern. Im Münchner NSU-Prozess gerät der deutsche Verfassungsschutz einmal mehr unter Druck. Ein Beweisantrag der Hamburger Kanzlei BDK legt nahe, dass ein Mitarbeiter des Brandenburger Verfassungsschutzes im NSU-Prozess als Zeuge die Unwahrheit gesagt hat. Es handelt sich um Reinhard G., der 1998, wenige Monate nach dem Untertauchen der drei, die Quelle „Piatto“ geführt hat – die Kontakt zum mutmaßlichen NSU-Unterstützer und Waffenbeschaffer Jan W. hatte. Nach der Berichterstattung beschloss das Landesparlament die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses. Das Amt hatte bereits früh Einblicke in die Struktur rund um das Trio, doch es wollte diese nicht mit dem Thüringer LKA teilen. Während die Polizei die untergetauchten Rechtsextremisten, die wegen Bombenbaus gesucht wurden, unbedingt festnehmen wollte, behielten die Brandenburger ihre Erkenntnisse für sich, um ihre Quelle zu schützen. Reinhard G. wiederum versuchte in seiner Aussage im NSU-Prozess, die Sabotage der Fahndung auch noch zu verschleiern, indem er den Anwälten zufolge bewusst falsche Angaben machte.“ (Welt Online 17.10.2016)


Der NSU-Ausschuss des Bundestages (PUA) beschäftigte sich mit dem Bombenanschlag in der Probsteigasse in Köln von Januar 2001 in einem Lebensmittelladen, der von einer iranischen Familie betrieben wurde. Im Fokus steht der V-Mann Johann H. des LfV in der rechtsextremen Szene Kölns. Er sieht dem Phantombild des Bombenlegers sehr ähnlich. Johann H. selber und auch die Bundesanwaltschaft bestreiten eine Täterschaft:

„Wie kann man einen begründeten Verdacht hegen, ein V-Mann sei in einen Terroranschlag verwickelt, den Innenminister alarmieren und dann doch zu der Bewertung kommen, es sei nichts dran? Und wenn nichts dran war, warum wurde der Informant dann abgeschaltet? Wie kann man einen möglichen Tatverdächtigen, eben den V-Mann, über den Verdacht aufklären und ihn damit unter Umständen warnen? Wie kann man auf eigene polizeiliche Maßnahmen verzichten, wenn möglicherweise Gefahr in Verzug ist? So ihre Fragen. Dem CDU-Abgeordneten Armin Schuster kam die Schnelligkeit seltsam vor, wie die V-Mann-Spur dem Generalbundesanwalt (GBA) in Karlsruhe vorgetragen wurde: „Als ob sie eine heiße Kartoffel abgeben wollten.“ Der Ausschussvorsitzende Clemens Binninger, CDU, konnte nicht verstehen, wieso im Jahr 2012 mehrere Beamte des Nachrichtendienstes die frappierende Ähnlichkeit des Bombenleger-Phantombildes mit dem V-Mann erkennen und aufgeregt reagieren, aber 2001, als mit diesem Bild auf Plakaten und Handzetteln gefahndet wurde, niemand. Und der Abgeordnete Thorsten Hoffmann, ebenfalls CDU und wie Schuster und Binninger von Beruf ebenfalls Polizeibeamter, kritisierte die Verfassungsschützer: „Sie sagen, Sie wollten die Ermittlungen nicht beeinflussen, und beeinflussten sie aber doch dadurch, dass Sie Informationen nicht an die Polizei weitergaben.“ (…) Die damalige Verfassungsschutzchefin Mathilde Koller, heute Ruheständlerin, gab der Kritik aus dem PUA zum Teil Recht. Die Bewertung ihrer Behörde, sie hielten den V-Mann nicht für den Täter, sei nicht professionell und juristisch nicht korrekt gewesen, weil sie sich auf einen puren Eindruck gründete: „Wir glaubten nicht, dass er das tat“, so Koller. Und: „Es stimmt, das war eine voreilige, wohlwollende Einschätzung von uns.“ Nichts desto trotz hatte sie das Vorgehen im Februar 2012 zu verantworten. (…) Bei ihrer Befragung durch die Mitglieder des Untersuchungsausschusses vermittelte die Ex-Verfassungsschützerin auch überraschende Ansichten, die nicht in die offizielle Version der Bundesanwaltschaft von den zwei Alleintätern Böhnhardt/Mundlos passen. Sie bezweifelte, dass Ortsfremde aus Zwickau, wo das Trio zum Zeitpunkt des Anschlages lebte, wissen konnten, dass das in einer kleinen Nebenstraße gelegene Geschäft mit dem deutschen Ladenschild „Gerd Simon“ von einer iranischen Familie betrieben wurde. Ihrer Meinung nach muss es also in Köln zumindest Helfer für den Anschlag gegeben haben: „Diesen Ort musste man kennen.“ Koller ging sogar noch weiter. Zu „allen NSU-Tatorten“ müsse ein „örtlicher Bezug bestanden“ haben, meinte sie. Das sei auch naheliegend, weil die gesamte rechtsextreme Szene in Deutschland sich besucht und ausgetauscht habe. „Sie brauchen eine Infrastruktur, um so etwas vorzubereiten“, so die ehemalige Sicherheitsbeamtin wörtlich. Johann H. bewegte sich über 20 Jahre lang als V-Mann in der rechtsextremen Szene von Köln. Er war derart aktiv, dass er szeneintern Auszeichnungen bekam. Und er hatte Kontakt zu Gruppierungen und Personen, die zum Umfeld des NSU zählten und mit dem Trio Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe in Verbindung gestanden haben können. Vor seiner Zeit als VS-Spitzel hatte er einmal einen Sprengstoffanschlag verübt.“ (Telepolis/Thomas Moser 11.11.2016)


V-Mann-Akten geschreddert – Dorothea Marx will Verjährung verhindern:

„Die Vorsitzende des Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses, Dorothea Marx, will im Skandal um das Schreddern von NSU-Akten beim Bundesamt für Verfassungsschutz eine Verjährung verhindern. Die SPD-Politikerin sagte am Freitag MDR AKTUELL, sie habe Strafanzeige gegen den Verantwortlichen gestellt. Die Staatsanwaltschaft Köln habe es aber mit einer hanebüchenen Begründung abgelehnt, die Ermittlungen wieder aufzunehmen. Dagegen habe sie nun Beschwerde eingelegt. Hintergrund sind die Vorgänge vom 11. November 2011. Damals waren beim Bundesverfassungsschutz die Akten-Schredder heißgelaufen. Sechs Tage zuvor war das NSU-Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe aufgeflogen. Der Referatsleiter in der Rechtsextremismus-Abteilung des Verfassungsschutzes „Lothar Lingen“ (Dienstname) hatte daraufhin seine Mitarbeiter angewiesen, etliche V-Mann-Akten zu vernichten. Darunter waren auch Akten zum rechtsextremen „Thüringer Heimatschutz“, dem einst auch Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe angehört hatten. Die Aktenvernichtung hatte den deutschen Geheimdienst später in eine schwere Krise gestürzt. Für „Lingen“ blieb der Vorgang dennoch folgenlos. Zwar wurde gegen den Beamten ermittelt, doch der Verdacht der gezielten Beweismittelvernichtung konnte nicht erhärtet werden. Man ging davon aus, dass es einfach ein unglückliches Zusammentreffen zweier Ereignisse war. Doch vor einem Monat gab „Lingen“ überraschend zu, die Akten vorsätzlich vernichtet zu haben, um seine Behörde vor unangenehmen Fragen zu bewahren. Am Samstag um Mitternacht (12. November) würde die Geschichte nun verjähren. Dann sind nämlich fünf Jahre rum. Das ist der Grund für die Strafanzeige der Thüringer NSU-U-Ausschuss-Vorsitzenden. Marx sprach von einem unerträglichen Vorgang. Der Referatsleiter „Lingen“ habe sich selbst bezichtigt, die Akten vernichtet zu haben, um die Behörde vor Nachfragen zu schützen. Das sei ganz klar eine unzulässige Aktenvernichtung. Dass das jetzt ungeahndet bleiben solle, sei ein Offenbarungseid für den Rechtsstaat. Marx verwies auch darauf, dass es im Bundesverfassungsschutz intern ein Disziplinarverfahren gegen „Lingen“ gegeben hat. „Das ist eine Sache, die ich der Staatsanwaltschaft jetzt auch noch einmal schriftlich vorgeworfen habe: Da muss sie sich erkundigen, was da überhaupt passiert ist. Denn wenn Herr ‚Lingen‘ schon disziplinarrechtlich belangt worden sein sollte, dann ist es natürlich vollkommen absurd, dass man sagt: ‚Er hat nichts Schlimmes gemacht und das war alles in Ordnung.'“ Die SPD-Politikerin sagte weiter, sie könne sich das nur so erklären, dass man irgendwo beschlossen habe, die Sache klein zu halten. Das sei aber juristisch vollkommen unvertretbar. „Wir haben ja jetzt quasi eine Art Geständnis, das bekannt geworden ist, und es ist klar, dass der Herr Lingen gewusst hat, was er da schreddert. Und das muss Folgen haben.“ Sie hoffe, dass nach ihrer Beschwerde verjährungsunterbrechende Maßnahmen ergriffen würden. „Wenn nicht, behalte ich mir vor, eine Anzeige wegen Strafvereitelung im Amt zu stellen und zwar diesmal gegen die Staatsanwaltschaft in Köln.“ (Tagesschau.de 11.11.2016)


Ulrich Stoll, ZDF – Frontal 21, zum NSU-Komplex:

„Die Aufklärung scheint nicht sehr gewünscht zu sein. (…) Mich hat am meisten empört, dass die Bundesanwaltschaft den Verfassungsschutz deckt.“


In ZDF Frontal wird am 1.11.2016 die Rolle des Verffassungsschützers Axel Minrath (Tarnname: Lothar Lingen) bei der Aktenvernichtung im BfV thematisert:

Petra Pau, DIE LINKE, MdB, NSU-Untersuchungsausschuss:

„Wir konnten im ersten Ausschuss nicht aufklären, warum er am 11.11. das Schreddern von zentralen V-Mann-Akten angeordnet hat. Inzwischen wissen wir, dass er uns sowohl bei seinem Auftritt im ersten NSU-Untersuchungsausschuss als auch jetzt im zweiten NSU-Untersuchungsausschuss belogen hat.“

In einer Vernehmung des Verfassungsschützers durch die Bundesanwaltschaft im Oktober 2014 äußerte er sich zur Aktenvernichtung:

„Mir war … völlig klar, dass sich die Öffentlichkeit sehr für die Quellenlage des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Thüringen interessieren wird. Vernichtete Akten können … nicht mehr geprüft werden.“

Antonia von der Behrens, Nebenklage-Anwältin der Familie Kubasik:

„Dieses Eingeständnis, dass er die Akten vernichtet hat, damit sie eben nicht mehr geprüft werden können, ist aus meiner Sicht ganz klar Strafvereitelung, Urkundenunterdrückung, da kommen verschiedene Delikte in Betracht. Deswegen hätte die Bundesanwaltschaft dieses Vernehmungsprotokoll auch an die Staatsanwaltschaft Köln weiterleiten müssen, die nämlich für Ermittlungen gegen Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz zuständig sind.“

Frontal weiter:

„Doch die Bundesanwaltschaft will offenbar nicht, dass Lothar L. zur öffentlichen Aufklärung beiträgt, verhindert sogar, dass der Verfassungsschützer im Münchner NSU-Prozess aussagt. Bundesanwältin Annette Greger lehnte einen Antrag auf Vernehmung des Verfassungsschützers ab. Sein Motiv, die Akten zu schreddern, sei nicht prozessrelevant. (…) Dabei kannte Bundesanwältin Greger L.s Motiv: Er hatte den Bundesanwälten ja gestanden, die Akten ganz bewusst vernichtet zu haben – um Nachfragen zur Verwicklung des Verfassungsschutzes zu verhindern. O-Ton Antonia von der Behrens, Nebenklage-Anwältin der Familie Kubasik: Dieses Verhalten der Bundesanwaltschaft ist ganz typisch für das Verfahren: Sie versuchen, alles aus dem Verfahren herauszuhalten, was mit dem Verfassungsschutz zu tun hat. Denn wenn sie uns diese Vernehmung gegeben hätten, dann wäre ganz klar gewesen, aus unserer Sicht zumindest, dass er als Zeuge im Verfahren hätte aussagen müssen. Die Rolle von Verfassungsschützer L. ist noch dubioser. Im NSU- Untersuchungsausschuss hatte er behauptet, mit dem NSU-Trio und Thüringer V-Leuten aus deren Umfeld sei er nicht befasst gewesen. Dagegen spricht dieser V-Mann-Bericht vom November 2001, unterschrieben von M. – Lothar L.s Klarname. Der V-Mann mit den Decknamen „Teleskop“ war ein Mitglied der Thüringer Nazi- Szene. V-Mann „Teleskop“ berichtet über einen mutmaßlichen NSU-Unterstützer – Ralf Wohlleben. Und: Der V-Mann erwähnt die „flüchtigen Rohrbombentäter“ – also, das damals flüchtige Trio Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt.“


Wieder eine falsche Pannentheorie? Das Thüringer LKA und Experten widersprechen der gestern durchgestochenen Spekulation um die verunreinigte Böhnhardt DNA-Spur:

„Das Thüringer Landeskriminalamt (LKA) hält eine verunreinigte Spur im Mordfall Peggy für unwahrscheinlich. Dabei geht es um den Fund von DNA des mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt. Auf Anfrage von MDR AKTUELL teilte das LKA schriftlich mit, dass die „Verwendung eines Einsatzmittels an verschiedenen Ereignisorten allein noch lange nicht den Schluss zulässt, dass dadurch eine Spurenübertragung stattgefunden hat.“ Die Begründung des LKA dazu lautet: „Kriminaltechnik […] wird regelmäßig an mehreren Einsatzorten eingesetzt. Um hierbei eine Kontamination von Tatort zu Tatort möglichst auszuschließen, werden die verwendeten Einsatzmittel nach jedem Einsatz gründlichst gereinigt! Einwegmaterialien werden entsorgt.“ Das bestätigt auch Professor Peter Schneider. Er ist Spezialist für forensische DNA-Analyse an der Universität Köln. Im Interview mit MDR AKTUELL sagte er: „Ein solcher Gegenstand, der ja offensichtlich für die Tatortarbeit verwendet wird, der wurde ja nicht nur einmal in fünf Jahren verwendet, sondern wahrscheinlich regelmäßig, vielleicht wöchentlich. Selbst wenn dieser Gegenstand am Leichenfundort von Böhnhardt verunreinigt wurde, dann würde eine solche Verunreinigung auch nicht zwangsläufig so lange überdauern können.“ Weiter sagt Peter Schneider: „Eine solche Kontamination ist grundsätzlich nicht ausgeschlossen. […] Unter den gegebenen Umständen erscheint es mir wenig plausibel, dass das tatsächlich passiert sein kann.“ Und auch Rechtsmediziner Rüdiger Lessig aus Halle hält eine DNA-Panne im Fall Peggy für unwahrscheinlich. Im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT sagte er, dass dies nur dann möglich sei, wenn ein Messinstrument der Ermittler jahrelang nicht benutzt worden wäre oder wenn die Spuren so groß seien, dass sie sich über Jahre auf dem Instrument gehalten hätten. Nach Angaben von Lessig sind verunreinigte Spuren immer ein Thema in der Rechtsmedizin. Es würden aber überall spezielle Standards gelten, die auch das LKA und Kriminalermittler einhalten müssten.“ (MDR 28.10.2016)


Wieder eine Panne? Die Böhnhardt-DNA, die am Peggy-Tatort gefunden worden sein soll wird plötzlich auf eine Verunreinigung zurückgeführt. Kurz nachdem Beate Zschäpe vor Gericht eine Stellungnahme zu der Thematik ankündigte. Zufälle gibts:

„Die Nachricht, es könnte eine Verbindung zwischen dem NSU und dem Peggy-Mord bestehen, führte zu anhaltenden Erschütterungen und immer neuen Schockwellen. Die einsetzende Debatte war nicht im Interesse des Sicherheitsapparates. Ein ganz neues Feld öffnete sich im NSU-Komplex: das der organisierten Kriminalität (OK), möglicherweise geschäftsmäßiger Kindermissbrauch. (…) Auffällig war: Sofort setzten Abwehrreflexe ein. Vielleicht sei die Spur nur eine Tatortverunreinigung, wurde spekuliert, weil Peggy auf dem selben Tisch seziert worden war wie Böhnhardt. Das erwies sich schnell als falsch. Dann sorgte man sich um den Prozess. Der Fall Peggy werde wohl nicht das Verfahren in München tangieren, schrieben etliche Medien, eher ängstlich hoffend als tatsächlich beschreibend. Doch es kam anders. Richter Manfred Götzl interessierte sich für den Fall Peggy und die mögliche Verbindung zu seinem Verfahren. Die Nebenklage formulierte Beweisanträge und forderte die Beiziehung der Peggy-Akten. Und in Berlin wollte sich gar der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages mit dem Fall befassen. Am Mittwoch, 26. Oktober, fragte Götzl nun die Angeklagte Zschäpe explizit nach dem Fall Peggy. Er wollte wissen, ob sie über Informationen verfüge, die sie nicht aus den Medien habe. Und wie reagierte Zschäpe bzw. ihre Verteidigung? Nicht etwa so, sie habe damit nichts zu tun, oder sie könne dazu nichts sagen. Nein, ihr Anwalt Hermann Borchert kündigte eine schriftliche Stellungnahme an. Wer nichts mit einem Fall zu tun hat, muss nicht groß eine Erklärung formulieren, sondern kann das knapp und bündig verneinen. Alarmglocken müssen angegangen sein. (…) Nun wird ganz schnell und auf allen Kanälen nichts als eine Spekulation in die Welt posaunt: Vielleicht sei an der Spur doch nichts dran, vielleicht sei es eine Verunreinigung. Doch während das nun erst noch umfassend überprüft werden soll, also überhaupt nicht feststeht, sind sich manche Beteiligte bereits sicher, dass eine Spurenverschleppung vorliegt. Zum Beispiel der für den SWR tätige Reporter Holger Schmidt, der immer an vorderster Front ist, wenn es gilt, eine den Sicherheitsbehörden unangenehme Spur oder einen unbequemen Zeugen zu entwerten. Beispielsweise im Falle jenes baden-württembergischen Verfassungsschutzbeamten, der versichert hatte, im Jahre 2003 habe ihm ein Informant über NSU und Mundlos berichtet. Schmidt, der über sehr gute und exklusive Beziehungen zur Bundesanwaltschaft und zum Bundeskriminalamt verfügt, ist im Fall Peggy der Überbringer der Nachricht, bzw. der Spekulation, denn belegt ist ja nichts. Schmidt schien sogar besser informiert zu sein als der Oberstaatsanwalt von Bayreuth. Es kann ja sein, das die DNA-Spur Böhnhardts bei Peggy tatsächlich nicht authentisch ist, dass eine Spurenübertragung stattgefunden hat. Nur: Das kann niemand sicher sagen. Und dass die DNA konkret mit einem bestimmten Meterstab übertragen wurde, das wird niemand beweisen können, dafür wird es nie einen Beleg geben können. (…) Ich weiß nicht, wie es war. Ich weiß aber, dass kein Ermittler und auch kein Journalist sagen kann, dass es so war, wie es jetzt groß medial dargestellt wird. Eine Spekulation wird als Fakt verkauft. Doch gerade damit entpuppt sich das Ganze als dreistes Vertuschungsmanöver, bei dem als direkt Handelnder ausgerechnet ein Journalist beteiligt ist, ein „Terrorismusexperte der ARD“. Das kritisiere ich vor allem als jemand, der seit über 25 Jahren ebenfalls für die ARD und auch den SWR arbeitet. Die Erklärung Zschäpes vor Gericht zur möglichen Verbindung ihres Freundes Böhnhardt mit dem Mord an dem Mädchen ist nach diesen Entwicklungen möglicherweise allerdings vom Tisch. Das war schätzungsweise ein Ziel des Manövers.“ (Telepolis/Thomas Moser 28.10.2016)


Und hier der Artikel des ARD Terrorismus Experten Schmidt:

„Ein mutmaßlicher NSU-Terrorist als Kindsmörder: DNA-Spuren von Uwe Böhnhardt am Leichnam der getöteten Schülerin Peggy sorgten Mitte des Monats für Schlagzeilen. Doch möglicherweise war eine Ermittlungspanne für die vermeintliche Spur verantwortlich. Die DNA-Spur des NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt im Mordfall Peggy ist nach Informationen von SWR und BR wahrscheinlich doch eine Verunreinigung und keine echte Spur. Demnach dürfte die „Tatortgruppe“ des Landeskriminalamts Thüringen den Treffer versehentlich verursacht haben. Diese Ermittlergruppe hatte sowohl das Wohnmobil untersucht, in dem sich Uwe Böhnhardt im November 2011 in Eisenach das Leben nahm, als auch den Fundort des Leichnams von Peggy im Juli 2016. Nach Recherchen von SWR und BR ist ein Meterstab aus einer Fotoausrüstung der Tatortgruppe des LKA möglicherweise der Grund für die Verunreinigung. Ein solcher Meterstab wird an Tatorten eingesetzt, um bei Fotoaufnahmen Größenverhältnisse darzustellen.
Dieser Meterstab wurde bei den Ermittlungen nach dem Brand des Wohnmobils der mutmaßlichen NSU-Terroristen verwendet. Ob es derselbe ist, der bei den Ermittlungen im Mordfall Peggy eingesetzt wurde, ist unklar. Nach dem überraschenden Fund einer DNA-Spur von Böhnhardt am Fundort der Leiche von Peggy überprüften die Ermittler, ob in beiden Fällen von der Tatortgruppe des LKA Thüringen gleiches Arbeitsmaterial eingesetzt wurde – durch das die DNA-Spur von einem Ort an den anderen überragen worden sein könnte. Man wurde offenbar fündig: Auf Listen, die die Tatortarbeiten dokumentieren, wurde in beiden Fällen der gleiche Meterstab entdeckt. Nun sind die Ermittler auf der Suche nach dem Zollstock, um sich Gewissheit zu verschaffen. Von der zuständigen Staatsanwaltschaft Bayreuth und dem LKA Thüringen war zunächst keine offizielle Stellungnahme zu erhalten. Für den Nachmittag wurde eine Pressekonferenz angekündigt.“ (Tagesschau.de 27.10.2016)

Screenshot Tagesschau.de

Die KollegInnen auf SPON lieferten die brisante Meldung nur knapp 45 Minuten nach der ARD:

„Möglicherweise hat das Bundeskriminalamt (BKA) herausgefunden, wie die DNA des mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt auf ein Stück Stoff übertragen wurde, das unmittelbar neben der Leiche der 2001 verschwundenen Peggy Knobloch gefunden worden war. Die BKA-Beamten verglichen die Tatortfotos vom Auffinden des toten Böhnhardt und von der Bergung der Skelett-Teile von Peggy. Auf den Fotos war derselbe markante Meterstab der Spurensicherung zu sehen. Das Messgerät sei nahezu unverwechselbar und von einer Beschaffenheit, die es „nur einmal gibt“, hieß es in Ermittlerkreisen. Offenbar ist es für die Fahnder nun vorstellbar, dass eine Körperzelle des toten Böhnhardt mit diesem Meterstab an den Fundort von Peggy übertragen wurde. Bei der Bergung der Mädchenleiche im Juli in einem Wald an der Grenze zwischen Bayern und Thüringen war den Angaben zufolge dieselbe Tatortgruppe der Polizei im Einsatz wie bei der Bergung des toten Böhnhardt im November 2011 in einem Wohnmobil in Eisenach.“ (SPON 27.10.2016)

Das markante, nahezu unverwechelbare Messgerät wird beispielsweise von dieser Firma  speziell für Tatort-Arbeit angeboten und dürfte in der Kriminaltechnik keine Seltenheit sein. Es handelt sich um sogenannte Nivellier-Gliedermaßstäbe.

Screenshot coloprint


Ein psychiatrisches Gutachten bezweifelt Beate Zschäpes Selbstdarstellung als Mitläuferin:

„Im NSU-Prozess legte der Gerichtspsychiater Henning Saß sein vorläufiges Gutachten über die Hauptangeklagte vor. Und das spart nicht an Deutlichkeit. Zschäpe zeige „deutlich antisoziale Tendenzen“, ein „manipulatives Verhalten“ und ein Mangel an Empathie. Auch schildert der Gutachter ihre Distanzierung von den NSU-Taten als nicht überzeugend. Bis heute will Zschäpe nicht direkt mit Saß sprechen. Dieser stützte sich deshalb auf Akten und Zschäpes eigene Einlassungen vom Dezember 2015 und in kurzen Varianten danach. Auch beobachtete Saß, wie Zschäpe auf Zeugen reagierte, auf Opferangehörige oder Rechtsextreme. Die Schlussfolgerungen sind klar. Zschäpe habe in ihrer Biographie Entwicklungen genommen, „die zunehmend in Dissozialität und Delinquenz führten“, heißt es in dem 173-seitigen Schriftsatz, der der taz vorliegt. Die von Zschäpe eingeräumten „nationalistische Einstellungen“ nennt Saß „deutlich verharmlosend“. Die 41-Jährige sei, das habe die Verhandlung ergeben, schließlich „durchaus ein energisches, wehrhaftes, eigenständiges und anerkanntes Mitglied in der rechten Szene“ gewesen.“ (taz 27.10.2016)


Katharina König (Landtagsabgeordnete für „Die Linke“ in Thüringen) in der ARD :

„Es gibt Indizien dafür, dass die Akten nicht aus Versehen vernichtet wurden: Es wurden nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen Landesämtern beziehungsweise Bundesbehörden Akten vernichtet, nachdem der NSU aufgeflogen ist. Das ist mit Absicht erfolgt, um Informationen zu verdecken, zu vertuschen und zu verschleiern. Dahinter steckt das Eigen-Interesse der Sicherheitsbehörden, denen es darum geht, bloß nicht aufzudecken, welche Kenntnisse / Informationen sie hatten, über A) den NSU oder B) das Unterstützer-Umfeld. (…) Im ersten Thüringer Abschlussbericht kamen wir zu dem Ergebnis, das ‚wir nicht ausschließen können, dass es Unterstützung beziehungsweise aktive Sabotage durch Sicherheitsbehörden bei der Flucht / beim späteren Untertauchen des [NSU-]Trios gegeben hat‘. Dieser Einordnung haben nicht nur SPD, Grüne, Links-Partei, sondern auch FDP und CDU mitzugestimmt. Der Abschlussbericht ist gemeinsam und einstimmig gefasst worden.“ „[…] Es gibt viele Indizien dafür, dass man das NSU-Trio absichtlich hat entwischen lassen hat, insbesondere bei Uwe Bönhardt. Was fehlt, ist der konkrete Beweis dafür.“


Die NSU-Untersuchungsausschüsse sind mehr parlamentarisches und politisches Feigenblatt als ein Beitrag zur Aufklärung:

„Über mangelnde Konsequenzen in Politik und Gesellschaft war am Freitagabend bereits im Rahmen einer öffentlichen Podiumsdiskussion debattiert worden. Die Familie des 2000 ermordeten Enver Simsek sei enttäuscht, sagte ihre Anwältin Seda Basay-Yildiz. Sie hätten kein Verständnis dafür, dass in einem Rechtsstaat bestimmte Akten nicht herausgegeben würden und die versprochene Aufklärung behindert werde: „Die Kanzlerin hat ein Versprechen gegeben, fünf Jahre danach müssen wir sagen, es ist nicht eingelöst worden.“ Die thüringische Landtagsabgeordnete Katharina König (Die Linke) kritisierte, dass die meisten Untersuchungsausschüsse zum NSU mehr „parlamentarisches und politisches Feigenblatt“ seien als ein Beitrag zur Aufklärung. Der hessische Ausschuss, in dem es seit Beginn immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Regierungsparteien und Opposition kommt, sei „freundlich formuliert ein schlechter Scherz“. König warnte vor dem terroristischen Potenzial derzeit aktiver Neonazi-Gruppen.“ (FR Online 23.10.2016)


Nach dem Fund von Böhnhardts DNA. Die Spuren vom NSU zum Fall Peggy:

„Ab heute untersucht eine neue Sonderkommission der Thüringer Polizei ungeklärte Fälle von Kindstötungen nach 1990. In Thüringen gibt es nach Angaben des Innenministeriums seit 1990 etwa 70 ungeklärte Fälle, wie viele davon Kinder sind, war nicht bekannt. Die Ermittler reagieren damit auf die Sicherstellung von Genmaterial Böhnhardts in der Nähe der sterblichen Überreste der getöteten neunjährigen Peggy aus Oberfranken. Die Hinweise verdichten sich somit, dass die mutmaßlichen NSU-Rechtsterroristen an weiteren schweren Straftaten beteiligt gewesen sein könnten. Eine Verunreinigung der DNA-Proben kann zwar weiterhin nicht ganz ausgeschlossen werden, wird aber von Experten als eher unwahrscheinlich eingeschätzt. Fachleute wie der Kriminalbiologe Mark Benecke halten zudem eine Täterschaft des NSU-Terroristen für durchaus möglich. Schwer antisoziale Menschen wie etwa Serienmörder begingen häufig auch andere Delikte, sagte Benecke im Deutschlandfunk. Für einen Zusammenhang spricht auch, dass es Verbindungen zwischen Neonazi-Szene, organisierter Kriminalität und Delikten wie Kindesmissbrauch sowie Kinderpornografie gibt. So hatten Spezialisten im NSU-Komplex auf einem Datenträger aus der Wohnung des Trios in Zwickau kinderpornografisches Material gefunden. Das entsprechende Ermittlungsverfahren wurde allerdings eingestellt, da Beate Zschäpe sich vor dem Oberlandesgericht München noch schwererer, nämlich terroristischer, Straftaten verantworten muss. Im Umfeld des mutmaßlichen NSU-Trios finden sich ebenfalls Personen, die mit Kindesmissbrauch in Verbindung gebracht wurden. Zuallererst der langjährige V-Mann Tino Brandt, führender Neonazi-Kader in Thüringen und Weggefährte von Böhnhardt, Uwe Mundlos und Zschäpe. Derzeit sitzt Brandt im Gefängnis, nachdem er 2014 wegen Kindesmissbrauchs zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt wurde. Der ehemalige V-Mann hatte sich demnach an Minderjährigen vergangen und Jungen auch an andere Männer vermittelt. Das Landgericht Gera sprach ihn in 66 Fällen schuldig. Bei seinen Machenschaften soll er mit mit mindestens einem anderen Neonazi kooperiert haben. Ein weiterer bekannter Thüringer Neonazi, der bis heute in der Szene aktiv ist und zu den Weggefährten der späteren NSU-Terrorgruppe gehörte, geriet im Jahr 1995 in den Verdacht des Kindesmissbrauchs. Die Ermittlungen wurden schließlich allerdings eingestellt. Neu aufgerollt wird nun auch der Fall des neunjährigen Bernd. In den Ermittlungen zu dem Mord an dem Jungen in Jena war 1993 Uwe Böhnhardt als Zeuge vernommen worden; ein damaliger Freund von ihm galt als Tatverdächtiger. Dieser belastete wiederum Böhnhardt in dem Fall schwer. Zahlreiche weitere ungelöste Fälle werden nach den neuen Hinweisen im Fall Peggy noch einmal überprüft, ob es Hinweise auf einen Zusammenhang zum NSU geben könnte. Dazu kommen enge Kontakte von Thüringer Neonazis ins Rotlichtmilieu und die organisierte Kriminalität – insbesondere nach Litauen. So überfielen Neonazis vom „Thüringer Heimatschutz“ – in dem auch die späteren NSU-Terroristen aktiv waren – im Jahr 1999 gemeinsam mit Personen aus Litauen einen Geldtransporter. Mit der Beute hatten sie die Übernahme eines Bordells finanziert. Rückblickend stellt sich die Frage, ob nicht ein Teil der Beute möglicherweise an Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe geflossen sein könnte, die 1998 untergetaucht waren. Und dann ist da noch der Fall Michelle Kiesewetter. Die NSU-Terroristen sollen die Polizistin 2007 in Heilbronn erschossen haben. Dieser Mord wirft besonders viele Fragen auf: Warum wählten die mutmaßlichen Täter plötzlich zwei Polizisten als Ziel aus? Warum in Heilbronn? Warum endete danach die Mordserie? Und war Kiesewetter, die wie die NSU-Terroristen aus Thüringen stammt, ein zufälliges Opfer? In diesem Fall gibt es also ohnehin mehr Fragen als Antworten – nun kommen neue Merkwürdigkeiten hinzu. So war an der Suche nach Peggy eine Polizistin aus Thüringen beteiligt, die eine enge Freundin von Kiesewetter war. Diese Freundin und Kollegin war 2001 von der „Soko Peggy“ aus Bayern damit beauftragt worden, in Thüringen an Seen nach der Leiche des vermissten Mädchens zu suchen. Später wurde die Polizistin vorübergehend aus dem Dienst suspendiert, weil sie interne Informationen weitergegeben haben soll – an ihren Lebensgefährten, der eine Security-Firma betreibt, bei der wiederum Neonazis arbeiten sollen. Zuvor war die Polizistin mit Kiesewetters Patenonkel liiert gewesen. Dieser hatte 2007 – nur wenige Tage nach dem Mord in Heilbronn – eine bemerkenswerte Aussage getätigt: Kiesewetters Patenonkel behauptete, die Tat in Heilbronn stehe im Zusammenhang mit den bundesweiten „Türkenmorden“. Die neuen Indizien im Fall der kleinen Peggy könnten also in eine finstere Parallelwelt von rechtsextremen Schwerkriminellen führen. Vorausgesetzt, die DNA-Probe war tatsächlich nicht verunreinigt. Ob Böhnhardt in diesem Fall aber an dem Mord selbst beteiligt war, oder dem Täter geholfen hatte oder lediglich kannte, wäre auch dann noch längst nicht klar. Der NSU-Komplex gibt auch fast fünf Jahre nach der Selbstenttarnung der Terrorguppe viele Rätsel auf. (Tagesschau.de/Patrick Gensing 17.10.2016)


Spähten Zschäpe und Mundlos eine Synagoge aus? Ein Polizist will Zschäpe und Mundlos vor einer Berliner Synagoge gesehen haben. Spähten sie damals ein Anschlagsziel aus? Ein Nebenkläger im NSU-Prozess will den Beamten nun als Zeugen laden lassen:

„Frank G. war sich sicher. Am Mittag des 7. Mai 2000 hatte der Objektschützer Dienst vor der Synagoge in der Berliner Rykestraße, die größte Deutschlands, als ihm eine „gutaussehende“ Frau auffiel: im Restaurant gegenüber, mit Stadtplan und in Begleitung von zwei Männern, einer Frau sowie zwei kleinen Kindern. „Mehre dutzend Male“ sei er an der Gruppe vorbeigelaufen. Auch später, als er einen Kollegen ablöste, sei die auffällige Frau und einer ihrer Begleiter nochmal an ihm vorbeigelaufen. „Ein Wiedererkennen wäre mir möglich.“ So schilderte es Frank G. tags darauf dem Berliner LKA. Das Protokoll liegt der taz vor. Und G. sagte auch, wann er begriff, wen er da sah: Beate Zschäpe. Am gleichen Abend habe er damals zufällig „Kripo Live“ im Fernsehen gesehen. Dort wurde über die Gesuchten Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt berichtet. „Sofort“ habe er die Frau wiedererkannt, sagte G. „Sicher“ sei er sich nun auch gewesen, dass einer ihrer Begleiter Mundlos war. G. rief umgehend die Polizei an und wurde am Folgetag vernommen. Die Information war brisant. Seit knapp zweieinhalb Jahren war das rechtsextreme Trio damals untergetaucht, wurde von der Polizei gesucht. Allein: Der Hinweis versandete. Nun hat ihn Yavuz Narin, Anwalt der Familie des 2005 vom NSU in München erschossenen Theodoros Boulgarides, wieder aufgetan. Mit einem schweren Verdacht: Spähte Zschäpe damals die Synagoge für einen möglichen Anschlag aus? (…) Ermittler fanden in dem letzten Zwickauer Unterschlupf des NSU-Trios zudem eine Datenbank mit rund 10.000 Adressen, darunter jüdische Gemeinden, auch die in Berlin. Fragen aber bleiben: Ging es wirklich um eine Ausspähung? Und wer waren die anderen Begleiter? Laut einer Handyüberwachung war am damaligen Tag der sächsische Neonazi-Kader Jan W. in Berlin – ihm wird heute vorgeworfen, dem NSU eine Waffe organisiert zu haben. Er soll damals eine Berliner Freundin mit zwei Kindern gehabt haben. Waren sie die Restaurantpartner von Zschäpe? Die Berliner Polizei will den Hinweis nun noch einmal prüfen. Von der Bundesanwaltschaft, welche die NSU-Ermittlungen leitet, hieß es, man werde sich dazu demnächst im Münchner Prozess äußern.“ (taz 6.10.2016)


Gegen zwei Bundesanwälte werden keine Ermittlungen nach der Vernichtung des Notizbuchs eines mutmaßlichen NSU-Helfers eingleitet. Wo kämen wir da hin wenn gegen Bundesanwälte ermittelt würde:

„Zur Begründung erklärte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe, es habe sich kein Anfangsverdacht für den Tatbestand einer Rechtsbeugung oder Strafvereitelung ergeben. Der Fall sei eher als Fahrlässigkeit zu werten. Medienberichten zufolge sollen die Bundesanwälte die Vernichtung angeordnet haben, weil die dem Notizbuch keine Relevanz für ihre Ermittlungen beigemessen hätten. Daraufhin erstatteten Anwälte der Nebenklage im Münchner NSU-Prozess Anzeige. Das Notizbuch gehörte einem Mann, gegen den die Bundesanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren führt. Er wird verdächtigt, Waffen für den NSU beschafft zu haben. Die Nebenklage geht davon aus, dass es in dem Notizbuch Hinweise auf Taten des NSU oder auch möglichen Kontaktpersonen gab.“ (Deutschlandfunk 6.10.2016)


Akten vernichtet, Akten gefunden. Verstrichene Aufbewahrungsfristen, fehlende Sensibilität. Das alte Spiel im NSU-Komplex:

„Die Brandenburger Justiz hat nach Informationen der „Bild“-Zeitung und der „B.Z.“ (Mittwoch) Akten in Zusammenhang mit der NSU-Terrorserie gelöscht. Darin seien Hinweise des V-Manns „Piatto“ zu finden gewesen. Ein Bundestag-Untersuchungsausschuss habe die Unterlagen mit Ende der Wahlperiode an Brandenburg zurückgeschickt. Dort seien die Akten wegen der gesetzlichen Löschfrist vernichtet worden. Eine Sprecherin des Justizministeriums bestätigte, dass Akten der Staatsanwaltschaften vernichtet wurden. Es sei 2015 nicht absehbar gewesen, dass sich nach zwei Bundestags-Untersuchungsausschüssen jetzt noch einmal ein Ausschuss des Landtags damit befasse. Das Gremium in Potsdam könne aber Kopien aus Berlin anfordern.“ (Berliner Zeitung 5.10.2016)


„In Brandenburg sind neue Akten zu dem Ex-V-Mann Carsten Szczepanski alias „Piatto“ aufgetaucht. Der NSU-Untersuchungsausschuss im Landtag, der gerade erst seine Arbeit aufgenommen hat, verspricht sich neue Erkenntnisse über die Rolle des einstigen Neonazis, der sich 1994 dem Brandenburger Verfassungsschutz andiente, als er wegen versuchten Mordes an einem Nigerianer in Haft saß. 1998, da war Szczepanski wieder auf freiem Fuß, gab er dem Verfassungsschutz einen vagen Hinweis auf die im selben Jahr untergetauchten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, die laut Bundesanwaltschaft die Terrorzelle NSU bildeten. Die nun gefundenen Unterlagen sind Akten des Justizministeriums. Es wird seit 2009 geführt von Politikern der Linkspartei. Dass die Akten mit dem Titel „Rechtsextremismus im brandenburgischen Vollzug“, in denen es ausdrücklich um Szczepanski geht, erst jetzt entdeckt wurden, begründete das Ministerium mit fehlender Verknüpfung von Namen. (…) Für Brandenburg wird der Bundestag zugleich Retter in der Not. Alle dem Untersuchungsausschuss von Behörden gelieferten Unterlagen, also auch Verfahrensakten zu Szczepanski, bewahrt das Parlament bis zum Abschluss des NSU-Prozesses in München auf. Wie das Justizministeriums in Potsdam jetzt feststellen musste, haben die Staatsanwaltschaften Potsdam und Frankfurt (Oder) allerdings die Originalakten 2015 vernichtet. Laut Ministerium war die Aufbewahrungsfrist verstrichen. Eine Sprecherin gab aber zu, es habe politische Sensibilität gefehlt.“ (Tagesspiegel 5.10.2016)


Die Nagelbombe in der Kölner Keupstraße: Ein Terroranschlag unter den Augen von Sicherheitskräften? (Thomas Moser/Telepolis 05.10.2016)


Die Familie eines NSU-Opfers zeigt „Lothar Lingen“ wegen Strafvereitelung an:

„Gut zehn Jahre nach dem Tod von Mehmet Kubasik haben die Anwälte der Witwe und der Tochter des NSU-Mordopfers Strafanzeige gegen Geheimdienstler gestellt, die für die Vernichtung von Akten über V-Leute aus der Neonaziszene im November 2011 verantwortlich sind. Die Nebenklägerinnen im Münchner NSU-Prozess werfen einem Beamten, der unter dem Namen Lothar Lingen bekannt wurde, und weiteren, bislang unbekannten Mitarbeitern des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) Strafvereitelung, Urkundenunterdrückung und Verwahrungsbruch vor. Die Anzeige sei bei der Staatsanwaltschaft in Köln gestellt worden, teilten die Anwälte von Elif und Gamze Kubasik am Mittwoch mit. Das BfV residiert dort im Stadtteil Chorweiler. Der Kioskbetreiber Mehmet Kubasik war im April 2006 in Dortmund erschossen worden. (…) Erst am Donnerstag letzter Woche war bekanntgeworden, was der Beamte Lingen bereits im Oktober 2014 in seiner Vernehmung durch die Bundesanwaltschaft zugegeben hatte: Die Akten waren gezielt vernichtet worden, um Schaden vom Amt abzuwenden. (…) Die Anwälte von Elif und Gamze Kubasik betonten am Mittwoch, dass die Bundesanwaltschaft dem Gericht und damit auch ihnen das Protokoll dieser Vernehmung vorenthalten habe. Sie habe sogar eine unzutreffende Stellungnahme in der Hauptverhandlung abgegeben, als sie sich gegen den Beweisantrag der Nebenklage aussprach, Lothar Lingen als Zeugen zu laden. Dies war im August 2015 – also nach Lingens faktischem Geständnis. Dennoch erklärten die Bundesanwälte damals, die Nebenklage unterstelle den Vorsatz bei der Aktenvernichtung »ins Blaue hinein und entgegen aller bislang vorliegenden Erkenntnisse«. Die beteiligte Oberstaatsanwältin Anette Greger wurde vergangene Woche im NSU-Untersuchungsausschuss gefragt, ob der Verfassungsschutz ihr beziehungsweise der Anklagebehörde die Klarnamen der V-Leute mitgeteilt habe, deren Akten 2011 geschreddert worden waren. Ihre Antwort: »Ich weiß es nicht.« “ (Junge Welt 6.10.2016)

Screenshot: Deutscher Bundestag 4.10.2016


An dem Tag als bekannt wird, dass das BfV 2011 vorsätzlich Akten zu V-Leuten aus dem NSU/Thüringer Heimatschutz Umfeld vernichtete, berichten fast alle großen Medien (inklusive Eilmeldungen) über … Beate Zschäpe, die vor Gericht eine Minute lang Reue heuchelte. Über die „völlig neue Qualität“ (Irene Mihalic, Obfrau der Grünen im NSU-Ausschuss)  des NSU/Verfassungsschutzskandals berichtete weder SPON, ZON, noch ARD oder ZDF.

„Die Aktenvernichtungen im Bundesamt für Verfassungsschutz nach dem Auffliegen des NSU-Trios im November 2011 geschahen vorsätzlich und nicht wie bisher kolportiert aus Versehen. Für diese Feststellung präsentierte der Untersuchungsausschuss des Bundestages bei seiner letzten Sitzung am Freitag Belege. Die Bundesanwaltschaft kennt den Sachverhalt seit mindestens zwei Jahren und unternahm nichts. (…) Am 4. November 2011 wurde das NSU-Trio bekannt. Am 11. November veranlasste ein Referatsleiter im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in Köln die Löschung von Akten zu mindestens sieben Quellen im rechtsextremen Thüringer Heimatschutz (THS), in dem sich auch die NSU-Mitglieder Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe bewegt hatten. Die Aktenvernichtung sei der damaligen chaotischen Ermittlungssituation geschuldet gewesen, so die offizielle Version, wie sie auch dem ersten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages noch 2012 und 2013 erzählt worden war. Jetzt erfährt man: Der Bundestag wurde getäuscht, die Aktenvernichtung geschah aus Vorsatz, um die Verantwortung des Amtes, die drei Untergetauchten nicht gefasst zu haben, zu verschleiern. Der jetzige Bundestagsausschuss Nummer zwei präsentierte dafür einen einschlägigen Beleg. Danach wurde der für die Datenlöschung verantwortliche Referatsleiter im BfV mit Decknamen „Lothar Lingen“ am 24.Oktober 2014 durch den Vertreter der Bundesanwaltschaft, Jochen Weingarten, zu dem Sachverhalt vernommen und folgendermaßen zitiert: Am 10. November 2011 sei klar gewesen, dass sich die Öffentlichkeit für die Quellen des Verfassungsschutzes in der rechtsextremen Szene in Thüringen interessieren werde. Und dass die Frage auftauchen werde, warum der Verfassungsschutz trotz seiner etwa zehn Quellen nicht über den Rechtsterrorismus des NSU informiert gewesen sei. Wenn aber die Anzahl der Quellen nicht bekannt würde, wird der BfV-Mann weiter zitiert, tauche vielleicht auch die Frage nicht auf, warum das BfV nichts wusste. Deshalb habe er entschieden, die Akten vernichten zu lassen. Das müsse er „ehrlicherweise“ sagen. (…) Für Irene Mihalic, Obfrau der Bündnisgrünen, kommt die Erklärung des Beamten in jener Vernehmung von 2014 „einem Geständnis gleich“. Er habe zugegeben, Akten vernichtet zu haben, um Schaden vom BfV abzuwenden. „Aus eigener Motivation? Im Auftrag? Oder hat es sich um eine koordinierte Aktion im BfV gehandelt, um dessen Rolle zu verschleiern?“, so Mihalic später gegenüber Presse und Öffentlichkeit im Rahmen der Statements der Obleute. Lingen gab an, seine Vernehmung durch den GBA sei „vertraulich geführt“ worden. Deshalb werde er dazu nicht öffentlich Stellung nehmen. Ob er es hinterher im nichtöffentlichen Teil seiner Zeugenvernehmung tat, ist nicht bekannt. In der öffentlichen Sitzung beantwortete er auch die Frage nach dem Umfang der vernichteten Akten nicht („Nehme dazu keine Stellung“). Bei seiner Vernehmung im Oktober 2014 habe er davon gesprochen, zitierte ihn der Ausschuss, der Umfang der vernichteten Akten sei „sehr gering“ gewesen, er habe deshalb auch „kein schlechtes Gewissen“. Der Ausschuss weiß allerdings von „acht dicken Aktenordnern mit knapp 1500 Seiten“, so Petra Pau. Der BfV-Mann blieb dabei: „Keine Aussage.“ Das Aussageverhalten des Geheimdienstmannes war insgesamt äußerst lückenhaft und widersprüchlich. So behauptete er zu Beginn beispielsweise: „Ich war als V-Mann-Führer nie tätig“, um kurz danach einzuräumen: „Ich war allenfalls als stellvertretender V-Mann-Führer tätig, als Urlaubsvertretung.“ Lothar Lingen führte unter anderem die Quelle Michael von Dolsperg, geb. See, alias „Tarif“. Das Amt war in die Herausgabe der Neonazischrift „Sonnenbanner“ durch den V-Mann „Tarif“ involviert. Lingens Erklärung, die Überprüfung im Amt, ob Mitglieder des NSU-Trios als Quellen geführt wurden, habe „keinen Treffer“ ergeben, „ganz sicher“, ist angesichts des gesamten bis heute an den Tag gelegten Verhaltens des VS-Hauptamtlichen mit Vorsicht zur Kenntnis zu nehmen. Der zweite BfV-Vertreter („Herr Wuck“), der in öffentlicher Sitzung vernommen werden sollte, erschien aus unerfindlichen Gründen nicht. Er sei auf keinem Wege erreichbar gewesen, so der Ausschussvorsitzende Clemens Binninger, CDU. Nicht einmal das BfV will seinen Mitarbeiter erreicht haben. Mittlerweile sind mindestens drei Verfassungsschützer ihrer Ladung als Zeugen nicht nachgekommen. Auch Binninger fiel auf, dass „sich das häuft“. Der Ausschuss werde aber nicht auf diese Zeugen verzichten, sagte er. Hinter verschlossenen Türen wurden noch drei Quellen-Führer des BfV befragt. Darunter der Beamte mit dem Decknamen „Richard Kaldrack“, der die V-Leute Thomas Richter alias „Corelli“ und Ralf Marschner alias „Primus“ führte.“ (Telepolis/Thomas Moser 1.10.2016)

Screenshot: Deutscher Bundestag 18.10.2012


„Lothar Lingen verweigerte am Donnerstag offenbar auch deswegen vor dem Ausschuss die Aussage, weil er nicht mit den Äußerungen seiner Kollegen über den Ablauf der Aktenvernichtung konfrontiert werden wollte. Denn die Aussagen werfen diverse unangenehme Fragen auf. Eine Dienstbesprechung hätte es vor der Durchsicht der Akten nicht gegeben, niemand hätte gewusst, dass es darum ging, die Akten vernichten zu lassen. „Herr Lingen“ hätte nur gesagt, es gäbe einen eiligen Auftrag „von oben“, die Akten der Thüringer V-Männer durchzusehen. Ob es wirklich auch für Lingen einen Befehl „von oben“ gab oder ob er auf eigene Faust die Vernichtung durchgesetzt hat, ist ungeklärt. Ein Zeuge beschreibt, dass nicht nur Lingen, sondern auch dessen Vorgesetzter in „besonderem Maße kopflos“ wirkten. Dann fügt jener Zeuge einen Satz an: „Eine weitere Erklärung möchte ich Ihnen und mir gern ersparen.“ Die Vernehmungsbeamten fragten nicht nach.Auch ruft die Äußerung von Lingen, dass man „acht, neun, zehn Quellen“ in Thüringen eingesetzt hatte, in Erinnerung, dass bei mindestens drei dieser Quellen, die auch über das Umfeld von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt berichtet haben, die Klarnamen, also die reale Identität, nicht bekannt ist. Die Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses wissen also nicht in jedem Fall, wer sich hinter den V-Männern, deren Akten man zerstören ließ, verbirgt. Man hat nur das Wort des BfV, dass es sich dabei nicht um bekannte Mitglieder oder Unterstützer des NSU handelt. Lingen und auch seine ehemaligen Kollegen haben gegenüber den Beamten des BKA und der Bundesanwaltschaft zudem behauptet, dass die Thüringer V-Männer „kleine Lichter“ und „Blinde“ waren, dass in den vernichteten Akten daher nichts zum NSU oder deren Mitgliedern gestanden habe. Doch der „Welt“ liegen Dokumente vor, die diese Einschätzung infrage stellen. So geht aus Akten des BfV hervor, dass Lingen dienstlich mindestens mit der Betreuung einer Quelle in Thüringen zu tun hatte: Deckname „Teleskop“. „Teleskop“ hatte unter anderem über Tino Brandt berichtet, der wiederum das Trio im Untergrund unterstützt hatte. Eine Aussage eines der Mitarbeiter des BfV beim BKA lässt zudem aufhorchen: Er sagte, dass allen Beteiligten klar war, dass die Vernichtung der Akten ein spezieller Vorgang war. Nachdem er erfahren hatte, dass „plötzlich“ die Akten geschreddert werden sollten und alles schnell gehen sollte, „entwickelte sich eine absolute Eigendynamik, jeder merkte, dass alle nervöser und nervöser wurden. Man spürte, dass da etwas ‚Großes‘ auf uns zukommen würde.“ Warum die Mitarbeiter des BfV wirklich so nervös wurden, muss nun der NSU-Ausschuss herausfinden.“ (Welt Online/Dirk Laabs 30.9.2016)

Ein kurzer Rückblick in das Jahr 2012:

„Nach Fritsche wollte der Ausschuss Hans-Georg Engelke vernehmen, der als Sonderermittler die Aktenvernichtung im BfV untersucht hat. Im öffentlichen Teil des an sich geheimen Berichts heißt es, eine „etwaige Vertuschungsabsicht“ als Motiv des Schredderns sei auszuschließen. Der Referatsleiter, so Engelke, habe vielmehr „Nachfragen, Wiedervorlagen und Prüfarbeiten“ zu Akten vermeiden wollen, die ohnehin bereits unter Löschungsfristen gefallen wären. Engelke stieß indes auf fast 300 weitere Akten zum Rechtsextremismus, die von diversen BfV-Mitarbeitern nach dem 4. November ebenfalls vernichtet wurden. Laut Bericht liege in den meisten Fällen keine Verbindung zum NSU-Umfeld vor. Und dort, wo es solche Querbezüge gebe, existierten keine Hinweise auf eine „Verheimlichungsabsicht“. Vor Engelkes Anhörung äußerten jedoch mehrere Fraktionsobleute Zweifel an der Bewertung des Sonderermittlers.“ (Deutscher Bundestag 18.10.2012)


Wegen der Aktenvernichtung im NSU-Verfahren prüft die Staatsanwaltschaft Karlsruhe derzeit, ob sie gegen die Bundesanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eröffnet und im NSU-Ausschuss des Bundestages werden erneut Zweifel an den Todesumständen von V-Mann Corelli laut:

„Im Untersuchungsausschuss des Bundestages war der Aktenrechercheur des Gremiums, Bernd von Heintschel-Heinegg, darauf gestoßen, dass die Bundesanwaltschaft (BAW) bereits im November 2014 die Vernichtung von Asservaten im Fall des Beschuldigten Jan Werner aus Chemnitz angeordnet hatte. (…) Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe prüft nach Kenntnisnahme des Artikels nun, ob ein Anfangsverdacht auf eine Straftat der Behörde des GBA vorliegt. Um welche Straftat es sich handeln könnte, wollte der Sprecher der Staatsanwaltschaft nicht sagen. Das sei Gegenstand des Prüfvorganges, der ein offizielles Aktenzeichen bekam. Denkbar ist Strafvereitelung im Amt. Die BAW hat ihren Sitz in Karlsruhe. Nach dem Tatort-Prinzip ist die örtliche Staatsanwaltschaft auch für die Bundesbehörde zuständig. (…) Auch mit der Personalie des V-Mannes „Corelli“ befasste sich der Ausschuss erneut. Dabei kamen weitere Zweifel an den Todesumständen des 39-Jährigen mit bürgerlichem Namen Thomas Richter auf, der fast 20 Jahre lang für das Bundesamt für Verfassungsschutz in der rechtsextremen Szene unterwegs war und vom NSU-Trio mindestens Uwe Mundlos gekannt hat. Befragt wurde ein 44-jähriger Leipziger, der mit Richter seit 2010 eng befreundet war und bis 2012 vor dessen Verschwinden im Zeugenschutzprogramm regelmäßig zu tun hatte. Er sprach von ihm nur von „Thomas“. Die Frage, ob der Verstorbene über NSU, Böhnhardt, Mundlos oder Zschäpe geredet habe, beantwortete der Zeuge, Thomas M., mit einem entschiedenen „Nein“. (…) Von Bedeutung ist, was Thomas M. über die Tage kurz vor Richters Tod berichtete und was das Bundeskriminalamt an Hand seiner Handy-Daten ermittelte. Am 28. März 2014 telefonierten die beiden Thomas‘ fast 23 Minuten lang miteinander. Am 2. April fragte Thomas M. per SMS: „Alles klar?“ Am 3. April kam eine kurze Antwort-SMS vom Handy Richters: „Bin krank“. Daraufhin fragte M. zurück: „Wie krank?“ Doch Richter meldete sich nicht mehr. M. danach noch einmal per SMS: „He, was ist los? Schreibst du jetzt endlich mal?“ Thomas Richter wurde am 7. April 2014 tot in seiner Wohnung bei Paderborn aufgefunden. Der Todeszeitpunkt konnte nicht geklärt werden und wurde unbestimmt auf einen Zeitraum zwischen dem 4. und 7. April festgelegt. Als Indiz dafür gilt auch die SMS-Kommunikation von Thomas M. mit Richter. Die jedoch wirft Fragen auf. Thomas M. kam es seltsam vor, dass Richter lediglich mit zwei Worten antwortete. Das sei absolut untypisch für ihn gewesen, Richter habe immer ganze SMS-Romane geschrieben – und wörtlich: „Als wäre er es nicht selbst gewesen.“ Stammte die Rückmeldung „Bin krank“ überhaupt von Richter selber? Wer eine SMS schreibe, könne man nicht überprüfen, so das Ausschussmitglied Thorsten Hoffmann, CDU. Daran wiederum knüpft sich eine Folgefrage: War Richter am 3. April möglicherweise schon tot und hat die SMS jemand anderes verschickt? Auch an die Todesursache Zuckerschock aufgrund unerkannter Diabetes glaubt der frühere Freund Richters nicht. Richter habe nicht unter „Zucker“ gelitten und sei auch nie krank gewesen. Thomas M. erwähnte auch, dass Richter eine Freundin gehabt habe. Von ihr war bisher nicht die Rede.“ (Telepolis/Thomas Moser 23.9.2016)


Ein ehemaliger Beamter des Landespolizeipräsidiums hat den hessischen Verfassungsschutz scharf kritisiert. Die Ermittlungen nach dem Mord am Kasseler Internetcafébetreiber Halit Yozgat seien behindert worden:

„Der Ex-Polizist sagte im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags, der hessische Verfassungsschutz habe die Ermittlungen nach dem Mord an Yozgat im Jahr 2006 behindert. Hätte man die Quellen des verdächtigen Verfassungsschützers Andreas Temme direkt befragen können, wären die Ermittlungen schneller gewesen, erklärte der pensionierte Polizeibeamte Karlheinz Schaffer am Freitag in Wiesbaden. Der 62-Jährige arbeitete 2006 als Referent im Landespolizeipräsidium. Die Vernehmung der Temme-Quellen wurde vom Landesamt für Verfassungsschutz aber blockiert. Das Verhältnis zum hessischen Verfassungsschutz sei damals gespannt gewesen. Schaffer sprach im Ausschuss sogar von „Gurkentruppe“. Nach seiner Einschätzung sei bei den Ermittlungen gegen Temme von Seiten des Landesamtes „gemauert“ und „geschwiegen“ worden. Ihm sei zu Ohren gekommen, dass der damalige Verfassungsschutzpräsident Lutz Irrgang die „Polizei und die Medien“ als Feinde bezeichnet habe. „In dieser Reihenfolge“, sagte Schaffer. Die Polizei habe nach dem Mord an Yozgat mögliche weitere Taten befürchtet, auch in Hessen. Umso wichtiger wäre es gewesen, die V-Leute qualifiziert zu befragen, sagte der Zeuge. Dabei hätten die Ermittler selbstverständlich dafür gesorgt, dass die Quellen geschützt und nicht enttarnt werden.“ (Hessenschau.de 30.9.2016)


Der ungeklärte Polizistenmord von Heilbronn ist der zentrale Schlüsselfall im NSU-Komplex. Eine Zusammenfassung der zahlreichen Ungereimtheiten und offenen Fragen veröffentlicht Thomas Moser am 21.9.2016 auf Telepolis:

„Gibt es einen Zusammenhang all dieser Merkwürdigkeiten von Heilbronn mit Aktivitäten US-amerikanischer Dienste? Jener US-Spur, über die das Magazin Stern im Dezember 2011 als erstes Medium berichtete. Danach sind US-Sicherheitskräfte, die aus anderen Gründen in der Stadt waren, Zeugen der Tat geworden. Ein interner Schriftverkehr vom Dezember 2011 zwischen BND, MAD und Bundeskanzleramt untermauert die Geschichte – Telepolis hat jetzt die Dokumente veröffentlicht: (Dokumente zum Mordanschlag auf Michèle Kiesewetter und Martin Arnold in Heilbronn). Ein US-Verbindungsoffizier soll den deutschen Behörden mitgeteilt haben, zwei FBI-Männer seien am 25. April 2007 dienstlich in Heilbronn gewesen. Nach den Schüssen auf Kiesewetter und Arnold hätten sie ihre Operation abgebrochen. Die US-Seite soll der deutschen Seite angeboten haben, darüber zu sprechen. Die soll ablehnt haben. Der Untersuchungsausschuss von Baden-Württemberg hat den Sachverhalt bisher nicht aufgeklärt und nur oberflächlich behandelt. Ein Zeuge, dessen Name in den Unterlagen geschwärzt wurde, ist nicht identifiziert. Ein anderer Zeuge ist wiederholt nicht erschienen.“


Die Anwesenheit deutscher und amerikanischer Schlapphüte zum Zeitpunkt des Kiesewetter Mordes in Heilbronn wird auf Stern Online vertieft:

„Der Verbindungsbeamte der US-Geheimdienste trifft sich sogar mit einem BND-Kollegen in der Stuttgarter MAD-Dienststelle. Auch hierüber gibt es ein Protokoll. „Der US-Mitarbeiter ließ dabei erkennen, dass eine eigene Untersuchung der Ereignisse die Beteiligung von zwei Mitarbeitern des FBI ergeben habe, und regte in diesem Zusammenhang ein offizielles Gespräch zu den Hintergründen an“, hält BND-Mitarbeiter Axel R. am 5. Dezember 2011 um 9.20 Uhr in einer behördeninternen Mail fest, die zur Verschlusssache erklärt wird und „nur für den Dienstgebrauch“ weitergegeben werden darf. (…) Doch die deutschen Behörden wollen nicht reden, schon gar nicht offiziell. „Der Bundesnachrichtendienst ist in diesen Fall in keiner Weise involviert“, heißt es in einem vertraulichen Aktenvermerk. Mit krakeliger Handschrift formuliert ein Beamter eine Art Handlungsanweisung: „Wir machen nur Folgendes“, schreibt er. Das Schreiben solle „der Generalbundesanwaltschaft zur Kenntnis“ gegeben werden. Ansonsten würden „keine weiteren Maßnahmen eingeleitet“. Uhrlaus Schreiben an den damaligen Generalbundesanwalt Harald Range trägt eine auffällige Einstufung für Verschlusssachen: Die Sperrfrist endet erst im Jahr 2071. 60 Jahre lang sollte die Öffentlichkeit nichts von all dem erfahren.“

Dass der ehemalige V-Mann und Neonazi Ralf Marschner (Spitzname „Manole“) Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe nicht persönlich gekannt haben will, glaubt außer ihm selber wohl niemand. Im September 2016 gibt es einen neuen Hinweis auf die Nähe Marschners zum NSU:

„In einem Magazin, das Ende der 1990er Jahre in Zwickau von Marschner heraus gegeben wurde, soll im Jahr 1997 auch ein Artikel des späteren NSU-Mitglieds Uwe Mundlos erschienen sein. Ein neuer Hinweis für die Bekanntschaft von Marschner mit dem NSU im Untergrund? Der Artikel mit dem Titel „Pressefreiheit, das Recht zu lügen…?“ ist in der Ausgabe Nummer 2 des Fanzines „Voice of Zwickau“ vom November 1997 auf den Seiten 37 und 38 erschienen. Ein Autor ist nicht angegeben. Im Jahr 2012 soll laut einem Artikel in der taz das Bundesamt für Verfassungsschutz in einer Schriftanalyse auf die Autorenschaft von Mundlos geschlossen haben. Angeblich würden häufige „Konjunktionen- und Pronomenfehler“ auf Mundlos deuten.“ (NSU Watch 7.9.2016)


Zehn Jahre nach dem NSU-Mord an Halit Yozgat versuchen die Nebenklage-Anwälte, dem Verfassungsschützer Andreas Temme nachzuweisen, dass er etwas gehört haben muss:

„Die Ermittler stellten die Situation nach, in der der Kasseler Internetcafébetreiber Halit Yozgat am 6. April 2006 von den NSU-Killern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt erschossen worden war. Temme, damals Beamter beim Verfassungsschutz, war zur Tatzeit im Café und chattete mit einer Frau. Er will den Schuss nicht gehört haben – obwohl er in einem Polizeiverhör angab, dass es im Raum ganz still und das Klappern der Tastatur gut zu hören gewesen sei. (…) Die Fakten sprechen dafür, dass Temme etwas gehört haben muss. Er saß nach seinen Angaben ohne Kopfhörer am PC, die Tastaturgeräusche kamen ihm laut vor, und ein anderer Zeuge hat zwei Knallgeräusche gehört, die er mit dem Platzen eines Luftballons verglich. Temme selbst hat Erfahrung mit Waffen, war Sportschütze und hätte die Schüsse nicht nur hören, sondern als solche auch identifizieren können, sind die Anwälte sicher. „Das Sachverständigengutachten wird zu dem Ergebnis gelangen, dass die in dem Internetcafé abgegebenen Schüsse durch den Zeugen Temme aufgrund ihrer Lautstärke und ihrer Charakteristik als kurzes, abgehacktes Geräusch deutlich wahrnehmbar gewesen sind“, so Bliwier in seinem Antrag. Die Abgabe der Schüsse habe zudem eine Druckwelle ausgelöst, die auch an dem Sitzplatz des Zeugen deutlich wahrnehmbar gewesen sein müsse.“ (Welt Online 20.9.2016)


Und wieder einmal wurden NSU-relevante Dokumente vernichtet, dieses Mal von der Bundesanwaltschaft! Sie hat im November 2014 die Vernichtung von Asservaten veranlasst, obwohl die Dokumente eine Schlüsselfigur (Blood & Honour Chef Jan Werner) im NSU-Verfahren betreffen und sie vom Bundeskriminalamt noch nicht ausgewertet worden sind:

„Er ist seit dem Jahr 2012 Beschuldigter im NSU-Komplex, das Verfahren gegen ihn läuft noch immer. Er hatte Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe geholfen, in seiner Stadt Fuß zu fassen, als die drei gerade aus Thüringen geflohen waren. (…) Im Sommer 1998 soll er dann für die drei auf der Suche nach Waffen gewesen sein, weil diese „weitere Überfälle“ begehen wollten. So hatte es damals ein V-Mann berichtet, der auf Werner angesetzt war. (…) Heintschel-Heinegg erkundigte sich im Juli 2016 bei der Bundesanwaltschaft konkret nach einem der bei Werner gefundenen Notizbücher. Der Vertreter der Bundesanwaltschaft im NSU-Ausschuss machte sich auf die Suche und machte eine überraschende Feststellung: Ausgerechnet zwei Bundesanwälte hatten bereits im November 2014 nicht nur die Vernichtung von einem Notizbuch, sondern von allen noch vorhandenen Asservaten aus dem Besitz Werners angeordnet. (…) In dem Vermerk der Bundesanwaltschaft heißt es, dass die beiden Staatsanwälte, die die Vernichtung veranlasst hatten, zwar wussten, dass es dieses Vernichtungsmoratorium gab, ihnen sei aber zu dem Zeitpunkt „nicht bewusst“ gewesen, „dass Jan Werner im Zusammenhang mit dem NSU-Komplex steht“. Am 3. November 2014 wurde die Vernichtung angeordnet – kurz davor, am 15. Oktober, war Jan Werner Zeuge beim NSU-Prozess in München. Dort hatte er die Aussage verweigert. Trotzdem soll den Bundesanwälten also der Name nicht geläufig gewesen sein.“ (Welt Online 19.9.2016)


„Systematisch blockiert und systematisch belogen“ (Martina Renner auf Twitter) vom Bundesamt für Verfassungsschutz:

„Obwohl das BfV mit Sitz in Köln eine zentrale Rolle spielt, blockiere es noch immer die Aufklärung, so der Vorwurf der Abgeordneten Irene Mihalic, Obfrau der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im NSU-Ausschuss. Vor allem die „Aktenlieferungsmoral des Bundesamtes“ verärgert sie: „Die eine Hälfte ist nicht da, und das, was kommt, ist das pure Chaos. Das ist eine Frechheit.“ Das Bundesinnenministerium beaufsichtigt das Bundesamt und hatte schon im Juli Defizite in der „Ablauforganisation des BfV“ festgestellt. Trotzdem habe sich nichts geändert, so Irene Mihalic: „Der Innenminister muss sich hier endlich wirksam einschalten, damit die Aufklärung nicht weiter blockiert wird.“ Kompliziert werde es vor allem, wenn die Abgeordneten Akten vom Bundesamt für Verfassungsschutz anfordern, die als geheim eingestuft sind. Um diese Akten lesen zu können, müssen die Ausschussmitglieder zur Berliner Zweigstelle des BfV nach Treptow fahren und sich dort die Akten vorlegen lassen – das sogenannte Treptower Verfahren. Kopien sind nicht erlaubt. Doch selbst dieses restriktive Verfahren funktioniere nicht, so Irene Mihalic: „Da werden einem Schriftstücke vorgelegt, nach denen man nie gefragt hat. Das, was man einsehen wollte, bleibt verschollen im Reich der Panzerschränke. Das ist kein guter Umgang mit dem Parlament.“ (Welt Online 6.9.2016)


Clemens Binninger zweifelt an der 3-Täter These der Generalbundesanwaltschaft und kritisiert die V-Leute Praxis des Verfassungsschutzes:

„Wenn ich die Fakten und Indizien aus Akten und Vernehmungen betrachte, bin ich zutiefst davon überzeugt, dass der NSU nicht nur aus drei Leuten bestand und dass es neben den Helfern und Unterstützern, die angeklagt sind, weil sie Wohnungen, Handys, Waffen beschafft haben, auch Mittäter gab. Ich weiß auch nicht, wie es war, aber ich teile die Auffassung des Generalbundesanwalts nicht, dass alle 27 Straftaten – zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge, 15 Banküberfälle – nur von den beiden Männern begangen wurden. Es gibt eine Reihe von Indizien, die darauf deuten, dass es Mittäter vor Ort gegeben hat, die geholfen oder ausgespäht haben. (…) Es gibt keine Fingerabdrücke eines der Toten oder Beschuldigten an einer Tatwaffe. Es gibt kein Geständnis. Es gibt 27 Tatorte, und an keinem einzigen Tatort haben wir DNA oder Fingerabdrücke von einem der Beschuldigten gefunden. Es gibt aber einen großen potenziellen Unterstützerkreis von rund 100 Personen. Ich habe mal nachgefragt: Von diesem NSU-Unterstützerkreis hat man nur von 19 Personen die DNA, um sie mit Tatortspuren abzugleichen. Das ist sehr wenig. Von 81 Personen wurden keine DNA-Proben genommen. Es ist klar: Nur Beschuldigte können gezwungen werden, eine DNA-Probe abzugeben. Aber man muss die restlichen Personen doch wenigstens fragen, ob sie es freiwillig tun. (…) Es ist ein Mysterium bis heute, warum kein V-Mann seinem V-Mann-Führer etwas mitgeteilt haben will. In keiner Akte, außer in einigen Aussagen von „Corelli“ Mitte der 90er Jahre, findet sich irgendein Hinweis. Ab 2001 sind die drei Untergetauchten wie weg vom Schirm. Nein, ich kann mir nicht vorstellen, dass es keinen einzigen V-Mann geben soll, der nicht zumindest gewusst hat, wo das Trio sich aufhält. (FR 5.9.2016)


Der ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Jerzy Montag legt den zweiten Bericht zum V-Mann „Corelli“ vor. Der Bericht ist natürlich geheim und Montag bekennt, er gehe davon aus, dass ihm „das BfV nicht alle Informationen vorgelegt“ habe. Interessanterweise wertet die ARD das als Entlastung für BfV-Chef Maaßen:

„Gut 100 Seiten umfasst der zweite, „geheim“ eingestufte Bericht des Bundestags-Sonderermittlers für die Geheimdienstkontrolleure des Bundestages, er liegt dem rbb Inforadio vor. Die zuletzt aufgetauchten Speichermedien wurden mittlerweile vom Bundeskriminalamt ausgelesen und ausgewertet: insgesamt 22 Mobiltelefone, die entweder „Corelli“ oder sein V-Mann-Führer genutzt hatte, zahlreiche SIM-Karten, Notebooks, Computer und anderes. Wichtigste Erkenntnis: Es haben sich „keine neuen Bezüge und Erkenntnisse zum NSU-Komplex“ ergeben, schreibt Montag in seinem Untersuchungsbericht. Für den Verfassungsschutz ist das von zentraler Bedeutung, ranken sich um „Corelli“ doch jede Menge Verschwörungstheorien, nicht zuletzt deshalb, weil er anderthalb Jahre nach seiner Enttarnung im Alter von 39 Jahren im April 2014 in einem Zeugenschutzprogramm plötzlich verstarb. (…) Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen wird durch Montags Bericht eher entlastet. Maaßen war unter Druck geraten, als die bis dahin unbekannten Handys und SIM-Karten von „Corelli“ aufgetaucht waren. Auch deshalb, weil er das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages nicht unmittelbar darüber informiert hatte, nachdem er Ende April 2016 selbst von dem brisanten Fund erfahren hatte. Dass Maaßen erst einen schriftlichen Bericht aus der Abteilung abwarten wollte, sei „vertretbar“, meint Bundestags-Sonderermittler Montag.“ (Tagesschau.de 1.9.2016)


Der Tod des NSU-Zeugen Sascha W. bleibt rätselhaft:

„Exakt fünf Monate haben die Ermittlungen im Todesfall von Sascha W. gedauert. Am 8. Februar 2016 war der 31-Jährige tot in seiner Wohnung gefunden worden. Weil keine natürliche Todesursache festgestellt wurde, hatte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe eine Obduktion angeordnet. Am 8. Juli 2016 wurde das Todesermittlungsverfahren eingestellt. Es gebe „keine Anhaltspunkte für Drittverschulden“, so der Behördensprecher Tobias Wagner, „alles deutet auf Suizid hin“. Das ist keine Formulierung, die einen Suizid für 100%-ig belegt hält. (…) Obwohl der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages die Obduktionsberichte von Florian H., Melisa M. und Sascha W. angefordert hat, womit die Drei zu Personen von öffentlichem Interesse geworden sind, behandelt die Staatsanwaltschaft Karlsruhe den Tod von Sascha W. weiterhin wie eine Privatangelegenheit. Mit Hinweis auf das Persönlichkeitsrecht verweigert sie weitere Auskünfte. Zum Beispiel, wie der Suizid stattgefunden haben soll. Oder zum möglichen Motiv. Es liege eine Motivlage vor, ist lediglich zu erfahren, die „Suizid als möglich erscheinen lässt.“ Auch das eine unbestimmte Aussage. Gleiches gilt für die zwei Abschiedsnachrichten, die per Handy verschickt wurden. Ob sie von Sascha W. stammten, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Die Staatsanwaltschaft schweigt sowohl über den Inhalt der Abschiedsnachrichten, als auch über den Empfänger, noch wer den Toten gefunden hat. Auffällig ist die Dauer der rechtsmedizinischen Untersuchung. Erst nach etwa zweieinhalb Monaten lag der toxikologische Befund vor. Er ist negativ, sieht man von Alkohol in mäßiger Menge ab. Die feingewebliche Untersuchung nahm sogar fünf Monate in Anspruch. Dabei kam es zu einem ungewöhnlichen Vorgang. Weil es der Ermittlungsbehörde zu langsam ging, schickte sie die Rechtsmediziner aus Heidelberg zum Tatort, sprich dem Fundort des Toten in seiner Wohnung in Kraichtal zwischen Heilbronn und Karlsruhe. In derselben Wohnung war auch Melisa M. gestorben. Die Rechtsmediziner sollten dort verschiedene Gegenstände in Augenschein nehmen, um zu prüfen, ob „bestimmte Verletzungen“ von Sascha W. damit in Verbindung stehen können. Die Nachfrage: „Herr W. hatte Verletzungen?“, beantwortet der Karlsruher Staatsanwalt so: „Ja, er war ja auch tot.“ Um was für Verletzungen es sich gehandelt hat, sagt er ebenfalls nicht. Er dementiert aber, dass es Kampfspuren oder Blutflecken gegeben haben soll. Nach Einschätzung der Rechtsmedizin, so die Staatsanwaltschaft einigermaßen kryptisch weiter, sei der Tatortbefund mit dem Ablauf, der zum Tode führte, vereinbar. Warum die Untersuchung fünf Monate in Anspruch nahm, kann die Staatsanwaltschaft nicht erklären. Sie verweist auf die Sachverständigen des Institutes für Rechts- und Verkehrsmedizin in Heidelberg. Doch dort bekommt man bisher keinerlei Informationen. Mehr noch: Die Institutsleitung verhängte ein allgemeines Auskunftsverbot gegenüber der Presse.“ (Telepolis/Thomas Moser 14.7.2016)


NPD-Abgeordneter räumt NSU-„Dankesgruß“ ein:

„Der Schweriner NPD-Landtagsabgeordnete David Petereit hat eingeräumt, in einer Neonazi-Postille schon im Jahr 2002 einen „Dank an den NSU“ verfasst zu haben. Petereit war am Mittwoch als Zeuge im NSU-Prozess in München geladen. Auf die Frage von Richter Manfred Götzl, ob er die Danksagung in dem Szene-Magazin „Der weiße Wolf“ verfasst habe, sagte Petereit: „Ich gehe davon aus, ja.“ An die genauen Umstände wollte er sich aber nicht erinnern können. Die Staatsanwaltschaft vermutet, dass er vom Terror-Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe Geld erhalten hat. Petereit hat bislang immer bestritten, dass es zwischen dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) und ihm Verbindungen gab. Allerdings hatte das rechte Szene-Magazin „Der weiße Wolf“ bereits 2002 einen Gruß an den NSU abgedruckt: „Vielen Dank an den NSU – es hat Früchte getragen. Der Kampf geht weiter.“ Petereit erklärte vor dem Münchener Oberlandesgericht, in dem die Zuschauertribüne zu zwei Dritteln gefüllt war, dass er die entsprechende Ausgabe des „Weißen Wolfs“ allein produziert und keine Mitarbeiter gehabt habe. Bislang hatte der NPD-Politiker behauptet, erst später – also nach Abdruck des Grußes an den NSU – das Blatt übernommen zu haben. Im weiteren Verlauf der Vernehmung berief sich Petereit mehrfach auf Gedächtnislücken. So erinnere er sich auch nicht an einen Spendenbrief mit beigelegten Geldscheinen, den er vor der Veröffentlichung des betreffenden Hefts erhalten haben soll. Dieser Spendenbrief gilt als erster Hinweis auf die Existenz einer Gruppe namens NSU. Der Brief, der das Logo des NSU trägt, war vor vier Jahren bei einer Hausdurchsuchung bei Petereit gefunden worden. In dem Brief sollen sich mehrere Hundert Euro befunden haben. Petereits Vernehmung ist brisant, weil die Behörden 2002 nach eigener Darstellung noch nichts vom NSU als einer Terrorgruppe gewusst haben wollen. Allerdings hatte der V-Mann „Corelli“ ein Heft der betreffenden Ausgabe für den Verfassungsschutz besorgt. Zudem soll „Corelli“ Petereit Speicherplatz auf seinem Server zur Verfügung gestellt haben.“ (NDR Online 13.7.2016)


Das Oberlandesgericht München glaubt den umstrittenen Aussagen des hessischen Verfassungsschützers Andreas Temme:

„Nach der obligatorischen Mittagspause lehnte das Gericht weitere Beweisanträge ab, diesmal Anträge aus dem Februar und April 2014 (!) zu den Versuchen des Hessischen Verfassungsschutzes, die Ermittlungen wegen des NSU-Mordes an Halit Yozgat in Kassel zu behindern und den VS-Mitarbeiter Temme zu schützen, der am Tatort gewesen war, aber behauptet hatte, er habe nichts mitbekommen. Auch diese Involvierung des Verfassungsschutzes ist also für das Gericht „aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung“. Dabei legte sich das Gericht darauf fest, die Angaben Temmes, er habe vom Mord nichts mitbekommen und auch beim Verlassen des Internetcafés nicht die Leiche Yozgats gesehen, seien glaubhaft – eine Aussage, die selbst den Einschätzungen der meisten Ermittler widerspricht und die den Gesichtsausdrücken zu Folge selbst bei der Bundesanwaltschaft Erstaunen auslöste. Dem Beschluss ist deutlich anzunehmen, dass das Gericht alle möglichen Zweifel hinsichtlich des Geschehens in Kassel wegwischen und einfach anklagegemäß verurteilen will, ohne sich mit dem Thema Verfassungsschutz irgendwie befassen zu müssen. Die Begründung zeigt, wie kreativ ein Staatsschutzsenat am OLG seine Sicht des Ergebnisses der Beweisaufnahme darstellen kann.“ (NSU-Nebenklage 12.7.2016)


Richter Götzl herrschte Temme 2013 in dessen Vernehmung an:

“Es wäre an der Zeit, wenn sich schon Fragen bei Ihren Aussagen auftun, wenigstens hier in der Hauptverhandlung wahrheitsgemäß auszusagen.”


Laut Verfassungsschutz wurde das aufgetauchte Handy von „Corelli“ erst nach 2012 genutzt. Eine taz-Recherche zeigt, dass diese Behauptung falsch ist:

„Im Juli vergangenen Jahres allerdings fand sich im Verfassungsschutz plötzlich ein Samsung-Handy Richters – bei der fünften Sichtung des Schranks seines früheren V-Mann-Führers. Bekannt wurde dies erst im Juni dieses Jahres. Kurz zuvor hatte der V-Mann-Führer auch die dazugehörige SIM-Karte nachgeliefert. Der Verfassungsschutz wiegelte ab: Das Handy sei von Richter rein privat und nur von Mai bis September 2012 genutzt worden – nach Auffliegen des NSU-Trios. „Weder das Smartphone noch die dazugehörige SIM-Karte liefern Hinweise auf eine etwaige Beziehung Corellis zum NSU-Trio“, schrieb das Amt in einem vertraulichen Bericht an den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags. Schon der Nutzungszeitraum sei „nicht geeignet, die Aufklärung der NSU-Morde zu befördern“. Nun allerdings wird durch taz-Recherchen bekannt: Das ist so nicht zutreffend. Denn die Nummer der fraglichen SIM-Karte wurde wesentlich länger von Richter genutzt, als es der Verfassungsschutz bisher einräumt. Noch vor seinem Tod wurde Richter vom BKA zu möglichen NSU-Kontakten befragt, im Juni 2012. Richter stritt ab, das Trio oder seine Taten gekannt zu haben. Die Ermittler hakten nicht viel weiter nach. Interessant aber: Als seinen Telefonkontakt nannte Richter eine Mobilnummer: 0171/2660517. Es ist genau die Nummer, die laut Verfassungsschutz zur zuletzt aufgefundenen SIM-Karte gehört. Mehr noch: Richter gab bei der Befragung auch an, diese Nummer seit Ende seiner Bundeswehrzeit zu besitzen, seit 1995. „Die hat sich seither nicht mehr geändert“, sagte er den Ermittlern. Tatsächlich taucht die Mobilnummer über Jahre in Verfassungsschutzakten auf – weit vor 2012. Als 2001 ein Rechtsrockhändler in Ostfriesland durchsucht wird, steht sie in dessen Telefonverzeichnis. Der Vorgang wurde aufmerksam vom Niedersächsischen Verfassungsschutz protokolliert. 2007 taucht die Nummer bei einer BKA-Abhörmaßnahme gegen den Thüringer NPD-Kader Thorsten Heise auf. 2010 wiederum steht sie auf einer SMS-Verteilerliste der rechtsextremen „Aktionsgruppe Halle-Merseburg“ – auch dies eine Verfassungsschutz-Erkenntnis.“ (taz 5.7.2016)

Thomas Richter (Bilder:Screenshot Thomas Richter Gedenkseite)


Affäre „Corelli“: V-Mann-Führer bunkerte 23 Handys. Über den rechtsextremen Spitzel Thomas R., Deckname „Corelli“, werden immer mehr Details bekannt. Sein Kontaktmann beim Verfassungsschutz soll „aus dem Ruder gelaufen“ sein:

„Einen Großteil der Handys habe der Beamte in seinem Panzerschrank aufbewahrt, hieß es. Die Auswertung der Mobiltelefone sei im Gange. Nach dem jetzigen Stand sei zu vermuten, dass nicht alle 23 Mobiltelefone für die Kommunikation zwischen dem Beamten und dem V-Mann genutzt worden. Der Beamte sei aber offenbar „aus dem Ruder gelaufen“, außerdem hätten seine direkten Vorgesetzten ihn zu wenig beaufsichtigt. BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen treffe keine Schuld, da er nicht von seinen Untergebenen informiert worden sei. Maaßen treibe die Aufklärung im Fall Corelli energisch voran, hieß es. Regierungskreise betonen zudem, es gebe weiterhin keine Hinweise, dass der Spitzel eine Verbindung zum NSU hatte. Auffällig sei allerdings, dass auf einem Handy, das Thomas R. 2012 und damit offenbar nach seiner Enttarnung als V-Mann benutzte, Bilddateien gespeichert hatte, auf denen die NSU-Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sowie ihre mutmaßliche Komplizin Beate Zschäpe zu sehen sind. Es handele sich um Fotos aus der Berichterstattung der Medien über den 2011 aufgeflogenen NSU. Warum Thomas R. die Bilder auf sein Handy lud, bleibt unklar. „(Tagesspiegel 6.7.2016)


Der frühere hessische Verfassungsschützer Andreas Temme war offenbar auch während eines Nagelbombenanschlags der NSU-Terroristen in Köln. Alles nur Zufall? fragt die Frankfurter Rundschau am 4.7.2016:

Der frühere hessische Verfassungsschützer Andreas Temme war nach Angaben eines Ermittlers 9. Juni 2004 in Köln, um eine Tagung zu besuchen. Das hat der Kasseler Polizist Jörg Teichert am Freitag im NSU-Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags berichtet. Das Datum ist von Bedeutung, weil an diesem Tag in der Kölner Keupstraße ein Anschlag mit einer Nagelbombe verübt wurde. Diese Tat wird heute dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) zugerechnet, der daneben Morde an zehn Menschen begangen haben soll. Teicherts Team war nach seinen Angaben bereits 2006 auf Temmes Köln-Aufenthalt aufmerksam geworden. Der Verfassungsschützer habe die Tagung in seinem Kalender notiert. Der Polizist fügte im Ausschuss hinzu: „Alle Theorien sind offen.“


Eklat im NSU-Ausschuss des NRW-Landtages am 1.7.2016:

„In ungewohnt scharfem Ton attackiert ein Untersuchungsausschuss des NRW-Landtages das Bundesamt für Verfassungsschutz – und wirft dem Bundesamt „Nötigung“ vor. Das Gremium wollte am Freitag (01.07.2016) eigentlich Dinchen Franziska Büddefeld vernehmen. Sie ist Abteilungsleiterin im Bereich Rechtsterrorismus/-extremismus im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Doch daraus wurde nichts. Nach Angaben des Landtages verweigerte das Bundesamt eine öffentliche Aussage seiner Mitarbeiterin. Der Untersuchungsausschuss reagierte mit ungewohnt scharfer Kritik. „Wir sind auf diesen Nötigungsversuch des Bundesamts für Verfassungsschutz nicht eingegangen“, erklärten die Sprecher aller fünf Fraktionen sowie der Ausschussvorsitzende Sven Wolf (SPD) in einer gemeinsamen Erklärung. Der Vorgang sei der „absolute Höhepunkt“ in einer Reihe von Verweigerungen seitens des Verfassungsschutzes. „Diese unsägliche Missachtung der Rechte unseres Parlaments ist inakzeptabel.“ Das Bundesamt habe die Weigerung mit einer Schutzbedürftigkeit der Mitarbeiterin begründet. Diese Argumention erschließe sich dem Ausschuss aber nicht. „Wer für das BfV öffentlich Ausstellungen eröffnet und im Internet leicht recherchierbar ist, muss auch vor einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss öffentlich aussagen“, schlussfolgerten die Parlamentarier. Gegenüber dem WDR erklärte das Bundesamt für Verfassungsschutz am Freitag, man weise die gegen das Amt geäußerten Vorwürfe der Nötigung und Erpressung „auf das Schärfste“ zurück. Der Landtags-Untersuchungsausschuss wäre „gut beraten“, so hieß es weiter, „auch sprachlich zivile Umgangsformen anzunehmen und zu einer sachlichen Befassung mit den Themen und Personen zurückzukehren“. Ein Blick in die Gesetze könne „die politische Erregung sicherlich mildern“. Corelli hat jahrelang für den Verfassungsschutz gearbeitet. Hintergrund der Zeugenaussage sind die Ungereimtheiten im Zusammenhang mit dem mysteriösen V-Mann des Bundesverfassungsschutzes „Corelli“. Zwei Mitarbeiter von Büddefelds Abteilung hatten den langjährigen Informanten im April 2014 leblos in dessen Paderborner Wohnung gefunden. Während ein Fremdeinwirken von offizieller Seite lange Zeit bestritten wurde, sind die Ermittlungen mittlerweile wieder aufgenommen worden. „Corelli“ könnte auch Kontakte zum NSU-Trio gehabt haben.“ (WDR 7.1.2016)


Bei den NSU-Untersuchungen gibt es neue Rätsel. Auch nach viereinhalb Jahren intensiver Ermittlungen sind noch entscheidende Fragen unbeantwortet. Eine dreht sich um anonyme DNA-Spuren. Sie können den NSU-Mitgliedern Mundlos, Böhnhardt oder Zschäpe nicht zugeordnet werden:

„Es geht um die sogenannten genetischen Fingerabdrücke. Hat man von denen ein sogenanntes Vollmuster, kann man eine Person identifizieren. Man kann auch bestimmen, ob ein Täter zum Tatort passt. Das macht die anonymen DNA-Spuren beim NSU-Fall auch für Clemens Binniger interessant. Er ist der Vorsitzende des zweiten Untersuchungsausschusses des Bundestags: „Uns ist aufgefallen, dass an keinem der 27 Tatorte, die dem NSU zugerechnet werden, DNA von Mundlos, Böhnhardt oder Zschäpe gefunden wurde, dafür aber anonyme DNA. Deshalb muss man der Frage nachgehen, ob diese DNA möglicherweise von Mittätern stammt.“ Wie viele anonyme DNA-Spuren an den Tatorten sichergestellt wurden, ist bisher nicht beziffert. Einer der interessanten Fälle führt dabei nach Heilbronn, wo die Polizistin Michele Kiesewetter erschossen und ihr Kollege schwer verletzt wurde. An dessen Rücken fanden sich zwei DNA-Vollmuster-Spuren: „Alle Überprüfungen, die man bisher gemacht hat, ob diese DNA möglicherweise von anderen Kollegen stammt, die den Streifenwagen benutzt haben, von Sanitätern oder von welchen, die zuerst am Tatort waren oder aus dem privaten Umfeld, ergaben keine Treffer. Dann muss man sich ja die Frage stellen, ob sie möglicherweise vom Täter stammen.“ Gegenüber MDR AKTUELL bestätigt die Bundesanwaltschaft, dass es neben den Tatort- oder Altspuren auch 43 DNA-Neuspuren gibt, die bisher nicht zugeordnet werden können. Gefunden wurden sie im ausgebrannten Wohnmobil und an Gegenständen aus der Zwickauer Frühlingsstraße. In dem Wohnmobil sollen die mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt Selbstmord begangen haben. Beate Zschäpe gab zu, nach dem Tod der beiden, die gemeinsame Wohnung in Brand gesteckt zu haben. Das erklärt möglicherweise, warum dort erstaunlich wenig Spuren des sogenannten Trios gefunden wurden. Was die fremde DNA an den Tatorten betrifft, hat dies für die Bundesanwaltschaft offensichtlich keine Priorität. Da werde erst ermittelt, wenn man die Smoking Gun als das ultimative Beweismittel präsentiert, vermutet CDU-Politiker Clemens Binninger: „Das ist unsere Kritik. Anonyme DNA-Spuren an Tatorten und an Tatwaffen, die man sonst niemandem zuordnen kann, sind für uns schon beachtlich. Wir erwarten, dass da maximal recherchiert wird, um es auszuschließen. Man darf nicht einfach sagen, es spielt keine Rolle. Man darf nicht mit dem Mangel leben, dass die Haupttäter es geschafft haben sollen, an 27 Tatorten gar nichts zu hinterlassen.“ Deshalb will der zweite NSU-Untersuchungsausschuss nach der Sommerpause das Thema aufgreifen. Da wird auch die Bundesanwaltschaft noch einmal Stellung beziehen müssen. Außerdem wollen sich die Abgeordneten von einem BKA-Verantwortlichen im Detail erklären lassen, wie mit der DNA-Datenbank gearbeitet wird. Beispielsweise werden rund 100 Kontaktpersonen dem Umfeld des NSU zugerechnet. Bisher wurde jedoch nur bei nur 19 Personen geprüft, ob sie als Verursacher der anonymen DNA-Spuren in Frage kommen.“ (MDR 27.6.2016)


Der Thüringer NSU-Ausschuss vermisst Hunderte Akten. Die Verstrickung des Verfassungsschutzes war bereits am 5.11.2011 bekannt. Ein Zielfahnder berichtete, dass mindestens Beate Zschäpe vom Verfassungsschutz „gedeckt“ worden war:

„In Thüringen sind offenbar erneut wichtige NSU-Unterlagen dem Untersuchungsausschuss des Landtages vorenthalten worden. Dabei geht es um hunderte Seiten von Einsatzprotokollen. Diese waren ab dem 5. November 2011 zu den Ermittlungen um den Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt angefertigt worden. Verfasst wurden sie von Beamten des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg. Der Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss wollte diese Akten aus Baden-Württemberg haben. Bisher wurde das von dort mit dem Verweis auf die NSU-Ermittlungen der Bundesanwaltschaft verweigert. Am Donnerstag sagte eine LKA-Beamtin aus Stuttgart im Thüringer Landtag aus, dass sie auf Anforderung der Thüringer Polizei diese Protokolle 2014 oder 2015 nach Thüringen geschickt habe. Noch Anfang dieses Jahres teilte aber das Thüringer Innenministerium dem Ausschuss mit, dass alle Akten, die in Thüringen zu den Eisenacher Ermittlungen vorhanden sind, dem NSU-Ausschuss übergeben worden sind.
Ein Sprecher des Thüringer Innenministeriums sagte auf Anfrage von MDR THÜRINGEN, es werde derzeit geprüft, ob die Protokolle aus Baden-Württemberg in Thüringen vorliegen, und ob sie an den Ausschuss übermittelt worden sind. Die Obfrau der Linken, Katharina König, sagte MDR THÜRINGEN, dass diese Akten dem Ausschuss bisher definitiv nicht vorliegen. Die Beamten des LKA Baden-Württemberg waren am 5. November 2011 nach Gotha zur dortigen Polizei gefahren. Hintergrund war der Fund der Waffen der 2007 in Heilbronn erschossenen Polizistin Michelé Kiesewetter und ihres angeschossenen Kollegen. In den Tagen in Gotha fertigten sie hunderte Seiten von Protokollen über alle Ermittlungsschritte an. Darunter auch Protokolle über alle Einsatzbesprechungen. In diesen Akten sollen sich laut Aussage der Beamten auch Hinweise auf die Verstrickung des Verfassungsschutzes in die Suche nach dem Jenaer Trio ab 1998 befinden. Denn in der ersten Lagebesprechung am Freitag, 5. November 2011, hatte ein Thüringer LKA-Zielfahnder allen anwesenden Beamten in Gotha darüber berichtet. Er gab an, dass er 2002 die Suche nach dem Trio abbrechen musste, weil mindestens Beate Zschäpe vom Verfassungsschutz „gedeckt“ worden war. Er habe damals 2002 die Anweisung erhalten, die Suche nach dem Trio abzubrechen. Damit hatte die Gothaer Polizei bereits einen Tag nach dem Fund der Leichen von Böhnhardt und Mundlos konkrete Hinweis auf eine Verfassungsschutz-Verstrickung in den Fall. Unklar ist bisher, was die Polizei Gotha mit diesen Informationen gemacht hatte. Nach Recherchen von MDR THÜRINGEN finden sich in den Thüringer Akten der Soko „Capron“, die den Fall Eisenach zwischen dem 4. und 12. November 2011 untersucht hatte, keine Hinwiese auf die Aussagen des Zielfahnders. Abgeordnete des NSU-Untersuchungsausschuss stellen sich nun die Frage, warum sie in den Baden-Württemberger Protokollen, aber nicht in den Thüringern, vermerkt waren. Unklarheiten tauchten zur Ausschusssitzung am Donnerstag auch in Bezug zu anderen Akten auf. So berichtete eine Beamtin des LKA Baden-Württemberg, dass sie am 5. November 2011 bereits zwei Dokumente zu Neonazi-Ermittlungen des Thüringer LKA von 1998 gesehen habe. Auf den zwei Seiten seien die Namen von Jenaer Rechtsextremisten vermerkt gewesen, die damals mit dem Trio Ende der Neunziger Jahre Kontakt hatten. Der Untersuchungsausschuss stellt nun die Frage, wie die Dokumente zu diesem Zeitpunkt in die Polizeidirektion Gotha gelangen konnten. Denn sie waren Teil der 24 Ermittlungsbände des Thüringer LKA zur Suche nach dem Trio ab 1998 und wurden erst in der Woche nach dem 5. November 2011 im LKA gefunden. Widersprüchlich sind seit Donnerstag auch die Aussagen zum Auffinden der Waffen von Kiesewetter und ihrem Kollegen Martin A. in dem ausgebrannten Wohnmobil am 4. November 2011 in Eisenach. Der Gothaer Polizeidirektor Michael Menzel und andere Beamte aus Thüringen hatten ausgesagt, dass erst die Waffe des Kiesewetter-Kollegen Martin A. gefunden und anhand der Waffennummer identifiziert wurde. Erst danach fanden sie die Waffe von Kiesewetter selber. Die Beamten des LKA Baden-Württemberg sagten heute aus, dass es genau umgedreht gewesen war. Das sei auch in den Protokollen vermerkt, die dem NSU-Ausschuss in Thüringen bisher offenbar vorenthalten worden sind. “ (MDR 2.6.2016)


Erneut sind brisante Akten verschwunden, die aber in Teilen dem MDR zugespielt wurden. Der Inhalt: die ersten Sitzungen der Polizei nach dem Auffinden der Leichen von Mundlos und Böhnhardt. Offensichtlich haben die Thüringer Beamten einige Informationen in ihren Berichten unterschlagen:

„MDR THÜRINGEN sind Teile dieser Protokolle inzwischen übergeben worden. Ein Blick in die Dokumenten zeigt, es finden sich brisante Informationen zu den ersten 48 Stunden nach dem Auffinden der Leichen von Mundlos und Böhnhardt. Die Unterlagen spiegeln vor allem die ersten wichtigen Sitzungen der Fahnder in der Gothaer Einsatzzentrale wider und zeigen, dass sich eine Reihe von Informationen in den parallel geführten Thüringer Unterlagen nicht finden. Das beginnt schon mit der Anwesenheit von bestimmten Beamten. Das Innenministerium hatte dem Ausschuss eine Liste aller Polizisten übersandt, die am 5. November 2011 bei der ersten Vormittagsbesprechung dabei waren. Doch in den Baden-Württemberger Unterlagen findet sich in der Namensliste ein LKA-Zielfahnder, der in den Thüringer Unterlagen nicht erwähnt wird. Dieser Mann ist insofern wichtig, weil er in dieser Besprechung eine wichtige Aussage gemacht hatte, zu finden auf Seite sechs. Dort steht: „Definitiv ist aber bekannt, dass die Zielfahndung vom LKA Thüringen, der Koll. W., seit 1999 bis 2002 nach den Personen fahndet (Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe Anm. d. Red.). Es wurde bekannt, dass das LfV die Zielpersonen abdeckte.“ Im Klartext, dieser Zielfahnder, der in der Thüringer Anwesenheitsliste nicht vermerkt war, teilte den verdutzen Beamten damals mit, dass das Trio aus seiner Sicht vom Verfassungsschutz geschützt wurde. Also keine 24 Stunden nach dem Fund der Leichen von Mundlos und Böhnhardt, ist die Polizei in Gotha im Besitz dieser brisanten Informationen. Was aber tun die Beamten? In ihre eigenen Unterlagen schreiben die Thüringer Beamten das erstmal gar nicht rein. Aber ihre Baden-Württemberger Kollegen. Sie vermerken in ihrem Protokoll, „Erhebung zu weiteren Erkenntnissen in dieser Angelegenheit wurden angestoßen.“ Was genau angestoßen wurde, bleibt unbekannt. Dabei stellen sich Fragen: Wenn die Polizei zu so einem frühen Zeitpunkt eine solche brisante Information hatte, was konkret hat sie unternommen? Wer wurde alles darüber Informiert? Aus den bisherigen Unterlagen geht nirgendwo hervor, dass es eine Information an das übergeordnete Innenministerium gab. Immerhin war zu diesem Zeitpunkt Beate Zschäpe noch auf der Flucht und nach den Aussagen des LKA-Zielfahnders musste eine Zusammenarbeit oder Kooperation mit dem Verfassungsschutz in Betracht gezogen werden. Vielleicht sogar die Möglichkeit, dass der Geheimdienst Zschäpe beim Untertauchen helfen könnte. Ein weiterer spannender Aspekt in den Baden-Württemberger Unterlagen ist, dass es am 4. November 2011 in Eisenach einen Einsatz eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Polizei gegeben haben soll. Im Protokoll ist wörtlich vermerket, dass der damalige Gothaer Polizeichef und Ermittlungsleiter, Michael Menzel, zum Auffinden des Wohnmobils folgendes in der Lagebesprechung am 05. 11. 2011 berichtet: „Die Streifenwagenbesatzung bewegte sich auf das WoMo (Wohnmobil, Anm. d. Red) zu. Danach fallen zwei Schüsse, kurz hintereinander. Im WoMo brennt es. Nach Zugriff SEK und Feuerwehr wurden zwei leblose Personen im WoMo entdeckt.“ Bisher war von einem Einsatz eines SEK nie die Rede. Zwar hatten Gothaer Polizisten ausgesagt, dass die Spezialisten angefordert waren. Aber als die Leichen entdeckt wurden, habe man sie wieder abbestellt. Das wird nun zu klären sein.“ (MDR 23.6.2016)


Und wieder wird über nicht ausgewertete Handys des V-Mannes Thomas Richter berichtet. Die Causa Corelli wird zur Causa Maaßen. Die Opposition fordert seine Entlassung:

„Das Bundesamt für Verfassungsschutz gerät wegen seines früheren Spitzels Thomas Richter, Deckname „Corelli“, weiter unter Druck. Nach Informationen des rbb Inforadios aus Sicherheitskreisen wurden mehrere Handys, die der V-Mann zwischen 2007 und 2011 benutzt hat, bisher nicht oder zumindest nicht vollständig ausgewertet. Damit stellt sich die Frage möglicherweise neu, ob Corelli doch Verbindungen zum NSU-Trio gehabt haben könnte.“ (Tagesschau.de 22.6.2016)


„Richard Kaldrack“, der V-Mann Führer der BfV-Topquelle Primus (Q3/Ralf Marschner) arbeitete in Vertretung auch mit V-Mann Corelli (Q1/Thomas Richter), den er für keinen typischen Rechtsextremisten hielt:

„Der Zeuge Kaldrack – der Vertreter des V-Mann-Führers G. B. in den 1990er Jahren, nach dem Jahr 2000 für ein halbes Jahr und Mitte des letzten Jahrzehnts – hat sich ähnlich geäußert. Er habe keine Äußerung von Q1 feststellen können, die ihn als typischen überzeugten Rechtsextremisten identifiziert hätten. Er sei sicherlich, als er Anfang der 90er-Jahre in den Westen gegangen ist, ein Rechtsextremist gewesen, aber auch ein Suchender. Nachdem er sich damals als Selbstanbieter erst der Polizei und dann dem LfV angeboten hat, dürfte ein Lernprozess eingetreten sein, was sich auch darin zeige, dass er in den zwei Jahren, in denen er vom BfV abgeschaltet war, sich weitestgehend aus der Szene gelöst hatte. Er halte ihn daher nicht für einen „Nazihardliner“. Der Leiter der Fachprüfgruppe im BfV, der Zeuge Gabaldo, hat sich der im Ausschuss geäußerten Bewertung angeschlossen, dass der Führer des V-Mannes Q1 aufgrund seiner Nähe zu seiner Quelle diesen hinsichtlich seiner Persönlichkeit und Wertigkeit nicht mehr richtig beurteilen könne. Die Fachprüfgruppe habe irgendwann in den letzten beiden Jahren auf das zu enge Verhältnis zwischen V-Mann-Führung und Q1 hingewiesen. Es sei dann aber nichts passiert.“ (Beschlussempfehlung und Bericht des 2. Untersuchungsausschusses)


„Für die Opposition im Bundestag steht fest: Hans Georg Maaßen, der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, muss entlassen werden. Man habe den Eindruck, als herrsche „völliges Chaos beim Bundesamt für Verfassungsschutz“, so André Hahn, für die Linke Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages. Maaßens Zeit an der Spitze des Verfassungsschutzes sei vorbei.“ (Tagesschau.de 22.6.2016)


„Eine zweite, noch wichtigere Frage kann der Verfassungsschutz ebenfalls nicht beantworten. Wie viele Handys und SIM-Karten hat Corelli während seiner Arbeit als V-Mann überhaupt besessen? Laut des internen Berichtes des Bundesinnenministeriums zum Fund des Mobiltelefons besaß der Verfassungsschutz drei Mobilnummern von Corelli, über die er mit dem V-Mann Kontakt hatte. Ob es weitere gegeben habe, könne man aufgrund der vorliegenden Aussagen von Mitarbeitern und Unterlagen nicht sagen. Martina Renner von der Linkspartei untersucht die Verbindungen des Verfassungsschutzes zur rechten Szene seit vielen Jahren. Sie sagt zu dem neuen Fall: „Wir haben es hier nicht mit einer Reihe von Pannen zu tun, sondern mit einer permanenten und absichtsvollen Behinderung der politischen und juristischen Aufarbeitung der Morde des NSU.“ Petra Pau, die Obfrau der Linksfraktion im NSU-Untersuchungsausschuss, sagt: „Die zentrale Frage ist inzwischen: Was wusste welcher V-Mann und welcher V-Mann-Führer, welcher Auswerter und Referatsleiter im Bundesamt für Verfassungsschutz wann und durch wen über die rechtsterroristischen Aktivitäten des NSU-Kerntrios und seines Netzwerks aus Unterstützern?“ Leider habe das BfV zur Beantwortung dieser Frage bislang überhaupt nichts beigetragen. Es behaupte sogar immer noch, es gäbe bei V-Mann Corelli keinen NSU-Bezug. „Das Gegenteil ist der Fall. Corelli kannte Uwe Mundlos seit 1995“. (Zeit Online 22.6.2016)


„Auch letzte Woche (16. Juni) erfuhr man im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) von Nordrhein-Westfalen Neues: Vom toten V-Mann „Corelli“ mit dem bürgerlichen Namen Thomas Richter gibt es einen weiteren, bisher nicht bekannten Bezug zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU). Die Paulchen Panther-Propaganda-DVD mit den Mordtaten soll Videosequenzen über rechtsradikale Aktivitäten beinhalten, die der Mann gedreht und auf seine Homepage gestellt hatte. Das berichtete Jerzy Montag, vom Bundestag eingesetzter Sonderermittler zum Fall Richter/Corelli, eher beiläufig den Abgeordneten in Düsseldorf. (…) Er habe gedacht, so Jerzy Montag vor dem Ausschuss in Düsseldorf, alles Material über „Corelli“ bekommen zu haben, doch jetzt sehe er, dass das nicht stimme. Als er später in seiner Befragung einmal launig erklärte, er „wisse alles“ über „Corelli“, dürfe es nur nicht öffentlich sagen, produzierte er zwar einen schlagzeilenträchtigen Satz, zeigte damit aber unfreiwillig, wie wenig bewusst ihm sein unvollständiges Wissen offensichtlich ist. Denn bei der Vernehmung Montags kamen immerhin ein paar Dinge zur Sprache, die bisher so nicht bekannt waren und die die Erklärung des BfV-Präsidenten Hans-Georg Maaßen antasten, „Corelli“ habe keinerlei NSU-Bezug gehabt. (…) Montags Darstellungen sind interessant, auch, weil sie nicht widerspruchsfrei sind. So hält er „Corelli“ für einen „in der Wolle gefärbten Rechtsextremisten“, zugleich aber für „nachrichtenehrlich“, der sogar über laufende Veranstaltungen und Aktionen von Rechtsextremisten berichtet habe, was manchmal zu Polizeieinsätzen führte. Dann wäre Richter aus Sicht der Rechtsextremen aber ein Verräter. Andererseits soll der Spitzel mit seinen vielen vielen Berichten „keine Straftaten verhindert“ oder „Täter benannt“ haben, so Montag. Dann wiederum stellt sich die Frage, was das für Berichte waren und wozu. (…) Begegneten sich Richter und Böhnhardt, Mundlos oder Zschäpe? Alles in allem sei die rechtsextreme Szene ein „überschaubarer Kreis von Leuten“ gewesen, so Montag, die sich über Kreuz alle immer wieder einmal getroffen haben. Er könne sich vorstellen, dass „Corelli“ dem Trio öfter begegnet ist, habe aber in den Akten dazu nichts gefunden. Allerdings hat der Parlamentsbeauftragte nicht alle Unterlagen des BfV zu „Corelli“ bekommen. Ihm seien „sehr umfänglich“ Akten vorgelegt worden, so Montag. „Sehr umfänglich“ ist aber nicht „vollständig“. Außerdem seien die BfV-Akten nicht paginiert, klagte Montag, „ein Irrsinn!“. Doch ohne Paginierung, also fortlaufende Seitennummerierung, ist nicht kontrollierbar, was und wieviel in dem vorgelegten Aktenwerk fehlt. Überhaupt keine Akten hat Montag von den Landesverfassungsschutzämtern aus NRW und Sachsen-Anhalt erhalten, wo Richter als V-Mann geführt wurde, ehe er vom Bundesamt in Köln übernommen wurde. Vermutlich liegen in weiteren Landesämtern ebenfalls „Corelli“-Berichte vor. Dann klagte der Sonderermittler den Abgeordneten noch sein Leid darüber, dass er einige Zeugen nicht vernehmen konnte, weil die Staatsanwaltschaft Köln Verfahren gegen sie eröffnet hat und sie nun als Beschuldigte Aussageverweigerungsrecht haben. Montag wörtlich: „Mein aktueller Untersuchungsauftrag wird dadurch konterkariert.“ Um wen es sich bei diesen Zeugen handelt, war nicht zu erfahren, möglicherweise um Mitarbeiter des BfV. Die Summe all dieser Mängel eignet sich inzwischen, um den Wert des Corelli-Berichtes von Montag grundsätzlich in Frage zu stellen. Hinzu kommen Versäumnisse, die wiederum der Parlamentsbeauftragte selber zu verantworten hat. Den langjährigen letzten V-Mann-Führer von „Corelli“ hat er zum Beispiel bis heute nicht vernommen, wie er dem Autor gegenüber erklärte. Aber nicht, weil er nicht konnte, sondern weil er nicht wollte. Der Untersuchungsausschuss von NRW wiederum will diesen Beamten befragen, darf aber nicht, weil BfV-Präsident Maaßen es untersagte. Begründung: Das BfV sei eine Bundesbehörde und der Landtagsauschuss deshalb nicht zuständig. Dabei hat dieser Ausschuss das Thema „Corelli“ explizit in seinem Untersuchungsauftrag stehen. Mit seiner Weigerung greift der BfV-Präsident in unzulässiger- wie anmaßenderweise in die Rechte eines Landesparlamentes ein. Abgesehen davon, dass er Bundestag und Landtage gegeneinander ausspielt.“ (Telepolis 22.6.2016)


Die „herabgestufte Fassung des Berichtes zum Fund des Mobiltelefons der VP Corelli“ auf Netzpolitik.org:

Irene Mihalic (Grüne) sagt gegenüber netzpolitik.org, dass die Bunkermentalität in Maaßen Behörde zugenommen habe, seit dieser dort Präsident sei. Und weiter:

„Die Panzerschrank-Affäre und die Information, dass weitere Corelli-Handys nicht ausgewertet wurden, haben das Fass jetzt zum Überlaufen gebracht. Herr Maaßen muss die Verantwortung für Chaos und massive Aufklärungsverweigerung seiner Behörde übernehmen. Er ist als Chef einer Sicherheitsbehörde untragbar.“

Petra Pau, Abgeordnete der LINKEN, warf Maaßen vor, den NSU-Ausschuss des Bundestages bei der Aufklärung der NSU-Terrorserie zu behindern. Sie sagte gegenüber dem Tagesspiegel:

„Wenn die Berichte über weitere unausgewertete Handys im Fall Corelli stimmen, wäre das eine erneute Bestätigung für die Vertuschungspraxis des Bundesamtes für Verfassungsschutz.“


Der Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten bezweifelt am 9.6.2016 vor dem 3. Untersuchungsausschuss (NSU)/Ausschuss Medienberichte zu Ex-V-Mann Marschner.  Weingartens skandalöser Auftritt vermittelt laut Dirk Laabs den Eindruck die Bundesanwaltschaft suche Gründe, um in Sachen NSU bei bestimmten Personen nicht zu ermitteln. Auf die Frage, wie glaubwürdig er die 16 ehemaligen Mitarbeiter Marschners halte, die eine Beschäftigung von NSU-Mitgliedern in dem Abrissunternehmen bestritten hatten, sagte Weingarten, man könne bei einer Aussage ,,nicht automatisch das Gegenteil zugrunde legen, weil einem die politische Verortung eines Zeugen zuwider ist“. Dass Marschner bis 2002 V-Mann war, habe bei den Ermittlungen keine Rolle gespielt. Weingarten erklärt, er habe irgendwann aufgehört zu zählen, so viele NSU-Unterstützer habe Marschner persönlich gekannt, aber diese Unterstützer „wohnten nun einmal in Chemnitz, Marschner in Zwickau“. Die Entfernung zwischen diesen beiden Städten beträgt ca. 34 Kilometer Luftlinie. Marschner sei eine „Zentralfigur der rechtsextremistischen Szene“ in Zwickau gewesen. Sein Personal habe sich „im Wesentlichen aus harten Rechtsextremisten rekrutiert“. Umso erstaunlicher ist sein Fazit:

„Der Punkt, wir machen eine umfassende Recherche zur Person Marschner, ist nicht erreicht wurden. (…) Manchmal lässt man eine Erkenntnis mal Erkenntnis sein und guckt, mal, was daraus wird.“


Thomas Moser am 12.6.2016 über die Befragung des Oberstaatsanwalts Weingarten, fehlende DNA-Spuren und die Strafvereitelung im Amt im Kontext der Causa Marschner:

Noch im Sommer 2006, nachdem der neunte Mord mit ein und derselben Pistole, Marke Ceska, an Migranten begangen worden war, hatte es die Bundesanwaltschaft abgelehnt, die Ermittlungen in der Mordserie zu übernehmen. Jochen Weingarten ist einer derjenigen, die die operative Arbeit tun. Der 46-Jährige arbeitet seit 2004 beim Generalbundesanwalt. Seit November 2011, nach dem Auffliegen des NSU-Trios, beschäftige er sich „fast ausschließlich“ mit den Ermittlungen zum „Nationalsozialistischen Untergrund“. Für das Sammelverfahren „NSU/Unbekannt“ ist er verantwortlich. In München ist Weingarten einer der anfänglich vier Prozessvertreter seiner Behörde, jetzt sind es noch zwei, manchmal drei. Clemens Binninger, CDU-Abgeordneter und Ausschussvorsitzender, formulierte ohne Umschweife die Zweifel des Ausschusses an der amtlichen Darstellung: „Können die ganzen Taten nur von zwei Personen begangen worden sein oder ist der NSU mehr als ein Trio?“ Er wollte wissen, ob denn an irgendeinem der 27 Tatorte DNA-Spuren von Böhnhardt oder Mundlos gefunden wurden. Weingarten musste gestehen: „Mir sind keine bekannt.“ Binninger weiter: „Wurden an den vier Tatwaffen – Radom, Tokarew, Ceska, Bruni – DNA der zwei Männer gefunden?“ Weingarten: „Bin mir nicht sicher, aber präsent ist mir das nicht.“ Umgekehrt wurden allein an den Tatorten in Eisenach (Wohnmobil, in dem die zwei Uwes tot aufgefunden wurden) und Zwickau (abgebrannte Wohnung des Trios) 43 DNA-Spuren gesichert, die nicht zugeordnet werden können. Hinzu kommen ungeklärte DNA-Spuren aus den Taten vor 2011. Zum Beispiel an einer der Tatwaffen im Polizistenmord von Heilbronn. Oder an der Kleidung des Polizeibeamten Martin Arnold, der den Anschlag, dem seine Kollegin Michèle Kiesewetter zum Opfer fiel, überlebte. BAW-Vertreter Weingarten bestätigte den Befund, versuchte ihn aber zu verharmlosen: „Offen gesagt, DNA-Spuren stehen nicht im Fokus unseres Problembewusstseins. Eine ungeklärte DNA-Spur an der Kleidung eines Opfers macht mir keine Sorge.“ Binninger: „Mir schon.“ Ungeklärt ist bis heute auch die Auswahl der Opfer. „Warum diese konkreten Personen?“, wollte der Ausschuss wissen. Weingarten: „Kann ich nicht beantworten. Für uns sind das Repräsentanzopfer aufgrund ihrer Herkunft.“ Für die Abgeordnete Irene Mihalic, Bündnisgrüne, reicht das nicht: „Wenn nicht klar ist, wie die Opfer ausgewählt wurden, wie kann man dann mögliche Unterstützer in den Tatstädten ausschließen?“ Weingarten: „Ich werde den Teufel tun, es auszuschließen. Aber wir haben keine Anhaltspunkte dafür.“ Binninger: „Warum tauchen die konkreten Opfer nicht in den Ausspählisten auf?“ Weingarten: „Kann ich Ihnen nicht erklären. Das ist eines der schwarzen Löcher.“ (…) Insgesamt gibt es bisher vier Zeugen, die über einen Kontakt des Trios mit Marschner berichteten. Bei allen bezweifelt die Behörde die „Validität“ (O-Ton Weingarten) der Aussage. Sprich: Sie werden abgewertet und Fall für Fall wegdefiniert. Auch bei dem jüngsten Zeugen Arne-Andreas E., dem Bauleiter eines Auftraggebers von Marschner, der in einer ARD-Fernsehdokumentation von Anfang April 2016 sagte, sich an Uwe Mundlos in der Bautruppe zu erinnern. Laut Weingarten dauerten die Ermittlungen diesbezüglich an, weshalb er in öffentlicher Sitzung nichts dazu sagen wollte. Nur so viel: Die „Wiedererkennungsleistung“ des Zeugen sei „hochproblematisch“. E. hatte Mundlos auf einem Foto erkannt, dass ihm Journalisten vorgelegt hatten. Was Weingarten hinterher in geschlossener Sitzung den Abgeordneten erzählte, ist nicht bekannt. Dann ist da noch der Zeuge Jens G., Rechtsextremist, Bekannter und Mitarbeiter Marschners – und früherer Nachbar des Trios. G. wohnt in der Polenzstraße 5 in Zwickau, schräg gegenüber der Polenzstraße 2, wo Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe sieben Jahre lang, von 2001 bis 2008, untergekommen waren und Zschäpe einen engen Kontakt mit den Nachbarn pflegte. Ausgerechnet in jener Zeit wurden neun der zehn Morde verübt, der Nagelbombenanschlag in Köln und neun von 15 Banküberfällen. Alles vorbereitet in der Wohnung Polenzstraße 2, ohne dass irgendjemand etwas mitbekommt? Bei seiner Vernehmung sprach Jens G. den Satz, er habe „die drei nie bewusst gesehen“. Dann endet die Vernehmung. Der Ausschuss will von Weingarten wissen, warum nicht weitergefragt wurde. Zum Beispiel, wen Herr G. denn „bewusst gesehen“ habe. Binninger: „Wenn die Vernehmungen in dieser Qualität weitergehen, werden wir noch lange nach Leuten, die etwas wissen, suchen müssen.“ Weingartens Antwort ist unglaublich: „Ich habe Verständnis für die Art und Weise der Nicht-Befragung.“ Er sagt tatsächlich „Nicht-Befragung“. Der Zeuge G. habe mit dem Satz ja zu erkennen gegeben, dass er nicht kooperieren wolle, also brauche man gar nicht weiterfragen. Nicht nur, dass damit das Handwerk der Kriminalpolizei bestritten wird – wozu sich der Oberstaatsanwalt in Diensten der Bundesanwaltschaft, angesiedelt beim Bundesgerichtshof, bekennt, ist nichts weniger, als bewusst nicht zu ermitteln oder nur zum Schein zu ermitteln. Strenggenommen stellt sich die Frage der Strafvereitelung im Amt. Marschner wurde zwei Mal in der Schweiz vernommen, wo er wohnt. Das nimmt in Amtshilfe ein Schweizer Staatsanwalt vor. Deutsche Ermittler dürfen nur dabeisitzen, aber nichts fragen. Ob es nicht nötig wäre, Marschner selber persönlich zu vernehmen, also in Deutschland, so der Ausschuss. Auch diese Frage wollte Weingarten seltsamerweise nicht in öffentlicher Sitzung beantworten. Grund: Die Personalie Marschner ist vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) „komplett als geheim eingestuft“ (O-Ton Weingarten). Die Ermittler des Bundeskriminalamtes konnten beim BfV Einsicht in die Marschner-Akten nehmen, so Weingarten weiter, allerdings nicht in die Auswertungs-, sondern nur in die Beschaffungsakten. Und ob die vollständig waren, ist unsicher. Auffällig ist hier die Unterordnung der Bundesanwaltschaft unter das BfV. Man könnte auch sagen, die Karlsruher Behörde versteckt sich hinter dem Kölner Amt. Die wirkliche Entscheidung im Falle Ralf Marschner wird aber in der Bundesregierung getroffen. Das machte die folgende Ausführung Weingartens deutlich: „Die Informationen des BfV über Marschner sind nicht nur VS eingestuft, [Verschlusssache] sondern außerdem als nicht gerichtsverwertbar gestempelt. Ein Nullum. Wenn es hart auf hart kommt, werden die Akten vom Bundesinnenministerium gesperrt. Wir haben deshalb diese Bemühung nicht unternommen, sie uns vorzulegen.“ Sprich: Der Generalbundesanwalt lässt die Finger von Marschner, weil der V-Mann absolute und oberste Chefsache ist. Da ist sie wieder, die politische Dimension des NSU-Komplexes. Umso nötiger wäre es, Ralf Marschner auch im Untersuchungsausschuss des Hoheitsträgers Bundestag zu vernehmen. Mit seiner entsprechenden Frage an den Vertreter der Bundesanwaltschaft hat der Ausschuss nebenbei eigentlich für sich die Antwort ja gegeben. Allerdings haben sich die Obleute bisher immer noch nicht dazu durchgerungen, den Mann als Zeugen zu laden.“


Der deutsche Bundestag informiert am 10.6.2016:

„Zum Teil heftige Kritik übten Mitglieder des 3. Untersuchungsausschusses (NSU II) am Donnerstag, 9. Juni 2016, an den Ermittlungen im Umfeld der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU). So bemängelte der Ausschussvorsitzende Clemens Binninger, dass sich die Bundesanwaltschaft bei der Vernehmung eines zur rechten Szene gehörenden Nachbarn des Trios sogleich mit dessen Aussage zufriedengegeben habe, er kenne die NSU-Mitglieder nicht und habe sie auch nie bewusst gesehen. Frank Tempel von der Linksfraktion sagte, er habe nicht den Eindruck, „dass alles getan wird, um das Umfeld des Trios wirklich auszuermitteln.“ Der NSU-Komplex wirke auf ihn wie „ein Nebel, in dem nur ermittelt wird, wenn ein goldener Henkel herausguckt“. Der CDU-Abgeordnete Armin Schuster regte an, die Vernehmung des früheren Rechtsextremisten und V-Mannes Ralf Marschner noch einmal zu wiederholen, da es sich bei den beiden früheren Vernehmungen des in der Schweiz lebenden Mannes eher um „Vorstellungen“ gehandelt habe. (…) Der als Zeuge geladene Vertreter der Bundesanwaltschaft, Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten, wies die Kritik zurück. Er versicherte aber auch, dass er mit seinen Mitarbeitern darüber diskutieren werde, welche Konsequenzen aus den Anregungen des Ausschusses gezogen werden könnten. Sowohl aus rechtsstaatlichen wie auch aus personellen Gründen sei es aber nicht möglich, gegen die gesamte rechtsradikale Szene einer Stadt oder Region zu ermitteln, ohne konkrete Anhaltspunkte für die Verwicklung von einzelnen Personen in Straftaten zu haben. „Ich kann nicht nach einem Mittäter suchen, solange ich keine Anhaltspunkte dafür habe, dass es einen Mittäter gibt“, betonte Weingarten, der die Bundesanwaltschaft auch in dem Verfahren gegen Beate Zschäpe und andere Angeklagte vor dem Oberlandesgericht München vertritt. Zu der von Binninger kritisierten Vernehmung eines Neonazis, der jahrelang als Nachbar des NSU-Trios in der Zwickauer Polenzstraße gelebt hatte, sagte Weingarten, der damalige Aufenthaltsort von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe sei zum Zeitpunkt der Vernehmung bereits bekannt gewesen.
Nachdem der Zeuge klargemacht habe, dass er nicht mit der Polizei kooperieren wolle, habe es ihm gegenüber kein weiteres Ermittlungsinteresse geben. Neben Binninger vertraten auch andere Ausschussmitglieder den Standpunkt, dass man zumindest den Versuch hätte unternehmen können, in den Aussagen des Mannes Widersprüche aufzudecken. Als wahrscheinliche Zufälle wertete es Weingarten, dass in einem Szene-Laden des Neonazis Marschner ein T-Shirt mit dem Aufdruck der Comic-Figur „Paulchen Panther“ und dem Schriftzug „Staatsfeind“ zu kaufen war. Die Figur spielt auch in dem Bekennervideo des NSU eine zentrale Rolle. Weingarten sagte, „Paulchen Panther“ sei aus bisher nicht geklärten Gründen in der rechtsradikalen Szene häufig anzutreffen gewesen. Weingarten berichtete, dass Böhnhardt und Mundlos ihre späteren Opfer „sehr intensiv und kleinteilig“ ausgekundschaftet hätten. Dabei hätten sie regelmäßig Kioske und Imbissbuden besucht, um geeignete Orte für ihre Morde zu finden. Nach welchen Kriterien die individuellen Tatorte und Opfer ausgesucht wurden, sei noch immer unbekannt. Es gebe aber keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, „dass die Zielauswahl nicht von Mundlos und Böhnhardt vorgenommen wurde“. Ebenso wenig gebe es Hinweise darauf, dass der Zweck der Taten nach außen kommuniziert wurde. Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe hätten gewusst, dass es in der rechtsradikalen Szene sehr viele V-Leute gab. „Wegen des hohen Entdeckungsrisikos halten wir einen kommunikativen Akt in die Szene hinein für extrem unwahrscheinlich“, so Weingarten. Für eine Überraschung sorgte am Ende der öffentlichen Sitzung der Zwickauer Sozialarbeiter Jörg Banitz, der als Sachverständiger für das rechtsradikale Umfeld der Stadt vor den Ausschuss geladen war. Er berichtete, dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe im Jahr 2004 ein öffentliches Fest in Zwickau besucht hätten, das Trepppenfest der dortigen Hochschule. In der rechtsradikalen Szene habe man vom NSU gewusst und es sei gemunkelt worden, das Trio habe „was Krasses vor“. Diese brisanten Informationen habe er erst vor Kurzem von Arbeitskollegen erfahren, sagte Banitz. Der Ausschussvorsitzende Binninger bat ihn, bis zur nächsten Sitzung Namen seiner Informanten zu nennen, da der Ausschuss diesen Angaben nachgehen wolle.“


Ex-V-Mann Tino Brandt schließt am 7.6.2016 im Münchner NSU-Prozess nicht aus,  dass er dem Mitangeklagten Carsten S. Geld des Thüringer Verfassungsschutzes gegeben habe:

„Brandt sagte, es sei „sehr viel Geld“ des Verfassungsschutzes an die Szene geflossen. Meist habe er „Kameraden“ für Aktionen oder die Organisation von „Jugendarbeit“ Geld zugesteckt. (…) Der mutmaßliche Waffenbeschaffer des NSU, Carsten S., hatte gestanden, die „Ceska“ gekauft zu haben und dafür Geld von dem ebenfalls mitangeklagten Ralf Wohlleben erhalten zu haben. Wohlleben bestreitet dies jedoch. Wohllebens Verteidiger hatten ihrerseits den Verdacht geäußert, das Geld stamme von Brandt. Mit der „Ceska“ sollen die beiden mutmaßlichen Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt neun von zehn Mordopfern aus fremdenfeindlichen Motiven erschossen haben. Nach Brandts Vernehmung flammte der Streit zwischen Bundesanwaltschaft und Nebenklägern über die Aufklärung von Geheimdienstverwicklungen im Prozess erneut auf. Bundesanwalt Herbert Diemer warf den Nebenklägern „groben Unfug“ und „despektierliches“ Verhalten gegenüber dem Gericht vor. Er antwortete damit auf Vorwürfe von Nebenklägern, die sich vergangene Woche in scharfen Worten gegen die Ablehnung von Beweisanträgen gewandt hatten. Dabei geht es um den Verdacht, staatliche Stellen könnten bei der Fahndung nach den untergetauchten NSU-Terroristen versagt und die Serie von Morden und Sprengstoffanschlägen damit ermöglicht haben. In seiner Stellungnahme stellte sich Diemer hinter die Entscheidung des OLG-Senats, der die Zeugenladung des früheren Zwickauer V-Mannes „Primus“ ablehnte. „Primus“ soll nach Medieninformationen die Hauptangeklagte im NSU-Prozess Beate Zschäpe und Uwe Mundlos in seinen Unternehmen beschäftigt haben. Zschäpe lebte fast 13 Jahre gemeinsam mit Mundlos und Böhnhardt im Untergrund. Sie ist als einzige Überlebende des NSU-Trios wegen Mittäterschaft angeklagt.“ (MDR 7.6.2016)


Über den Auftritt der Bundesanwaltschaft berichtet am selben Tag die taz:

„Am Dienstag sprang die Bundesanwaltschaft den Richtern bei. Es sei ein „Missverständnis“, dass alle Fragen des NSU-Komplexes im Münchner Verfahren geklärt werden müssten, sagte Bundesanwalt Herbert Diemer. Die jüngsten Anträge der Opferanwälte nannte er „groben Unfug“. „Das Gericht ist nicht zu ausufernder Beweiserhebung verpflichtet.“ Seine Kollegin Annette Greger sagte, bisher gebe es auch „keine tragfähigen Anhaltspunkte“, dass die Verfassungsschutzbehörden vor der NSU-Enttarnung von Tathintergründen oder Aufenthaltsorten des Trios wussten.“


Während BfV Chef Maaßen in Berlin verzweifelt versucht den Anschein zu erwecken, er habe seine Behörde im Griff,  droht andernorts neues Ungemach. Ist die Todesursache des V-Mannes Corelli alias Thomas Richter doch nicht geklärt?

„Zur gleichen Zeit war „Corelli“ aber auch im NSU-Untersuchungsausschuss von Nordrhein-Westfalen Thema. Dort machte der Mediziner Werner A. Scherbaum eine elektrisierende Aussage. Er korrigierte sein Urteil von 2014, nach dem Richter an einer nicht erkannten Diabetes gestorben sein müsse. Richter war Anfang April 2014 zuhause tot aufgefunden worden. Die Obduktion ergab als Todesursache einen komatösen Zuckerschock. Der Diabetologe Scherbaum kam zu dem Schluss, Auslöser müsse eine nicht erkannte Diabetes gewesen sein. Diese Eindeutigkeit nahm er nun zurück. Ihm sei damals die Tragweite des Falles nicht bewusst gewesen. Er habe sich in der Zwischenzeit weiter kundig gemacht und sei auf zwei Stoffe gestoßen, die dieselben Symptome eines Zuckerschockes erzeugen können. Und einer dieser Stoffe finde sich in Rattengift. Der Untersuchungsausschuss gab daraufhin eine erneute toxikologische Untersuchung der asservierten Körperteile Richters in Auftrag. Die Aussage des Gutachters Scherbaum wurde in Düsseldorf erst gemacht, als der BfV-Präsident die Abgeordneten in Berlin bereits wieder verlassen hatte. Sie konnten ihn damit nicht konfrontieren. Schließlich traten am Donnerstag im NSU-Prozess in München mehrere Opferanwälte der Nebenklage dem Beschluss des Gerichtes entgegen, Ralf Marschner nicht als Zeugen zu hören. Einen solchen strafprozessualen Schritt hatte es bisher in dem Verfahren nicht gegeben. Berlin, Düsseldorf, München. Der unterdrückte NSU-Komplex, so scheint es, drückt mit aller Macht an die Oberfläche. Die Auseinandersetzungen um Aufdeckung oder Verschleierung werden entschiedener.“ (Telepolis 5.6.2016)

Bild: Foto vom Heß Gedenkmarsch in Wunsiedel am 17.8.2002. Das Foto erschien auf der Website „Nationaler Demonstrationsbeobachter“ (www.nd-b.com) des V-Mannes und Neonazis Thomas Richter aka Corelli, HJ Tommy, Oikrach, oi88krach.


Bild: Ausschnitt aus dem Forum von Richters Website „Oikrach“


Hinter dem Nickname „oi88krach“ verbarg sich V-Mann Thomas Richter:

„Selbst wenn er das nicht wüsste, müsste er in seiner eigenen Linkliste einfach eine Adresse namens „Oikrach“ anklicken. Dort erzählt der Betreiber, laut dem Domain-Verwalter Network Solutions ein Thomas R. aus Halle in Sachsen-Anhalt, die Geschichte seiner Webseite – die nahe legt, dass er bei den Behörden kein unbekannter ist. Unter anderem erwähnt er eine Hausdurchsuchung im Februar 2000.Seine Webseite kann er aber offenbar weiterbetreiben. Dort gibt er seinen „Kameraden“ weiter Tipps, wie sie das Netz als „Werkzeug des Nationalen Widerstandes“ für ihre Zwecke agitatorisch nutzen können – etwa in den Chat-Foren von FDP, SPD, CDU, „Spiegel“ und „Stern“ – auf die er alle Links gesetzt hat. Bei der Diskussion „Stoppt den braunen Mob“ im Forum von „stern.de“, freut sich der Autor, hätten sich im Juni „ca. 30 Kameraden“ beteiligt und einen „vorbildlichen Zusammenhalt“ gezeigt. Für künftige Online-Diskussionen liefert Oikrach dann ein paar Verhaltenstipps: „Keine Cookies akzeptieren, keine Verweise auf andere Seiten legen (erst recht nicht auf unsere)“. Und wenn die Botschaften dennoch einmal zurückverfolgt werden können, lässt der Betreiber seine Besucher an seinem ganz persönlichen Erfahrungsschatz teilhaben: „Was tue ich, wenn der Vater Staat mich besuchen will?“ – es folgen Verhaltensregeln für Hausdurchsuchungen. Oikrach ist nur ein Beispiel für das eigentliche Problem – das über die derzeitige Diskussion weit hinausreicht. Viele rechtsextreme Netz-Nutzer sind den Behörden inzwischen einfach zwei Schritte voraus.“ (Berliner Zeitung 3.8.2000)

Bild: Screenshot vom Impressum http://www.ngk.info


„Eines der Hauptelemente der Internetseite von ‘Oikrach’, der auch deutsche Soldatenlieder, eigene ‘Gedichte’ und germanophiles ‘Neuheidentum’ ins Netz gestellt hat, ist das gemeinsam mit ‘Templer’ betriebene ‘Nationale Forum’, in dem rassistische Einträge ebenso ihren Platz haben wie Hinweise auf den Bezug der Reichskriegsflagge mit Hakenkreuz (samt Hinweis auf die Internetseiten der NSDAP-AO). Zudem gibt es Diskussionsbeiträge über WPMP3, deren kompletter Bestand an brauner Musik zum Download von dem betroffenen Anbieter von Webspeicherplatz gelöscht wurde. Bei ‘Oikrach’ findet sich auch ein Link zu ‘Odins Lounge’, eine der diversen Internetseiten, über die rechte Musik im MP3-Format weltweit zum Download bereitsteht. Weitere Links führen zu den Internetseiten der ‘Berlin-Brandenburger Zeitung’ (BBZ) um den Neonazi Frank Schwerdt sowie zu diversen Internetseiten des Blood&Honour-Netzwerks oder des KuKluxKlan.“ (Rudolf Kleinschmidt, August 2000)


In den Ausgabe Nr.6/2000 des rechtsextremen Fanzines „Nationaler Beobachter – Informationsblatt für die Region Halle-Saalkreis“, dessen Herausgeber Richter war, wird dazu aufgerufen Anwerbeversuche des Verfassungsschutzes öffentlich zu machen:

„Wenn Ihr Informationen öffentlich machen wollt, dann schreibt uns. Vertraulichkeit wird garantiert. Lassen wir diesen Speichelleckern in Halle keine Chance, hier ihr dreckiges Geld zu verdienen!! (…) Die VS-Spitzel sind Tieren gleich, sie kennen keine menschlichen Gefühle, Anstand oder Ehrlichkeit sind ihnen fremd. Meist sind es sehr einsame, wirklich kranke Gestalten, die dafür um so gefährlicher sind.“

Zu diesem Zeitpunkt stand Richter bereits im Dienst des BfV.


Hans Georg Maaßen stellt sich am 2.6.2016 den Fragen des 2. NSU-Untersuchungsauschusses des Bundestages. In nichtöffentlicher Sitzung liefert der BfV Chef einen „erfrischen ungeschminkten“ Bericht ab, wie der CDU Obmann Armin Schuster „lobt“:

„Warum erfrischend? Weil Herr Maaßen unumwunden eingeräumt hat, dass es in seiner Behörde zu extrem fehlerhaften Verhalten kam im Umgang mit einem politisch hochsensiblen Vorgang.“

Der Geheimdienst Chef hatte nach der zweistündigen Befragung keine Lust sich den Fragen der Presse zu stellen und verschwand kommentarlos:

„Ich habe genug geredet heute.“

Dem Deutschlandfunk verkündete Maaßen später in emotionslosem Apparatschik-Sprech von brutalstmöglicher Personalführung:

„Ich habe deutlich gemacht , dass ich diesen späten Auffund dieses Handys ausdrücklich rüge. Habe auch zum Ausdruck gebracht, dass ich gegenüber diesen Mitarbeitern explodiert bin als ich dies zur Kenntnis genommen habe.“

Bumm. Rüge, Explosion, Fall erledigt. SPON weiß noch:

„Corelli habe aber keine Bezüge zum NSU gehabt, so Maaßen. Die Auswertung von Handy und SIM-Karten könne daher leider auch keinen Beitrag zur Aufklärung des NSU-Terrors liefern. Das „Corelli“-Handy stamme auch aus der Zeit nach dem Auffliegen der Terrorzelle.“

Und weil es keine Bezüge zum NSU gibt hat das BfV seinem ehemaligen V-Mann Führer untersagt vor dem NSU-Untersuchungsausschuss in NRW auszusagen:

„In seinem Bericht kritisiert Montag die V-Mann-Führung Corellis. Über viele Jahre bis zu seiner sogenannten Abschaltung sei es dieselbe Person gewesen. Das habe zu einem partiellen Verlust an Kritikfähigkeit geführt, so Montag. Offenbar hat sich eine so enge Beziehung entwickelt, dass beide nach Corellis Enttarnung eine gemeinsame Zukunft planten. Im Montag-Bericht heißt es dazu: „Am 18.09.2012 schlug R***s V-Mann-Führer vor, mit R*** in einer konspirativen Wohnung zusammenzuziehen und diesen Ort völlig geheim zu halten.“ Das lehnte das Amt ab. Die Betreuung von Corelli im Schutzprogramm übernahmen zwei andere Verfassungsschützer. Trotzdem hielt sein langjähriger V-Mann-Führer Kontakt zu Corelli. Das ist normalerweise untersagt, um den enttarnten V-Mann nicht in Gefahr zu bringen. Es kam laut Montag-Bericht zu Konflikten mit dem V-Mann-Führer innerhalb der Behörde. Trotzdem hat er den Kontakt offiziell erst im März 2014 beendet, also wenige Tage vor Corellis Tod. Und es gab auch nach dem offiziellen Kontaktende weiter Kommunikation. So findet sich im Montag-Bericht exemplarisch eine eindeutige SMS von Corelli an seinen V-Mann-Führer: „Wünsch dir ein schönes WE, auch wenn ich dich nicht mehr anrufen soll oder darf.“ Genau diesen V-Mann-Führer wollte jetzt der NSU-Untersuchungsausschuss im Landtag von NRW hören. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat ihm verboten auszusagen. Nach WDR-Informationen sah der Verfassungsschutz keinen Zusammenhang zum Untersuchungsauftrag des Ausschusses, der sich nur auf NRW erstrecke. Dass Corelli in Paderborn und somit in NRW gestorben ist, obendrein der langjährige V-Mann-Führer in Paderborn Kontakt zu Corelli hielt – all das scheint für das Bundesamt irrelevant. Eine WDR-Anfrage ließ es bislang unbeantwortet.“ (WDR 2.6.2016)

Innenminister de Maiziere stellt sich nach den neusten „Pannen“ des BfV im Zusammenhang mit V-Mann Corelli am 1.6.2016 den Fragen der Parlamentarier und fabuliert von einem beispiellosen Agieren des deutschen Rechtsstaates und seiner Verfassungsschutz- und Polizeibehörden:

Frage Konstantin von Notz:

„Herr Minister, die Bundeskanzlerin selbst hat in Anwesenheit von vielen, die hier heute im Saal sind, rückhaltlose Aufklärung verspochen während wir bei der Trauerfeier für die NSU-Opfer waren und die Familien der Opfer anwesend waren. Diese Faktenlage jetzt spricht dafür, dass es diese rückhaltlose Aufklärung nicht gab und dass das Parlament in verschiedenen Gremien falsch informiert wurde. Mich würde einfach interessieren, wer dafür die Verantwortung übernimmt? (…) Der Sachverhalt, wie viele Handys, wie viele SIM-Karten war in der Zeit hochrelevant, gab es Extrasitzungen im Innenauschuss für und die Wahrheit erzählt bekommen haben wir nicht.“

Innenminister de Maizière:

„Herr von Notz, ich teile Ihre Auffassung nicht. Der deutsche Rechtsstaat, das Parlament, die Länderparlamente haben in einer beispielhaften Weise, ähm, all diese Zusammenhänge, äh, aufgeklärt, auf den Tisch gelegt, Empfehlungen gegeben. Ähm, es hat in einer beispiellosen Weise Selbstkritik, Selbstkritik der Verfassungsschutz- und Polizeibehörden gegeben. Es hat, ähm, einen Reformprozess im Bundesamt für Verfassungsschutz und in Landesämtern gegeben. Wie haben, ähm, Empfehlungen bekommen des Untersuchungsausschusses, die im Wesentlichen umgesetzt worden sind und werden. (…) Dieser deutsche Rechtsstaat hat wirklich mit großer Leidenschaft und nüchternem Verstand, äh, diese, diese Mordserie zum Anlass genommen auch strukturelle Defizite aufzuklären und zu beenden. (…) Ich halte es für falsch zu sagen, wegen dieser vier SIM-Karten, wo wir auch noch nicht wissen was da drauf ist, ist sozusagen der gesamte Prozess der Aufarbeitung der NSU-Mordserie, wäre nicht gelungen. Auch das wäre den Opfern gegenüber nicht richtig und nicht angemessen.“

Nebenklagevertreter bringen neue Beweisanträge im NSU-Prozess ein: Sie gehen davon aus, dass Verfassungsschützer einen V-Mann gezielt ins Umfeld des NSU-Kerntrios Rechtsterroristen gespielt hatten:

„Spätestens im April 1998 wusste etwa der Thüringer Verfassungsschutz, dass die Flüchtigen in Chemnitz untergekommen waren. Im Sommer kam man der kleinen radikalisierten Gruppe noch näher – ein V-Mann einer Verfassungsschutzbehörde bewegte sich im direkten Umfeld der drei Untergetauchten. Danach jedoch geriet die Suche aus der Bahn – die Verfassungsschützer nutzten ihre Zugänge nicht, um die drei von der Polizei verhaften zu lassen. Die Thüringer Neonazis konnten so als Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) in den nächsten Jahren Banken ausrauben, Bomben legen, neun Migranten und eine Polizistin erschießen. (…) Die Nebenklageanwälte, darunter Seda Basay-Yildiz und Björn Elberling, vertreten in ihrem Antrag eine klare Auffassung und kritisieren staatliche Behörden vehement: Die Verfassungsschützer hatten nicht einfach nur Glück. Man habe im Gegenteil den V-Mann gezielt in das Umfeld des Trios gespielt. Allerdings nicht, so die These, weil man die drei auffliegen lassen wollte. Vielmehr hatte man das Ziel, „die drei Untergetauchten und ihre Unterstützer zu überwachen, um Informationen über die Organisation von Neonazis im Untergrund, die angewandte Art und Weise der Waffen- und Geldbeschaffung zu erhalten“. Durch diese Überwachung seien auch konkrete Informationen über die Gründung einer terroristischen Vereinigung durch „mindestens die drei Untergetauchten“ bekannt geworden. Aber „eine Weitergabe des Wissens und Festnahme der drei“ hätte „nicht im Interesse der Verfassungsschutzbehörden gelegen“ – deshalb seien die notwendigen Schritte unterblieben, das Trio zu stoppen. Man habe sogar die Strafverfolgungsbehörden „in einer Art und Weise gesteuert“, „die eine Festnahme der drei verhindert“ habe.“ (Welt Online 31.5.2016)


Profis beim Inlandsgeheimdienst. Auch nach Jahren finden sich immer wieder Beweismittel:

„Nach Informationen von WDR, NDR und „Süddeutscher Zeitung“ sind im Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln erneut Unterlagen des V-Manns Thomas Richter, Deckname „Corelli“, gefunden worden. Die Prepaid-Karten eines Internet-Packs von „T-Mobile NL“ sollen bei der Sichtung „sonstiger Unterlagen“ seines früheren V-Mann-Führers entdeckt worden sein. Sie wurden wohl während eines Auslandsaufenthalts von Richter von Ende September bis Ende November 2012 genutzt. Die SIM-Karten werden momentan vom Bundeskriminalamt ausgewertet. Nach erster Einschätzung sollen die Karten „keinen NSU-Bezug“ enthalten. Trotzdem hat der Fund in der Regierung bereits erheblichen Ärger und Kopfschütteln ausgelöst. Es sei „sehr unglücklich“, dass erneut nachgeliefert werden muss, heißt es aus Regierungskreisen. Es wächst die Unruhe über die Frage, wie oft Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen immer neue Informationen zu dem ohnehin heiklen Fall nach Berlin liefern will. Denn beim BfV in Köln sind die SIM-Karten nun bereits der dritte Fund von Unterlagen mit Bezug zu „Corelli“ seit seinem Tod im April 2014.“ (Tagesschau.de 31.5.2016)


Zwei ehemalige Jenaer Unterweltbosse haben als Informanten für die Thüringer Polizei gearbeitet. Einer der beiden soll 1997 Mundlos und Böhnhardt getroffen haben. Zudem sollen Kontakte zu Hans Ulrich M. in der Schweiz bestanden haben, der als Verkäufer der Ceska gilt mit der der NSU mutmaßlich neun Menschen tötete:

„Thomas M. gehörte seit Mitte der 1990-Jahre zu einer schwerkriminellen Bande in Jena, der Stadt, in der sich das spätere NSU-Trio fand und radikalisierte. Geführt wurde die Gruppe von zwei bekannten, vorbestraften Zwillingsbrüdern. Die Polizei war sich damals und ist sich auch heute sicher, dass in Jena kein kriminelles Geschäft an den beiden Männern vorbei abgewickelt wurde. Dazu gehörten auch Waffendeals, denn aus alten Ermittlungsunterlagen wird deutlich: Wer zu ihre Bande gehörte, war schwer bewaffnet. Immer wieder wurde in den vergangenen Jahren im Zusammenhang mit den NSU-Waffen der Name der beiden Brüder genannt. Dazu haben sie sich bislang nicht geäußert. Im laufenden NSU-Verfahren am Oberlandesgericht München verweigerten sie die Aussage. Deshalb hält sich das ermittelnde Bundeskriminalamt an die Ex-Mitglieder ihrer Bande. Einer von ihnen ist Thomas M., der den Beamten im Frühjahr des vergangenen Jahres von einem Waffendepot in Jena berichtete, das es heute nach Aussage von M. noch geben soll. Das BKA zögerte nicht lange und bat das Thüringer Landeskriminalamt, sich der Sache anzunehmen. Am 21. April 2015 erging diese Anfrage an die Thüringer Beamten und die begannen mit den Ermittlungen. Sie sprachen noch einmal mit Thomas M. und brauchten dann doch Monate, bis sie am 12. Januar 2016 in Jena zur Durchsuchung anrückten. An drei Orten schauten sie sich um – Waffen fanden sie keine. Verfahren beendet, Akte geschlossen. Doch die ganze Sache könnte nun brisant werden. Denn die beiden Ex-Unterweltbosse hatten in den 1990-Jahren offenbar ein besonderes Verhältnis zur Polizei. Aus internen Unterlagen, die MDR THÜRINGEN vorliegen, geht hervor, dass sie für das Landeskriminalamt spitzelten. Der eine wurde zwischen 1993 und 1994 fast ein Jahr vom LKA als sogenannte Vertrauensperson geführt, der andere Mitte der Neunziger nur für wenige Wochen. Beide sollen angeblich Informationen aus der kriminellen Szene beschafft haben. Laut Polizeiunterlagen ging es um Sprengstoff und Drogengeschäfte. Das Problem: Beide steckten mutmaßlich selber bis zum Hals mit drin. Sie beherrschten die Jenaer Unterwelt und waren offenbar an nahezu allem beteiligt, womit sich illegal Geld verdienen ließ, und sie hatten gute Kontakte. Das wusste die Polizei. Ob es für ihre Spitzeldienste eine Gegenleistung von der Polizei gab, ist unklar. Das Landeskriminalamt schaltete die Brüder Mitte der Neunziger offiziell wieder ab. Aber eben nur offiziell, denn trotz eines behördlichen Verbots aktivierte ein Polizeibeamter einen der beiden 1995 erneut. Lange blieb das verborgen. Aber jetzt tauchen internen Polizei-Dokumente auf, aus denen hervorgeht, dass einer der beiden bis mindestens 1997 als V-Mann aktiv gewesen sein könnte, also zwei Jahre nach der verbotenen Quellen-Reaktivierung. Genau in diesem Zeitraum soll es ein mutmaßliches Treffen des Jenaer Bandenchefs mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gegeben haben. Das äußert jedenfalls der Zeuge Thomas M. in seiner Vernehmung durch das BKA 2015. Angeblich sei es um Geld gegangen. Wofür und wie viel geflossen ist, lässt der Mann offen. Den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen und im Münchner NSU-Prozess ist diese V-Mann-Tätigkeit bislang nicht bekannt. Damit stellen sich neue Fragen: Wie sind Mundlos und Böhnhardt an die Waffen gekommen? Besonders an die Ceska, mit der die Terroristen mutmaßlich neun Menschen erschossen haben. Nachdem das Trio aufgeflogen war, führte schnell eine Spur in die Schweiz zu Hans Ulrich M.. Er soll mutmaßlich die Waffe besorgt und über Mittelsmänner nach Jena verkauft haben – was er vehement bestreitet. Doch M. hatte bereits in den 1990-Jahren Kontakte nach Thüringen. Er hatte in Apolda eine Firma, wohnte dort zwischen 1991 und 1996. Immer wieder finden sich in alten Ermittlungsakten Hinweise darauf, dass die beiden Jenaer Unterwelt-Brüder Kontakt zu M. hatten und auch in der Schweiz gewesen sein sollen. In seiner Zeugenvernehmung sagte auch Ex-Banden-Mitglied Thomas M., dass Waffen aus der Schweiz nach Jena gebracht worden seien. Wenn die beiden also Polizei-Quellen waren, welche Informationen haben die Ex-Unterweltbosse geliefert? Wurden sie in Polizeiakten dokumentiert und wenn ja, wo lagern diese Akten? Wenn es das Treffen des Bandenchefs, der möglicherweise als Spitzel reaktiviert war, mit Mundlos und Böhnhardt im Jahr 1997 gab, informierte der Kriminelle seine Kontaktperson bei der Polizei, seinen sogenannten VP-Führer? Gibt es dazu noch Akten? Das Thüringer Landeskriminalamt, das die zentrale V-Mann-Datei für die Polizei führt, wird prüfen müssen, wie lange die Zwillingsbrüder tatsächlich Informanten waren. Vor dem Oberlandesgericht München schwiegen sie mit dem Hinweis, sich nicht selber belasten zu wollen.“ (MDR 26.5.2016)


Thomas Moser schreibt am 17.5.2016 auf Telepolis über die Ermittlungen nach dem Auffinden der Leichen von Mundlos und Böhnhardt in Eisenach und verweist auf Aktenvermerke, laut denen das NSU-Kerntrio Geheimdienstkontakte hatte:

„Menzel ist momentan leitender Kriminaldirektor im Thüringer Innenministerium und war der verantwortliche Polizeichef, als im November 2011 Böhnhardt und Mundlos tot in einem Wohnmobil in Eisenach aufgefunden wurden. Der Mord von Kassel und der Tod von Eisenach sind zwei Schlüsselfälle im NSU-Gestrüpp. (…) 2009 wurde er Leiter der Polizeidirektion Gotha. Seit 2015 ist er wieder im Innenministerium tätig. Von besonderem Interesse sind seine Jahre als Kripochef in Saalfeld von 1998 bis 2001. Einer seiner Mitarbeiter dort war Mike Wenzel, der Onkel der 2007 in Heilbronn erschossenen Polizistin Michèle Kiesewetter. Menzel und Wenzel kennen sich persönlich. Kiesewetter-Onkel Mike Wenzel war Staatsschützer und hatte mehrfach mit dem Thüringer Heimatschutz (THS) zu tun, jenem rechtsradikalen Sammelbecken, in dem sich auch Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe bewegten. Einmal war er dabei, als zahlreiche Neonazis festgenommen wurden, unter anderem Tino Brandt. Ein anderes Mal bei einer Hausdurchsuchung von Brandt. Brandt galt als der führende Kopf des THS. Er war zugleich V-Mann des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) in Thüringen. (…) Ausgerechnet in seinem Verantwortungsbereich findet der Polizeichef Michael Menzel die Dienstwaffe der im fernen Baden-Württemberg ermordeten Nichte seines Kollegen. Doch so eng sind andererseits die Kreise des NSU. Menzel ist Teil des Personengeflechtes, in dem sich das NSU-Umfeld und das Kiesewetter-Umfeld überschneiden und zu dem unter anderem der Schwager des Angeklagten Ralf Wohlleben gehört, der in Kiesewetters Thüringer Heimatort Oberweißbach eine Gaststätte betrieb, ein Treffpunkt der rechten Szene. (…) Hatte das Trio Verfassungsschutzkontakte? Seit Jahren taucht diese Frage immer wieder auf, ohne das sie abschließend beantwortet werden kann. Offiziell wird sie bestritten. Doch Aktenfunde des Bundestagsausschusses geben ihr neue Nahrung: Protokollnotizen über die Lagebesprechungen in der Polizeidirektion (PD) Gotha am 5. und 6. November 2011, die Menzel geleitet hatte. Am 5. November war schriftlich festgehalten worden: „[…] Die Zielfahndung nach dem Trio wurde 2002 eingestellt. Es wurde bekannt, dass das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) die Zielpersonen abdecke.“ Am 6. November wurde notiert: „Der PD-Leiter will alles tun, um Frau Zschäpe zu finden, bevor sie vom LfV abgezogen wird.“ An anderer Stelle heißt es: „Zumindest eine Person des Trios soll bis 2003 Mitarbeiter des Staatsschutzes gewesen sein.“ Wieder an anderer Stelle kann man lesen: „Das Trio oder ein Teil war nah an den Verfassungsschutz oder den Staatsschutz angebunden, hatte mit denen zu tun, was auch immer.“ (…) Im Besprechungsraum der Polizeidirektion Gotha hing damals ein Fahndungsschaubild mit den Fotos und Namen des Trios Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe und allen möglichen Querverbindungen zu anderen Personen. Eine war Andreas Rachhausen, Neonazi aus Saalfeld, Mitglied des Thüringer Heimatschutzes (THS) und zugleich V-Mann des LfV. Wie kam dieser Name auf die Tafel?, wollte der Ausschuss jetzt von Menzel wissen. Der passte und zuckte nur mit den Schultern. Am 5. November – also einen Tag nach dem Tod von Böhnhardt und Mundlos, der Brandstiftung in der Wohnung in Zwickau und der Flucht von Beate Zschäpe – rief Menzel einen Verfassungsschützer an, der bereits im Ruhestand war: Norbert Wießner. Das kann als gesichert gelten, selbst wenn Wießner ursprünglich dachte, dieses Telefonat sei am 4. November gewesen. Wießner war einmal V-Mann-Führer von Tino Brandt sowie von Andreas Rachhausen. Menzel fragte den Pensionär nach Hinweisen auf frühere Aufenthaltsorte des Trios und wo Zschäpe sein könnte. Wießner soll geantwortet haben, – auch das deckt sich weitgehend – er solle bei Ralf Wohlleben oder André Kapke nachfragen, zwei bekannte THS-Aktivisten aus Jena. Umstritten ist, ob es ein zweites Telefonat einen Tag später zwischen Menzel und Wießner gab. Vor dem ersten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages hatte Wießner genau das im Februar 2013 behauptet. Menzel soll dabei gedroht haben: „Wenn du jetzt nichts sagst, gehe ich ins Landesamt [für Verfassungsschutz] und beschlagnahme die Akten!“ Menzel bestritt das vor dem Ausschuss in Berlin entschieden. Es habe nur ein einziges Telefonat zwischen ihnen gegeben.“


Geheimdienstkontakte des NSU-Kerntrios? Unmöglich! Verschwörungstheoretischer Irrsinn! Unseriös! Kurz bevor Beate Zschäpe im Münchener Prozess ihre Aussage verlesen lassen will, stellt der Journalist Tom Sundermann, der regelmäßig für Zeit Online zum NSU-Prozess schreibt, am 7.12.2015 fest:

„Der Weg des NSU ist von Informanten des Verfassungsschutzes regelrecht gesäumt. V-Männer tummelten sich in der Szene, als das Trio noch daheim in Jena unterwegs war, und sie tauchten in bemerkenswerter Zahl auch unter Bekannten der drei auf, nachdem diese 1998 in den Untergrund geflüchtet waren. Nicht wenige hegen den Verdacht, die NSU-Mitglieder hätten selbst auf der Gehaltsliste des Verfassungsschutzes gestanden. Das kann man seriöserweise nicht mehr als eine Verschwörungstheorie nennen.“

Auch die Anwesenheit des Verfassungsschützers Andreas Temme beim Kasseler NSU-Mord wurde sowohl von Panorama als auch vom SZ „Inverstigativ-Journalisten“ Leyendecker als Verschwörungstheorie abgetan:

Leyendecker 2013 im Presse Club:

“ Das ist ausermittelt. Das ist nun wirklich damals ausermittelt, das ist jetzt noch mal ausermittelt. Der saß da, das ist auch ne Figur wie eigentlich aus ’nem Roman, hat früher Mein Kampf intensiv gelesen. Es passte scheinbar alles. Aber es ist ausermittelt, er hat mit dieser Tat, wenn Sie gucken, die Mörder kamen aus Dortmund, es wäre möglich gewesen, dass sie in Münster gemordet hätten, dass sie woanders, er hat mit dieser Tat nicht zu tun gehabt. (…) Was ausermittelt ist und das ist ausermittelt. Und dann kann ich nicht mit ’ner Verschwörungstheorie noch mal um die Ecke kommen.“

In einer weiteren Passage macht Leyendecker eine Aussage, deren Brisanz erst im Jahr 2016 deutlich wird:

„Also die spannende Frage is ja, ist es wirklich so gewesen, dass da eine kleine Gruppe von drei Leuten abgeschottet von den Anderen so agiert hat, wie man sich das früher von Linksterroristen vorstellte. Also wenn sie dritte Generation RAF sehen, da gibt’s Parallelen. Man hat es von Neonazis nicht erwartet, dass es ihnen tatsächlich, war es tatsächlich so, gab es nicht doch bei den, äh, Mord, Mordtaten, im Westen Unterstützer, die geholfen haben? Das sind ja alles so die Fragen. Und bisher ist die Anwort, nein, das gab es nicht. Wir haben tatsächlich ’ne abgeschottete, kleine Terrorgruppe gehabt. (…) Wir haben auch so’ne Gruppe soo noch nicht gehabt. Also das ist auch, und von daher ist die Hoffnung, dass von außen irgendwas kommt, das wäre ’ne spannende Frage, Frau Zschäpe, wie war’s wenn die Beiden zurück kamen aus Nürnberg? Ham‘ die gesagt was sie getan haben ? Haben die gesagt sie waren auf ’ner Baustelle oder haben die gesagt sie haben geschossen ? Aber all das, da hat sie das Recht zu schweigen. Das ist auch gut so.“

Eine Baustelle in Nürnberg? Wie kam Leyendecker 2013 auf die Idee, Mundlos und Böhnhardt hätten in der Zeit des Nürnberger NSU-Mordes auf einer Nürnberger Baustelle gearbeitet?  Dass Uwe Mundlos für den Neonazi und V-Mann Ralf Marschner in dieser Zeit in Nürnberg tätig war wurde erst im April 2016 von Laabs und Aust enthüllt:

„Nach Erkenntnissen der Tageszeitung „Die Welt“ hat der mutmaßliche NSU-Terrorist Uwe Mundlos zeitweise in der Baufirma eines V-Manns aus Zwickau gearbeitet. In den Jahren 2000 und 2001 soll er dabei auf Baustellen in Nürnberg und auch in München als Vorarbeiter eingesetzt worden sein. In dieser Zeit wurden in Nürnberg und München die ersten drei von insgesamt zehn NSU-Morden begangen.“ (BR 8.4.2016)


Ein Handy des BfV-V-Mannes Thomas Richter (Corelli), der 39-jährig- kurz vor einer geplanten Vernehmung- an einer nicht diagnostizierten Diabetes verstorben sein soll, wurde plötzlich in einem Safe des BfV gefunden:

„Umso merkwürdiger scheint die Tatsache, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz dem BKA erst jetzt, mehr als zwei Jahre nach „Corellis“ Tod, dessen Privathandy übergab. Auf dem Mobiltelefon, das der Ex-Informant von Frühjahr bis Herbst 2012 genutzt haben soll, befinden sich nach SPIEGEL-Informationen rund 200 Kontaktdaten, darunter zahlreiche Einträge mit Daten wichtiger Akteure des rechtsextremen Spektrums. Außerdem sollen mehrere Tausend Fotos auf dem Gerät gespeichert sein. Gefunden wurde das Handy bereits im Sommer 2015, in einem verschlossenen Kuvert, das in einem Panzerschrank des ehemaligen V-Mann-Führers von „Corelli“ im Bundesamt für Verfassungsschutz lagerte. Wie der SPIEGEL erfuhr, soll der Safe zuvor bereits vier Mal von BfV-Beamten untersucht worden sein – angeblich ohne das Handy zu finden. Und auch nach der Entdeckung dauerte es offenbar Monate, bis das BfV das Handy auswertete. Erst Anfang Mai 2016, also vor wenigen Tagen, händigte das BfV das Asservat schließlich dem Bundeskriminalamt aus. Am Mittwoch wurden die Obleute des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag über den Vorgang unterrichtet. Die Nachricht, dass womöglich ein wichtiges Beweismittel zurückgehalten wurde, sorgte in dem Gremium für Empörung. Für Uli Grötsch, SPD-Obmann im NSU-Untersuchungsausschuss, ist der Vorgang ein Affront. „Dass das BfV die Informationen über den brisanten Handyfund so lange für sich behalten hat, kritisiere ich in aller Schärfe. Gelegenheiten dafür hätte es gegeben“, so Grötsch. Petra Pau von den Linken erklärte: „Im Fall ‚Corelli‘ wurde nicht nur der erste NSU-Untersuchungsausschuss systematisch belogen, sondern auch andere Gremien des Bundestags“. Das Bundesamt für Verfassungsschutz war für eine Stellungnahme zu den Vorwürfen zunächst nicht erreichbar.“ (SPON 11.5.2016)


Die Personalie Ralf Marschner rückt im Mai 2016 weiter in den Fokus der Berichterstattung.

Am 9.5.2016 berichtet der MDR über eine weggespülte Akte:

„NSU-Akte vom Hochwasser in Sachsen weggespült? Erneut sind Akten des rechtsextremen Terrornetzwerkes NSU offenbar „verschwunden“. Wie die Grünen-Bundestagsabgeordnete Irene Mihalic am Montag mitteilte, ist eine vom NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages angeforderte Akte über den Neonazi und ehemaligen V-Mann Ralf Marschner nicht mehr auffindbar. Die Staatsanwaltschaft Chemnitz habe mitgeteilt, die Akte sei 2010 dem Hochwasser in Sachsen zum Opfer gefallen. „Dieser Vorgang reiht sich irgendwie ein in den mysteriösen Schwund von Akten im Zusammenhang mit dem NSU-Netzwerk“, sagte die Grünen-Obfrau im Ausschuss. Irene Mihalic, Grünen-Obfrau im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages“Es ist schon seltsam, dass sich die reißenden Wasser gerade dieses Schriftstück ausgesucht haben.“ In der verlorenen Akte geht es um mutmaßliche Straftaten von Marschner, wie das Veruntreuen von Arbeitsentgelt und Insolvenzverschleppung in 2001/2002. Die beiden mutmaßlichen NSU-Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Beate Zschäpe sollen während ihrer Zeit im Untergrund in Firmen Marschners gearbeitet haben. Der Neonazi war unter dem Tarnnamen „Primus“ jahrelang als Informant für das Bundesamt für Verfassungsschutz tätig. Während die Mitarbeit von Uwe Mundlos durch Dokumente belegt ist, gibt es diese Belege für Zschäpes Mitarbeit (bislang) nicht. Recherchen zufolge sollen Marschners Firma und damit auch Mundlos zu einer Zeit auf Baustellen im Raum Nürnberg und München aktiv gewesen sein, als dort die ersten Morde verübt wurden, die dem NSU zugerechnet werden. Durch die Firma des Spitzels wurden den Recherchen zufolge mehrere Mietautos über längere Zeiträume gebucht – einige davon an den Tagen, an denen in Nürnberg ein türkischer Schneider (Juni 2001) und in München ein türkischer Obsthändler (August 2001) erschossen wurden.“


Kurze Zeit später taucht eine Kopie der Marschner-Akte auf:

„Eine NSU-Akte, die nach dem Hochwasser in Chemnitz 2010 als verschwunden galt, gibt es als Kopie. Das haben MDR-Recherchen ergeben. Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Valentin Lippmann, bestätigte MDR AKTUELL, dass sie sich in den Unterlagen des sächsischen Untersuchungsausschusses befindet. Der sächsische Landtagsabgeordnete hat sich die vorliegenden Akten nach eigenen Worten angesehen und festgestellt, dass dem Ausschuss in dem Ermittlungsverfahren mit dem Aktenzeichen 700 Js 44805/99 insgesamt 15 Bände Ermittlungsakten vorliegen. Lippmann zufolge befindet sich in Band drei eine Zeugenvernehmung von Ralf Marschner, die am 13. Oktober 1999 durchgeführt wurde. Genau diese Zeugenvernehmung des ehemaligen V-Mannes galt bislang als verschollen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Chemnitz wurde die Akte vom Hochwasser 2010 vernichtet. (…) Das sächsische Innenministerium bestätigte dem MDR die Existenz der Aktenkopie. Ein Sprecher sagte, sie sei nicht nur vorhanden, sondern sogar bereits am 15. April dem Untersuchungsausschuss des Bundestags vorgelegt worden. Polizei und Justiz hätten im Umfang der Beweisbeschlüsse in ihrem Zuständigkeitsbereich entsprechend recherchiert und die Untersuchungsausschüsse über ihre jeweiligen Ergebnisse korrekt informiert. Lippmann kritisiert Gebaren. Grünen-Politiker Lippmann kritisierte in diesem Zusammenhang, dass in Sachsen offensichtlich die linke Hand nicht weiß, was die rechte tue. Es sei kein Umgang mit dem Untersuchungsausschuss des Bundestags, wenn man in die Welt posaune, die Akten seien unwiderruflich verschollen und sich diese dann doch wiederfinden. Überdies werfe das ganze Gebaren die Frage auf, von welchen weiteren nicht auffindbaren Akten in irgendwelchen Polizeibehörden noch Kopieren herumstünden.“ (MDR 17.5.2015)


Dass der ehemalige V-Mann Marschner das NSU-Kerntrio nicht persönlich getroffen haben will muss bezweifelt werden:

„Jetzt will sich der NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag den früheren V-Mann Ralf „Primus“ Marschner vorknüpfen. Ab der nächsten Sitzung, Anfang Juni, wollen die Abgeordneten dessen Rolle im NSU-Komplex aufklären. „Die zentrale Frage ist: Hat Marschner das Trio unterstützt? Womöglich gar mit Wissen des Verfassungsschutzes?“, sagte Linken-Obfrau Petra Pau. Denn offenbar war Marschner näher am NSU-Trio dran, als bisher bekannt. Nun wurde bekannt, dass er 2001 zusammen mit der späteren engen Freundin von Beate Zschäpe, Susann Eminger, eine Zwickauer Kneipe überfallen hat. Laut einer Ermittlungsakte, die der taz vorliegt, zettelten beide mit anderen „Glatzen“ in dem Laden eine Schlägerei an. Eminger musste dafür später 20 Sozialstunden ableisten, Marschners Verfahren wurde wegen einer anderen Verurteilung eingestellt. In Vernehmungen zu den NSU-Verbrechen hatte Marschner dagegen behauptet, Susann Eminger nur flüchtig zu kennen. Ob diese gewaltbereit sei, verneinte er. Und das NSU-Trio, das jahrelang in Zwickau lebte, sei ihm nur durch Medienberichte bekannt. Dabei gibt es Zeugen, die behaupten, dass NSU-Mitglied Uwe Mundlos in einer Baufirma von Marschner gearbeitet habe. Ebenso Beate Zschäpe später in dessen Modeladen – während der Untergrundzeit. Susann Eminger wiederum hielt mit dem Trio bis zu deren Auffliegen 2011 Kontakt. Ihr Mann ist heute Mitangeklagter im NSU-Prozess in München. Wusste Marschner also wirklich nichts von den dreien? Die Sache ist pikant, weil der frühere Neonazi von 1992 bis 2002 Topspitzel des Verfassungsschutzes war. Wusste das Amt von dessen Kontakten? Für die Grünen-Obfrau Irene Mihalic wird immer deutlicher, dass Marschner „mit dem allerengsten Umfeld des Trios vernetzt war“. Ganze vier Sitzungstage hat der NSU-Ausschuss für den ehemaligen Spitzel eingeplant.“ (taz 18.5.2016)


War Marschners Baufirma gar ein Honigtopf des Verfassungsschutzes wie am 19.5.2016 im ND gefragt wird?

„Die Abgeordneten werden also zunächst Neonazis aus dem Umfeld von Marschner befragen und Polizisten vorladen. Darunter sind auch jene BKA-Beamten, die nach dem Auffliegen des NSU im November 2011 die Beziehungen des Trios zu Marschner untersuchten. Sie taten es auffällig einseitig. Während das BKA die Klamottenbuden des V-Mannes durchforstete, war es auffällig zurückhaltend, als es um den »Bauservice Marschner« ging.Die Firma, über die es beim Gewerbeamt angeblich keine Unterlagen gibt, bietet allerlei Stoff zu realitätsnaher Spekulation. Nicht nur, weil über das Abbruchunternehmen – das zwei Jahre lang seine Aufträge nur von einem höchst dubiosen und vom Verfassungsschutz interessiert betrachteten Kunden bekommen haben soll – 2001 mehrere Autos gemietet wurden, deren Ausleihzeiten zu jenen Daten passen, an denen der NSU in Nürnberg Abdurrahim Özüdoğru und in München Habil Kılıç ermordete. Damals soll auch ein Max-Florian Burkhardt beim »Bauservice Marschner« angestellt gewesen sein. Mit den Papieren des Kameraden Burkhardt lief Uwe Mundlos herum. Er wäre als Angestellter in »guter« Gesellschaft gewesen, denn in der Firma waren um die 25 Männer untergekommen, die allesamt aus der Blood&Honour – und der Hammerskinszene kamen. Und aus den Regionen Zwickau, Westsachsen und dem Vogtland. Beide Gruppen verkörperten das Brutalste, was die rechtsextreme Szene zu bieten hatte und sicherten in vielfacher Weise die drei untergetauchten Kameraden aus Thüringen ab. Da der Verfassungsschutz auch das BKA kurz hielt mit Informationen über den »Bauservice« und die BKA-Ermittler von sich aus offenbar auch keine Lust verspürten, mal hinter die Fassade dieses Marschner-Geschäftes zu schauen, liegt die Vermutung nahe, dass es sich um einen »Honigtopf« gehandelt hat. Gemeint ist, dass der Verfassungsschutz von Anfang an hinter der Firma steckte, um die militanten Neonazis zu sammeln, leichter kontrollieren zu können.“


Die Anhörung des Kriminaloberkommissars Manfred Nordgauer Ende April vor dem UA des Bundestages zeigt „Pannen“ und Widersprüche auf:

„War es möglich, dass sich Mundlos auf der Bank sitzend erschossen hat, wie es in den Akten steht? Könne doch gar nicht sein – sonst müsste es ein anderes Spurenbild geben. Das wurde Kriminaloberkommissar Manfred Nordgauer bei der Zeugenvernehmung unter Leitung von Clemens Binninger (CDU) vorgehalten. Der Kriminaltechniker des Landeskriminalamtes (LKA) Baden-Württemberg widersprach nicht. Plausibel sei nur, dass Mundlos sich im Stehen das Leben genommen habe. Und Nordgauer wartete zusätzlich mit einem rein „persönlichen Eindruck“ auf: Mundlos habe vielleicht, als er nach draußen feuern wollte, „aus Versehen“ seinen Mittäter erschossen. „So viele Waffen im Wagen – und jetzt erschießen sie sich einfach“: Nordgauer mag es nicht so ganz glauben.“ (Das Parlament 2.5.2016)


„Weitere »Panne« im NSU-Komplex: DNA-Funde nach Polizistinnenmord nicht ausgewertet: Im Fall des Heilbronner Polizistinnenmordes vom 25. April 2007 wurde ganz und gar nicht so ermittelt, wie es etwa von »Tatort«-Kommissaren nach dem gewaltsamen Tod einer jungen Kollegin zu erwarten wäre. Bei dem versuchten Doppelmord war die 22jährige Beamtin Michèle Kiesewetter durch einen Kopfschuss getötet worden, ihr Kollege Martin A. überlebte schwerverletzt.Bis heute wurden vielversprechende DNA-Spuren nicht ausgewertet – das stellte sich am Donnerstag bei der Vernehmung des Kriminalhauptkommissars Manfred N. im NSU-Untersuchungsausschussschuss des Bundestags heraus.“ (Junge Welt 4.5.2016)



Der NSU-Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtags befragt am 28.4.2016 den damaligen Polizeieinsatzleiter Michael Menzel, der als Chef der Gothaer Polizei für die Tatortarbeit am brennenden Wohnmobil in Eisenach und die anschließenden Ermittlungen verantwortlich war. Der MDR wittert vorab Stoff für Verschwörungstheoretiker:

“ Eine grüne Harke, eingegraben in Brandschutt mit Blut an den Zinken markiert das Ende eines Helden. Eines Mannes, der den NSU gestoppt hat. Der mit seinen Ermittlungen die ersten Ansätze eines rechtsterroristisches Netzwerkes enttarnte. Der bei aller Fahndungsarbeit irgendwie immer richtig lag. Michael Menzel ahnte damals im Herbst 2011, dass die Bankräuber von Arnstadt wieder auftauchen werden. Er sagte, es sei kriminalistisches Gespür gewesen. Doch es gibt im Ausschuss und unter Experten nicht wenige, die vermuten, Menzel habe einen Tipp aus einer Geheimdienstbehörde erhalten, was Verschwörungstheorien nur weiter anheizt. (…) Der Kriminalist Menzel war sich nach erfolgreicher Identifizierung von Uwe Böhnhardt sicher, dass es die Bombenbastler aus Jena sind, die 1998 abgetaucht waren. Nur eine Person fehlte vom Trio: Beate Zschäpe. Das hatte Menzel schnell erkannt und er wusste auch, wo er nachfragen sollte: Beim Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz. Eine private Nummer des damalig verantwortlichen Beamten, längst im Ruhestand, hatte er bei der Hand. (…) Doch es bleiben Fragen. Fragen, die in den letzten Monaten im Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss aufgekommen sind. Für Außenstehende sind es Details, die tief in die Ermittlungsarbeit von Kriminaltechnikern, Fahndern, Spurenexperten, Brandgutachtern oder Rechtsmedizinern führen. Teilweise schwer verständlich und kaum noch nachvollziehbar. Details, die zwar wenig am Ermittlungsergebnis verändern können, dafür aber das Feld für schwindelerregende Verschwörungstheorien trefflich bestellten. Das ging so weit, dass Menzel eben vom Held zum „Vertuscher“ gestempelt wurde. Selbsternannte NSU-Experten sehen in ihm einen wesentlichen Bestandteil der Verschwörung. Weil er sich widersprach, weil sich andere Zeugen widersprachen, irrten, verwechselten und weil Menzel sich niemals öffentlich erklären konnte. In NSU-Untersuchungsausschüssen in Bund und Land, oder beim Prozess in München tauchten Fragen zu Menzels Arbeit auf. Verdächtigungen wurden in den Raum gestellt. Das fachliche Geschick des Kriminalisten Menzel wurde immer öfter, lauter und ungeprüfter in den Medien diskutiert. Doch er, der ehemalige NVA-Kampfschwimmer, tat nichts. Das Innenministerium erteilte ihm damals vor knapp vier Jahren einen Maulkorb und er schwieg. Doch es geht ihm nah. Menzel ist verärgert über die öffentliche Debatte zu seiner Person. Er hat viel zu erzählen und er will am Donnerstag bei seiner Vernehmung im Ausschuss viel erklären. Warum er den Feuerwehrleuten ihren Fotoapparat und mit ihm mögliche Aufnahmen des Tatorts wegnahm – damit keine Fotos des ausgebrannten Wohnmobils an die Presse durchsickern. Warum er das ausgebrannte Wohnmobil betrat – nur im Eingangsbereich auf einer Fußmatte. Warum er entschied, das Wohnmobil abschleppen zu lassen – wegen des Wetters und der Dunkelheit. Wie er auf all die Ermittlungsansätze kam – schnelle und korrekte Auswertung der zahlreichen Spuren im Wohnmobil. Warum er die SoKo-Arbeit damals in den Novembertagen vom zentralen Polizeinetzwerk abkoppelte – um Ermittlungen nicht zu gefährden. Am Donnerstag nun hat Michael Menzel die Gelegenheit, gegen ein längst gefestigtes Bild seiner Person anzugehen. Dann kann er versuchen, zu erklären, warum immer wieder Akten bei der Thüringer Polizei auftauchen, obwohl die Landespolizeidirektion versichert hatte, dass keine weiteren Akten existierten. Und was er mit der grünen Harke im Brandschutt gemacht hatte.“


Das Wetter am 4.11.2011 war übrigens prächtig. Sonnenschein. Kein Wölkchen am Himmel von Eisenach.


Im NSU-Prozess hinterließ Menzel 2013 in der Tat keinen überzeugenden Auftritt:

„Wenn Kriminalbeamte vor Gericht auftreten, erwartet man präzise Aussagen. Michael Menzel, leitender Polizeidirektor in Thüringen, erfüllt diese Erwartung im NSU-Prozess nicht gerade. Er war der verantwortliche Beamte, der die ersten Maßnahmen anordnete, nachdem am 4. November 2011 in Eisenach eine Bank überfallen und später ein brennender Wohnwagen mit zwei Leichen entdeckt wurde. Es waren die Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, doch zunächst war die Identität der Toten unklar. Menzel sagt am Mittwoch vor Gericht, bereits am Nachmittag des 4. November sei eine alte Vermisstenakte zu Mundlos angefordert worden. Die Frage, die sich daraufhin stellt: Wie kam die Polizei auf diesen Verdacht? Wie kam sie auf Mundlos? Der Zeuge eiert herum, spricht von einem „Brainstorming“ und korrigiert beiläufig den Zeitpunkt der Aktenanforderung. Es sei erst am Abend gewesen. Dann sagt er auch noch, eine Datenbank des BKA, in die man die Fingerabdrücke der Toten einspeiste, habe auf Mundlos verwiesen. Da sich der Beamte aber nicht klar ausdrückt, was die Ermittler wann und auf welcher Grundlage getan haben, stiftet er Verwirrung im Saal – und heizt damit zugleich den Verdacht an, der Beamte wolle etwas Wichtiges verheimlichen oder vertuschen. Ein Nebenklage-Anwalt hakt nach: „Wie kamen Sie auf die Sache Mundlos?“ Der Zeuge schweigt kurz, dann weicht er mit diesem nebulösen Satz aus: „Die Fortentwicklung der Soko vor Ort war dadurch geprägt, dass mehrere Informationen dort zusammengefasst worden sind.“ (…) Immer wieder taucht die These auf, die Polizei könnte damals etwas vertuscht haben; auch einen unbekannten Dritten vermuten manche. Da sei nichts dran, sagt der Beamte Menzel: „Zu einer dritten Person gibt es keine Hinweise.“ „Warum wurde das Wohnmobil von der Polizei in eine Lagerhalle weggeschleppt?“, möchte ein Anwalt wissen. Ob da nicht die Gefahr bestand, Spuren zu verlieren? Menzel sagt: Man habe den Wagen so spurenschonend wie möglich an einen Ort gebracht, an dem er vernünftig untersucht werden konnte. Und natürlich kommt auch der Geheimdienst zur Sprache. Ein ehemaliger Thüringer Verfassungsschützer hat vor einem Untersuchungsausschuss ausgesagt, Menzel habe ihn gleich am 4. November angerufen und zum Trio Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe befragt. Menzel bestreitet das vor Gericht. Das Telefonat sei erst am 5. November gewesen. Warum er den Ex-Verfassungsschützer überhaupt kontaktiert habe, wird Menzel gefragt. Er habe sich Informationen zu dem Trio erhofft, sei aber enttäuscht worden, antwortet er. Und er habe dringend mehr erfahren wollen: „Ich hätte auch den Teufel angerufen, wenn ich von dem Informationen bekommen hätte.“ (SZ 6.11.2013)


Auch im 2. NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages war Menzels Agieren in Eisenach am 28.4.2016 Thema:

„Auf seine Frage, warum Thüringen keine eigenen Brandsachverständigen einsetzte, habe er nur ausweichende Antworten erhalten, sagte Halder. Ob im Lagezentrum in Gotha – für Eisenach zuständig – der Verfassungsschutz vertreten war, konnte er nicht sagen. Allerdings ist ihm ein Satz des damaligen Gothaer Polizeichefs Michael Menzel in Erinnerung, der in etwa gesagt habe, es sei ihm egal, was der Staatsschutz mache: „Ich ziehe das jetzt durch.“ Worauf der als zupackend beschriebene Einsatzleiter dabei abhob, darauf konnte sich Halder keinen Reim machen.“


Menzel am 28.4.2016 im MDR Interview:

„Und da die Komplexität dieses Tatortes von vorneherein klar war, hat man sich dann in der Gesamtheit dazu entschlossen, was übrigens auch nicht unüblich ist, dieses Fahrzeug an einen sicheren Ort zu verbringen. (…) Dass die Harke, die Blutharke, ein Werkzeug ist der Feuerwehr, und zum Einsatz kam um eben Brandnester, die im Wohnmobil vorhanden waren einfach ein Stückchen weit zu öffnen, so dass man qualifiziert auch mit der Feuerwehr löschen konnte.“

In einem weiteren MDR Artikel vom selben Tag heißt es :

„Die Feuerwehrharke habe er verwendet, um eine Waffe in dem Fahrzeug zu suchen.“

Wollte Menzel beim Löschen helfen oder nach einer Waffe suchen? Menzels Logik: Ist der Tatort komplex darf die Polizei ihn verändern.


Am 4.5. 2016 erscheint auf Telepolis ein brisanter Artikel in dem der Autor fragt, ob der NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben vom BKA geschützt wird und darüberhinaus unglaubliche Zeugenaussagen über den ehemaligen Leiter der SOKO, Michael Menzel, veröffentlicht. Sicherheitsbehörden mit Kontakt zu Terroristen:

„Leiter der SoKo war Michael Menzel. Im Besprechungsraum sahen die Beamten aus BaWü, so die Zeugen Tilmann Halder und Manfred Nordgauer, bereits am Morgen des 5.11.11 gegen 9 Uhr ein Schaubild an der Wand mit den Fotos und Namen des Trios Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe und weiteren Namen, verbunden durch Striche und Linien. Nordgauer wörtlich: „Verbindungsgeflechte, wie sie Ermittler mühevoll erarbeiten.“ Von den Besprechungen im Lagezentrum in Gotha existieren Vermerke, die der Ausschuss vorliegen hat. Danach soll Menzel erklärt haben: Die thüringische Zielfahndung habe jahrelang erfolglos nach dem untergetauchten Trio gesucht. 2002 wurde die Fahndung eingestellt. Es sei bekannt geworden, dass das „Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) die Zielpersonen abgedeckt“ habe. Eine weitere Aussage Menzels soll gewesen sein: Er wolle alles tun, um Beate Zschäpe zu finden, „bevor sie vom LfV abgezogen wird. Unterzeichnet sind die Vermerke von Sabine Rieger vom LKA Baden-Württemberg. Tilmann Halder antwortete schließlich auf Frage des Ausschusses, er habe aus dem Mund von Menzel den Satz gehört: Es sei ihm „scheißegal, was der Staatsschutz meine, er ziehe das durch:“ Was habe Menzel damit gemeint, mit dem Staatsschutz?, will der Ausschuss wissen. Und Halder: Das habe er ja auch nicht verstanden. Diese Schilderungen erinnern stark an die Aussage des pensionierten Beamten Norbert Wießner, der in Thüringen erst im Verfassungsschutz und danach im LKA gearbeitet hatte. Vor dem ersten NSU-Ausschuss des Bundestages hatte Wießner ausgesagt, am 4. oder 5.11.11 habe ihn Menzel angerufen, ihm mitgeteilt, Böhnhardt und Mundlos seien tot und ultimativ gefragt, wo Zschäpe sei. Er habe geantwortet, so Wießner damals, wenn er wissen wolle, wo Zschäpe steckt, müsse er Wohlleben fragen. Sicherheitsbehörden mit Kontakt zu Terroristen?“


Der Hamburger Radiosender FSK veröffentlicht Anfang Mai 2016 ein denkwürdiges Interview:

„Interview mit Katharina König zum aktuellen Stand der Arbeit des Thüringer Unterschungsausschuss, der den 04.11.2011 über die letzten Monate minitiös aufgearbeitet hat. Damit werden auch Verschwörungstheorien ausgeräumt.“

Die Ausführungen Königs zum 4.11.2011 und dem Auftritt Menzels sind bemerkenswert.

Noch im März 2015, also kurz nachdem die Einsetzung eines neuen Untersuchungsausschuss in Thüringen beschlossen wurde, erklärte sie zum Themenkomlex 4.11.2011:

„Der zweite Auftrag ist der 4. 11. 2011 in Eisenach. (…) Und da gibt es einige Informationen, die man nicht unhinterfragt stehen lassen kann. Dass zum Beispiel der Wohnwagen mit den zwei Leichen auf einen Abschlepptransporter hochgeladen wurde, bevor eine richtige Tatortsicherung stattfand. Da wurden Hülsen und Patronen verwechselt und, was merkwürdig ist, es wurden bei den beiden keine Rußspuren in der Lunge gefunden, obwohl sie den Wohnwagen angezündet haben sollen.“

König im März 2015:

„Sowohl die Erkenntnisse aus den Akten als auch diverse Aussagen von Zeugen lassen in der Konsequenz den möglichen Schluss zu, dass mehrere oder zumindest eine Sicherheitsbehörde gezielt das Ergreifen des untergetauchten NSU-Kerntrios verhinderte.“

Katharina König am 5.4.2016 in einem Beitrag von Report München:

„Auf die Idee zu kommen als Einsatzleiter mit einer Gartenharke an einem Tatort herumzustochern, dass kann man nicht erklären. Dafür gibt es keine logische Erklärung. Dafür gibt es keine Erklärung, die auch von Ermittlerseite her bestätigt werden würde oder für gut befunden werden würde.“

In einer ZDF-Doku (Tod im Wohnmobil: Wie starben die NSU Terroristen wirklich? ), die im Mai 2016 ausgestrahlt wurde, äußert sich König:

„Rechtsterroristen, ausgestattet mit einer Unmenge von Waffen, haben vor diesen beiden Polizisten keine Angst. Die zwei Polizisten kommen und angeblich erschießen sich dann Mundlos, Böhnhardt, bzw. der eine den anderen, weil sie der Überzeugung sind jetzt werden sie gestellt und jetzt werden sie festgenommen. Und das ist Quatsch. Das ist Quatsch! Niemand erschießt sich wegen den beiden kommenden Polizisten und erst recht erschießt sich niemand, wenn er, ich weiß gar nicht wie viele Waffen im Wohnmobil hat. Und erst recht erschießt sich niemand, wenn er die ganze Zeit über den Polizeifunk abhört und sozusagen weiß, das der Standort des Wohnmobils entdeckt wurde und zumindest theoretisch die Chance hat a, mit Fahrrädern oder b, mit dem Wohnmobil noch einen Fluchtversuch zu wagen. (…) Wir fragen uns schon aus welchen Gründen beschlagnahmt ein Polizeieinsatzleiter Bilder der Feuerwehr, die diese aufnehmen müssen um ihre Arbeit nachzuweisen. (…) Warum gibt man ihnen eine gelöschte Karte zurück. (…) Wir haben die Obduktionsergebnisse vorliegen von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos und bei keinem von beiden sind Rußspuren gefunden worden. Wenn man davon ausgeht was die bisherige Geschgichte ist wie das im Wohnmobil abgelaufen sein soll, erschießt der eine den anderen, legt Feuer und erschießt dann sich. Würde bedeuten mindestens einer von beiden müsste Rußspuren in der Lunge haben.“

Hatte aber keiner. Ergo hätte jemand anders das Feuer legen müssen und käme auch als Täter für den Tod von Mundlos und Böhnhardt in Frage. Die Anwesenheit einer dritten Person am Tatort von Eisenach ist, so das Fazit der ZDF Doku, keine abwegige These und wurde auch im Abschlussbericht des 1.Thüringer Untersuchungsausschuss so formuliert.

Im April 2016 vollzieht die Kennerin des NSU-Komplexes im FSK Interview plötzlich eine Kehrtwende. Dass Einsatzleiter Menzel den Vorhalt, er habe im Lagezentrum gesagt, es sei ihm egal was der Staatsschutz mache, er ziehe das jetzt durch (Aussage Tilmann Halder, zu der Zeit Brandsachverständiger beim LKA Baden-Württemberg), von sich wies, erwähnt König im Interview nicht.

Das nachfolgende Transkript des FSK Interviews verdeutlicht, dass die Thüringer Landtagsabeordnete trotz widersprüchlicher Aussagen, unlogischer und unüblicher Ermittlungsmethoden, ungeklärter Fragen, Tatortmanipulation und offensichtlicher Geheimdienstakteure am Tatort, den 4.11.für weitestgehend aufgeklärt hält:

„Ähm, na ich glaub das Entscheidende, was man sagen kann ist, daß die großen Fragen und vor allem die großen Theorien und Möglichkeiten, was da am 4.11. nun alles hätte passieren können oder vielleicht passiert ist, durch den Thüringer Untersuchungsauschuss ausgeräumt sind. Also die Dritte-Mann-Theorie ist ausgeräumt. Ähm, genauso ist ausgeräumt, daß da, ähm, im Hintergrund eben jemand mit, ähm, sozusagen ’ner großen steuernden Hand dahinter saß und den Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, ähm, verursacht hat. Genauso ist ausgeräumt, ähm, warum sozusagen, ähm, in der Obduktion der beiden dann wenig Gehirn festgestellt wird, im Wohnmobil, ähm, kein, vermeintlich kein Gehirn festgestellt wird. Und so weiter und so fort. Also es ist relativ viel, ich würd sagen, 90% sind ausgeräumt der Theorien, bzw. sind darauf die entsprechenden Antworten gefunden worden. Natürlich bleiben, ähm, vereinzelt Fragen übrig. Und diejenigen, die sowieso davon überzeugt sind, daß hinter dem 4.11. ’ne große steuernde Hand sitzt, die kann man auch nicht überzeugen. Da ist es, glaub ich, egal, wie viele Antworten, wie viele Sitzungen, wie viele Jahre man sich mit dem 4. November 2011 beschäftigt. Die erreicht man einfach nicht. Aber ich denk, so für den, ja für den größeren Teil der Gesellschaft kann man eigentlich jetzt sagen, der 4.11. ist durch den Thüringer Untersuchungsausschuß, ähm, weitestgehend aufgeklärt und die, ähm, sozusagen die Variante, die auch vom Bundeskriminalamt in den Akten ermittelt wurde, ähm, die ist zutreffend. Ändert natürlich nichts an vielen Fragen, die man im Nachhinein noch hat, so was wie , Mensch Leute,  warum habt ihr denn den Feuerwehrleuten nicht Bescheid gegeben, dass dort geschossen wurde, damit die sich schusssichere Westen anziehen oder warum habt ihr das Wohnmobil weggeschleppt, ähm, an Stelle es vor Ort stehen zu lassen bis die Tatortgruppe kommt. Aber das ändert sozusagen im Gesamten nichts daran, dass der 4.11. weitestgehend so abgelaufen ist, wie es auch bisher in den Akten und auch in der Anklage in München vermerkt wurde. (…) Die Feuerwehr bekommt den Auftrag das Wohnmobil zu löschen, ähm, und ähm, dann werden sozusagen die ersten Blicke in das Wohnmobil hineingeworfen, was ist da überhaupt? Man stellt fest zwei Personen mit, ähm, so großflächigen Kopfverletzungen, dass man davon ausgehen kann die beiden sind , ähm, ja leben nicht mehr, einfach weil mit so großen Löchern im Kopf mit dem Brand vorher, der gesunde Menschenverstand, so haben es uns die Polizeibeamten und auch Feuerwehr und auch Gerichtsmedizin gesagt, ähm, stellt da relativ (lacht), stellt der gesunde Menschenverstand fest, die können einfach nicht mehr leben unabhängig davon, ob da jetzt ein Notarzt formal den Tod feststellt oder nicht. Ähm, dann trifft der Einsatzleiter ein, der Einsatz, der Einsatz, der Einsatzleiter, ähm, der ähm, guckt in das Wohnmobil rein entdeckt relativ schnell, ähm, dass da entweder ’ne, ja ’ne Waffe, höchstwahrscheinlich ’ne Waffe, ähm, auf dem Tisch im Wohnmobil liegt. Das erkennt er daran weil eine Patrone aus der Waffe herausgeschmolzen ist sozusagen durch die, durch die Hitze. Ähm, guckt sich das genauer an, geht davon aus dass höchstwahrscheinlich noch mehr dahinter steckt, so ist zumindest die bisherige Interpretation. Ähm, schnappt sich dann eine Harke weil er feststellt, dass weitere Glutnester und Brandherde im Wohnmobil sind, die immer mal wieder aufglimmen. Das ist allerdings für uns im Untersuchungsausschuss noch ’ne etwas, ja zu hinterfragende Version. Er hat’s so dargestellt, dass er dann die Glutnester und die Brandherde auseinanderzieht, ähm, und ein Feuerwehrmann die sozusagen löscht, ähm, damit nicht noch mal der Brand, ähm, entsteht. Dann stellt er fest, dass da eine Pumpgun liegt. Dann wird, ähm,  sozusagen auch die Pumgun so’n Stück ‚rausge.., ‚rausgezogen aus dem Wohnmobil. Ähm, dann wird entschieden ein Tatortzelt zu bestellen um das Ganze vor Ort abzusperren. Da gibt’s jetzt unterschiedliche Versionen, es gibt die Version , ähm, des Polizeieinsatzleiters, der sagt, wir haben in Thürigen gar nicht so ein großes Einsatzzelt, ähm, also weder Polizei noch das THW und es gibt andere, die sagen, natürlich gibt’s auch in Thüringen so’n großes Zelt. Unabhängig davon, die bestellen das erstmal beim THW und fünf Minuten später bestellen sie das Tatortzelt ab, bestellen dann den Abschleppwagen, der kommt denn auch an. Ähm, in der Zwischenzeit ist der Abschleppwagen da….“

Das Hin-und Her um das Einsatzzelt ist ebenso bizarr wie die Erklärung für das Herumstochern an einem Tatort und das Abschleppen des Wohnmobils. Die Kriminalhauptkommissarin Sylvia Michel bezeichnete diese Entscheidung nicht grundlos als „Spurenvernichtungskommando“. Völlig überzeugt von der Tatortarbeit scheint aber auch Katharina König nicht zu sein. Nur warum spricht König mehrfach von zu hinterfragenden, bzw. unterschiedlichen Versionen wenn sie gleichzeitig behauptet der 4.11. sei weitesgehend aufgeklärt? Warum erwähnt sie nicht mit einem Wort, dass ihr Parteifreund Bodo Ramelow bereits 2012 kolportierte, er habe von zahlreichen Geheimdienstlern am Tatort in Eisenach gehört. Warum vernachlässigt sie die Aussagen von Feuerwehrleuten, die sich über das Agieren der Polizei wunderten?

„Als ungewöhnlich bezeichneten es gleich mehrere Feuerwehrleute, dass die Polizei ihnen das Löschen des Feuers im Fahrzeug strikt untersagt hatte, obwohl man nach dem Öffnen der Seitentür die Beine einer im Fahrzeug liegenden Person gesehen habe. Normalerweise gehe Menschenrettung in solchen Situationen vor, sagte einer der Zeugen. Und man habe ja auch nicht wissen können, ob die Person nicht noch am Leben sei. „Aber ein Polizeibeamter sagte uns, wir dürften nicht weiter löschen, um keine Spuren zu verwischen.“ Er habe daher den Eindruck gehabt, dass die Polizei schon gewusst habe, dass die Personen im Wohnmobil tot sind. Auch der Einsatzchef der Eisenacher Berufsfeuerwehr bestätigte, dass die Polizei frühzeitig das Kommando übernommen hatte. Den Feuerwehrleuten sei ein Betreten des Wohnmobils strikt verboten worden. Selbst eine Nachkontrolle, mit der üblicherweise nach möglichen Glutnestern im Inneren des Wohnmobils gesucht wird, sei untersagt worden. Der Einsatzchef bestätigte auch, dass die Polizei die Speicherkarte der Kamera beschlagnahmt hatte, mit der die Feuerwehr ihren Einsatz in Eisenach-Stregda dokumentieren wollte. Auf der Speicherkarte hätten sich Aufnahmen aus dem Inneren des Wohnmobils befunden. Erst viel später habe die Polizei diese Speicherkarte zurückgegeben. „Sie war allerdings leer, die darauf befindlichen Aufnahmen sind gelöscht worden“, sagte der Beamte aus. Bis heute sind diese Aufnahmen, die ersten Fotos aus dem Inneren des Wohnmobils, verschwunden. Von besonderem Gewicht ist die Aussage eines vierten Feuerwehrmannes, der kurz nach dem Löschen in das Fahrzeug geklettert war und Fotos geschossen hatte. Ihm hatte die Polizei nach dem Verlassen des Wohnmobils die Speicherkarte seiner Kamera weggenommen. Auch er sagte aus, dass die Leiche im Gang auf dem Rücken gelegen habe. Außerdem habe sich noch nicht so viel Brandschutt auf dem Boden, den Möbeln und den Leichen befunden wie auf den späteren Tatortfotos. Offenbar habe sich der Schutt erst beim Transport des Fahrzeugs von der Innenverkleidung gelöst. Diese Aussage ist deshalb von Belang, weil der Feuerwehrmann gleichzeitig angab, keine Waffen im Inneren des Fahrzeugs gesehen zu haben. Auf den späteren Tatortfotos hingegen liegen auf der Sitzbank, dem Tisch und dem Herd eine Maschinenpistole und zwei Pistolen – das hätte er kaum übersehen können, da er nach eigener Aussage direkt neben der Sitzecke stand, als er die Fotos machte.“ (Der Freitag 27.8.2015)

Wie kann König die „Dritte-Mann-Theorie“ als ausgeräumt bezeichnen, wenn die Polizisten eine dritte Person gar nicht hätten sehen können? 

„Die Frage ist immer wieder, ob das Wohnmobil von einer unbekannten dritten Person betreten oder verlassen worden sein könnte. Denn neben dem Wohnmobil, auf der Seite der Tür, befand sich ein Graben, in der sich möglicherweise jemand hätte verstecken können. Die Tür des Wohnmobils war von den Polizisten nicht einsehbar. Der erste Polizist sagt, er habe niemanden gesehen. Außer einer Dame mit Hund und einem Mann, der sein Auto in Sicherheit habe bringen wollen. Der Polizist, der sich sonst sehr zögerlich und vage äußert, antwortet hier auffallend rasch und bestimmt. „Definitiv“ sei da niemand gewesen. Wie kann er sich so sicher sein, wenn er doch die Tür gar nicht sah? Auch der zweite Polizist will nichts gesehen haben. Er habe auch die Löscharbeiten nicht beobachtet, sagt er. Nichts gesehen? Es wird ein Foto an die Wand geworfen, das den zweiten Beamten zeigt, wie er neben dem Wohnmobil den Löscharbeiten zusieht.“ (SPON 21.5.2014)


Aus dem Bericht und der Beschlussempfehlung des Untersuchungsausschusses „Die Aufarbeitung der Kontakte und Aktivitäten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) in Baden-Württemberg und die Umstände der Ermordung der Polizeibeamtin M.K.“ (herausgegeben am 28.4.2016):

„Der Sachverständige Thomas Moser führte aus, der NSU-Komplex sei kein normaler Kriminalfall; er habe bereits demokratische und rechtsstaatliche Strukturen beschädigt. Was man bisher an Hintergründen wisse und an Vertuschungen erlebt habe, müsse die Allgemeinheit alarmieren: „Wir wissen nicht, wie es war, wir wissen nur, wie es nicht war. So, wie es die Bundesanwaltschaft darstellt, war es nicht. Damit sind wir mitten im Problem“. Bestandteile des NSU-Komplexes seien nicht nur Neonazis, sondern auch der Verfassungsschutz, die organisierte Kriminalität und die Polizei. Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe seien ein Teil dieses Geflechts gewesen. Wie die Teile zusammenhingen, müssten „wir alle“ herausfinden. Der Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages habe Informationen, insbesondere zum Einsatz des FBI, vorliegen gehabt, die er aufgrund Behördenblockaden nicht in seinem Abschlussbericht habe verwenden dürfen, nach seiner Ansicht hätte er dies transparent machen müssen und sich zu den weißen Flecken und den Gründen dafür bekennen müssen. Im Herbst 2012 sei ein fürchterlicher Machtkampf zwischen Exekutive und dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages entbrannt gewesen, den im Endeffekt der Ausschuss verloren habe, woraufhin die Exekutive mit allen möglichen Methoden Informationen zurückgehalten habe. Der Untersuchungsausschuss des Landtages von Baden-Württemberg müsse überprüfen, ob die zehntausende Aktenseiten, die das Innenministerium geliefert habe, vollständig seien. Auch dürften keine Schwärzungen durch Behörden, die den Untersuchungsgegenstand beträfen, akzeptiert werden, ebenso keine „geheimschutzlichen Einstufungen“ durch Organe des Sicherheitsapparats, die an der Verhinderung der Aufklärung beteiligt seien und die sogar im Verdacht stünden, in die Mordserie verstrickt zu sein, und auch keine entsprechenden einschränkenden Aussagegenehmigungen: „Geheimschutz ist Täterschutz. Sie sind als Gremium des Parlaments unabhängig und nicht der Exekutive nachgeordnet“.“

Moser zweifelt an der alleinigen Täterschaft von Mundlos und Böhnhardt im Fall der Ermordung der Polizistin Kieswetter und vermutet gewichtige Gründe für das Schweigen von Beate Zschäpe vor Gericht:

„Der Sachverständige Thomas Moser erklärte, die Bundesanwaltschaft behaupte in ihrer Zwei-Täter-Theorie, dass Mundlos und Böhnhardt geschossen, und nur sie, geschossen, und sie die Tat ohne Zutun ortskundiger Dritter begangen hätten. Nach dem Bekanntwerden des NSU im November 2011 habe „der Innenminister“ erklärt, alle Ermittlungen seien von damals an darauf ausgerichtet gewesen, die Täterschaft von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos nachzuweisen. Dies sei tendenziös und gescheitert. Im Ermittlungsbericht des BKA vom Oktober 2012 heiße es im Wortlaut: „Ein eindeutiger Nachweis, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos am Tattag in unmittelbarer Tatortnähe in Heilbronn waren, konnte bislang nicht erbracht werden.“ Nach seiner Analyse, so der Sachverständige Thomas Moser, seien Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nicht die Täter, zumindest nicht die unmittelbaren Schützen. Da die Anklage im Prozess in München laute, dass Mundlos und Böhnhardt die Täter der Morde, darunter des Attentats in Heilbronn, gewesen seien und Beate Zschäpe Mittäterschaft dazu begangen habe, würde bei Zweifeln an deren Täterschaft auch die Mittäterschaft von Beate Zschäpe wegfallen. Deswegen sei für ihn das „Nichtverhalten“ der Verteidiger von Beate Zschäpe auffällig: Sie hätten keine einzige Frage gestellt, keinen Beweisantrag formuliert usw., gar keine Verteidigung vorgenommen, sondern einfach schweigend dabei gesessen. Beate Zschäpe wisse viele Dinge, darunter auch Sachen, die möglicherweise auch für Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik nicht angenehm seien. Er vermute, dass daher das Schweigen das Beste sei, sowohl für sie als auch für diese Sicherheitsbehörden.“


Es wurde immer wieder behauptet, dass V-Leute des Bundesamtes keine Kontakte zum Kerntrio des NSU gehabt haben. Petra Pau fragt am 7.4.2016:

„Wie war das eigentlich, wurden gegebenenfalls auch vorhandene Akten im Bundesamt für Verfassungsschutz zu dieser Beziehung zwischen dem NSU-Kerntrio und Herrn Marschner vernichtet?“

Wieder einmal bringt ein V-Mann den Verfassungsschutz in arge Bedrängnis:

„Ralf „Manole“ Marschner ist eine der zentralen Figuren in dem bisher immer noch unaufgeklärten Netzwerk um das „Terrortrio“ Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und mutmaßlich Beate Zschäpe, die seit dem 6. Mai 2013 in München vor Gericht steht. Es geht um die Frage: Wie nahe waren Spitzel der verschiedenen deutschen Verfassungsschutzbehörden den Tätern, die innerhalb von sieben Jahren zehn Menschen ermordeten? Der Fall hat bisher elf Untersuchungsausschüsse und einen bis heute 272 Verhandlungstage dauernden Mordprozess beschäftigt, ohne dass die zentrale Frage bisher vollständig beantwortet wurde: Gab es Mitwisser im Umfeld der Nachrichtendienste oder sogar bei den Behörden selbst? Ralf Marschner alias Manole alias Primus war von 1992 bis 2002, zehn Jahre lang, bezahlter Spitzel des BfV. In den letzten beiden Jahren seiner V-Mann-Tätigkeit betrieb er eine Baufirma in Zwickau und beschäftigte dort den NSU-Mörder Uwe Mundlos, das legen seine eigenen Aussagen vor Beamten des Bundeskriminalamtes 2013 sowie weitere Dokumente und Aussagen unabhängiger Zeugen nahe. (…) Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans Georg Maaßen, von der „Welt“ mit den Rechercheergebnissen über V-Mann Primus und dessen mutmaßlichen Mitarbeiter Mundlos konfrontiert, erklärte dazu: „Wir haben keine Hinweise darauf. Nach unserer Erkenntnislage und nach den Auskünften der damals dafür zuständigen Mitarbeiter haben wir keine Anhaltspunkte dafür, dass es so war.“ Am 16. März 2016 stellte die Abgeordnete der Linken, Martina Renner, eine Anfrage an die Bundesregierung nach den Quellenmeldungen von „Ralf Marschner, V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) mit dem Aliasnamen Primus“. Der Bundesminister des Innern lehnte die Beantwortung ab: „Zu etwaigen Einsätzen von V-Leuten bzw. Vertrauenspersonen gibt die Bundesregierung aus Gründen des Staatswohls keine Auskunft.“ Das würde „negative Folgen für die künftige Arbeitsfähigkeit und Aufgabenerfüllung der Nachrichtendienste sowie der daraus resultierenden Beeinträchtigung der Sicherheit der Bundesrepublik“ haben.“ (Welt Online 6.4.2016)


SZ Online berichtet am am 20.4.2016, dass die Bundesanwaltschaft es nicht für notwendig hält den V-Mann und NSU-Arbeitgeber Ralf Marschner vor dem Münchener NSU-Prozess anzuhören:

„Schützt die Bundesanwaltschaft dunkle Machenschaften des Verfassungsschutzes? Will sie die Aufklärung der NSU-Morde verhindern? Solche Vorwürfe kamen am Mittwoch auf, am 277. Tag des NSU-Prozesses. (…) Es lägen keine belastbaren Erkenntnisse dafür vor, dass Zschäpe, Mundlos oder Böhnhardt in einer der Firmen des ehemaligen V-Mannes Ralf Marschner gearbeitet hätten. Und selbst wenn – dann würde das noch nichts darüber aussagen, ob sie mit den Fahrzeugen der Firma auch zu den Tatorten gefahren seien. Und ob Marschner in die Taten eingeweiht war. Der hatte bei einer Vernehmung angegeben, die drei nicht zu kennen. Diemer sagte zudem, da der ehemalige V-Mann in der Schweiz lebe, sei es auch aus „verfahrensökonomischen Gründen“ nicht nötig, ihn zu laden. Das würde nur den Prozess in die Länge ziehen.(…) Der Berliner Rechtsanwalt Sebastian Scharmer, der den Antrag auf Vernehmung von „Primus“ gestellt hatte, erklärte, er könne nicht nachvollziehen, warum es nicht wichtig sei, ob „Primus“ den Dreien das Leben im Untergrund ermöglicht hat. „Wir haben hier eine ganze Reihe von Quartiermachern und Unterstützern gehört, dann einen zentralen Zeugen nicht zu hören, das würde der bisherigen Übung in diesem Verfahren diametral widersprechen.“ Es handele sich nicht um Gerüchte, es gebe Zeugenaussagen. Und vor dem Gerichtssaal sagte Scharmer, seine Mandantin Gamze Kubasik, deren Vater vom NSU getötet wurde, glaube nicht mehr daran, dass auch wirklich nach der Wahrheit gesucht werde.Der Kieler Anwalt Alexander Hoffmann griff die Bundesanwaltschaft schroff an. Er sagte, mit der Ablehnung des Zeugen kündige die Bundesanwaltschaft das Versprechen auf, das sie den Opfern gegeben habe: die Hintergründe der NSU-Morde aufzuklären. Hoffmann sagte, er empfinde die Worte Diemers als empörend. „Der Generalbundesanwalt blockt und will damit den Verfassungsschutz schützen. Was wissen Sie? Was wollen Sie schützen?“, wandte er sich direkt an Diemer. „Wir drehen hier mit enormem Aufwand jeden Stein um, um zu erfahren: Von was haben die drei gelebt? Wie lang kann das Geld aus den Überfällen gereicht haben? Es wird ausgerechnet, ob der Wasserverbrauch in den Wohnungen der drei ausgereicht hat.“ Und jetzt werde eine wichtige Zeugenaussage abgelehnt. Und das in einer Situation, in der zentrale Fragen noch ungeklärt seien: „Wie kam es zur Auswahl der Mordopfer? Mit welchen Fahrzeugen haben sich die Mörder zu den Orten bewegt? Und jetzt haben wir eine reelle Chance, dem näher zu kommen, und jetzt wird abgeblockt und gesagt, das spielt keine Rolle. Ich kann das nicht wirklich fassen.“


Dirk Laabs (Heimatschutz Autor) im BR Interview vom 16.6.2014:

„Das Verlogene beim Bundesamt für Verfassungsschutz ist ja, dass die sagen: In dem Moment, wo ein V-Mann straffällig wird, stoßen wir ihn ab. Da gibt es dieses großartige Beispiel, den V-Mann „Primus“, der in Zwickau angesetzt ist, wo auch das sogenannte „Trio“ lange lebte. Ausgerechnet der wird abgeschaltet, weil er seinem V-Mann-Führer nicht verraten hat, dass er bei einer Produktion einer sehr bekannten Rechtsrock-Band, „Landser“, mitgemacht hat. Da zieht sich natürlich der V-Mann-Führer folgende Zwickmühle auf: Wenn ihm dieser V-Mann „Primus“ schon das nicht verrät, warum soll er dann verraten – und dafür gibt es Anzeichen – dass er dem NSU geholfen hat? Das heißt: Das Bundesamt für Verfassungsschutz will beides. Sie behaupten: „Nein, wir schließen aus, dass unsere V-Leute irgendetwas damit zu tun haben.“ Aber andererseits mussten sie zugeben, sie hatten sie nicht unter ihrer Kontrolle. Dieser Widerspruch ist noch nicht genug herausgearbeitet worden. (…) Brandt hatte kein Auto, kein Geld, kein Telefon. Da ging er zum Amt – dann hatte er ein Auto, ein Handy und war mobil. Und er hatte eine gewisse Struktur. Das ist wirklich das Schlimme: Dass viele dieser zentralen V-Leute, auch „Corelli“, der inzwischen tot ist, überhaupt erstmals die Struktur in ihren Leben hatten, um überhaupt so erfolgreich in der Szene zu sein. Wer will mir denn erzählen, dass „Primus“ allein in der Lage gewesen wäre, drei Geschäfte in Zwickau zu eröffnen, ohne diesen ständigen Geldfluss und die Struktur des Bundesamts?“


Valentin Lippmann, die Grünen in Sachsen am 7.4.2016:

“Mir stellt sich erneut die Frage, ob auch der sächsische Verfassungsschutz vom Aufenthalt des Trio wusste. Das Ehepaar Susann und André Eminger gehörten zum Freundeskreis Marschners und galten als engste Vertraute des Trios. Sie waren auf dem Radar des sächsischen Verfassungsschutzes, der im März 2003 versuchte, André Eminger als Spitzel zu werben. Dass diese Anwerbeversuche kurz nach der Abschaltung des BfV-Spitzels Marschner stattfanden, ist möglicherweise kein Zufall.”


Was geschah am 4.11.2001 in Eisenach als Mundlos und Böhnhardt tot im Wohnmobil gefunden wurden? Thomas Moser schreibt am 18.4.2016 auf Telepolis über den wenig glaubwürdigen Zeugen KOK Lotz vor dem NSU Untersuchungsausschuss des Bundestages:

„Michael Lotz wartete dann aber noch mit einer dritten Tötungsversion auf. Zunächst wollte der Ausschuss wissen, was die Situation im Wohnmobil für die zwei so aussichtslos gemacht habe, dass sie sich umbrachten? Lotz antwortete: „Vielleicht, weil sie sahen, dass die Polizei bereits mit Streifenwagen da war.“ Daraufhin intervenierte der Regierungsvertreter des Landes Thüringen, der Zeuge äußere Mutmaßungen, man solle doch anders fragen. Nun sagte Lotz: „Eventuell wurde Böhnhardt ja versehentlich von Mundlos erschossen.“ Eine Antwort, derart unseriös, dass sie schlagartig die Authentizität der gesamten Zeugenaussage in Zweifel zog. Es gab noch weitere Beispiele für das tendenziöse Aussageverhalten des KOK Lotz. Da ist die Frage, ob es eine dritte Person am und im Wohnmobil gegeben haben könnte. Der Ausschuss wollte vor allem wissen, ob das ausermittelt ist. Lotz berichtete von einer Meldung über eine männliche Person, die an der Autobahnauffahrt versuchte, Fahrzeuge anzuhalten. Ein Streifenwagen seit dorthin gefahren. Die Person sei aber nicht mehr feststellbar gewesen. Für ihn sei sowieso klar, dass eine dritte Person „keine Rolle gespielt haben kann“. Aus dem Wohnmobil sei keine herausgekommen. Daraufhin wurde ihm ein Foto des Fahrzeuges von der Fahrerseite gezeigt und der Ausschussvorsitzende Clemens Binninger fragte: „Wer steht auf der anderen Seite des Wohnmobils?“ Lotz: „Kann ich nicht sagen.“ Binninger: „Sehen Sie! Warum können Sie dann sagen, da kam keiner raus?“ Und Lotz: „Die beiden Streifenbeamten, die kurz vor dem Brand ankamen, sagten, sie hätten keine dritte Person gesehen. Sie hätten unter dem Wohnmobil durchgeschaut und keine Füße gesehen.“ Diese Aussage der beiden Streifenbeamten wäre neu. Hat Lotz sie erfunden? Beim Prozess in München wurden die Beamten ausgiebig danach gefragt, was sie gesehen haben, und es stellte sich heraus, dass sie so gut wie nichts gesehen haben konnten. Als sie sich damals dem Wohnmobil näherten, fielen drei Schüsse in kurzen Abständen. Die Polizisten gingen daraufhin hinter einem Pkw und einem gemauerten Müllcontainer auf der anderen Straßenseite in Deckung. Dort blieben sie noch, als die Löscharbeiten der Feuerwehr bereits begonnen hatten. Dass sie unter dem Wohnmobil durchgeschaut hätten, sagten sie nicht. Der Auftritt von Kriminaloberkommissar Michael Lotz wirft Fragen auf. Er äußerte sich nicht nur zum Tatgeschehen vom 4. November 2011, sondern auch zu Zeugenaussagen vor Untersuchungsausschüssen und zu Presseberichten. Verfolgte er eine bestimmte Absicht? War dieser Auftritt abgesprochen und vorbereitet?“


18.04.2016 – Die Fraktion DIE LINKE widmet sich ebenfalls der Eisenach Anhörung des Untersuchungsausschusses:

„Die Frage nach einer möglichen dritten Person am Tatort und den Umstände der jeweiligen Tötungen spielten ebenfalls eine längere Rolle. Letztlich kann die bis heute gängige Version des Ablaufes nicht mit hundertprozentiger Sicherheit belegt werden, allerdings gibt es für die These einer dritten Person oder eines gänzlich anderen Ablaufs erst recht keine Belege. Auch die später vernommene Zeugin der Tatortgruppe, Michel, gab an, dass es rund um das Wohnmobil keinerlei Hinweise auf andere Personen gegeben habe. Die Anwesenheit von Verfassungsschützern oder anderen Geheimdiensten am Wohnmobil konnte vom Zeugen Lotz nicht bestätigt werden, ihm seien alle Personen über die Polizei bekannt gewesen. Anders als Lotz sah die Zeugin Michel von der Tatortgruppe im Abschleppen des Wohnmobils einen klaren Verstoß gegen die Regeln der Tatortarbeit. In der Beratung dazu haben sie klar widersprochen bzw. ihre Bedenken geäußert, aber schließlich müsse der Leiter des Einsatzes die Entscheidungen treffen. Ihr hätten, so vermutete die Zeugin, die Informationen zum Hintergrund dieser Entscheidung gefehlt. Trotz deutlicher Zurückhaltung der Zeugin fiel von ihr das Wort „Spurenvernichtungskommando“, als das sich normalerweise die Polizeiführung nicht zeige. Deutlich wurde durch die Zeugin, dass in diesem Fall eine klar hierarchische Entscheidungskette bestand, in der die Einwände der Kolleg_innen kein Gehör fanden. Ihre Anweisung habe gelautet, sich vordringlich um die Identifizierung der Toten zu kümmern, was aus polizeilicher Sicht, zwecks weiterer schneller Ermittlungen, durchaus sinnvoll sein kann. Der Zeuge Sopuscheck war am 5.11. mit der Sicherung von Asservaten im Wohnmobil befasst und hat dabei u.a. einen Rucksack mit verschiedenen CDs bzw. DVDs gefunden. An die Aufschrift „NSU“ auf einzelnen DVDs konnte er sich nicht mehr erinnern. Die Asservate wurden verpackt und an das LKA übergeben – eine inhaltliche Sichtung erfolgte nicht. Hätte man sich die DVDs angesehen, wäre schon am 5.11. und nicht erst am 9.11. mit dem Auffinden der Ceska-Waffe im Brandschutt in Zwickau die ganze Dimension des Geschehens deutlich geworden. Schließlich wurde mit dem Zeugen Hummert ein damaliger Computerfachmann des LKA Thüringen gehört, der den Auftrag hatte, die Wegfahrsperre des Wohnmobils zu untersuchen und der auch die Festplatten der Helfer des Trios, Wohlleben und Kapke, entschlüsseln und sichern sollte. Die Schilderungen des Zeugen zu später Stunde machten einige Schlampereien des BKA deutlich, die bei den Ausschussmitgliedern ungläubiges Staunen hervorriefen. So fand Hummert beim Ausbau der Wegfahrsperre im Februar 2012 eine Patronenhülse im Fahrerraum des Wohnmobils, die das BKA bis dahin übersehen hatte. Nachdem die Wegfahrsperre mühsam ausgebaut wurde, verzichtete das BKA ohne Angabe von Gründen darauf, sie auszulesen. Schließlich wurde Hummert im Amt morgens um 6:15 Uhr von einer Gruppe BKA-Beamter aufgefordert, die noch nicht gesicherte und ausgelesene Festplatte von Wohlleben sofort herauszugeben. Später forderte man von ihm die Übersendung der Datensicherung und beschwerte sich, dass diese nicht vollständig sei.“


Wer hätte das gedacht? Die Bundesanwaltschaft hält Ermittlungsergebnisse zu V-Mann Marschner geheim und versucht die Kontakte von Marschner zu Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt zu vertuschen indem gezielt Informationen gestreut und wichtige Akten unter Verschluss gehalten werden:

„Neue Recherchen der „Welt am Sonntag“ belegen, dass in diesem zusätzlichen Geheimverfahren mehr als ein Dutzend Zeugenaussagen zum Verfassungsschutz-Spitzel Ralf Marschner enthalten sind. Es wurden auch drei V-Mann-Führer und mindestens ein V-Mann des BfV vernommen sowie zwei weitere V-Leute der Landesämter Hamburg und Thüringen. Es ist unbekannt, ob sich Marschner oder sein V-Mann-Führer mit dem Decknamen „Richard Kaldrack“ darunter befinden. Die Protokolle? Unter Verschluss. Die Ergebnisse? Streng abgeschirmt. Das Verfahren zur Aufklärung einer beispiellosen neonazistischen Mordserie? Unter Ausschluss der Öffentlichkeit, der Richter, der Anwälte, der Opfer-Vertreter. Geheim.(…) Wichtige, vielleicht sogar zentrale Ermittlungsakten aus dem NSU-Komplex liegen in den Giftschränken der Bundesanwaltschaft, und diese werden selbst auf ihren Antrag nicht geöffnet. Nur wenn der Generalbundesanwalt sie für seine Öffentlichkeitsarbeit braucht, werden gezielt Aktenstücke aus der Schublade gezogen. Ob sie den Sachverhalt jeweils korrekt wiedergeben, ist dabei durchaus fragwürdig. So ist das „Dementi“ in Sachen Marschner Bau-Service bei näherer Betrachtung eher dürftig. Die Bundesanwaltschaft behauptet in ihren nicht für Zitate freigegebenen Gesprächen mit Journalisten und Abgeordneten – nachprüfen lässt sich das derzeit mangels Akteneinsicht nicht –, dass sie 16 ehemalige Bauarbeiter Marschners vernommen habe. Was dabei verschwiegen wird: Bei der Mehrzahl von ihnen handelt es sich um langjährige, teils militante Neonazis mit einem ausgeprägten Hass auf diesen Staat und nur wenig ausgebildeter Glaubwürdigkeit. Unter diesen finden sich ehemalige Anhänger der wegen ihrer besonderen Gewaltbereitschaft verbotenen Neonazi-Gruppierung „Blood & Honour“ und der „Hammerskins“, die weltweit den „Weißen Arischen Widerstand“ propagieren. Inoffiziell teilte die Bundesanwaltschaft ausgewählten Medien und in nicht öffentlicher Sitzung den Abgeordneten im Bundestagsuntersuchungsausschuss weitere, sorgfältig gefilterte Einzelheiten mit: Ralf Marschner habe in seiner entscheidenden BKA-Vernehmung vom Februar 2013, in der er mehrfach einräumte, dass ein „Max-Florian Burkhardt“ bei ihm gearbeitet habe, schlicht zwei Namen verwechselt.“ (Welt Online 17.4.2016)


Am 12.4.2016 tagte die Parlamentarische Kontrollkommission des Brandenburger Landtags erstmals öffentlich. Es ging es um mögliche Kenntnisse durch V-Mann „Piatto“ Ende der 1990er Jahre, dass sich das NSU-Kerntrio Waffen beschaffen wollte:

Brandenburgs V-Mann „Piatto“ soll bereits 1998 Hinweise gegeben haben, dass sich Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt Waffen beschaffen und alles für eine mögliche Flucht nach Südafrika vorbereitet hätten. Dazu zählten auch neue Pässe. Die Verfassungsschützer aus Brandenburg lehnten jedoch ein Hilfegesuch aus Thüringen ab, so der im Raum stehende Vorwurf. (…) mehr als vier Jahre nach dem Auffliegen des NSU dominieren weitere Spekulationen und Fragezeichen. Etwa, warum der Geheimdienst das Handy seines Informanten austauschte, genau an dem Tag, als eine SMS über die geplante Bewaffnung der Zelle kam. Die möglichen Ermittlungspannen sollen aufgearbeitet werden. Dazu sollen Dokumente zugänglich gemacht werden, die nicht mehr unter Geheimhaltungsvorschriften fallen.“ (MAZ Online 12.4.2016)

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Aus gegebenem Anlass sei der nachfolgende Dialog zwischen dem damaligen V-Mann Führer Meyer Plath und dem CDU-Obmann im 1. NSU Untersuchungsausschuss des Bundestags empfohlen (15.4.2013):

Clemens Binninger (CDU/CSU):

Wissen Sie noch, wie das bekannt wurde, dass dieses Handy enttarnt wurde, dass es ein Behördenhandy ist in diesem Sommer 98?

Zeuge Gordian Meyer Plath:

Ich habe daran keine eigene Erinnerung mehr. Ich habe bei der Vorbereitung auf den heutigen Termin in der Aktenlage gefunden, dass dies wohl ein Hinweis des Bundesamtes für Verfassungsschutz war was auf welchen Wegen, habe ich jetzt nicht mehr erinnerlich, und mitbekommen, dass eine TKÜ-Maßnahme des thüringischen LKA, meine ich, eben gegen den Betroffenen Werner lief und in dessen Rahmen das eben so rausgekommen war. Und darüber hat uns die Kollegin ich glaube, es war eine Kollegin des Bundesamtes für Verfassungsschutz unterrichtet, so dass wir daraus den Schluss zogen: Das war jetzt aber nicht State of the Art nachrichtendienstlicher Legendierung von Kommunikationswegen, weswegen dann am 25. ein anderes Handy zur Verfügung gestellt wurde.

Clemens Binninger (CDU/CSU):

Jetzt kann ja das BfV aber eigentlich nicht aus einer Maßnahme, die noch läuft, des thüringischen LKA irgendwie erfahren, dass da von Werner eine Handynummer kontaktiert wird, immer wieder, oder auch mitgehört wird. Und man kann sich nicht erklären: Wer ist denn der Gesprächspartner?  Und dann ermittelt man den Anschlussinhaber, und dann kommt Innenministerium Brandenburg raus. Das kann ja das BfV eigentlich nur dann wissen, wenn sie eine eigene Maßnahme machen. Oder gibt es andere Wege, dass ausgerechnet das BfV darauf kommt und sagt:„ Achtung, ihr seid hier aufgefallen mit eurem Handy“?

Zeuge Gordian Meyer Plath:

Darüber kann ich nur spekulieren. Ich könnte mir auch vorstellen, dass das LKA Thüringen diese Erkenntnisse mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz geteilt hat.

Clemens Binninger (CDU/CSU):

Aus welchen Gründen?

Zeuge Gordian Meyer Plath:

Darüber kann ich auch nur spekulieren.


ZDF Morgenmagazin Interview vom 12.4.2016 mit Dorothea Marx (SPD):

Anja Heyde, ZDF Moma:

„Jedweder noch so gravierende und noch so zum Himmel schreiende Widerspruch, der bei dem Prozess und den Ermittlungen aufgetaucht ist um den NSU, wurde entweder zur Panne oder zum Zufall erklärt. Wenn ich Sie jetzt so höre, wie wahrscheinlich ist es denn oder wie viel Hoffnung haben Sie denn, dass Sie tatsächlich noch was aufklären können?“

Marx:

„Ja, wir geben einfach nicht auf. Und mit dem öffentlichen Druck und dem Nachfragen auch von Journalisten hoffen wir, dass die Wahrheit dann doch irgendwann mal ans Licht kommt. Dass es nur noch Pannen gewesen sein sollen oder Fehler, da haben wir uns in Thüringen schon in unserem letzten Bericht von verabschiedet. Wir haben von dem Verdacht gezielter Sabotage gesprochen und inzwischen, wenn es jetzt so ein soll, dass Marschner den Uwe Mundlos beschäftigt hat, in einer Zeit, wo er die ersten Morde begangen hat und auch noch per Haftbefehl zu der Zeit ja gesucht worden ist wegen des Sprengstofffundes in Thüringen, dann ist der nächste schlimme Verdacht der des betreuten Mordens. Da müssen die Ämter liefern um diesen Verdacht zu entkräften.“


Irgendwer sollte den Qualitätsjournos von Welt Online den Unterschied zwischen einem V-Mann und einem V-Mann Führer erklären:

Screenshot Welt Online 7.4.2016

Uwe Mundlos angestellt in der Zwickauer Firma des rechtsextremen V-Mannes Ralf Marschner (Primus)? Beate Zschäpe als Aushilfe in Marschners rechtem Szeneladen Heaven & Hell? Da verlieren selbst Politiker langsam die Contenance.

Irene Mihalic, NSU-Expertin der Grünen:

„Im Grunde genommen muss man ja davon ausgehen, dass das NSU-Trio geradezu umzingelt war von einer Vielzahl von V-Leuten. Ich will nicht mehr an Zufälle glauben, etwa dass da rein zufällig ein V-Mann in der Nähe war, und das der zufällig Dinge mitgekriegt hat, sie dann aber nicht mitgeteilt hat. Ich kann da einfach nicht mehr daran glauben, dass das alles irgendwelche zufälligen Personen-Konstellationen sind.“

Clemens Binninger, der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses:

„Man muss sich die Frage stellen: Wer wusste noch alles vom Aufenthaltsort des Trios, wenn die hier ganz normal und ungeniert, während sie gesucht wurden, auf dem Bau gearbeitet haben?“

Petra Pau (die Linke) :

„Mehr denn je sind Zweifel angebracht, ob die offizielle Version der Geschichte stimme, wonach ein Nazi-Trio namens NSU mehr als zehn Jahre lang mordend und raubend durch Deutschland gezogen sei, unerkannt und unbehelligt. So wird Bundeskanzlerin Merkel weiter in den Meineid getrieben, denn sie hatte bedingungslose Aufklärung versprochen. Und so werden die NSU-Opfer weiter verhöhnt, von Staats wegen.“

Mehmet Daimagüler (Nebenklage Anwalt im NSU-Prozess) in der Tagesschau vom 7.4.2016:

„Ich stelle sogar die Frage, ob es nicht der Verfassungsschutz war, der dieses Arbeitsverhältnis erst eingefädelt hat.“

Deutsche Welle (7.4.2016):

„The alleged right-wing terrorist Uwe Mundlos is said to have worked for a company belonging to an informant of the German intelligence service. The story sounds plausible. Conspiracy theorists could have a field day with this one: The right-wing extremist National Socialist Underground (NSU) could have been a product of the German intelligence services.“

„Die SPD hat Innenminister Thomas de Maizière (CDU) aufgefordert, die mutmaßliche Verstrickung von V-Leuten in die NSU-Affäre lückenlos aufzuklären. „De Maizière ist in der Pflicht, ohne Rücksichtnahmen und Ansehen der Person volle Transparenz zu schaffen“, sagte der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner dem Berliner „Tagesspiegel“ ( Freitagausgabe). Es könne nicht angehen, dass der Innenminister die vollständige Aufklärung unter Berufung auf Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland verweigere.“ (Tagespiegel 7.4.2016)

Und was sagt der Chef des BfV, Maaßen:

„Nach unserer Erkenntnislage und nach den Auskünften der damals dafür zuständigen Mitarbeiter haben wir keine Anhaltspunkte dafür, dass es so war.“

Klingt nicht nach einem Dementi.

SPON Headline am Abend des 7.4.2016:

„Angebliche Jobs bei V-Mann: Bundesanwaltschaft dementiert Berichte über Mundlos und Zschäpe.“

Und hier ist das „Dementi“ im Wortlaut:

„Die Ermittlungen haben bislang keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Mitglieder des NSU in einem von Ralf M. betriebenen Unternehmen beschäftigt waren.“

„Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur hat Zschäpe einige Jahre später in einer anderen Firma des V-Manns Marschner gearbeitet. Ein früherer Partner Marschners bestätigte auf Anfrage, er habe dessen Geschäft finanziert. Es habe sich um einen Szene-Laden mit dem Namen „Heaven and Hell“ gehandelt. Das Geschäft habe nach seiner Erinnerung zwischen 2008 und 2011 existiert. Er habe alle Mitarbeiter gekannt, die dort gearbeitet hätten. Auf die Frage, ob auch Zschäpe dabei war, antwortete Marschners Partner zunächst, dazu wolle er am Telefon nichts sagen und fügte dann hinzu: „Ich habe nicht nein gesagt.“ Aus der Vernehmung eines anderen Zwickauer Neonazis im Jahr 2012 geht hervor, dass auch die Behörden von Zschäpes Beschäftigung in dem Geschäft wussten. Ein Beamter des Bundeskriminalamtes konfrontierte den Neonazi darin mit der Feststellung: „Es liegen Erkenntnisse vor, dass die Beate Zschäpe im Ladengeschäft „Heaven & Hell“ gearbeitet oder wenigsten (sic) mit ausgeholfen hat“. Das Vernehmungsprotokoll liegt der Deutschen Presse-Agentur vor.“ (ZDF heute 7.4.2016)

Der rechte Rand schrieb bereits 2014 über V-Mann Marschner und seine mutmaßlichen Kontakte zur NSU-Kernzelle:

„Dem NSU-Trio will V-Mann »Primus« in all den Jahren, in denen er in Zwickau lebte, kein einziges Mal begegnet sein. Nach dem Auffliegen des Trios meldeten sich allerdings zwei Zeugen bei der Polizei, die Marschner mit den Dreien gesehen haben wollen. Der eine war ein langjähriger Geschäftspartner von ihm. Zusammen gehörte ihnen das »Heaven and Hell«, ein weiteres Modegeschäft, das 2005 eröffnet wurde. Er meinte, Zschäpe mehrmals in diesem Laden gesehen zu haben. Andere Zeugen schlossen aus, dass Zschäpe hier gearbeitet habe, da gewesen sei sie aber wahrscheinlich öfter. Ein weiterer Zeuge bezog sich auf das Jahr 1998, das Jahr des Abtauchens des NSU. Auf einem Fußballturnier im thüringischen Greiz sei Marschner damals mit Böhnhardt und Mundlos aufgetaucht. Marschner habe nach Waffen gefragt, der Zeuge habe jedoch verneint. Laut ZeugInnen neige Marschner zur Gewalt und habe sich viele Feinde gemacht. Und, er sei kein guter Geschäftsmann gewesen. Mehrmals bekamen seine MitarbeiterInnen nicht das, was ihnen zustand. Mindestens fünf Firmen hob er aus der Taufe. Eine davon, die zu den anderen gar nicht passen mag, war der »Bauservice Marschner«: eine Firma, über die es beim Gewerbeamt keinerlei Unterlagen gibt. Bundesweit nahm sie Aufträge an, um diese gibt es heute einige Ungereimtheiten. Über die Firma wurden mehrere Autos gemietet, auch an den Tagen, an denen der NSU in Nürnberg Abdurrahim Özüdoğru und in München Habil Kılıç ermordete. Beides im Jahr 2001, in dem er auch Max-Florian Burkhardt anstellte, der dem Trio drei Jahre zuvor Unterschlupf gewährte.“

Bei SPON firmierte Marschner 2003 noch unter dem Decknamen Peter K.:

„Nach SPIEGEL-Informationen spitzelte K. unter dem Decknamen „Primus“ seit Mitte der neunziger Jahre für den deutschen Sicherheitsapparat. Damals stand er offenbar auch in Kontakt zu Personen aus dem Umfeld des „Nationalsozialistischen Untergrunds“. So berichtete ein Zeuge dem Bundeskriminalamt, K. habe sich Ende der neunziger Jahre bei einem Fußballturnier im thüringischen Greiz mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gezeigt. Ein anderer ehemaliger Extremist meinte sich zu erinnern, dass Beate Zschäpe jahrelang als Kundin in K.s Geschäft verkehrt habe. Die Ermittler konnten diese Aussagen allerdings bislang nicht verifizieren. In seiner Zeugenvernehmung bestritt K., das Trio persönlich gekannt zu haben. Zugleich räumte er jedoch Kontakte zu Mitgliedern der „Blood & Honour“-Sektion Sachsen ein sowie zu André E. und dessen Frau. Der 33-jährige E. gehört zu den fünf Angeschuldigten im NSU-Verfahren, das im April vor dem Oberlandesgericht München beginnen soll. Ihm werden Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, Beihilfe zu versuchtem Mord und Beihilfe zum Raub vorgeworfen. Pikant an der jüngsten V-Mann-Enthüllung im Fall des NSU ist der Umstand, dass der Verfassungsschutz den Ermittlern im Februar 2012 zunächst ausgesprochen spärliche Erkenntnisse zu K. übermittelt hatte: So war in dem zweiseitigen Schreiben seinerzeit zwar die Rede davon, dass das frühere Mitglied einer Skinheadband jahrelang in der Szene verkehrt habe. Doch dass der vielfach vorbestrafte Extremist auch als V-Mann den Geheimen diente, offenbarten die Schlapphüte damals nicht.“

Der Vorsitzende des 2. NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages, Clemens Binninger, erinnert an die Einbindung Marschners in neonazistische Netzwerke, in deren Reihen weitere V-Leute des Verfassungsschutzes aktiv waren:

„Zwischen dem rechtsterroristischen NSU und dem Geheimbund Ku-Klux-Klan (KKK) im Südwesten hat es nach Angaben des CDU-Innenexperten Clemens Binninger indirekt eine Verbindung gegeben. Der zeitweilige V-Mann Ralf Marschner, der vorübergehend die mutmaßlichen Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Beate Zschäpe beschäftigt haben soll, habe auch Kontakte zum Gründer des KKK-Ablegers im Südwesten gehabt, sagte Binninger dem «Reutlinger Generalanzeiger» (Dienstag). Beide hätten sich gut gekannt – und beide hätten auf der Gehaltsliste des Verfassungsschutzes gestanden.“

Dies war bereits 2015 Gegenstand der Diskussion im NSU-Untersuchungsausschuss in Baden Württemberg:

„So haben sich die Parlamentarier noch keine Meinung zu einem Internetchat des späteren Klanchefs und V-Manns des Landesamtes für Verfassungsschutz, Achim Schmid, mit dem KKK-Mitglied und Spitzel des Bundesamtes für Verfassungsschuss (BfV), Thomas Richter, gebildet. In ihrer Unterhaltung diskutieren die beiden Kapuzenmänner im Mai 2000 Möglichkeiten, sich zu bewaffnen. In diesem Zusammenhang fällt der Name des ebenfalls für das BfV-spitzelnde V-Mann Ralf Marschner. Dieser war zu Beginn der 2000er Jahre als Waffenbeschaffer in der rechten Szene bekannt. Nachgewiesen haben die bisherigen Nachforschungen der Polizei, dass Marschner ein enges Netzwerk zu den direkten NSU-Unterstützern Jan Werner, Mirko Hesse, Thomas Starke sowie den vor dem Oberlandesgericht München angeklagten NSU-Unterstützer André Emminger unterhielt.“

Screenshots aus dem Booklet der Landser CD „Ran an den Feind“, die mithilfe mehrer rechtsextremer V-Leute aus dem Blood & Honour Umfeld, die auch Kontakte zum NSU-Kerntrio hatten, produziert und vertrieben wurde:

Marschner war auch Abnehmer der indizierten CD „Ran an den Feind“ der Berliner Neonazi Band Landser, in deren Produktion mehrere V-Leute und NSU-Kontaktpersonen involviert waren:

„Ende Oktober 2000 wurde ein anonym abgefasster Brief an 19 ausgesuchte Händler für neonazistische Musik verschickt. Er enthielt die Bestellmodalitäten und eine CD ohne Booklet zur Untermauerung des Angebots. Die Angeschriebenen bekamen am 27. Oktober einen Anruf und ein »Otto« fragte sie, wie viele »T-Shirts« sie zugeschickt haben wollten. Die »T-Shirts« waren der Codename für die CDs, der Anrufer war Thomas Starke. Positive Antworten bekamen die Vertreiber u.a. von Ingo Grönwald vom Phoenix-Versand aus Weimar, Gunther Lotze vom Apache-Laden aus Sach­sen, Sven Schneider vom Hatesounds-Versand aus Borkwalde, von Markus Thielke vom New Dawn-Laden in Anklam, von Ralf Marschner vom Last Ressort Shop in Zwickau und von einem CD-Händler aus Nidda. Alle sechs erklärten sich bereit, insgesamt 3.150 CDs abzukaufen. Die CDs wurden umgehend rausgeschickt.“ ( AIB 61 / 3.2003 | 17.12.2003)

Jens Eumann/ Freie Presse/ Zwickauer Zeitung , 02.02.2013:

„Ralf M., genannt „Manole“, war über Jahre ein wichtiger Mann der Neonazi-Szene von Zwickau. Seine Band „Westsachsengesocks“ reihte sich ein in den Reigen rassistischer Musiker, die unterm Schirm der inzwischen verbotenen Vereinigung „Blood & Honour“ eine Heimat fanden. In Zwickau gründete Ralf M. einen Szeneladen, den er „Last-Resort-Shop“ taufte, in Anlehnung an den gleichnamigen Londoner Szenetreff, in dem der „Blood-&-Honour“-Gründer Ian Stuart Donaldson einst seine rassistische Band „Skrewdriver“ rekrutierte. Während „Manole“ im Last-Resort-Shop bot, was das Neonazi-Herz begehrt, eröffnete er mit einem Partner ein weiteres Zwickauer Geschäft mit unverfänglicherer Kollektion. Bei „Heaven & Hell“ gab es Klamotten, die die Hooligan-Szene ansprachen. Überdies gab es von 2005 bis 2007 in diesem Laden auch eine Frau, die wohl zeitweise aushalf und die inzwischen zweifelhafte Berühmtheit erlangte: Beate Zschäpe. „Die kenne ich, da bin ich mir zu 100 Prozent sicher“, so schilderte Ralf M.s Geschäftspartner seine Reaktion, als er erste Bilder Zschäpes in der Berichterstattung übers Auffliegen der Terrorzelle sah. Das gab es der Mann in Vernehmungen durchs Bundeskriminalamt im Zuge der Terrorermittlungen an. Die Vernehmungsprotokolle liegen der „Freien Presse“ vor. Er sei nicht sicher, ob die Frau, die er auf den Fotos erkannte, als Kundin, „Gespielin“ von M. oder „Aushilfskraft“ im Laden gewesen sei. Klar indes sei, dass „Manole“ sie dem Umgang nach zu urteilen gut gekannt haben müsse.“

Der Chemnitzer Jan Werner, Chef der sächsischen Blood & Honour Sektion, betrieb das Label „Movement Records“ wurde für die Organisation der Produktion der Landser CD und deren Vertrieb gewonnen. Werner soll im Austausch mit dem NSU-Mitglied Uwe Mundlos gestanden haben und 1998 versucht haben, über den Verfassungs­schutz-Informanten Carsten Szczepanski Schusswaffen für das NSU-Trio zu besorgen. Ebenfalls in den Vertrieb involviert war Werners Freund, Thomas Starke, der sich mit der Bereitstellung von ca. 9.000 DM quasi in die Produktion der CD „einkaufen“ konnte. Der „Blood & Honour“-Aktivist aus Chemnitz soll Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe beim Untertauchen geholfen haben. Er besorgte zudem bereits Mitte der 1990er Jahre ein Kilo Sprengstoff für Uwe Mundlos. Thomas Starke war von 2000 bis 2011 Verbindungsmann des Landeskriminalamtes Berlin und soll zwischen 2001 und 2005 mindestens fünfmal Hinweise zum NSU und Umfeld gegeben haben. Im sächsischen Untersuchungsausschuss wurde zudem der Hinweis öffentlich, dass Starke schon vor 2000 als V-Mann geführt wurde. Mindestens von Ende 1996 bis Mitte 1998 sollen Starke und Zschäpe liiert gewesen sein. 2012 wurde die Informantentätigkeit Starkes publik. Die Berliner Polizei wollte Starkes Akte zunächst nicht an die Bundesanwaltschaft weiterleiten, verschwieg dem BKA Starkes Informantentätigkeit um dies schließlich auch dem Untersuchungsausschuss des Bundestages vorzuenthalten:

„Innensenator Frank Henkel (CDU) hat in der Affäre um den Berliner V-Mann in der rechten Szene Fehler eingeräumt. Im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses sagte Henkel am Dienstag, er bedauere es, dass wichtige Informationen nicht früher an die zuständigen Stellen und an den Untersuchungsausschuss des Bundestages zur rechten Terrorgruppe NSU gegeben wurden. Zugleich verteidigte er das Vorgehen der Berliner Sicherheitsbehörden. Aus Gründen des Quellenschutzes sei es nicht verantwortbar gewesen, die Kontakte des V-Mannes zu dem Trio öffentlich zu machen, sagte er. Andernfalls wären das Leben des Informanten gefährdet und weitere Ermittlungen behindert worden.(…) Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Niedersachsens Ressortchef Uwe Schünemann (CDU), hat unterdessen Henkels Vorgehen in der NSU-Affäre in Berlin als juristisch korrekt bezeichnet. Henkel hatte die Informationen über den umstrittenen V-Mann der Bundesanwaltschaft, nicht aber dem NSU-Untersuchungsausschuss übermittelt. Schünemann sagte dem rbb-Inforadio am Dienstag, die Bundesanwaltschaft habe “absoluten Vorrang”, denn sie führe das Strafverfahren. Wenn der Generalbundesanwalt Informationen dann nicht veröffentlichen wolle, weil sie das Strafverfahren gefährden könnten, dürfe er dies tun. “Insofern wurde hier absolut korrekt gehandelt.” Unterdessen wurde am Dienstag bekannt, dass das Berliner Landeskriminalamt (LKA) dem Bundeskriminalamt offenbar Informationen über den mutmaßlichen Helfer der Neonazi-Gruppe NSU, Thomas S., vorenthalten hat. S. wurde vom Berliner LKA zehn Jahre lang als V-Mann geführt.Wie die Nachrichtenagentur dpa und die “Berliner Morgenpost” berichten, hat das Bundeskriminalamt im Dezember 2011 und im Januar 2012 beim LKA Auskünfte über Thomas S. angefordert. Das Landesamt habe daraufhin erklärt, S. sei Beschuldigter im Verfahren gegen die Nazi-Band “Landser” und in der rechten Szene Sachsens aktiv. Dass er von 2001 bis 2011 als V-Mann für das LKA arbeitete, wurde dem BKA demnach nicht mitgeteilt. Danach sei nicht explizit gefragt worden. Die BKA-Anfrage sei aus diesem Grund nicht an die für die V-Leute zuständige Fachdienststelle weitergeleitet worden. Dies geschah erst am 7. März 2012 nach einer konkreteren Anfrage des BKA. (…) Thomas S. soll dem LKA bereits 2002 Hinweise zu der untergetauchten rechtsextremen Terrorgruppe NSU gegeben haben, der zehn Morde zur Last gelegt werden.Ob und wie die Informationen weitergegeben wurden und ob die Morde hätten verhindert werden können, wird derzeit von verschiedenen Gremien aufgeklärt.” (RBB 18.9.2012)

“Berlins Innensenator Frank Henkel gerät in der Affäre um einen V-Mann und früheren Helfer der NSU-Terrorzelle in Bedrängnis. Im Streit um die Weitergabe von V-Mann Akten des Landes Berlin gibt es neue Zweifel an den Aussagen des CDU-Politikers. Nach Informationen des ZDF-Hauptstadtstudios findet sich in den Akten, die das Land Berlin am Dienstag dem Untersuchungsausschuss übersandte, kein Hinweis darauf, dass die Bundesanwaltschaft einer Weitergabe der Informationen an den NSU-Untersuchungsausschuss widersprochen habe. Die Akten zeigten vielmehr, dass das Berliner Polizeipräsidium zunächst sogar dem Generalbundesanwalt die Unterlagen zum V-Mann Thomas S. –Deckname VP 562 – nicht überlassen wollte. Anfang April lehnte Berlin eine entsprechende Anfrage aus Gründen des Quellenschutzes und wegen Schutzpflichten gegenüber dem Informanten ab. Erst Ende Mai schickte das Berliner Polizeipräsidium dem Generalbundesanwalt dann ein sogenanntes Behördengutachten, also eine Zusammenfassung der Akten zum V-Mann Thomas S. In einer Stellungnahme gegenüber dem ZDF erklärte der Generalbundesanwalt: “Die Berliner Landesbehörden haben der Bundesanwaltschaft ‑ entgegen deren Anforderung ‑ niemals Akten in dieser Sache übermittelt, sondern lediglich mit Schreiben vom 24. Mai 2012 ein dreiseitiges Behördengutachten.” Absprachen über die Übermittlung der Erkenntnisse an den “NSU”-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages habe es nicht gegeben.” (ZDF 19.9.2012)

„Wie der stern in seiner aktuellen Ausgabe enthüllt, wurden im Bundesamt für Verfassungsschutz noch im Februar Akten zu S. gelöscht, obwohl das Bundeskriminalamt (BKA) erst fünf Wochen zuvor im Zuge der NSU-Ermittlungen die Wohnung von Thomas S. durchsucht hatte. Das Investigativ-Team des stern rekonstruiert aus vertraulichen Dokumenten und öffentlichen Quellen die Akte Thomas S..“ (Stern.de 14.9.2012)

Ebenfalls involviert in die Produktion und den Vertrieb der Landser CD war der BfV-Spitzel Mirko Hesse:

„Dabei hat sich Hesse schon zu Beginn der 1990er Jahre nicht nur in der bundesweiten RechtsRock-Szene einen Namen gemacht. In Jugendjahren schließt er sich der »Nationalen Offensive« an, ein Jahr lang ist er bei der DVU, ehe er sich der »Freiheitlich Nationalen Partei« (FNP, später Freiheitliche Partei Deutschlands, FPD) anschließt. 1993 gründet er die »Hammerskins« Sachsen (SHS oder HSS) und reist zu Treffen häufig in die USA. 1996 findet die Polizei bei ihm Bombenbauanleitungen und Propagandaschriften der Organisation »Combat 18«. In dieser Zeit wird Hesse auch vom BfV angeworben, wo er unter dem Namen »Strontium« geführt wird. Die Gründung der SHS verkündet Hesse in seinem Fanzine»Hass Attacke«, das schnell zum Sprachrohr der deutschen »Hammerskins« avanciert. 1997 meldet er mit »H.A. Records« ein Gewerbe an, das zukünftig dazu dienen soll, neonazistische Musik zu produzieren und zu vertreiben. Mit Existenzgründungshilfe der EU und des Landes Sachsen in Höhe von 13.000 DM bekommt Hesse eine solide Basis für sein Geschäft. Er produziert Bands aus ganz Europa, reist herum und lernt die mutmaßlichen NSU-UnterstützerInnen Thomas Starke, Jan Werner, Ralf Marschner, Jörg Winter und das Ehepaar Antje und Michael Probst kennen. Im Jahr 2000 kommt Werner auf Hesse zu und bittet ihn erst um den Entwurf eines Covers für die neue »Landser«-CD »Ran an den Feind«. Später wird er Co-Produzent und bezeichnet sich als hauptverantwortlich für die Beschaffung der CDs. Ein weiteres Projekt sind die »White Aryan Rebels«, deren CD »Noten des Hasses« er zusammen mit Toni Stadler, einem weiteren V-Mann, produziert. Es ist Hesses aktivste Zeit, in der er auch durch Gewalttaten auffällt. (der rechte Rand/ Johannes Grunert)

SPON am 13.8.2002 über Hesse:

„Der vom Staat subventionierte V-Mann Mirko H. galt bis zu seiner Inhaftierung im Juli des vergangenen Jahres als Führer des deutschen Ablegers der „Hammerskins“. Außerdem vertrieb er über ein eigens gegründetes Platten-Label mehrere rechte CDs in ganz Deutschland. Für den Grünen Ströbele ist das Verhalten des Bundesamtes im Fall Mirko H. unverständlich. „Wie kann ein vom Staat bezahlter V-Mann gleichzeitig Führer einer rechten Gruppe sein“, fragt er sich und erwartet von Innenminister Schily eine rasche Antwort. Auch ein weiteres Verfahren gegen Mirko H. lässt dem Grünen Ströbele keine Ruhe. So war der Neo-Nazi laut einem Urteil aus dem Dezember 2001 maßgeblich an der Herstellung der CD „Ran an den Feind“ der rechten Kultgruppe „Landser“ beteiligt. Wegen der „Mithilfe bei der technischen Herstellung“ und dem Vetrieb der CD, die unter anderem auch Mordaufrufe gegen linke Journalisten, Politiker und Polizisten enthält, wurde er im Dezember 2001 zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt, die er noch heute in einer Justizvollzugsanstalt absitzt. Auch die Bundesanwaltschaft, die in Kürze die Anklage gegen Mitglieder von „Landser“ vorlegen will, hatte von der Beteiligung Mirko H.s an dem „Landser“-Vertrieb Kenntnis. Über die V-Mann-Tätigkeit wollte sich die Behörde jedoch nicht äußern. Kurz vor dem Urteil wurde Mirko H. laut Sicherheitskreisen als V-Mann des Verfassungsschutzes zwar abgeschaltet. Trotzdem sieht der Innenpolitiker Ströbele schon in der Zeit davor einen eklatanten Verstoß gegen die Regeln der V-Mann-Führung. „Es ist doch absurd, dass ein Rechter einerseits vom obersten deutschen Ankläger schon länger wegen der Verbreitung einer CD mit Mordaufrufen verfolgt wird und gleichzeitig Geld vom Verfassungsschutz für Informationen bekommt“, meint Ströbele.“

Der V-Mann des Brandenburger Verfassungsschutzes,Toni Stadler, war ebenfalls an der Produktion der Landser CD beteiligt:

„Nachdem das gesamte Layout von den Landser-Mit­gliedern abgenickt wurde, beauftragte Hesse den in Cottbus wohnenden Toni Stadler. Zu jener Zeit agierte Stadler auch als V-Mann für den Brandenburger Verfassungsschutz. Stadler organisierte den Druck in Polen und lieferte die fertigen Book­lets an Sandro W. aus Bautzen, ein Strohmann von Hesse.“ (AIB 61 / 3.2003 | 17.12.2003)

Die WAZ recherchierte, dass Stadler mit Uwe Mundlos 2006 in Dortmund gesichtet worden sein soll. Wenige Tage vor einem NSU Mord:

„Toni S. soll im April 2006, wenige Tage vor dem Mord am Dortmunder Kioskbesitzer Mehmet Kubasik, zusammen mit dem NSU-Terroristen Uwe Mundlos an der Dortmunder Mallinckrodtstraße gesehen worden sein, wenige hundert Meter vom späteren Tatort entfernt. Das berichtet zumindest ein V-Mann der Dortmunder Polizei mit dem Decknamen „Heidi“. Das Netzwerk der rechtsextremen Terrorzelle NSU war einem Bericht zufolge offenbar deutlich größer als bisher angenommen. Wie aus schriftlichen Vernehmungen von „Heidi“ hervorgeht, hatte sich der V-Mann erstmals im September 2005 mit Toni S. in Dortmund getroffen. Im März 2006 berichtete dann „Heidi“ seinem Dortmunder V-Mann-Führer, dass Toni S. versuche, scharfe tschechische Waffen in Dortmund zu verkaufen. Eine anschließend geplante Ermittlung gegen Toni S. wegen illegaler Waffendeals verlief allerdings im Sande. Die Dortmunder Polizei verlor Toni S. aus den Augen. Erst im November 2011, nachdem die Terrorzelle NSU aufgeflogen war, meldete sich V-Mann „Heidi“ erneut bei der Dortmunder Polizei. Diesmal sagte er aus, Toni S. habe sich am 1. April 2006 mit dem NSU-Mann Uwe Mundlos in Dortmund getroffen. Drei Tage später wurde Kubasik in seinem Kiosk erschossen.“ (WAZ 25.3.2013)

Ex-V-Mann Stadler wurde am 27.4.2016 im NSU-Ausschuss des Düsseldorfer Landtags zwangsvorgeführt:

„Stadler entstammt der Brandenburger Naziszene und gehörte zu den führenden Rechtsrock-Produzenten. Unter anderem hat er eine CD der Kultband „Landser“ mitproduziert. Später zog Stadler nach Dortmund. Dort will ihn „Heidi“, ein Vertrauensmann der Dortmunder Polizei, kurz vor dem NSU-Anschlag in der Mallinckrodtstraße mit Uwe Mundlos gesehen haben.(…) Der Mord in der Mallinckrodtstraße will Toni Stadler nicht sehr interessiert haben. Er wohnte zwar nur einige hundert Meter vom Tatort entfernt, aber so spannend sei das nicht gewesen. (…) Nach seinem Umzug nach Dortmund habe Stadler keine Kontakte zum Verfassungsschutz oder anderen Diensten gehabt. Andreas Kossiski fragt nochmal nach Kontakten zu Sebastian Seemann. In einer Vernehmung wurden Seemann Bilder vorgelegt. Seemann hatte ausgesagt, dass er Stadler kannte. Stadler soll bei einem Rechtsrockkonzert in Belgien gewesen sein, dieser kann sich diese Aussage nicht erklären. Sebastian Seemann habe ja auch für den Verfassungsschutz gearbeitet, vielleicht wurden ihm dort Bilder vorgelegt, spekuliert Toni Stadler. (…) Verena Schäffer fragt nochmal nach Kontakten nach Sachsen. Toni Stadler bleibt mal wieder nebulös. Jan Werner habe er einmal gesehen, Michael und Antje Probst kenne er vielleicht, Hendrik Lasch habe er auch einmal getroffen. Stadler habe „geschäftliche Kontakte“ zu ihm gehabt. Über untergetauchte Nazis habe er nie mit anderen Neonazis gesprochen. Carsten Sczepanski habe Toni Stadler auch nur zweimal getroffen. Toni Stadler möchte auch niemanden persönlich kennen, der bei „Blood & Honour“ aktiv gewesen ist. (…) Toni Stadler wird nochmal nach seiner Zeit in Dortmund gefragt. Mit der V-Person „Heidi“, der als Taxifahrer arbeitete, sei er manchmal gefahren. „Heidi“ sei aber eine „suspekte, windige Person“, die versucht habe, Stadler „zu bescheißen“. Deswegen sei Toni Stadler irgendwann nicht mehr mit ihm gefahren. Taxifahrten mit einem Uwe, gemeint ist Mundlos, oder zu NPD-Aktivisten habe es nicht gegeben. Da gehe mit „Heidi“ die Fantasie durch. In der Regel habe „Heidi“ Stadler abgeholt, wenn er „einen schlabbern“ war. Toni Stadler geht davon aus, dass sich „Heidi“ wichtig machen wolle. „Heidi“ halte Polizei und Justiz mit seinen Aussagen zum Narren. Die V-Person „Heidi“ sei in Dortmund ein „stadtbekannter Betrüger und Spinner“, sagt Toni Stadler aus.“  Toni Stadler erzählt weiter, welche Personen er nicht kennt. Thomas Starke aus dem „Blood & Honour“-Netzwerk kennt er nicht. Stadler stellt sich weiter als kleines Licht dar. Er habe seine Kontakte und Freunde gehabt. Aber so breit sei er nicht vernetzt gewesen. In der rechtsextremen Szene kenne nicht jeder jeden. Toni Stadler habe sich nicht damit gebrüstet, die Cover von „Landser“-CDs gestaltet zu haben.“ (Ruhrbarone.de 27.4.2016)

Die WAZ berichtet am selben Tag über Stadler:

Das Landgericht Berlin verurteilte Toni S. am 11. November 2002 wegen Volksverhetzung, Gewaltdarstellung und Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen zu zwei Jahren Gefängnis auf Bewährung. Der Vorsitzende Richter sah es als erwiesen an, dass Toni S. seine Straftaten mit Wissen und Duldung der Verfassungsschützer begangen habe – daher das recht milde Urteil. Das brandenburgische Innenministerium sprach im November 2012 dagegen von Schutzbehauptungen und weist jede Mitschuld des Verfassungsschutzes zurück. Der V-Mann Toni S. habe sich „durch eigenmächtige Aktionen strafbar gemacht“. Daher sei seine Verurteilung zu begrüßen. S. kam kurz nach seiner Verurteilung in ein Zeugenschutzprogramm. Offenbar auf eigenen Wunsch zog er 2003 nach Dortmund. Hier wollte er angeblich ein neues Leben beginnen. In einer Stadt, die auch damals schon als Zentrum der Rechtsradikalen in Westdeutschland galt. 2006 erschoss mutmaßlich der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) in der Dortmunder Nordstadt den türkischstämmigen Kioskbetreiber Mehmet Kubasik. Laut einer früheren Aussage eines leitenden Ermittlers der damaligen Mordkommission wurde den Beamten erst 2011 klar, dass S. ebenfalls in der Nordstadt lebte und sich zum Zeitpunkt des Mordes an Kubasik in einer Funkzelle im Bereich Nordstadt befand. Ermittelt wurde gegen S. dennoch nicht. Der Ermittler gab an, dass er von der Generalbundesanwaltschaft die Order erhalten habe, S. nicht als Beschuldigten zu führen. Eine Begründung dafür gab die Generalbundesanwaltschaft offenbar nicht ab. Der Ermittler: „Mir wurde aber gesagt, dass es mir nicht zusteht, da weiter nachzufragen.“ (WAZ 27.4.2016)


Eine weitere Kontaktperson von Uwe Mundlos aus dem Chemnitzer Neonazi-Milieu, die ebenfalls mit Ralf Marschner bekannt war, ist Hendrik Lasch. Laschs Plattenlabel „PC Records“ veröffentlichte 2010 den „Döner-Killer“-Song der niedersächsischen Rechtsrock-Band „Gigi & und die braunen Stadtmusikanten“ über die Ceska-Mordserie:

„Für Donnerstag ist der 39-jährige Hendrik Lasch in den Zeugenstand geladen. Der smarte Bartträger mit Brille gilt als einer der einflussreichsten rechtsextremen Drahtzieher in Sachsen. Lasch stand nicht nur „Hammerskins“ und „Blood&Honour“ nahe, sondern auch der regionalen Rocker-Szene. Seit mindestens 1994 war er persönlich mit dem NSU-Terroristen Uwe Mundlos aus Jena befreundet. Gemeinsam mit Kameraden fuhren die beiden bereits 1994 zu einem Konzert nach Niederbayern.(…) Lasch und Mundlos galten ebenso wie die Chemnitzer Neonazis Jan W. und Thomas Starke als „Macher“. Mundlos lebte im Untergrund seine zynische, menschenverachtende Kreativität weiter aus und die Chemnitzer hatten ihren Nutzen davon. Gemeinsam bastelte das abgetauchte Trio im Hinterzimmer das „Pogromly“-Spiel mit den Konzentrationslagern oder Mundlos zeichnete Comics wie die „Skinsons“, eine Mischung aus einem Skinhead und einem Mitglied der gelbhäutigen TV-Comicfamilie. Die erste Ausgabe des Chemnitzer „Blood&Honour“-Fanzines „White Supremacy“ im Jahr 1998 zierte ein keulenschwingender „Skinson“. Hendrik Lasch, der seinen Freund etwa 1999 im nahen Unterschlupf in Chemnitz besuchte, fertigte von den Mundlos-Zeichnungen 200 T-Shirts an. (…) Damals, Ende der 1990er Jahre zählte zum Chemnitzer Führungstrio von „Blood&Honour“ neben Jan W. und Thomas Starke auch der umtriebige Lasch. Enge Kontakte gab es ebenso zum Zwickauer Neonazi und Unternehmer Ralf Marschner, genannt „Manole“. Am 19. September 1998 beteiligten sie sich an einem Rechtsrock-Konzert der „Hammerskins“ Sachsen in Pölzig bei Leipzig. Ursprünglich sollte die Feier in der Schweiz stattfinden, wurde dort aber verboten. Während „Manole“ (Marschner) aus Zwickau mitorganisierte, verkauften Jan W. und Hendrik Lasch dort CDs und Kleidung.“ (Enstation Rechts 5.3.2015)


 Blood & Honour: NSU Helfer in Sachsen (Gamma 31.1.2012)

„Eine tragende Rolle bezüglich der ideologischen Ausrichtung des NSU und dem Aufbau seiner Unterstützerstruktur scheint das straff organisierte “Blood & Honour”-Netzwerk zu spielen. Mit dem militanten Arm „Combat 18“ und dem Prinzip des „führerlosen Widerstandes“ („leaderless resistance“) war die internationale Naziorganisation zweifelsohne Leitbild des NSU. Immer wieder wurde in Publikationen des konspirativ organisierten Netzwerks gefordert, den “Rassenkrieg” vorzubereiten: man müsse “geheime Strukturen schaffen und bereit sein, sein Leben zu opfern”.  Kein Wunder also, dass zumindest Böhnhardt und Mundlos dem “Blood & Honour”-Netzwerk selbst nahe gestanden haben. (…) Die drei gebürtigen Chemnitzer Werner, Starke und Graupner waren Mitglieder von “CC88”, einem Zusammenschluss von Hooligans und Neonazis, die eine Vielzahl von neonazistischen Konzerten veranstalteten – darunter in der Mitte der 1990er Jahre auch einige der größten bis dato stattgefundenen Konzerte dieser Art. Eine Reihe der “CC88”-Aktivisten war gleichzeitig Mitglied der “Blood & Honour Sektion Sachsen”. Um die Gruppierung “CC88” sammelte sich ein ganzes Konglomerat aus Szenebands, Fanzines, rechten Läden und Veranstaltern. Aus diesem Kreis heraus wurden konspirative Konzerte organisiert, finanziell einträgliche CD-Produktionen abgewickelt und mehrere rechte Zeitschriften („Fanzines“) herausgegeben. Beispielsweise das Szenefanzine „White Supremacy“, hinter dieser Hauspostille von “Blood & Honour Sachsen” stand Jan Werner. Er war damals Mitbetrieber von „Movement Records“, einem angesehenen Szenelabel für Neonazi-Bands. Ein weitere Label-Mitbetreiber war der nun ebenfalls in den Fokus der NSU-Ermittlungen geratene Andreas Graupner. “Movement Records” war eine Zeit lang selbst Bestandteil des “Blood & Honour”-Netzwerkes und produzierte über 30 CDs “Blood & Honour”-naher Bands. Es galt Ende der 1990er Jahre als eines der wichtigsten rechten Plattenlabels. Neben der CD-Produktion war der Verkauf von Merchandise-Artikeln wichtiges Standbein der Nazismusikszene, zum Vertrieb wurde auf einschlägige Szeneläden gesetzt. Ein solches Geschäft wurde durch Antje Probst aufgebaut. Gemeinsam mit ihrem Mann Michael Probst, einst Sänger einer Neonazi-Band, betreibt sie bis heute mehrere Läden mit u.a. einschlägigem Sortiment. Das Ehepaar steht bereits seit den 1990er Jahren in engem Zusammenhang mit der westsächsischen Rechtsrock-Szene. Ihre Geschäftsräume wurden am 25. Januar 2012 im Zuge der NSU-Ermittlungen durchsucht. (…) Anfang der 2000er Jahre wurde das sächsische Unterstützerumfeld der NSU gleich durch drei behördliche Maßnahmen erfasst und durchleuchtet; die Ermittlungen gegen die “Landser” Produktion “Ran an den Feind”, das Verbotsverfahren gegen “Blood & Honour” und die Ermittlungen bzgl. der drei Untergetauchten. In all diese Komplexe waren mehrere Ämter eingebunden, es liefen umfangreiche Telefonüberwachungen und Observationen; selbst die Beschaffung scharfer Waffen war bereits zu diesem Zeitpunkt bekannt. Die Behörden haben nicht “geschlafen”, direkt vor ihren Augen konnten sie die Organisation der Nazimordserie verfolgen.“


Das „AutorInnenkollektiv Argumente – Netzwerk antirassistischer Bildung“ äußert sich 2001 im OX Fanzine zu Blood & Honour und dem Verbot der Organisation:

„B&H ist seit Anfang der 90er Jahre in Deutschland aktiv, seit Mitte der 90er in fester organisatorischer Form. In einem Schreiben von Anfang 1999 brüstet sich beispielsweise der Hauptversand von B&H – er hat von Dänemark aus den deutschen Markt versorgt – damit, „ganz besonders die Judenrepublik Deutschland mit Tonnen von CDs, Magazinen“ und sonstigen „kompromisslos extremen Material“ überschwemmt zu haben. Hunderte von B&H-AktivistInnen in Deutschland haben da mitorganisiert und mitverdient. B&H hat hunderte von Konzerten alleine in Deutschland organisiert, die Bands haben teilweise von hakenkreuzbeflaggten Bühnen ganz offen zum Mord an Schwarzen aufgerufen. Die Polizei hat dabei meist zugeguckt, obwohl sie teilweise schon im Vorfeld über diese Konzerte informiert war. 95% der Verbotsverfügung ist eine Aneinanderreihung von eindeutigen Kommentaren aus B&H-Schriften der vergangenen Jahre. Und irgendwann im Sommer 2000 fällt dem Innenminister ein, dass so etwas ja verboten ist. (…) B&H war ein Führungssystem, welches im Gegensatz beispielsweise zur NPD stets eine absolute Authentizität in der Szene hatte. Über die Konzerte wurde eine Erlebniswelt geschaffen, die viele integriert und nachfolgend radikalisiert hat. Die populärsten deutschen Neonazibands beziehungsweise Bandprojekte wurden von B&H produziert und vertrieben, etwa die ZILLERTALER TÜRKENJÄGER von 1997 und die Berliner Band LANDSER. Beide Bands haben Hunderttausende von ZuhörerInnen. In fast allen Schulklassen sind die Bands ein Begriff, in vielen Jugendzentrum und auf Schulhöfen werden deren CDs gehandelt. Oft unter Jugendlichen, die optisch nicht als Neonaziskins zu identifizieren sind, die manchmal sogar von sich sagen, „eigentlich bin ich ja gar nicht rechts“. Aber die Musik der beiden Bands, partykompatible Stimmungsmusik mit Schlagt-sie-tot-Texten, finden sie irgendwie lustig.“


Was geschah mit den Akten aus dem Blood & Honour Verbotsverfahren und den Landser Ermittlungen? Die Berliner Morgenpost vom 9.4.2013:

„Vergangenen Sommer hatte ein Referatsleiter des Verfassungsschutzes Akten, die die rechtsextreme Band Landser betrafen, zur Vernichtung freigegeben, obwohl sie vom Landesarchiv zur Aufbewahrung angefordert waren. Brisanz erhielt der Vorfall dadurch, dass ein Berliner V-Mann, der aus dem Umfeld des NSU-Terrortrios stammte, als Experte für rechtsextreme Musik angeworben worden war. Außerdem war just einen Tag zuvor war bekannt geworden, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz Akten geschreddert hatte, die zum Themekomplex Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) gehörten. Kurz nachdem der Vorfall in Berlin im November bekannt geworden war, hatte Schmid gleich noch einen Fall unerlaubter Aktenvernichtung einräumen müssen: Diesmal betraf es Erkenntnisse über das rechtsextreme Netzwerk Blood & Honour. Auch diese Akten wurden, allerdings schon zwei Jahre zuvor, ohne Rechtsgrundlage vernichtet. (…) Von den seit 2004 in Berlin gesammelten 214 Dokumenten zum Aktenzeichen „Blood & Honour“ konnten laut Palenda 158 Dokumente rekonstruiert werden, das entspricht 74 Prozent der ursprünglichen Akten. Von den 19 seit 2004 angefertigten Landser-Akten haben dagegen nur drei wiederbeschafft werden können. Interessant daran: In den rekonstruierten Berliner Aktenstücken fanden sich bei Blood & Honour in 32 Dokumenten Hinweise auf sechs Personen aus Thüringen und Sachsen, die sich auch auf der sogenannten 41er-Liste befinden. Diese Liste vom Generalbundesanwalt zählt relevante Personen für das am 17. April beginnende Verfahren gegen den NSU auf. Auch in den Berliner Landser-Akten gab es Treffer: Hier tauchten in sechs Dokumenten drei Personen der 41er-Liste aus dem NSU-Umfeld auf. Als die Aktenvernichtung bekannt geworden war, war völlig unklar, ob und welche Hinweise es in den vernichteten Akten auf den NSU-Komplex gegeben hatte.“

Thomas Starke war nicht die einzige V-Person der Berliner Polizei, die  in der rechtsextremistischen Musikszene geführt wurde:

„Der Staatsschutz führte auch eine VP 620, wie dann herauskam. Um sie gab es weiteren Wirbel, weil die Berichte über die Treffen mit ihr nur unvollständig an den Untersuchungsausschuss des Bundestags zum NSU weitergeleitet wurden. Am Montag sprach Henkel dann im Innenausschuss beiläufig von einer VP 773, deren Akten demnächst zur Einsicht geliefert würden. Die VP 773 ist eine dritte V-Person der Berliner Polizei im NSU-Umfeld. Sie lieferte wie VP 562 und VP 620 Informationen über den Vertrieb von Nazi-CDs und über den Neonazi Jan W. Der Brandenburger Verfassungsschutz hatte Jan W. im Verdacht, dem untergetauchten mutmaßlichen Terrortrio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe Waffen zu besorgen. Die Bundesanwaltschaft führt W. als Beschuldigten im NSU-Verfahren. In den Berichten der VP 620 über die Treffen mit ihm ging es um Bekleidung und Musik aber nicht um eine Verbindung von W. zum Terrortrio. Die VP 773 wusste zumindest über die Geschäftsbeziehungen von W. Bescheid. „Es wird noch viele Fragen zu dieser V-Person geben“, kündigt Udo Wolf von der Linkspartei an. Und auch Benedikt Lux (Grüne) sagt auf Anfrage: „Wir werden darüber zu reden haben. Bei den V-Leuten in der Musikszene wurde nie nachgeprüft, ob es mögliche Querverbindungen zum NSU gibt.“ Nach Informationen der Berliner Zeitung führt der Staatsschutz zudem eine Vertrauensperson mit der Nummer 672. Ihr Deckname: „Adnan“. Auch er soll aus der Musikszene stammen. Die Berliner Staatsschützer hatten ihren Nazi-Spitzeln türkische Decknamen gegeben. VP 562 hieß „Ibrahim“, VP 620 „Murat“. Nur der Deckname von VP 773 ist noch unbekannt.“ (Berliner Zeitung 11.6.2013)


Szenenwechsel: Anderes Bundesland, erneute V-Mann Problematik. Der stellvertretende hessische Ministerpräsident und Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) verhöhnt am 6.4.2016 die Angehörigen von Halit Yozgat:

„Ich entschuldige mich auch vor der Familie Yozgat für das Versagen des Staates.“

Nein, Herr Al-Wazir. Sie können sich nicht einfach „entschuldigen“. Sie können maximal darum bitten. „Das Versagen des Staates“ liegt bei Ihrer Partei, den Grünen in Hessen, die einer Einsetzung des NSU-Untersuchngsausschusses in Hessen nicht zustimmte, damit der Koalitionsfrieden mit der CDU erhalten blieb. Der Ministerpräsident den Sie unterstützen blockiert die Aufklärung des Mordes an Halit Yozgat und schützt den ehemaligen Verfassungsschutzmitarbeiter Temme, der über NSU-Täterwissen verfügte und auch am Tatort zum Zeitpunkt des Mordes anwesend war. Familie Yozgat weiß das ganz genau. Ihre Partei war es auch, die Prof. Eckhard Jesse am 23. Februar 2015 für die zweite öffentliche Anhörung des Hessischen NSU-Untersuchungsausschusses lud und anpries. Backes, Verfechter der Extremismustheorie und Referent im Veldensteiner Kreis, ist in der Vergangenheit durch die Bagatellisierung rechtsextremer Umtriebe aufgefallen.


Am 4.4.2016 redet Opferanwalt Bliwier zur besten Sendezeit bei Hart Aber Fair Tacheles und erklärt:

„Die NSU-Terrorakte waren vom Verfassungsschutz betreute Morde. (…) All diese Leute könnten noch leben, wenn der Verfassungsschutz sein Wissen preisgegeben hätte.“ (Welt Online)


Report München/Mittagsmagazin am 5.4.2016:

„All die Fragen, all die Widersprüche. Sie sind jetzt sogar Stoff für einen Spielfilm. Viereinhalb Jahre nach dem Auffliegen des NSU in Eisenach. Der Einsatzleiter z.B. ließ das Wohnmobil mit den Leichen von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt an Bord kurzer Hand abschleppen anstatt den Tatort zu sichern. Und viele Fotos von Polizei und Feuerwehr waren lange verschwunden. Sie sind erst jetzt wieder aufgetaucht und werfen wieder neue Fragen auf denn auf einem Bild ist eine Harke zu sehen, offenbar mit Blutspuren. Hat der Einsatzleiter damit im Wohnmobil herumgestochert? Das haben Zeugen den Mitgliedern des Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses vor kurzem berichtet.“

Katharina König, NSU-Untersuchungsausschuss Thüringen, im selben Beitrag:

„Auf die Idee zu kommen als Einsatzleiter mit einer Gartenharke an einem Tatort herumzustochern, dass kann man nicht erklären. Dafür gibt es keine logische Erklärung. Dafür gibt es keine Erklärung, die auch von Ermittlerseite her bestätigt werden würde oder für gut befunden werden würde.“

„Unterlagen, die den ARD-Politikmagazine report München und Fakt exklusiv vorliegen zeigen: Die Polizei hört sich noch am selben Tag bei V-Leuten nach Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos um. Das ist völlig neu und wirft weitere Fragen auf. Denn bisher hieß es: Die Polizei habe keine Spitzel. Ein krasser Widerspruch.“

Katharina König:

„Erstmal wär es eine sehr große Irritation, dass es doch V-Personen bei der Thüringer Polizei gibt. Weil ja bisher immer uns mitgeteilt wurde, es gäbe keine V-Personen oder zumindestens nicht in der rechtsextremen Szene.“

„Das Thüringer Innenministerium antwortet auf die Frage nach V-Leuten der Polizei mit einem klaren „Nein“. Auf Anfrage von Report München und Fakt wolle man aber den konkreten Fall prüfen. Den neuen Unterlagen zufolge hat der V-Mann möglicherweise brisante Informationen geliefert: Diese könnten mit dem letzten Bankraub des NSU in Eisenach in Verbindung stehen. Die Friedenstraße, nur wenige Kilometer vom Tatort entfernt. Hier, meldet der Spitzel, habe er wenige Tage vor dem Banküberfall einen Mann namens Thomas besucht. In den Unterlagen heißt es, der Spitzel habe bei dieser Person „eine schwarze Maske gefunden und eine „Knarre“ gesehen. Er hat den Thomas gefragt, und dieser hat geäußert, eine Bank überfallen zu wollen“ Das muss nichts mit dem Fall zu tun haben, kann aber. Und genau das ist das Problem. Neue Fragen und Unterlagen, die offenbar dem Ausschuss vorenthalten wurden.“

Katharina König:

„Das trägt nicht zur Aufklärung bei und das führt dazu, dass Verschwörungstheorien befördert werden, befeuert werden.“


Das BKA vermutet, dass Beate Zschäpe für das NSU-Bekennervideo TV-Berichte live mit dem Videorekorder mitschnitt. WDR-Recherchen bestätigen diese These nicht und werfen einige Fragen auf. Viele Indizien deuten darauf hin, dass es Unterstützer aus NRW bei der Produktion des Bekennervideos des NSU gab:

„Im Münchner NSU-Prozess hat am Donnerstag (17.03.2016) eine BKA-Beamtin ausgesagt, deren Aktenvermerk zum NSU-Bekennervideo in der vergangenen Woche für Wirbel gesorgt hatte. Demnach soll Beate Zschäpe am 9. Juni 2004 in Zwickau mit einem VHS-Rekorder von Hand aktuelle Fernsehberichte zum Nagelbomben-Anschlag in der Kölner Keupstraße mitgeschnitten haben. Das wäre brisant, denn Zschäpe hatte ausgesagt, von den Anschlägen und Morden nichts gewusst zu haben.Vor Gericht musste die BKA-Beamtin am Donnerstag eingestehen, dass es für diese Vermutung keinen Beleg gibt. (…) Auffällig ist, dass keine dem NSU zugeschriebene Tat auf dem Bekennervideo so intensiv dokumentiert wurde wie der Keupstraßen-Anschlag. Es wurden nicht nur am Anschlagstag, dem 9. Juni 2004, Fernsehberichte mitgeschnitten, sondern an mindestens drei weiteren Tagen: am 12. Juni 2004, am 16. Juni 2004 und am 9. Juni 2006, also zwei Jahre nach der Tat. Das ist bemerkenswert: Wie hätte das NSU-Trio wissen sollen, dass der WDR zwei Jahre nach dem Nagelbomben-Anschlag einen Fernsehbericht mit tagesaktuellen Aufnahmen aus der Keupstraße sendet? Zumal es der Tag des Eröffnungsspiels der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland war. (…) Interessant sind auch die Sequenzen vom Anschlag auf den Lebensmittelladen einer iranischen Familie in der Kölner Probsteigasse am 19. Januar 2001. Aufgenommen wurden sie am Tattag im WDR-Magazin Aktuelle Stunde. Wie hat das Trio davon erfahren? Die Bombe war in einer Christstollendose versteckt und wurde von den Tätern in der Weihnachtszeit im Jahr 2000 im Lebensmittelladen deponiert. Wann die Dose geöffnet und so die Explosion ausgelöst wurde, konnte das Trio nicht wissen. Anfangs war zudem in Medien von einer Gasexplosion die Rede, nicht von einem Bombenanschlag. Überregional spielte die Meldung kaum eine Rolle. Das legt den Verdacht nahe, dass jemand in Köln oder Umgebung aufmerksam die lokalen Medien verfolgt und dem Trio dann die Aufnahmen zugespielt haben könnte. (…) Die Frage, wo und durch wen Fernsehberichte über die mutmaßlichen NSU-Taten mitgeschnitten wurden, ist weiterhin unbeantwortet. Über die WDR-Mediathek hat das NSU-Trio die WDR-Aufnahmen nicht bekommen. Dass der NSU sie selbst mitgeschnitten hat, ist möglich, nach den WDR-Recherchen aber nicht sehr wahrscheinlich. Fraglich ist im Übrigen, warum das BKA den WDR erst im Februar 2016 kontaktiert hat. Das erstaunt auch den Vorsitzenden des NSU-Untersuchungsausschusses des NRW-Landtages, Sven Wolf (SPD): „Das BKA sagt zwar immer, jedes Staubkorn sei umgedreht worden. Immer offensichtlicher wird aber, dass vor lauter Wühlen im Staub die großen Brocken und echten Ermittlungsansätze unbeachtet blieben.“ (WDR 17.3.2016)


Oh, wieder eine durch den Verfassungsschutz verhinderte Festnahme des NSU. Begründung Quellenschutz, was sonst:

„Das brandenburgische Innenministerium hat im September 1998 die Festnahme der untergetauchten Neonazis Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos verhindert. Das geht aus zwei internen Brandenburger Behördenvermerken hervor, die der „Welt am Sonntag“ vorliegen. Damals hatte ein V-Mann aus der rechten Szene (Deckname „Piatto“) dem Verfassungsschutz in Potsdam mitgeteilt, dass das gefährliche Trio sich Waffen beschaffen, Raubüberfälle begehen und sich dann ins Ausland absetzen wollte. Daraufhin drang die Polizei in Thüringen darauf zu ermitteln. Das Brandenburger Innenministerium lehnte ab. Die Begründung lautete, der Schutz der Quellen sei vorrangig.“ (Welt 13.3.2016)


Hajo Funke fragt am 5.3.2016:

„Muss man vielleicht sogar womöglich doch bis zum Beweis des Gegenteils von der Hypothese einer zweiten Agenda durch Akteure der organisierten Kriminalität und/oder von Teilen des Verfassungsschutzes oder der Sicherheitsorgane ausgehen müssen? Müssen wir zum Beispiel davon ausgehen, dass der Verfassungsschutz sehr viel stärker nicht nur informiert, sondern auch an den Geschehnissen des NSU-Kerntrios beteiligt war? Gab es in anderen Worten neben dem, was wir über das Trio wissen, gewissermaßen eine zweite Ebene und eine zweite Agenda? Müssen deswegen die Rolle Manolos/Marschners in Zwickau, einem V-Mann des Bundesamts, die Rolle des V-Manns des Bundesamts Michael See und vor allem die Rolle Thomas Richters alias Corelli systematisch der Öffentlichkeit vorenthalten werden, wie dies bis heute vom Bundesamt für Verfassungsschutz versucht wird?“


Der Verfassungsschutz wusste von Waffenbeschaffung des NSU (Potsdamer Neueste Nachrichten 3.3.2016):

„Jetzt ist es gerichtsfest: Der Verfassungsschutz in Brandenburg wusste nach Aussage eines Beamten schon im Jahr 1998 davon, dass die Neonazi-Szene Waffen für das untergetauchte Mörder-Trio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt beschaffen wollte. Das sagte der Beamte am Mittwoch als Zeuge im Münchner NSU-Prozess aus. Er war V-Mann-Führer von Carsten Sz., Deckname „Piatto“, der Ende der 90er Jahre die Neonazi-Szene in Chemnitz ausspähte. Damit bestätigte der Beamte, was ohnehin bekannt war – durch Recherchen der Medien und den ersten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestagses. Bemerkenswert an der Aussage des Beamten ist die Vorgeschichte: Brandenburgs Innenministerium hatte die Aufklärung der Verwicklungen des hiesigen Verfassungsschutzes in den NSU- Skandal vor Gericht immer wieder torpediert – mit Auflagen für Mitarbeiter und V-Mann, mit Sperrvermerken für Akten. Auch die Vernehmung des Beamten am Mittwoch begann holprig. Zunächst verlangte er, seine Aussage vom Blatt abzulesen. Das lehnte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl ab – und forderte den vermummten Geheimdienstler auf, seinen Kaugummi aus dem Mund zu nehmen. Rätselhaft blieb, wie der Zeuge sich auf seine Aussage vorbereitet hatte. Er räumte ein, gelegentlich geheime Unterlagen in seinem Behörden-Postfach gefunden zu haben. Sein Anwalt habe ihm einen seitenlangen Fragenkatalog gegeben – offenbar um Antworten im Vorhinein einzustudieren.“


Der NSU-Untersuchungsausschuss II des Bundestages hat seine Arbeit aufgenommen. Thomas Moser schreibt am 2.3.2016 auf Heise Online über neue und alte Ungereimtheiten bezüglich des 4.11.2011. Am Nachmittag dieses Tages wurde Zschäpe mehrfach angerufen – von Telefonnummern, die auf das Innenministerium von Sachsen ausgestellt waren:

„Dafür ist nun eine andere Frage rätselhaft geworden: Woher hatte die Polizei die Handy-Nummer von Zschäpe? Bisher hieß es: Vom Hausmeister Lutz W., der ebenfalls in der Frühlingstraße 26 wohnte. Er soll der Polizei Zschäpes Nummer mitgeteilt haben. So steht es im Einsatzprotokoll der Polizei, und so wird es von Mal zu Mal kolportiert. Der Ausschuss lud Lutz W. als Zeugen und der erklärte klipp und klar: Nein, er sei von der Polizei nicht nach der Telefonnummer von Zschäpe gefragt worden, die alle im Haus nur als „Susann Dienelt“ kannten. Er hätte die Nummer auch gar nicht weitergeben können, er habe nämlich gar keine Nummer von Zschäpe gehabt. Er habe sie nie angerufen. Der 60-Jährige blieb trotz mehrfacher Nachfrage bei dieser Aussage. Ratlosigkeit bei den Abgeordneten. Woher hatte also die Polizei die Telefonnummer? Könnte es sein, dass die Nummer längst bekannt war und der Hinweis auf Herrn W. als den Mitteiler nur eine Legende ist, um die wahre Herkunft der Nummer zu verschleiern? Dazu könnte folgende Merkwürdigkeit passen: Der erste Anrufversuch auf Zschäpes Handy durch die Polizei wurde um 16:32 Uhr registriert. Doch erst um 17:50 Uhr soll das Lagezentrum der Polizei die Mitteilung über die Handy-Nummer Zschäpes erhalten haben. Wie kann sie dann mehr als eine Stunde früher angerufen worden sein? Der damalige Leiter der Kriminalinspektion Zwickau, Bernd Hoffmann, konnte den Abgeordneten diese Differenz nicht erklären.“

Die Verwirrung wurde auch auf der Internetseite des Bundestages erläutert:

„Für Verwirrung sorgte in der jüngsten Sitzung des 3. Untersuchungsausschusses (Terrorgruppe NSU II) am Donnerstag, 25. Februar 2016, unter Vorsitz von Clemens Binninger (CDU/CSU) die Aussage eines Zeugen, der in dem Zwickauer Wohnhaus des rechtsradikalen Terror-Trios Aufgaben eines Hausmeisters übernommen hatte. Lutz Winkler gab an, nie die Mobilnummer von Beate Zschäpe gehabt zu haben, obwohl er laut Ermittlungsakten derjenige gewesen sein soll, der diese Nummer am Nachmittag des 4. November 2011 der Polizei gegeben hat. Verschiedene Polizeibeamte versuchten damals mehr als ein Dutzend Mal ohne Erfolg, Zschäpe auf ihrem Handy zu erreichen. Sie wurde an diesem Nachmittag noch als Zeugin zu der Explosion und dem Wohnungsbrand in der Frühlingsstraße 26 gesucht, die nach heutigem Erkenntnisstand von ihr selbst ausgelöst worden waren. Wenige Stunden zuvor hatten sich ihre beiden mutmaßlichen Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in Eisenach das Leben genommen und waren damit einer Festnahme durch die Polizei zuvorgekommen.“

Der Polizeibeamte Swen Phillip äußerte sich vor dem Ausschuss zur Explosion des Wohnhauses in Zwickau:

„Das hat niemand allein gemacht. Das war zu perfekt. Frau Zschäpe wusste, was sie zu tun hatte.“ Nach der Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz befragt, meinte er, die Antworten von dort seien „nicht immer befriedigend“ gewesen. Frage: „Hatten Sie den Eindruck, dass das LfV abblockt?“ Antwort: „Den Verdacht könnte man äußern.“ Und dann fügte Philipp wörtlich an: „Es sind ja nur noch schwarze Löcher – auch heute noch.“ Und auf Nachfrage des Ausschussvorsitzenden Binninger, was er mit „schwarzen Löchern“ meine, führte der heutige Polizeirat aus: „Warum gab es zwischen 2007 und 2011 keine Aktivitäten des NSU-Trios? – Haben wir überhaupt alle Waffen gefunden und welche Rolle spielten die Waffen? – Die ganzen Autoanmietungen: Man konnte zwar zu den Morden Anmietungen identifizieren, aber es gibt viele weitere Anmietungen. Wozu? – Ob wir schon alle auf dem Schirm haben, die zum NSU gehörten, weiß ich nicht. Es ist zu vermuten: Nein.“ 


Welt Online am 18.2.2015

„Im Abschlussbericht des Stuttgarter NSU-Untersuchungsausschusses ist die mangelhafte Arbeit des Verfassungsschutzes kein Thema. Womöglich wurden Akten vernichtet und wichtige Zeugen nicht vernommen.“

Ein besonderes Schmankerl ist das im Artikel erwähnte Zitat der baden-württembergischen Verfassungsschutz-Präsidentin Beate Bube:

„Es gibt keine Aktenvernichtungen, die hier tatsächlich nur annähernd eine Relevanz haben können. Insoweit würde ich das mit dem gewissen Unsicherheitsfaktor hier definitiv ausschließen können.“


Andreas Förster berichtet am 19.1.2016 von neuen Information zum Tod von Böhnhardt und Mundlos aus dem Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss. Schlampige Ermittlungen, Leichenhirn im Sondermüll, ignorierte Projektilteile, Manipulation des Tatorts, beseitigte Spuren, übersehene Bekenner-DVD’s und ein schrecklicher Verdacht:

„Ein erstes Fazit, das nach den Ermittlungen der letzten Monate durch den Erfurter NSU-Untersuchungsausschuss gezogen werden kann, lautet: Dafür, dass die im Wohnmobil tot aufgefundenen Mundlos und Böhnhardt von einem unbekannten Dritten ermordet wurden, gibt es keine Indizien. Hingegen spricht viel dafür, dass die Ermittlungen am Tatort und zu den Hintergründen des Selbstmordes der beiden mutmaßlichen NSU-Terroristen sowohl von der Thüringer Polizei als auch später von der Bundesanwaltschaft bewusst verschleppt worden sind. Über die Gründe dafür kann man nur spekulieren. Ein Erklärungsansatz wäre, dass Mundlos und Böhnhardt schon vor dem 4. November 2011 im Visier der Behörden waren und in Eisenach in eine Falle der Fahnder gelaufen sind. Indizien dafür, dass die Sicherheitsbehörden vom plötzlichen Auftauchen der seit fast 14 Jahren von der Bildfläche verschwundenen Neonazis nicht so überrascht waren wie es im Nachhinein dargestellt wird, gibt es jedenfalls mehrere: So hat ein bis heute anonym gebliebener Beamter Mitgliedern des Erfurter Untersuchungsausschusses vertraulich mitgeteilt, dass schon wenige Stunden nach dem Fund der beiden Leichen in Stregda zwei deutsche Geheimdienstmitarbeiter in der zuständigen Polizeidirektion in Gotha vorstellig geworden sind. Und noch ein weiteres Detail, das in der letzten Ausschusssitzung vergangene Woche bekannt wurde, spricht für ein bis heute geleugnetes Vorwissen der Ermittler: Zwei Kriminaltechniker vom Stuttgarter LKA, die sich am Morgen nach dem Leichenfund zur Unterstützung ihrer Thüringer Kollegen bei der Gothaer Polizeidirektion einfanden, schilderten ihre damalige Einweisung durch den Polizeieinsatzleiter. Im Lagezentrum der Polizeidirektion sei ihnen dabei eine große Tafel an der Wand aufgefallen, auf der ein Personendiagramm aufgezeichnet gewesen sei. Neben Namen und Fotos von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe seien darauf noch eine Reihe weiterer Personen aus dem Umfeld des Trios erwähnt gewesen, die untereinander mit Strichen verbunden waren. Am Morgen des 5. November 2011 war aber offiziell erst die Leiche von Mundlos identifiziert gewesen. Woher hatte die Gothaer Polizei dann aber schon die Namen seiner beiden Gefährten und der Helfer des Trios?“


Im Münchener Prozess tut sich die Hauptangeklagte Zschäpe mit ihrer vom Anwalt am 9.12.2015 verlesenen Aussage keinen Gefallen:

„NSU-Prozess: Zschäpe macht sich selber zur Zeugin der Anklage. Beginnen wir den Bericht ausnahmsweise mit dem Kommentar: Die Einlassung ist eine einzige Verteidigungskatastrophe. Sie ist konstruiert und in vielen Punkten falsch. Damit hat Zschäpe ihre Glaubwürdigkeit endgültig ruiniert und unfreiwillig demonstriert, dass sie eine Überzeugungstäterin ist, bis heute. Zugleich hat sie die Geschäfte der Bundesanwaltschaft betrieben, in dem sie die Tatvorwürfe der Anklageschrift nahezu eins zu eins bestätigte, allen Zweifeln zum Trotz. Sie wurde ihre eigene Belastungszeugin.“   (Thomas Moser 09.12.2015)


Katharina König, Abgeordnete der Linken im Thüringer Landtag:

„Es gibt nicht nur Hinweise, sondern eigentlich klare Belege dafür, dass die Polizei in ihrer Ermittlungsarbeit und in der Zielfahndung nach dem untergetauchten Trio behindert wurde. Und zwar ganz klar durch den Verfassungsschutz, der falsche Informationen gegeben hat.“


Armin Schuster, CDU-Obmann des 3. Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages am 11.11.2015:

„Warum eigentlich diese zweite Auflage? Weil es nicht nur ein Trio war sondern mehr. Weil wir den Kopf des Trios gar nicht kennen. (…) Weil es kein verabredeter Mord war, Selbstmord, in Eisenach. Weil die Wohnung in der Frühlingsstraße gar nicht in die Luft geflogen ist, wie wir’s bisher glauben. Weil das Unterstützernetzwerk größer war. Weil die V-Leute Szene es doch wusste und weil Kiesewetter von mehr als zwei Tätern umgebracht wurde. Sie wundern sich jetzt, ich kann’s nicht beweisen. Aber wir alle das Gegenteil auch nicht.“

Angela Merkel 2012 auf der Gedenkfeier für die Opfer des NSU:

“Als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland verspreche ich Ihnen: Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen.”

Merkels Versprechen war nicht mehr als ein Lippenbekenntnis. Seit dem 4.11.2011 werden die Hintergründe einer beispiellosen Mordserie vertuscht.


Dorothea Marx (SPD) am 2.11.2015 zum Verfassungsschutz und dem NSU:

„Es stellt sich schon die Frage, ob wir hier ein betreutes Morden hatten.“


Die Zwei-Täter Theorie der Bundsanwaltschaft gerät am 28.9.2015 erneut schwer ins Wanken:

„Nach dem mutmaßlich vom NSU verübten Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn will ein Zeuge drei verdächtige Menschen gesehen haben. Es habe sich um eine junge Frau und zwei Männer gehandelt, von denen einer blutverschmierte Hände gehabt habe, sagte der Zeuge vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des baden-württembergischen Landtags aus.Der Mann habe sich die Hände im Neckar gewaschen. Er habe die drei noch gefragt, ob sie Hilfe bräuchten. Dabei sei ihm aufgefallen, dass die Frau außergewöhnlich grüne Augen gehabt habe.“ (n-24 28.9.2015)


Der Onkel der in Heilbronn ermordeten Polizistin wurde am 30.10.2015 vor dem Untersuchungsausschuss in BW angehört. Der Auftritt des ehemaligen Staatsschützers im Bereich Rechtsextremismus wirft neue Fragen auf:

„In einer Befragung am 3. Mai 2007, einen Tag nach der Beerdigung seiner Nichte, hatte W. einen möglichen Zusammenhang zwischen den „Türken-Morden“ und dem an der Polizistin genannt. Doch wie konnte der Onkel das vier Jahre vor Auffliegen des NSU wissen? Wegen der verwendeten Kaliber und weil wohl Fahrradfahrer involviert waren, sagt er am Freitag in Stuttgart. Der Hinweis eines Kollegen habe ihn darauf gebracht. Ausschussvorsitzender Wolfgang Drexler (SPD) wundert sich: Das Kaliber der Ceska, der neun Menschen zum Opfer fielen, war aber ein anderes als das der Tatwaffen in Heilbronn. Zudem gibt es keine Hinweise, dass die Täter in Heilbronn mit Fahrrädern unterwegs waren. Eine plausible Begründung für die Mutmaßung können aber weder Mike W. noch sein Kollege Uwe M. von der Polizeiinspektion Saalfeld nennen. Sie hätten damals einfach nach jedem Strohhalm gegriffen. Stattdessen tauchen weitere Ungereimtheiten auf. So versichern beide Beamte, dass der Zeitpunkt der Befragung nicht so kurz nach dem Tod der Nichte war, sondern Wochen, wenn nicht gar ein Jahr später – obwohl das Vernehmungsprotokoll mit dem frühen Datum durch Mike W. unterschrieben ist. (…) Licht ins Dunkel bringt W. am Freitag nicht. Er selbst rätsele noch nach dem Motiv: „Für mich ist das unerklärlich. Ich kann mir das Warum nicht erklären.“ Er könne lediglich ausschließen, dass seine Nichte ein gezieltes Opfer wurde – trotz der Verbindungen des NSU in die Heimatregion der Polizistin.“ (SWP 31.10.2015)


Noch eine Überraschung aus Baden-Württemberg:

„Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses „Rechtsextremismus/NSU“ in Baden-Württemberg, Wolfgang Drexler (SPD), sagte am Freitag, dass sich in jüngster Zeit zwei Zeugen beim Ausschuss gemeldet hätten, die bisher nicht der Polizei oder den Ermittlungsbehörden bekannt gewesen seien. In einem Fall habe der Ausschuss den Hinweis an den Generalbundesanwalt weiter geleitet. Dabei sei es um eine „Handy-Aufnahme von der Tat“ gegangen, so der Ausschussvorsitzende. Der zweite Zeuge will etwa eine Stunde vor der Tat in Heilbronn Beobachtungen gemacht haben. Weitere Details nannte Drexler nicht. Er betonte aber, dass der zweite Zeuge darum gebeten habe, anonym zu bleiben.“ (Thüringer Allgemeine 30.10.2015)


Der Journalist Thomas Moser schreibt über weitere unglaubliche Informationen, die im NSU-Untersuchungsausschuss von Baden-Württemberg publik wurden: Der Staatsanwalt von Heilbronn beeinflusste das Gutachten über den Polizisten Martin Arnold, der bei dem Attentat von Heilbronn beinahe ums Leben kam. Desweiteren wurde im März 2015 eine Zeugin, die die möglichen Täter gesehen hat von Beamten erneut vernommen. Erstaunlicherweise will keine Behörde von dieser Vernehmung etwas wissen.


Und wieder einmal wurde ein V-Mann enttarnt, der Kontakte ins NSU-Umfeld unterhielt:

„Für die Behörde könnte die Enttarnung noch brenzlig werden. Wieder muss sich der Verfassungsschutz fragen lassen, wie nahe er am NSU-Trio dran war. Denn der umtriebige Sokol besaß auch einen Onlineshop für rechtsextreme Szenekleidung, den Patria-Versand – und der bekam 2011 brisante Post. Als sich die NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach einem missglückten Banküberfall in Eisenach am 4. November 2011 erschossen, zündete wohl Beate Zschäpe die gemeinsame Wohnung in Zwickau an. Dann soll sie 15 Bekenner-DVDs des NSU verschickt haben: an die Linkspartei in Halle, den Axel-Springer-Verlag oder das Türkische Konsulat in München. Nur ein Exemplar ging an einen rechtsextremen Empfänger: den Patria-Versand.“ (taz 4.10.2015)


Ein weiterer Neonazi gerät am 14.10.2015 in den Verdacht im Dienst des Staates gestanden zu haben: das Führungsmitglied des Thüringer Heimatschutzes und rechte Hand des bereits entlarvten V-Mannes Tino Brandt, Mario Brehme. Brehme verweigerte auf die simple Frage, ob er jemals für den Militärischen Abschirmdienst gearbeitet habe, die Antwort:

„Nebenklage-Anwalt Yazuz Narin hatte ihm einen Aktenvermerk vorgehalten, demzufolge neben THS-Gründer Tino Brandt noch ein weiterer Geheimdienst-Zuträger an der Spitze dieser Organisation stehe. Auf die Frage, ob es sich dabei um ihn handele, antwortete der Zeuge nicht. Der Anwalt, den er zu seinem Beistand mitbrachte, machte geltend, der Zeuge könne die Frage mangels Aussagegenehmigung nicht beantworten. Davor hatte der Zeuge geschildert, er und Brandt hätten einen annähernd vollständigen Überblick über die Szene in Thüringen gehabt. Sie hätten eine regelrechte „zentrale Meldestelle“ eingerichtet. Die „Kameraden“ hätten „gauweit“ aus ganz Thüringen Informationen geliefert und seien „weisungsgebunden“ gewesen. Brandt sei sein Vorgesetzter gewesen und habe seinerseits Weisungen einer anderen Organisation ausgeführt.“ (RP 14.10.2015)


Lustiges aus dem PUA Hessen am 11.5.2015:

„Der NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags befragt seit dem Vormittag eine Polizistin zu einem abgehörten Telefonat zwischen Verfassungsschützern nach dem Mord an Halit Yozgat in Kassel. Eine brisante Stelle, die sie nicht in die Akten aufnahm, bewertete sie als Scherz.“ (HR 11.5.2015)

In der selben Befragung erklärte der Geheimschutzbeauftragte Hess, seine Bemerkung sei „etwas ironisch“ gemeint.

Es ging um die Bemerkung („Ich sage ja jedem: Wenn er weiß, dass irgendwo so etwas passiert, bitte nicht vorbeifahren.“) des Geheimschutzbeauftragten Gerald-Hasso Hess gegenüber dem ehemaligen Verfassungsschützer Temme, der zum Zeitpunkt des Mordes an Halit Yozgat im Kasseler Internet Cafe nichts gehört und gesehen haben will. Temme verstrickt sich seit Beginn der Ermittlungen in Widersprüchen. Der damaligen Innenminister Bouffier schützte ihn dabei, als er 2007 die polizeilichen Ermittlungen behinderte.


Auch um den NSU-Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg ist ein gnadenloser Machtkampf entbrannt: Die schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten sich: Erst sollte die Aufklärung des Polizistenmordes von Heilbronn, Mord Nummer zehn im NSU-Komplex, mittels der Ermittlungsgruppe Umfeld des Landeskriminalamtes (LKA) verhindert werden, dann mittels einer Enquête-Kommission im Landtag, nun durch einen Untersuchungsausschuss selber.


Ein wichtiger Zeuge des NSU-Untersuchungsausschusses in Baden-Württemberg ist der ehemalige Informant des Verfassungsschutzes Torsten O. Dieser war 1989/90 unter dem Decknamen „Erbse“ für das LfV in Baden-Württemberg tätig. Er wurde im Bereich Rechtsextremismus eingesetzt. Noch im März 2015 bestritt O. die Aussage des Verfassungsschützers Günter S., er habe bereits 2003 Informationen zum NSU an den Beamten weitergeleitet. Im Juni 2015 rückt Torsten O. von dieser Aussage ab und bestätigt nunmehr die Aussage von Günter S.:

„Im letzten Themenkomplex habe ich den Bereich des Rechtsspektrums angesprochen und habe dem Herrn S[…] Sachen mitgeteilt, die ich von einem verdeckten Ermittler des Bundeskriminalamtes mir berichtet bekommen habe. Und unter anderem sind in diesem Zusammenhang auch die Namen Böhnhardt und Mundlos gefallen. Ich habe vom Thüringer Heimatschutz [THS] und von dem Nationalsozialistischen Untergrund gesprochen.“ (Telepolis/Thomas Moser 7.7.2015)

Im Freitag formuliert Moser die Problematik noch pointierter:

„Angeblich haben Geheimdienste und Polizei viele Jahre nichts vom Nationalsozialistischen Untergrund gewusst. Sie tappten im Dunkeln, hatten keinerlei Hinweise. In Wirklichkeit spricht jedoch vieles dafür, dass der baden-württembergische Verfassungsschutz schon im Jahr 2003 vom NSU gehört hat. Im Stuttgarter Untersuchungsausschuss hatte ein entscheidender Zeuge zwar das Gegenteil erklärt, jetzt aber widerruft er seine Aussage im Gespräch mit dem Freitag. Beamte des Landes- und des Bundesverfassungsschutzes hätten ihn unter Druck gesetzt. Er sollte lügen, um die offizielle Geschichte nicht zu gefährden. (…) Torsten O. war in den Jahren 1989 und 1990 unter dem Decknamen „Erbse“ für den Geheimdienst in Baden-Württemberg tätig. Eingesetzt wurde er im Bereich Rechtsextremismus. Dieser Hintergrund ist wichtig, um zu verstehen, warum er bisher über das Gespräch mit Günter S. vollkommen anders ausgesagt hat. Wenige Tage nach dem Auffliegen des NSU am 4. November 2011 in Eisenach hätten ihn drei Verfassungsschützer aus dem Bett geklingelt, berichtet O. heute. Sie hätten ihm gesagt, er dürfe mit niemandem über das Gespräch mit Günter S. reden. Die Geheimhaltungs- und Schweigepflichterklärung, die er als V-Mann 1989 abgegeben habe, gelte auch für dieses Gespräch im Jahre 2003. Würde er sich nicht daran halten, wäre das Landesverrat und Geheimnisverrat. „Dann wurde mir noch angedroht, wenn ich nur piep sage, würde man mich aus dem Verkehr ziehen und ich würde irgendwo in einem Gefängnis vergammeln.“ Günter S. hatte sich, bereits im Ruhestand, im November 2011 nach Bekanntwerden des NSU von sich aus an das Bundeskriminalamt gewandt und die Geschichte seines Informanten Torsten O. und dessen Hinweises auf NSU und Mundlos erzählt. Er wollte mithelfen, die Mordserie aufzuklären, sagt er heute. Am 25. November wurde S. polizeilich vernommen. Am Abend jenes Tages, so berichtet es Torsten O., seien die drei Verfassungsschützer erneut vor seiner Wohnung aufgetaucht, hätten ihn unter Druck gesetzt und ihm Instruktionen für eine anstehende Vernehmung durch die Polizei-Sonderkommission „Parkplatz“ gegeben: „Ich sollte sagen, wenn ich gefragt werde, das Gespräch mit dem Herrn S. hätte 10 bis 15 Minuten gedauert, und soll alles dementieren, was mit dem Rechtsspektrum im Zusammenhang steht.“ (Der Freitag 13.7.2015)

Nach der Veröffentlichung des Artikels von Thomas Moser bekam Torsten O. im Gefängnis Besuch von drei Beamten des Bundeskriminalamtes, Abteilung Staatsschutz:

„Sie kamen im Auftrag des Generalbundesanwaltes, wie die Behörde bestätigt. Unter anderem erkundigten sich die Männer aus Meckenheim nach jenem BKA-Mann, von dem O. vor Jahren die Informationen über NSU, Mundlos und auch Böhnhardt bekommen haben will. Er gab ihnen bereitwillig Auskunft und nannte den Namen: Jochen R. Er habe den Eindruck gehabt, erzählt Torsten O., dass die BKA-Beamten bereits wussten, um wen es geht. Sie seien nicht überrascht gewesen, meint er. (…) Und dann fragten die Vernehmer noch nach einem Sachverhalt, der gar nicht in dem Artikel stand. O. will nämlich das Gespräch mit dem Verfassungsschützer Günter S. im Sommer 2003 verdeckt aufgezeichnet haben. Er hat das in Briefen sowohl gegenüber dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) als auch dem NSU-Untersuchungsausschuss von Baden-Württemberg erwähnt. Das BKA wollte wissen, wo diese Aufzeichnungen sind, um sie zu holen.  (…) Allerdings stellt sich in diesem Zusammenhang nun eine ganz andere Frage: Gab der Untersuchungsausschuss vertrauliche Informationen eines Zeugen an Ermittlungsorgane weiter? Noch dazu, ehe er den Zeugen – ein zweites Mal – selber vernommen hat. Laut O. sollen die BKA-Beamten einen Mitarbeiter des Ausschusses zitiert haben, mit dem er telefoniert hatte. (…) Das Sekretariat des Ausschusses bestreitet das: „Mit der Behörde des Generalbundesanwaltes oder dem Bundeskriminalamt hat keinerlei Kommunikation betreffend Herrn O (…) und seinen Erklärungen gegenüber dem Ausschuss stattgefunden. Insbesondere wurden diesen Behörden keine Protokolle, Vermerke, Briefe oder andere Unterlagen zugesandt, die Herrn O (…) oder seine Erklärungen gegenüber dem Untersuchungsausschuss betreffen“, lässt der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler (SPD) schriftlich mitteilen.  Doch wie passt das damit zusammen, dass O. bei den BKA-Beamten ein Schreiben mit dem Landtagsbriefkopf gesehen haben will? Den Briefkopf kennt er aus seinem eigenen regen Schriftverkehr mit dem Ausschuss zur Genüge. Der bleibt dabei: „Keinerlei Kommunikation mit GBA oder BKA.“ Ausgerechnet die oberste Ermittlungsbehörde selber straft den Ausschussvorsitzenden Lügen. „Ausgangspunkt der Befragung (von Torsten O.)“, schreibt die Bundesanwaltschaft auf Nachfrage, „waren Angaben, die der Hinweisgeber gegenüber dem Sekretariat des Untersuchungsausschusses getätigt hat.“ „Keinerlei Kommunikation mit GBA und BKA“? Diese Auskunft des Drexler-Büros entspricht jedenfalls nicht der Wahrheit.“ (Telepolis, 15.9.2015)


Auch in Thüringen deuten sich zumindest spannende Entwicklungen an, die offene Fragen im Zusammenhang mit dem mutmaßlichen Suizid von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, sowie der Manipulation von Akten und dem Vernichten von Beweismitteln ins Blickfeld rücken:

„Nach Aussage der Ausschussvorsitzenden gibt es noch viele offenen Fragen. So solle beispielsweise geklärt werden, ob die beiden Toten laut offiziellem Obduktionsergebnis wirklich keine Rußpartikel in der Lunge hatten. Der damalige Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Zierke, soll dagegen gut drei Wochen nach dem Auffinden der Leichen im Innenausschuss des Bundestages erklärt haben, dass Mundlos Brandruß in seiner Lunge hatte, weil er erst Böhnhardt erschossen, danach das Wohnmobil angezündet und so den Ruß eingeatmet habe, bevor er sich selber erschoss. Dorothea Marx stellte Donnerstagabend die Frage, ob damals vielleicht Akten manipuliert wurden. Das Untersuchungsgremium wird sich aber auch noch einmal mit dem Verschwinden von Fotos vom Tattag beschäftigen. Neben den Tatortfotos der Polizei soll auch die Feuerwehr mit einer Digitalkamera Bilder gemacht haben. Diese seien eingezogen worden, bestätigte der damalige Einsatzleiter Michael Menzel Ende März des Vorjahres dem Vorgängerausschuss. Diese Bilder lassen sich offenbar nicht in den Akten finden. Dagegen erreichte die Ausschussvorsitzende vor einiger Zeit ein Dokument, welches ganz offensichtlich in die Akten gehört. Am 6. Februar 2012 stellt die Soko „Trio“ beim Bundeskriminalamt in einem Vermerk zur Asservatenauswertung fest, dass es sich bei sechs Fundstücken um „Projektilteile aus dem Körper des Böhnhardt“ handle, die in der Rechtsmedizin gesichert wurden. Unter dem Stichpunkt „Fazit“, heißt es: „Es besteht keine Relevanz.“ Nach Recherchen unserer Zeitung wurde Ende März 2012 offenbar doch ein Antrag auf kriminaltechnische Untersuchung dieser Asservate gestellt. Die Experten sollten – wenn möglich — die Munitionsart bestimmen und prüfen, ob die Bruchstücke einer sichergestellten Waffe zugeordnet werden können. Das Ergebnis ist nicht bekannt.“ (Thüringer Allgemeine 10.5.2015)


„Brand im Wohnwagen: Feuerwehr widerspricht Polizei: Die Dienstwaffen der Polizisten werden am 4. November 2011 im ausgebrannten NSU-Wohnwagen in Eisenach gefunden. Im Brandschutt der NSU-Wohnung in Zwickau tauchen kurz darauf die Heilbronner Tatwaffen auf, außerdem eine Jogginghose mit Blutspritzern von Kiesewetter. In einem später verbreiteten mutmaßlichen NSU-Bekennervideo sind Bilder von Kiesewetter zu sehen. Damit ist für die Ermittler klar, dass der NSU für den Anschlag auf der Theresienwiese verantwortlich ist, und dass nur Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos die Täter sein können. Allerdings tauchen nun Fragen zur Auffindesituation der Waffen im Wohnwagen auf. Feuerwehrleute in Eisenach erklären vor dem Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss, dass bei den Löscharbeiten noch keine Waffen im Wohnwagen lagen. Ihre Fotos seien vor Ort von der Polizei beschlagnahmt worden und seither verschwunden – ein für die erfahrenen Brandbekämpfer ungewöhnlicher Vorgang. Sie erklären zudem, dass die Position der Leichen eine andere war, als auf später erstellten Polizeifotos zu sehen ist. Wurde die Auffindesituation manipuliert?“ (SWP 19.9.2015)


Am 17.9.2015 berichtet der MDR:

„Das Thüringer Landeskriminalamt hat dem NSU-Ausschuss im Thüringer Landtag Akten vorenthalten. Die Ausschussvorsitzende Dorothea Marx sagte MDR THÜRINGEN, erst jetzt seien detaillierte Unterlagen der Kriminaltechnik zu den Eisenacher Ermittlungen 2011 eingegangen. Nach ihren Angaben lagen diese Akten bisher auch weder dem Bundeskriminalamt noch im NSU-Prozess in München vor.“


Die 3Sat Dokumentation „Der Kampf um die Wahrheit“ (Sendetermin 6.7.2015) widmet sich ausführlich den Ungereimtheiten im Zusammenhang mit dem mutmaßlichen erweiterten Suizid von Mundlos und Böhnhardt:

„Ein zweiter Schwerpunkt des Filmes liegt auf den Todesumständen von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhadt: Hier stimmen Augenzeugenberichte von Feuerwehr und Fotografen nicht mit den offiziellen Ermittlungsakten überein. Die anfänglichen Zweifel einiger Journalisten sind inzwischen auch auf der politischen Ebene handfest geworden. Der Film zeigt die intensive Zusammenarbeit von Mitgliedern des Thüringer Untersuchungsausschusses mit Journalisten und Bloggern, die eines deutlich macht: es gibt in Deutschland eine gar nicht so kleine Basis an Menschen, die intensiv an der Aufklärung der ungelösten Fragen zum „NSU“ arbeiten.“


Bundesinnenminister Thomas de Maizière will am 25.3.2015 mal wieder nichts gewusst haben:

„Wenn man im Blick auf NSU die Frage stellt, wie konnte es geschehen, dass man das alles nicht wusste oder wenn wir jetzt die Frage diskutieren, wie kann man verhindern, dass sich bestimmte, meinetwegen Rechtsextremisten, in bestimmte Nähe von Waffen begeben (…) dann brauchen wir dazu Verfassungsschutzbehörden.“

De Maizière ignoriert die Tatsache, dass „man“ sehr wohl viele Information über den NSU besaß. Die Radikalierung der Neonazis, ihre Bewaffnung und auch Hinweise auf ihren Aufenthaltsort waren den Behörden bekannt. Ein V-Mann des MAD berichtete beispielsweise, wo die Untergetauchten sich angeblich aufhielten.

De Maizière erklärte 2011 hierzu:

„Diese Information ist den zuständigen Verfassungsschutzbehörden übermittelt worden. Sie ist mitnichten beim MAD liegengeblieben.“

2012 wurde zudem öffentlich, dass das Innenministerium dem NSU-Ausschuss des Bundestages eine MAD-Akte über Uwe Mundlos vorenthalten hatte. Mundlos sollte sogar von dem Geheimdienst angeworben werden:

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Tote Zeugen im NSU-Komplex:

Am 29.3.2015 wird bekannt, dass auch die ehemalige Freundin des NSU-Zeugen Florian Heilig, Melisa M., mit 20 Jahren unter bislang ungeklärten Umständen ums Leben gekommen ist. Heilig, der sich 2013 am Tag einer geplanten Vernehmung durch die Polizei angeblich in seinem Auto verbrannte, fühlte sich vor seinem Tod von Rechtsextremen bedroht. Die Eltern von Heilig schließen einen Suizid aus. Das von Ermittlern vermutete Motiv Liebeskummer ist unrealistisch. Heiligs Ex-Freundin wurde seinerzeit nicht befragt, die Staatsanwaltschaft verhinderte weitergehende Ermittlungen.

Tom Sundermann sieht am 30.3.2015 auf Zeit Online plausible Erklärungen für das Ableben der NSU-Zeugen:

„Erst Anfang März war Melisa M. vor dem Untersuchungsausschuss zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) in Baden-Württemberg befragt worden. So wurde ihr Tod zum Teil einer Reihe von Fällen, in denen Zeugen aus dem NSU-Komplex auf unnatürliche Weise starben. Drei solcher Fälle sind bekannt. Für alle drei liegen plausible Erklärungen vor.“

Zeuge 1: Thomas Richter stand jahrelang in Diensten des Bundesamtes für Verfassungsschutz und wurde mindestens von 1997 bis 2007 als Quelle mit dem Decknamen Corelli geführt. Corelli hatte seinem Quellenführer beim Verfassungsschutz bereits 2005 eine DVD mit rechtsextremem Material und einer Datei mit dem Titel “NSDAP/NSU” übergeben. Er unterstützte die Zeitschrift „Der Weisse Wolf“, deren Internetpräsenz sich auf einer seiner rechtsextremen Websites befand. 2002 war dort zu lesen: »Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen. Der Kampf geht weiter …«. Uwe Mundlos erwähnte Thomas Richter in einer Adressliste, zudem war er auch Mitglied im Ku-Klux-Klan, wie Kollegen der getöteten Polizistin Michèle Kiesewetter. Der 39-Jährige starb im Zeugenschutzprogramm laut Obduktion an einer nicht erkannten Zuckererkrankung.

„Der einstige Grünen-Bundestagsabgeordnete Jerzy Montag wurde vom parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags eingesetzt, um Akten zu dem schillernden Spitzel zu studieren – weil „Corelli“ bereits 2005 eine CD mit der Aufschrift „NSU/NSDAP“ dem Amt übergeben hatte – Jahre vor Auffliegen des Netzwerks. Sonderermittler Montag hatte tausende Dokumente studiert, Befragungen durchgeführt und einen 300-seitigen Bericht verfasst. Allerdings ist dieser so geheim, dass nicht einmal der NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags diesen zu Gesicht bekommt. Auch die Taktik, Montag als Sachverständigen zu den Inhalten zu befragen, scheiterte. Der Bundestag schränkte seine Aussagegenehmigung weit ein. Rechtlich dürften die Erkenntnisse nur vom Kontrollgremium genutzt werden, um zu prüfen, ob die Geheimdienste korrekt gearbeitet haben. Dabei würden diese Informationen auch dem U-Ausschuss helfen, da „Corelli“ auch hier eine wichtige Rolle spielte. 1999, das verriet Montag, lernte der Spitzel im Chatraum „Holocaust 2000″ den Schwäbisch Haller Achim Schmid kennen, der einen Ku-Klux-Klan gründen wollte.“ (SWP 28.11.2015)

Zeuge 2: Florian Heilig starb am Tag einer geplanten Vernehmung durch die Polizei. Heilig hatte behauptet die Täter von Kiesewetter zu benennen zu können und erwähnte neben dem NSU eine weitere rechtsextreme Gruppierung namens NSS. Suizid durch Verbrennen in seinem Auto war die erklärte Todesursache. Motiv:Liebeskummer. Der Rechtsmediziner Prof. Wehner sagte vor dem NSU-Untersuchungsausschuss im März 20015, er halte es bei der Konstellation von Feuer und Medikamenten für möglich das etwas von außen beigebracht wurde. Ein Ermittler im Todesfall Heilig, der Kriminaloberkommissar Jörg B., hatte Kontakte zum Ku-Klux-Klan.

Zeuge 3: Melisa Marijanovic. Wurde von Florian Heilig nach kurzer Liaison verlassen und im März 2015 in nicht öffentlicher Sitzung vor dem NSU-Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg befragt. Die 20-Jährige ist laut erstem Befund an einer Lungenembolie gestorben, die auf ein Hämatom im Knie zurückgeführt wurde. Die Staatsanwaltschaft untersucht zudem, ob die junge Frau womöglich vergiftet wurde. Melisa Marijanovic starb am 28. März 2015. Ihr Partner (Sascha W.) hatte sie abends zuhause mit krampfartigen Anfällen vorgefunden. Ihr Tod ist bis heute nicht restlos aufgeklärt.

Thomas Moser berichtet am 15.2.2016 auf Telepolis:

„Die Lungenembolie soll durch „mehrere Blutgerinnsel“ verursacht worden sein, wie die zuständige Staatsanwaltschaft auf Nachfrage erklärte. Wie diese Gerinnsel zustande kamen oder wo sie herkamen, ist allerdings nicht gesichert. Vermutlich von einem Sturz aufs Knie, so der Sprecher der Behörde. Die Sportlerin war eine Woche zuvor beim Motorradsport leicht gestürzt und hatte eine kleine Verletzung über dem Knie. Melisa und Sascha waren beide im selben Motorsportclub aktiv. In einer Pressemitteilung über das Ergebnis der Obduktion von Melisa M. hatte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe am 9. Juni 2015 in einer unbestimmten Formulierung mitgeteilt, dass „…die Lungenembolie ihre Ursache in der unfallbedingten Knieverletzung der Frau gehabt haben dürfte. [!]“ Im Gutachten der Heidelberger Rechtsmedizin lautet die Formulierung: „…die Blutgerinnsel“ in der Lunge seien „höchstwahrscheinlich“ durch den Sturz auf das Knie zustande gekommen. Die Rechtsmedizin in Heidelberg wollte sich nicht äußern.“

Am 15.2.2016 wird zudem bekannt, dass auch der Lebensgefährte von Melisa M. (Sascha W.) in Kraichtal (Baden-Württemberg) verstorben ist. W. hatte Melisa M. 2015 bei ihrem Auftritt vor dem Unteruchungsausschuss begleitet und soll sich dort auch geäußert haben:

„Er wurde am Montag vor einer Woche (8. Februar) abends gefunden. Weil keine natürliche Todesursache festgestellt wurde, ordnete die Staatsanwaltschaft Karlsruhe eine Obduktion an. Nach Auskunft von Behördensprecher Tobias Wagner habe man „bislang keine Anhaltspunkte für Fremdverschulden“ gefunden. Man gehe von einem Suizid aus. Zusätzlich gebe es eine Abschiedsnachricht von Herrn W., die elektronisch verschickt wurde. Weitere Angaben wollte die Staatsanwaltschaft zum Todesfall Sascha W. nicht machen. Weder über den Inhalt der Abschiedsnachricht noch über den Adressaten, weder über die Art des Suizids noch über weitere Ergebnisse aus der Obduktion. Auch nicht darüber, wer den Toten gefunden hat.“ (Telepolis/Thomas Moser 15.2.2016)

„Alles deutet auf einen Suizid hin“, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Karlsruhe am Dienstag dem SWR. Die Suizidvermutung werde durch das vorläufige Obduktionsergebnis gestützt und außerdem untermauert durch eine „elektronische Nachricht“, die der Mann kurz vor seinem Tod abschickte. (…) Die Staatsanwaltschaft will nun im Umfeld von Sascha W. erfragen, welche Motive für seinen vermuteten Suizid eine Rolle gespielt haben könnten. Ob der Mann Verbindungen zur rechtsextremen Szene gehabt habe, sei bislang nicht bekannt. Mit dem endgültigen Obduktionsergebnis werde in einigen Wochen gerechnet.“ (SWR 17.2.2016)

Alles deutet auf einen Suizid hin? Oder vieles? Einen Tag später schreibt die AZ:

„Vor zehn Tagen wurde die Leiche von Sascha W. entdeckt. Er war der neue Freund von Melisa B. Zufall? „Wir können noch kein abschließendes Urteil abgeben“, so Staatsanwalt Wagner. Aber vieles spreche für einen Selbstmord.“

„Melisa M. erklärte den Ausschussmitgliedern, warum sie selbst Angst habe. Ihr Verlobter habe früher in einem Mehrfamilienhaus gewohnt, in dem auch „ein Nazi“ wohnte. Der sei mit einem ehemaligen Kumpanen von Heilig befreundet. Ihr Verlobter Sascha W. präsentierte den Abgeordneten einen Screenshot, um den Mann zu identifizieren. Das Bild zeigt Jörg K. aus Heilbronn. Den 43-Jährigen kennt die Polizei zwar als rechten Skinhead. K. bewegt sich aber seit Jahren in der lokalen Trinker- und Drogenszene. Kontakte zu militanten Neonazi-Netzwerken um den NSU sind nicht zu erkennen.“ (Stuttgarter Nachrichten 17.2.2016)

Eine gute Freundin von Sascha W. zweifelt an der Suizid These der Polizei:

„Sandra kann sich sehr genau an diese von Trauer geprägte Zeit erinnern – auch daran, dass Sascha an der Todesursache zweifelte. Dennoch fing sich Sascha langsam wieder, was Sandra auch daran festmachte, dass er wieder ganz in seinem Lieblingssport aufging: Motocrossrennen. Das führte dazu, dass Sandra für ihn mögliche Rennstrecken ausfindig machte, da Sascha Lust auf neue Pfade hatte. Das war im Oktober letzten Jahres. Noch an seinem Geburtstag, am 19. Januar 2016, hatten sie Kontakt. Auf Sandra wirkte er alles andere als lebensmüde. »Es ist für mich unvorstellbar, dass er sich selbst das Leben genommen haben soll«, betont sie. Sie will diese Zweifel nicht für sich behalten, auch wenn sie spürt, wie viele Angst haben – und wie viele, die sie bisher kontaktiert hat, nicht auf ihre Fragen antworten. Dazu gehört auch die Frage: Wer soll diesen »elektronischen Abschiedsbrief« bekommen haben? Sie habe ihn jedenfalls nicht erhalten. Sie fragt sich auch: »Warum hätte er dies per Mail tun sollen? Das sieht Sascha so gar nicht ähnlich.«“ (Junge Welt/Wolf Wetzel 23.2.2016)

Am 8. Februar wurde in Mosbach/Waldbrunn (keine 50 Kilometer von Kraichtal entfernt) ein Toter in einem brennendem Fahrzeug aufgefunden. Handelte es sich bei der Leiche um Sascha W.?

„Eine stark verbrannte Leiche fand die Feuerwehr in einem ausgebrannten Auto auf einem Parkplatz an der Landesstraße L 589 am Sonntagmorgen. Zeugen hatten das brennende Fahrzeug zwischen Mosbach-Lohrbach und Waldbrunn-Weisbach gegen 10.15 Uhr gemeldet. Die Freiwillige Feuerwehr Weisbach löschte den Brand und fand auf dem Fahrersitz des Autowracks die stark brandgezehrte Leiche eines Mannes. Eine Obduktion am Mittwoch soll die Identität des Toten und die Todesursache klären. Bisher ist unklar, ob es sich um einen Unfall, ein Verbrechen oder einen Selbstmord handelt.“ (Rhein Neckar Zeitung 8.2.2016)

„Im Fall des Toten in einem brennenden Pkw zwischen Weisbach und Lohrbach konnte der Leichnam inzwischen zweifelsfrei identifiziert werden. Laut Auskunft der Staatsanwaltschaft hatte der Tote seinen letzten Wohnsitz nicht im Bezirk des Landgerichts Mosbach. Bisher liegen keine Hinweise auf ein Fremdverschulden vor. Die Ermittlungen dauern jedoch weiter an.“ (Nokzeit.de 17.2.2016)

Zeuge 4: „Arthur C. rückte in den Fokus der Soko „Parkplatz“, weil ein durch Zeugen erstelltes Phantombild zum Polizistenmord in Heilbronn eine „verblüffende Ähnlichkeit“ mit ihm zeigte. Die Beamten schlossen nicht aus, dass er möglicherweise am 25. April 2007 am Tatort war. Befragt werden kann er nicht mehr. Der 18-Jährige hatte am 25. Januar 2009, kurz nach 1 Uhr, einen Freund abgesetzt und wollte ein Feuerwehrfest in Eberstadt besuchen. Gegen zwei Uhr entdeckten Autofahrer den brennenden Wagen auf einem Waldparkplatz. C. verbrannte. Im Wrack fanden Ermittler Spuren eines Benzin-Diesel-Gemisches. Ungeklärt ist, ob es Suizid oder Mord war. Arthur C. hatte wie Florian H. keinen Abschiedsbrief hinterlassen. Die Ermittler haben die Akte aber geschlossen. Der NSU-Ausschuss will nun nachhaken.“ (Südwest Presse/Haller Tagblatt 12.2.2015)

SWR Filmbeitrag vom 16.4.2015 (Sendung: Zur Sache Baden-Württemberg! Michèle Kiesewetter) über den Mord von Heilbronn vom 16.4.2015:

„Ein Phantombild vom Tatort zeigt diesen Mann. Könnte das Arthur C. sein? War er Zeuge oder an der Tat beteiligt? Kaum zu klären, denn im Januar 2009 verbrennt Arthur C. im Wald neben seinem verkohlten Auto.“

Im selben Filmbeitrag wird auch der Tod Florian Heiligs thematisiert:

Off Kommentar: „Ein möglicher dritter Zeuge lebt auch nicht mehr. Florian H., auch er verbrennt in seinem Auto im September 2013. An dem Tag als er eine weitere Ausssage machen soll. Florian hat behauptet zu wissen, wer auf die Polizisten in Heilbronn geschossen hat. Das hat er auch seiner Freundin erzählt, berichtet diese am Montag im Untersuchungsausschuss. Er habe aber nie vom NSU-Trio geredet.

Wolfgang Drexler (SPD) Vorsitzender Untersuchungsausschuss BW:

„Er hat die Namen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe nicht genannt, er hat nur NSU genannt und das ungefähr vier, fünf Monate vor Bekanntwerden dieser Situation mit NSU. Und er hat seinem Vater das Gleiche gesagt, dass das NSU gewesen wäre. Also er hat es zwei unterschiedlichen Menschen zumindest vier, fünf Monate vor entdeckt werden der NSU gesagt.“

Die zweite Ex-Freundin (Deckname „Bandini“) von Florian Heilig wird am 13.4.2015 vor dem NSU-Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg in nichtöffentlicher Sitzung befragt und bestätigt laut Aussage der Grünen Fraktion Baden-Württemberg, dass Florian Heilig ihr vor dem Sommer 2011 gesagt habe, dass der NSU Michele Kiesewetter ermordet habe.

Aus einem vorab veröffentlichten Gesprächsprotokoll, dass am 13.4.2015 in der Jungen Welt veröffentlicht wurde:

Frage: Was wusste Florian Heilig über den Mord an Michèle Kiesewetter am 25. April 2007 ? 

Bandini: „Er sagte mir Wochen bevor das mit diesem NSU bekannt wurde, er wisse, wer die Täter sind, bezog sich auf den NSU, bzw. die in Baden-Württemberg agierenden Personen, und als ich es dann später im Fernsehen gesehen habe, war ich total fertig und konnte es nicht fassen, dass Flo so tief in dieser Welt der Nazis drinne war.“

Frage: Florian Heilig kannte die Mörder? Nannte er Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe?

Bandini: „Ja, er sagte, dass Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und diese Beate Zschäpe auch mit drinnen hängen würden, er bezog sich jedoch auf die weitere Gruppe, er sagte, er weiß, wer Michèle Kiesewetter umbrachte. Er meinte, ich würde eh schon zu viel wissen und wollte mich nicht in Gefahr bringen. (…) Flo sagte, dass Michèle Kiesewetter etwas mit einem aus der Gruppe hatte, als es in Zeitung und Fernsehen war, wo die zwei Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sich ermordet haben, wunderte er sich wegen der Waffen. Er sagte auch, die beiden wurden erschossen.“

Gegenüber der Südwestpresse kommentierte Zeugin Bandini die Informationen Heiligs vom Mai 2011, der offensichtlich vor der sogenannten Selbstenttarnung des NSU am 4.11.2011, wusste, wer die Polizistin Kiesewetter tötete:

„Ich habe ihm erst nicht geglaubt. Als das am Ende des Jahres im Fernsehen kam, war ich baff.“

Tom Sundermann relativiert die Aussagen der Zeugin Bandini in seinem NSU-Medienlog auf Zeit-Online:

„Wie andere brisante Aussagen ist allerdings auch diese mit Vorsicht zu genießen: „Andere Abgeordnete verwiesen auch darauf, dass sich die Zeugin mit dem Zeitpunkt auch geirrt haben könne“, berichtet die Thüringer Allgemeine.“

Sundermann versäumt zu erwähnen, dass Bandini laut des Ausschussvorsitzenden Drexler (SPD) einen „guten Eindruck“ gemacht habe und dass Ulrich Goll (FDP) erklärte:

„Für mich hat die Hinweisgeberin keinen unglaubwürdigen Eindruck gemacht.“ 

Darüberhinaus zeigt Tom Sundermann kein Interesse daran, weitere brisante Zeugenaussagen für seine Leserschaft zusammenzufassen und streut stattdessen die Fehlinformation, Florian H. sei am Tag vor der geplanten Vernehmung durchs LKA in seinem Auto verbrannt. Tatsächlich starb Heilig am Tag der anberaumten Befragung durch die Polizei.

In diesem schockierenden Twitter Protokoll der Sitzung des NSU-Auschusses in BW vom 13.4.2015 wird deutlich wie fahrlässig Beamte im Todesfall Florian Heilig ermittelten. Wichtige Beweisstücke wurden genauso ignoriert wie ein Zeuge, der eine weitere Person an Heiligs Wagen gesehen haben will:

„Während der gestrigen Zeugenvernehmung des Ausschusses wurden weitere Ermittlungspannen nach dem Fahrzeugbrand bekannt. So hatte eine Kriminaloberkommissarin einen Fahrlehrer befragt, der vor dem Brand auf dem Parkplatz neben dem Fahrzeug einen Fahrschüler ausgebildet hatte. In ihrem Vermerk fehlten aber Adresse, Name oder Telefonnummer des Zeugen. Zudem hieß es, dass der Zeuge keine Person im Fahrzeug vor dem Feuer gesehen habe. Der Fahrlehrer, auf den der Ausschuss erst durch Presseveröffentlichungen aufmerksam wurde, erklärte dagegen gestern, dass er eine Person vor dem Brand in dem Fahrzeug gesehen habe. (…) Für Entsetzen unter den Zuhörern im Sitzungssaal sorgen zudem Angaben des Leiters Staatsschutz bei der Kriminalpolizei in Heilbronn. In seinem Zuständigkeitsbereich gebe es keinen organisierten Rechtsextremismus, betonte der Beamte. Er verwies auch darauf, dass kaum Erkenntnisse über illegale Veranstaltungen vorliegen würden und sprach nur von Rechtspopulisten.“ (Thüringer Allgemeine 13.4.2015)


 Die V-Frau Krokus

Die V-Frau »Krokus« (Petra Senghaas) berichtet , was sie nach dem Mordanschlag in Heilbronn 2007, bei dem die Polizistin Michèle Kiesewetter getötet wurde, erfahren hat:

„Unmittelbar nach dem Mordanschlag erfuhr ich über Nelly Rühle, dass eine ihr bekannte Krankenschwester am damals geheim gehaltenen Unterbringungsort (Krankenhaus Ludwigsburg) den schwerverletzten Polizeibeamten ausspionierte. Man wollte herausbekommen, ob er sich nach dem Koma an irgend etwas erinnern könnte. Ich teilte Rainer Öttinger beim nächsten Treffen mit, dass sich Rechtsextreme, auf welche ich angesetzt war, dafür interessierten, was dieser Martin A. weiß. Öttinger schrieb alles auf und fuhr ins Landesamt für Verfassungsschutz zurück. Beim nächsten Treffen, zwei Wochen später, sprach ich Öttinger darauf nochmals an. Als Antwort bekam ich, dass ich mich aus dieser Sache herauszuhalten habe. Alles weitere wäre Sache der Polizei. Ich solle auf jeden Fall keinerlei Informationen an Dritte weitergeben, das wäre Geheimnisverrat. (…) Am 3. Mai 2012 hatte ich von zwei Herren des LKA Stuttgart Besuch. (…) In diesem ›Gespräch‹ machten sich die beiden Beamten über meine Kenntnisse zu Nelly Rühle lustig. In gleicher Weise verfuhren sie mit dem Ausspähen des schwerverletzen Polizisten. Gleichzeitig machten sie mir klar, dass ich für fünf Jahre ins Gefängnis gehen würde wegen Geheimnisverrat, wenn ich jemals etwas anderes behaupten würde.“ (Junge Welt 27.4.2015)

Drei Tage nach diesem Gespräch tauchten Neonazis am Schießstand in Langenburg auf, wo Petra Senghaas regelmäßig trainierte:

„Ich war gerade beim Abfeuern meiner ersten Schüsse, als die Tür im Schießstand aufging und drei Männer und eine Frau zur Tür hereinkamen. Matthias Brodbeck erkannte ich sofort. Ich war wie im Schock, feuerte meine weiteren drei Schüsse ab und verließ sofort den Schießstand. Ich rief vom Schützenverein aus den LKA-Beamten Hagdorn an und informierte ihn über den Vorfall. Dieser beschwichtigte mich und sagte, dass es jedem erlaubt sei, auf einen öffentlichen Schießstand zu gehen. Er lachte nur und meinte, ich sei einfach übersensibilisiert.“

Der Nationalsozialistische Untergrund ist ein Netzwerk von Kameraden mit dem Grundsatz – Taten statt Worte –


Eva Högl, ehemalige Obfrau der SPD-Fraktion im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages:

„Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass das nur die drei NSU-Mitglieder plus einer Handvoll Unterstützer waren. Denn die Tatorte sind so, dass man sie richtig auskundschaften muss.Es muss ein breites Netzwerk von Unterstützern und Mitwissern geben. (…) Aber da ist der Generalbundesanwalt nie rangegangen.“ (FR 17.3.2015)


Günther Beckstein äußerte sich 2012 vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des deutschen Bundestags zur Mordserie des NSU:

„Ich wäre ja dann auch begeistert, wenn man endlich das 100 Prozent aufgeklärt hat:Warum ist zwischen 2001 und 2004 so lange Pause? Warum ist Gott sei Dank nach 2007 nichts mehr gemacht? Die Frage: Wer hat alles mitgewusst? Der Generalbundesanwalt wird Ihnen, nehme ich an, in vertraulicher Sitzung das alles erklären.“


Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz zeigt am 11.2.2015 in der taz wenig Fähigkeit zur Selbstreflexion:

„Damals sind schwere Fehler gemacht worden, aber ich verwahre mich dagegen, dies meiner Behörde zuzurechnen. (…) Der Zeitpunkt der Vernichtung der Akten im Bundesamt im November 2011 allerdings war ein Fehler. Die vernichteten Akten hatten aber nichts mit dem NSU zu tun. (…) Wir hatten nach dem jetzigen Stand keine V-Personen im Umfeld des NSU.“

Die Verstrickungen des LFV Hessen in den Mord an Halit Yozgat bewertet Maaßen am 5.3.2015 als Spekulation. Sein Amt, das Bundesamt, sei nicht zuständig hierfür:

Frage Merkische Online Zeitung:“Wann hat Ihnen der hessische Verfassungsschutz denn mitgeteilt, dass einer seiner Mitarbeiter, der von der bevorstehenden Tat gewusst haben soll, an einem der Tatorte in Kassel war?“

Hans-Georg Maaßen: „Das ist ein rein hessisches Thema, kein Thema für das Bundesamt für Verfassungsschutz. Ich sehe keine aktuelle Informationspflicht eines Landesamtes gegenüber dem Bundesamt bei einem Vorgang, der viele Jahre zurückliegt. Im Übrigen läuft in München der NSU-Prozess, und die Bundesanwaltschaft hat letzte Woche die kürzlich aufgeflammten Spekulationen zum Mord in Kassel deutlich zurückgewiesen.“


Damit die Geheimdienste auch in Zukunft keine Lehren aus ihren Kooperationen mit kriminellen V-Leuten ziehen müssen soll eine Schutzlücke geschlossen werden:

„Die Bundesregierung bereitet eine Strafbefreiung für Mitarbeiter der Geheimdienste vor. Noch in diesem Jahr werde eine Gesetzesreform auf den Weg gebracht, erfuhr unsere Zeitung in Regierungskreisen. Von einer „Schutzlücke“ spricht der CDU-Außenpolitiker Philipp Missfelder. Die Mitarbeiter der Dienste bräuchten „den Rechtsschutz, dass sie nicht für Straftaten von V-Leuten belangt werden, die zur Tarnung verübt wurden“, sagte er unserer Zeitung.“ (WAZ 18.1.2015)


Als im April 2015 plötzlich bekannt wird, dass im Archiv des BfV Akten über zentrale V-Männer lagern, die in NSU-Nähe operierten, die bisher niemandem vorgelegt wurden, fordert die Linken Politikerin Martina Renner zurecht:

„Es ist an der Zeit, dass das Bundeskriminalamt das BfV durchsucht, um endlich alle Dokumente mit NSU-Bezug zu finden.“


Am 19.4.2015 wird zudem berichtet, dass die Bundesanwaltschaft gegen neun weitere Verdächtige ermittelt, die bislang nicht vor Gericht stehen.


Presseerklärung von 22 Nebenklagevertreterinnen und Vertretern im NSU Prozess im Nachgang zum Verhandlungstag am 23.04.2015:

„Aus den Vernehmungen der ehemaligen V-Mann-Führer Meyer-Plath und Wießner und den uns vorliegenden Akten ergibt sich: Das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz Thüringen, Sachsen und Brandenburg wussten bereits Mitte 1998 u.a. durch den V-Mann Carsten Szczepanski, dass sich das Trio im Raum Chemnitz aufhielt, sich bewaffnen wollte, einen Raubüberfall begangen hatte, einen weiteren plante und mit Geld der sächsischen Blood & Honour-Sektion unterstützt wurde. Diese Informationen wurden später im Kern durch Meldungen der V-Männer Marcel Degner und Tino Brandt bestätigt. Diese Informationen haben nur zu einem folgenlosen Treffen der drei betroffenen Landesämter geführt; über weitere nachrichtendienstliche Maßnahmen wussten die V-Mann-Führer nichts zu berichten und diese ergeben sich auch nicht aus den Akten. Dies widerspricht dem gängigen Vorgehen der Geheimdienste diametral und ist deshalb nicht vorstellbar und nicht glaubhaft. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Geheimdienste nach der Meldung zu Aufenthaltsort, Bewaffnung und Raubüberfällen in Alarmbereitschaft versetzt waren und nachrichtendienstliche Operationen eingeleitet haben, die bis heute nicht bekannte Erkenntnisse erbrachten. Nach dem derzeitigen Wissensstand und dem Verhalten der Nachrichtendienste und der Bundesanwaltschaft muss davon ausgegangen werden, dass einzelnen oder mehreren Verfassungsschutzämtern die Aufenthaltsorte und das Unterstützernetz des Trios bekannt waren und das Trio nach dem Abtauchen über längere Zeit hinweg beobachtet wurde.“


Bildquelle: Screenshot n-tv 2011

Welt Online am 22.2.2015:

„Neue Beweisanträge von Hamburger Nebenkläger-Anwälten im Münchner NSU-Prozess bringen den hessischen Verfassungsschutz in Erklärungsnot. Ein hessischer Verfassungsschützer hatte vermutlich Hinweise auf den NSU-Mordanschlag auf Halit Yozgat in dessen Kasseler Internetcafé im Jahre 2006. Das geht aus mehreren Beweisanträgen hervor, die die Anwälte von Yozgats Hinterbliebenen am vergangenen Freitag beim Oberlandesgericht München eingereicht haben, wie die „Welt am Sonntag“ berichtet. Die Anwälte fanden Hinweise, dass der Kasseler Verfassungsschützer Andreas Temme möglicherweise viel dichter an der rechtsextremen Terrorzelle dran war als bisher bekannt. Der Beamte Temme befand sich zur Tatzeit am 6. April 2006 in Yozgats Internetcafé, als der Anschlag verübt wurde. Die Anwälte schreiben, dass Temme „konkrete Kenntnisse von der geplanten Tat, der Tatzeit, dem Tatopfer und den Tätern hatte“. Dies gehe aus der erneuten Auswertung der abgehörten Telefongespräche von Temme hervor, dessen Anschlüsse vom 19. April 2006 bis zum 23. September 2006 von der Polizei überwacht wurden. Weiter wollen die Juristen beweisen, dass Temmes Dienstherr, das hessische Landesamt für Verfassungsschutz, davon wusste und die Ermittlungen der Polizei systematisch blockierte. In einem Telefonat mit Temme hatte der Geheimschutzbeauftragte des Amtes wenige Wochen nach dem Mord gesagt: „Ich sage ja jedem: Wenn er weiß, dass irgendwo so etwas passiert, dann bitte nicht vorbeifahren.“ Für die Anwälte Thomas Bliwier, Doris Dierbach, Alexander Kienzle und Bilsat Top ergibt sich daraus, dass der Verfassungsschutz „zumindest in der Person des Mitarbeiters Temme bereits vor dem Mord an Halit Yozgat über Kenntnisse zu der bevorstehenden Tat verfügte“. Bei Weitergabe der Erkenntnisse hätte sowohl der Mord an Yozgat wie auch der darauf folgende an der Polizistin Michele Kiesewetter 2007 verhindert werden können, heißt es in einem Beweisantrag. Auch der Ministerpräsident von Hessen, Volker Bouffier, soll auf Antrag der Nebenklage-Vertreter als Zeuge vorgeladen werden. Bouffier war 2006 noch Innenminister in Hessen. Der CDU-Politiker sei spätestens am 12. Juli 2006 über den Tatverdacht gegen Temme informiert worden. Das gehe aus einem Schreiben der Staatsanwaltschaft Kassel hervor. In einer Innenausschuss-Sitzung vom 17. Juli 2006 jedoch behauptete Bouffier „wahrheitswidrig“, dass er „von dem gegen Temme bestehenden Tatverdacht erst aus der Zeitung erfahren habe“, heißt es in einem Beweisantrag. Weiter soll sich Bouffier dafür eingesetzt haben, dass Temme zwar ein förmliches Disziplinarverfahren gegen sich selbst beantragt, ihm aber dadurch keine finanziellen Nachteile erwachsen sollten. Das geht aus einem Gesprächsprotokoll aus dem Innenministerium hervor, das den Nebenklage-Vertretern vorliegt. Auch die Rolle des V-Mannes Benjamin Gärtner, den der Verfassungsschützer Temme geführt hatte, soll nach dem Willen der Nebenkläger neu untersucht werden. Temme hatte unmittelbar vor der Tat mit dem V-Mann telefoniert, der nach einer Liste des Generalbundesanwalts zum engeren Umfeld von Böhnhardt und Mundlos gehörte. Insgesamt seien die „Angaben des Zeugen Temme gesteuert und nicht glaubhaft“, so die Anwälte. Die Beweiserhebung werde ergeben, dass die „seinerzeit durchgeführten Ermittlungen politisch nicht gewollt waren und unterbunden wurden“, heißt es in einem Beweisantrag.“


Rund einen Monat nach dem Mord an Halit Yozgat, die Polizei ermittelte noch gegen Andreas Temme als Beschuldigten, telefonierte Temme mit dem Geheimschutzbeauftragten des LfV. Dieser sagte ausweislich des Abhörprotokolls, das der hessenschau und hr-online vorliegt, zu seinem unter Mordverdacht stehenden Kollegen:

„Ich sage ja jedem: Wenn er weiß, dass irgendwo so etwas passiert, bitte nicht vorbeifahren.“

Im weiteren Verlauf des Gesprächs vom 9. Mai 2006 sagte der Geheimschutzbeauftragte:

„Sie können sich auch noch mal überlegen, äh, ab, ab wann auf der Außenstelle (des LfV in Kassel, Temmes Arbeitsplatz, d. Red.) bzw. Sie als Person mit der Frage, äh, konfrontiert worden sind oder mitbekommen haben, da sind in der Bundesrepublik, das war also teilweise – weiß ich jetzt nicht – vor den Geschehnisse in Kassel, nach dem Geschehnis, sind da Morde passiert (…) Und äh ab, ab wann ist Ihnen, äh, äh, klar geworden, dass Sie sozusagen, ja, ob nun bewusst oder unbewusst, das müssen Sie dann schreiben, äh, einen, ja einen mitbekommen haben. Oder, oder, oder sagen wir mal, an, an – an einem Tatort anwesend waren.“ (HR 16.3.2015)


Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier sieht sich der Veröffentlichung des Welt-Artikels in großer Bedrängnis. Da er nicht nur vor dem Innenausschuss log, sondern auch als Zeuge des NSU-Untersuchungsausschusses widersprüchliche Aussagen zu seinem Agieren bei der verhinderten Aufklärung des Mordes an Halit Yozgat machte, wird bereits der Ruf nach seinem Rücktritt laut. Den hessischen Grünen, die sich gemeinsam mit der CDU gegen einen Untersuchungsausschuss ausgesprochen hatten, ist der Koalitionsfrieden offensichtlich wichtiger als die Aufklärung eines rassistischen Mordes. Vor der Schließung der schwarz-grünen Ehe wetterte man noch gegen Bouffier und legte ihm nach seiner Lüge vor dem Innenausschuss indirekt seinen Rücktritt nahe. Davon ist im Februar 2015 nichts zu hören.


Petra Pau, Obfrau der Linken im NSU Untersuchungsausschuss des Bundestages:

„Unser alter Untersuchungsausschuss sollte dumm gehalten werden.“


Eva Högl, Obfrau der SPD im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages:

“Die Behörden vertuschen etwas.”


Was vertuschen sie ?

Die Unterstützung rechtsextremer Strukturen mittels diverser V-Leute, die im nahen Umfeld des NSU aktiv waren, die systematische Vernichtung von Akten über Quellen, die Bezüge zum sogenannten NSU-Trio hatten, die gezielte Sabotage des Auffindens der flüchtigen Terroristen und die mangelnde Aufklärung der Todesursache von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.


Der Thüringer Landtagsabgeordnete Bodo Ramelow in einem Radio-Interview vom 20.06.2012 zum Tod von Mundlos und Böhnhardt in Eisenach:

“Es gibt ja die von mir immer wiederholte Information, dass unmittelbar nachdem die beiden tot in ihrem Camper lagen, der Bundesnachrichtendienst und der militärische Abschirmdienst hier in Thüringen in Erscheinung getreten ist. Die Polizisten erinnern sich, als sie die Ermittlungsarbeiten gemacht haben, dass, so die Information eines Polizisten, die Geheimsten aller Geheimen sich gegenseitig auf den Füßen ‘rumgelascht sind. Das fanden die Polizisten sehr seltsam, weil bei einem normalen, “normalen Sparkassenraub”, konnte man sich gar nicht erklären, was der BND und der MAD da tut. (…) Ich habe von Anfang an immer die Frage gestellt: Was macht der Bundesnachrichtendienst hier ? Auf die Frage habe ich bis heute noch keine Antwort gekriegt. Ich weiß aber: Er war involviert. Wie weiß ich nicht. Ich weiß aber auch seit damals, dass der Militärische Abschirmdienst involviert war. Das hat der Schäfer Bericht mittlerweile dokumentiert. Der MAD mit V-Leuten des MAD ist dokumentiert.“


Katharina König im taz Interview vom 5.3.2015 anlässlich der Einsetzung eines zweiten Untersuchungsausschusses in Thüringen: 

„Es gibt unter anderem zwei konkrete Aufträge: Zum einen die Hintergründe des Mordes an der Polizistin Michèle Kiesewetter zu bearbeiten, die ja aus Thüringen kommt.  Der zweite Auftrag ist der 4. 11. 2011 in Eisenach. (…) Und da gibt es einige Informationen, die man nicht unhinterfragt stehen lassen kann. Dass zum Beispiel der Wohnwagen mit den zwei Leichen auf einen Abschlepptransporter hochgeladen wurde, bevor eine richtige Tatortsicherung stattfand. Da wurden Hülsen und Patronen verwechselt und, was merkwürdig ist, es wurden bei den beiden keine Rußspuren in der Lunge gefunden, obwohl sie den Wohnwagen angezündet haben sollen. Ein weiterer Komplex ist das V-Leute-System. Bislang sind aus dem NSU-Komplex insgesamt 42 V-Leute bekannt, aber wir wissen nicht von allen, was für Funktionen sie sonst noch zum Beispiel im Thüringer Heimatschutz hatten oder welche Rolle sie als Unterstützer des untergetauchten NSU-Trios spielten – und welche Kenntnis die Sicherheitsbehörden davon hatten. Da wollen wir an die V-Leute aus Thüringer Sicht ran. Tino Brandt kennt mittlerweile jeder, aber es gibt auch Leute wie Andreas Rachhausen oder Marcel Degner. Und dann ist da natürlich die große These, dass der NSU keine Zelle, sondern ein Netzwerk war, und es gibt Indizien dafür, dass der Thüringer Verfassungsschutz davon Kenntnis hatte.“


Am OLG München versuchen die Nebenklagevertreter seit Beginn des NSU-Prozesses gegen den Widerstand der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger der angeklagten Neonazis für Aufklärung zu sorgen. In einer Presseerklärung vom 19.11.2014 äußern sich die Rechtsanwälte Sebastian Scharmer und Peer Stolle zum Auftritt des ehemaligen V-Mannes/verdeckten Ermittlers Kai Dalek:

„Führung der bundesweiten Neonaziszene und des Thüringer Heimatschutz auf Weisungen des Verfassungsschutzes? Kai D. war – zumindest faktisch – Verdeckter Ermittler des bayerischen Verfassungsschutzes. Heute wurde die Vernehmung von Kai D. fortgesetzt. (…) Überraschend gab er zu, dass er erst auf Weisung des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz in die fränkische und dann bundesweite Neonaziszene eingestiegen sei. Es sei gar nicht seine eigene Meinung dafür maßgeblich gewesen. Mehrfach wöchentlich habe er umfangreich und teilweise schriftliche Meldungen gegeben. Auch habe er mit seinen V-Mann-Führern oft telefoniert. Er sprach sowohl vom bayerischen Verfassungsschutz als auch von der Führungsebene der deutschen Neonaziszene in der „Wir“-Form – teilweise ohne das zu differenzieren. Die Antwort auf die Frage, ob er hauptamtlich für den Verfassungsschutz tätig war, verweigerte er zwar, wegen fehlender Aussagegenehmigung. Aus seinen weiteren Ausführungen wurde aber deutlich, dass dies so gewesen sein muss. Folgt man der Aussage von Kai D. heißt das, dass er nicht als überzeugter Rechtsextremist sondern als faktischer Mitarbeiter des Bayerischen Verfassungsschutzes in der Führungsebene der deutschen Neonaziszene und in den rechtsextremistischen Kreisen in Thüringen unterwegs gewesen ist. Er sagt, er hat auf Weisung des Amtes gehandelt. Der Verfassungsschutz hat die Szene, aus der der NSU entstammt, nicht nur überwacht, er saß in Person von Kai D. selbst mit am Tisch, hat operativ Einfluss genommen.“

Dalek, der minderstens 150000 DM für seine Spitzeltätigkeit bekommen haben soll und einer der einflussreichsten Neonazis Süddeutschlands war, will Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe „nicht wissentlich“ gekannt haben. Dabei nahm er über zwei Jahre sehr regelmäßig an den „Mittwochstreffen“ des „Thüringer Heimatschutz“ (THS) teil, wie er vor Gericht aussagte.

der rechte rand/September/Oktober 2014:

„Daleks terroristisches Umfeld reichte schließlich bis zum NSU:die Staatsanwaltschaft Gera ermittelte von 1995-1997 gegen ihn und Brandt wegen “Bildung einer kriminellen Vereinigung”, das Verfahren wurde “mit Hinblick auf die V-Mann Tätigkeit Daleks” eingestellt, wie es im bayrischen NSU-Untersuchungsausschuss hieß. 1997 war Dalek führend auf dem Großmarsch gegen die Ausstellung “Vernichtungskrieg.Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944″ in München tätig,an dem auch Uwe Mundlos teilnahm. In den 1998 beim Abtauchen von Mundlos hinterlassenen Telefonlisten ist er als “Kai D.” einmal handschriftlich und einmal maschinenschriftlich eingetragen.” (der rechte rand/September/Oktober 2014)

Dalek in der ARD Dokumentation „V-Mann-Land“:

„Sich mit dem Verfassungsschutz anzulegen als Polizei ist immer ein Schuss ins eigene Knie. (…) Heute stellt sich für mich im nachherein die Frage, ob das mit Duldung des Amtes in Thüringen, geduldet wurde, dass Brandt Kontakte unterhalten hat, sexuelle Kontakte zu Minderjährigen und das auch gedeckt worden ist. (…) Es gab dann Überlegungen meinerseits hier nicht mehr ‚rüber zu fahren (Anm. d. Verf.:nach Thüringen). Das hat einfach eine Dynamik angenommen, die erschreckend war, ich hab auch immer davor gewarnt, dass so ein bisschen,so ’ne Militanz, so ein bisschen militärischer Arm entstehen könnte, so in der Richtung Braune Armee Fraktion. (…) Also, ich bin 1998 als Quelle abgeschaltet worden.Über die Umstände darf ich dazu nichts sagen. Schlussendlich stellt sich jetzt so ein bisschen heraus, dass es richtig war mich abzuschalten als bayrischer V-Mann, weil man wohl doch erahnt hat, dass Thüringen vom Verfassungsschutz komplett außer Kontrolle läuft und mit dem Abzug von meiner Quelle 98 hat sich ja dann offensichtlich die NSU-Zelle ereignet.“

Anti-Antifa-Veteran Dalek vor Gericht über seinen Nazi- und V-Mann Kameraden Tino Brandt:

„Ich gehe davon aus, dass Brandt seine politischen Aktionen und auch seine Militarisierung abgestimmt hat mit seiner Behörde.“

Brandt erklärte einem Mithäftling, er habe als Zeuge im NSU-Prozess im Juli 2014 exakt nur das ausgesagt, was Gericht und Bundesanwaltschaft ohnehin schon aus den Akten wüssten. Er habe „natürlich“ mehr Fragen beantworten können, aber nicht wollen. „Ich bin doch kein Kameradenschwein“, habe Brandt gesagt. Damit er keine Strafverfolgung riskiere – Zeugen sind gesetzlich zu vollständigen Aussagen verpflichtet -, habe er behauptet, „dass ich mich nicht erinnern kann“. Die Treffen mit seinen V-Mann-Führern des Thüringer Verfassungsschutzes soll Brandt  „Märchenstunde für gutes Geld“ bezeichnet haben.


V-Leute, Informanten und Topquellen agierten im direkten Umfeld des sogenannten NSU-Trios. Trotzdem wurden Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt nicht verhaftet. Der derzeitige Präsident des LfV Sachsen, Gordian Meyer-Plath, ehemals Brandenburger Verfassungsschützer, erhielt 1998 von dem V-Mann Carsten Szczepanski (Deckname Piatto) Hinweise auf den Verbleib des Trios und die Beschaffung von Waffen für „die drei Skinheads“. Warum diese wichtigen Informationen trotz ihrer Brisanz nicht zeitnah bei den Landeskriminalämtern ankamen, konnte Meyer-Plath vor dem Untersuchungsauschuss nicht erklären. Meyer-Plath machte für den verurteilten Neonazi Szczepanski, der wegen Mordversuchs an einem afrikanischen Asylbewerber zu acht Jahren Gefängnis verurteilt worden war „kleine Erledigungen“ und fuhr ihn während dessen Freigängen zu Treffen mit anderen Neonazis. Die Vernehmung von Szczepanski im Münchener NSU-Prozess sollte auf Wunsch der Brandenburger Landesregierung zunächst nur unter strikten Bedingungen (geheimer Ort,Videoschaltung unter Ausschuss der Öffentlichkeit,Verfremdung des Aussehens und der Stimme des Zeugen) stattfinden. Sein Auftritt vor Gericht in der ersten Dezemberwoche 2014 wird mit Spannung erwartet. Piattos ehemaliger V-Mannführer Meyer-Plath rechtfertige die Kooperation mit einem rassistischen Gewaltverbrecher und versicherte, dass die durch ihn gewonnen Informationen vorschriftsmäßig an die LfV’s in Sachsen und Thüringen weitergegeben wurden.

Meyer-Plath erklärt am 22.4.2015 vor dem OLG München er habe sich im November 2011 nicht an die Meldungen seiner Quelle Piatto erinnern können, aus denen 1998 hervorging, dass das untergetauchte Trio von sächsischen »Blood & Honour«-Aktivisten mit Quartieren und Geld versorgt wurde und auch Waffen und Papiere erhalten sollte. Der Verfassungsschutzchef, der sich bei Nachfragen auf seine beschränkte Aussagegenehmigung berief:

„Das ist mir nicht erinnerlich. (…) Ich war damals ein Frischling. (…)  Den Menschen Carsten S. – ich habe ihn 38 oder 39 Mal getroffen – dazu kann ich mir kein Bild machen.“

Sebastian Edathy kommentierte in einem Interview vom 10.04.2013 die Zusammenarbeit von Carsten Szczepanski mit dem Verfassungsschutz:

„Jemand, der wegen versuchten Mordes verurteilt worden ist, der sich mit einer Postkarte beim Verfassungsschutz beworben hat. Das ist ein Kaliber, von dem man die Finger lassen sollte. Stattdessen hat der Verfassungsschutz in Brandenburg begünstigt, dass die Haftzeit von Piatto verkürzt wird und gewährleistet, dass die Justizvollzugsanstalt in der Zeit vor der Entlassung nicht mehr die Post kontrolliert hat. Offenkundig hat er zudem aus der Haft eine Neonazi-Zeitschrift publiziert. Das alles ist unvertretbar. Als die vorzeitige Entlassung aufgrund einer positiven Sozialprognose beschlossen wurde, wusste die Strafvollzugskammer nicht, dass die Prognose darauf beruhte, dass Piatto eine Anstellung bei einem rechten Szeneladen der sächsischen Neonazistin Antje Probst vorweisen konnte. Die Kammer wusste nicht, dass das ein einschlägiger Szeneladen ist mit dem nicht ganz einschlägigen Namen „Sonnentanz“. Der Verfassungsschutz wusste das und hat die Information nicht weitergegeben. Es war im Interesse des Verfassungsschutzes, den V-Mann auf freiem Fuß abschöpfen zu können. Um das zu erreichen, ist jedes Maß an Verhältnismäßigkeit gesprengt worden.“

Michael Probst, der mit seiner damaligen Frau Antje den Neonazi-Laden Sonnentanz betrieb, beschrieb am 2.12.2014 vor dem OLG München die ihm bekannten V-Männer als „Aktiv-Kader“, als „Leute, nicht die nicht nur berichten, sondern Leute, die etwas tun und dann darüber berichten.“ Szczepanski sei es ihm irgendwann so vorgekommen, „als müsste er jeden Tag eine Sache planen“. Er sei ihm immer „wie ferngesteuert“ vorgekommen, sagte Probst. „Ich hatte den Eindruck, dass er nicht aus freien Stücken handelt.“ Carsten Szczepanski sei nach seiner Inhaftierung „plötzlich extrem umtriebig“ gewesen, beschrieb es Probst. „Er hat Sachen gemacht, die ich als politischen Selbstmord bezeichnen würde.“ Zeit-Autor Tom Sundermann kommentiert dies in seinem Artikel „Die schützende Hand des Geheimdienstes:

„Dabei handelte es sich möglicherweise um Aktionen, die Sz. mit der Segnung des Verfassungsschutzes veranstaltete.“

Piatto erklärte im Januar 2015 vor dem OLG München, sein Neonazi-Heft United Skins quasi zusammen mit dem VS herausgebracht zu haben. Seine Artikel wurden von seinem VM-Führer vorher gelesen. Somit existierten drei Nazipostillen, an deren Entstehung der Verfassungsschutz mittels seiner V-Leute beteiligt war: „United Skins“ (Piatto), „Sonnenbanner“ (Michael See/von Dolsperg alias Tarif) und natürlich „der Weiße Wolf“ (Thomas Richter alias Corelli).


Mehr Segnungen des Verfassungsschutzes erhielt der mittlerweile in Schweden lebende Michael von Dolsperg, der in den 1990er Jahren Michael See hieß und ein führender Neonazi in Nordthüringen war. Als V-Mann „Tarif“ gehörte er von 1996 bis mindestens 2001 zu den Topquellen des BfV im Umfeld des NSU-Trios:

„Jetzt hat das Bundesinnenministerium den Bundestag darüber informiert, dass das BfV noch sämtliche Quellenberichte des V-Manns in seinem Archiv stehen hat. Die Abgeordneten, die dem bis August 2013 arbeitenden NSU-Untersuchungsausschuss angehörten, sind überrascht: Eigentlich gingen sie davon aus, dass die Akte des Spitzels – zusammen mit anderen V-Mann-Akten – wenige Tage nach dem Auffliegen des NSU am 4. November 2011 vernichtet wurde und nur zum Teil rekonstruiert werden konnte. So hatten sie es vom BfV gehört, als die Aktenvernichtung 2012 bekannt wurde. Das Bundesamt hatte damals den Obleuten des Untersuchungsausschusses nur einen Ordner zum angeblich wiederhergestellten Aktenvorgang „Tarif“ vorgelegt. Dass die Quellenberichte von „Tarif“, die einige Dutzend weitere Aktenordner umfassen dürften, auch noch vorhanden sind, erfuhren der NSU-Ausschuss jedoch nicht. Tatsächlich dürfte das BfV damals wenig Interesse daran gehabt haben, dass sich der Ausschuss allzu intensiv mit dem V-Mann-Vorgang „Tarif“ befasst. Hätten die Abgeordneten doch sonst unter anderem herausfinden können, dass der Spitzel Uwe Mundlos kannte und jahrelang unter den Augen des Verfassungsschutzes die rassistische Nazi-Postille „Sonnenbanner“ publiziert hatte. In „Sonnenbanner“-Artikeln wurde das – vom NSU umgesetzte – Konzept autonomer Kämpferzellen propagiert, die im Untergrund das demokratische System bekämpfen.“ (Stuttgarter Zeitung/Andreas Förster 25. Oktober 2014)


V-Mann „Tarif“ ist auch Gegenstand eines Welt-Artikels von Stefan Aust und Dirk Laabs vom 12.10.2014:

„Nur Stunden nachdem sich Beate Zschäpe am 8. November 2011 gestellt hatte, ließ ein hochrangiger Beamter des BfV mit dem Arbeitsnamen Lothar Lingen Akten über Tarif heraussuchen. Wenig später drängte Lingen eine Archivarin, die Akten zu schreddern. Lingen ließ Wochen später noch weitere Tarif-Aktenteile vernichten, nachdem er zunächst behauptet hatte, dass die Schredderung der anderen Dokumente zuvor ein Fehler gewesen sei. In einem Bericht eines Sonderermittlers, den das Bundesinnenministerium eingesetzt hatte, heißt es lapidar: ein Teil der Akten, darunter Treffberichte des V-Manns Tarif, seien nicht zu rekonstruieren. In diesen Berichten fasst der V-Mann-Führer Inhalt, Umstände und gegebenenfalls Aufträge zusammen, die ein V-Mann bekommen hat. Eine Lücke tat sich auf. Was haben damals die BfV-Agenten mit Tarif besprochen? Tarif hat versucht, diese Leerstelle schon vor einem Jahr zu füllen, als er mit einem Reporter sprach. Ein Neonazi aus Jena, Andre Kapke, den er seit Jahren kannte, habe ihn Anfang 1998 angerufen, es sei um Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gegangen. In seinem Exposé schreibt Tarif: „Er fragt nach einem Versteck für die drei. Ob ich nicht irgendetwas wüsste, wo man sie sicher unterbringen könne. Ich sage, ich müsse nachdenken und würde mich melden, sobald mir etwas einfalle (…) Die drei wurden wegen Sprengstoffdelikten gesucht, und so rufe ich umgehend meinen V-Mann-Führer Alex an und informiere ihn über das Gespräch. Schließlich spricht nichts dagegen, meine Wohnung zu nutzen. Doch der gibt mir nur die Instruktion, falls Andre K. noch einmal anrufen würde, zu sagen, dass ich kein Versteck für die drei wisse. Tarif urteilt: „Ziemlich sicher ist, dass man das NSU-Trio damals in meiner Wohnung hätte aufgreifen können – und zwar bevor diese begannen, unschuldige Menschen zu ermorden. Doch offenbar waren die Interessen anders gewichtet …“


Vorankündigung einer ARD-Dokumentation („Die Story im Ersten: V-Mann-Land“) von Clemens Riha in der auch Michael von Dolsperg zu Wort kommt (Sendetermin 20.4.2015):

„Niemand ahnte, dass der bekannte Neonazi zugleich ein V-Mann, ein Informant des Verfassungsschutzes, war. Heute lebt er anonym. Er verbirgt sein Gesicht hinter einer schwarzen Motorradmaske, wenn er – erstmals vor einer Kamera – über seine Vergangenheit spricht, die ihn auch in das Umfeld des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) führte. Ein anderer ehemaliger Informant fragt sich, ob er die Mordserie hätte verhindern können. Dem Verfassungsschutz habe er wichtige Hinweise zur Ergreifung der NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe geliefert, doch es passierte nichts. Seit Jahren lebt er im Ausland, versucht, die eigene Vergangenheit zu vergessen. Doch dann fliegt er auf. Nun will er wissen, warum er die rechtsextreme Szene nicht nur im Staatsauftrag beobachten, sondern maßgeblich mit aufbauen sollte. V-Leute waren von Beginn an im deutschen Rechtsextremismus in Führungspositionen. Skandale gab es immer wieder. Aber so wie nach dem Auffliegen der drei NSU-Terroristen standen V-Leute noch nie in der Kritik. Waren sie wichtige Informanten oder vor allem Neonazis aus Überzeugung, die den Staat an der Nase herumführten? Warum wurden NSU-Akten, die V-Leute betreffen, im großen Stil vernichtet? Was sollte hier vertuscht werden? „

von Dolsperg sagt in dem Film: „Ich habe im Auftrag des Staates Leute dazu gebracht, Straftaten zu begehen. Die halbe Führungsriege der Naziszene bestand aus V-Leuten des Staates.“


Geführt wurde Michael See/von Dolsperg alias „Tarif“ von einem Mann, der als renommierter Fanforscher galt bis im vergangenen Jahr bekannt wurde, dass er seit rund zwei Jahrzehnten für das Bundesamt für Verfassungsschutz tätig war und auch Informanten warb. Als Verfassungsschutzmitarbeiter hatte Martin Thein intime Kenntnisse über den „Thüringer Heimatschutz“. In seiner Dissertation zu „Neonazis im Wandel“ wird diese Organisation jedoch nicht ein einziges Mal erwähnt, wie Markus Mohr in der Jungen Welt analysiert:

„Die Doktorarbeit nennt ausgerechnet »am Beispiel Thüringen« noch »vier eng in die lokale Jugendszene involvierte Kader«: Thomas Gerlach, Patrick Paul, Ralf Wohlleben, Patrick Wieschke, die »sukzessive in ihre Führungspositionen« hineingewachsen seien und »die Szene dominieren«. Es sei ihnen gelungen, »eine individuelle politische Kompetenz zu erwerben und andererseits die ihrer Meinung nach wichtigen Politikfelder selbständig zu bestimmen bzw. zu besetzen«. Das scheint so verkehrt nicht zu sein. Allein, der in Thüringen außerordentlich gut bekannte Tino Brandt vom »Thüringer Heimatschutz« (THS) wurde in dieser Aufzählung – sagen wir – vergessen. Dabei war dieser jahrelang vielfältig vernetzte neofaschistische Bewegungsunternehmer sogar ab Mai des Jahres 2001, so die Thüringer Allgemeine, als »eine der Führungspersonen« des THS prominenter Gegenstand der Berichterstattung in der für das Bundesland zentralen Tageszeitung. Und eigentümlicherweise mochte Thein in seiner ganzen Arbeit nicht ein einziges Mal auf die Jahresberichte des Landesamtes für Verfassungsschutz aus Thüringen zurückgreifen. Für diese wohl bewusst gelassene Lücke hätte man indes eine qualifizierte Begründung erwarten dürfen. Was hat Thein nur daran gehindert, diesen Sachverhalt in seiner Dissertation erheblich präziser darzustellen? Folgt man der Darstellung von Laabs und Aust in ihrem Buch »Heimatschutz«, dann hat er am 21. März 1997 in München an einem hochrangig besetzten Treffen von 13 Mitarbeitern fünf verschiedener Geheimdienste teilgenommen. Zentraler Gegenstand der Beratungen waren der »Thüringer Heimatschutz« und die Geheimdienstaktion »Operation Rennsteig«, mit der die Neonaziszene in Thüringen ins Visier genommen werden sollte. Ausweislich eines Protokolls, das Laabs und Aust vorgelegen hat, haben an diesem Treffen neben Thein u. a. Peter Nocken, der stellvertretende Chef des Thüringer Verfassungsschutzes und Abteilungsleiter Rechtsextremismus, sowie Norbert Wießner als V-Mann-Führer von Tino Brandt teilgenommen. In einem Bericht zur »Lage« erläuterte der BfV-Mitarbeiter Christian Menhorn: »›Der thüringische Heimatschutz besteht aus einer Mischszene von ca. 100 bis 150 Neonazis und Skinheads. Darum gebe es ein Umfeld von etwa 150 bis 200 Personen, meist Jugendlichen‹. Es hätten sich durch die Umsiedlung des Führungskopfes Tino Brandt (…) Verbindungen nach Bayern ergeben, die in die Gründung des fränkischen Heimatschutzes gemündet seien.« (Aust/Laabs, Heimatschutz) Nocken wie auch Wießner zeigten sich über damals gegen Brandt laufende strafrechtliche Ermittlungsverfahren gut informiert. Am Ende des Treffens wurde zwischen den verschiedenen Geheimdiensten die Übereinkunft erzielt, dass »das Bundesamt in Köln den Informationsaustausch koordiniert, hier laufen die Fäden zusammen«. Nach dem Treffen lässt das BfV dem Thüringer LfV auch »eine Art Bildband über den Thüringer Heimatschutz« mit »allen Akteuren« zukommen.Das ist paradox: Das, was dem V-Mann-Führer Thein ein zentraler Gegenstand jahrelanger Berufspraxis war, ging dem Wissenschaftler Thein völlig durch die Lappen: In der gesamten Arbeit wird weder die doch die für den Wandel im Neonazismus bedeutende Gruppierung »Thüringer Heimatschutz« noch ihr »Führungskopf« Brandt auch nur ein einziges Mal erwähnt.“

Thein ist seit seinem Auffliegen für Stellungnahmen nicht zu erreichen. Er lässt Mails unbeantwortet, meldete seine Adresse ab, löschte sein Facebook-Profil, über das er zuvor sehr aktiv gewesen war, und deaktivierte seine Telefonnummer. Patrick Gensing stellte auf Publikative.org zurecht fest, dass das Wirken eines ehemaligen Quellenführers des Bundesamts für Verfassungsschutz in Köln in dieser Szene zwangsläufig die Frage aufwirft, ob der deutsche Inlandsgeheimdienst gezielt und verdeckt bei Wissenschaftlern, Journalisten und Faninitiativen Informationen abgreift.


 Vortrag zu der Rolle des Verfassungsschutzes im NSU-Komplex von Thomas Moser:


Aus dem Abschlussbericht der 2011 berufenen (Schäfer)-Kommission zur Untersuchung „möglicher Versäumnisse Thüringer Sicherheits- und Justizbehörden“ bei der Fahndung nach Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe:

„Als Ergebnis bleibt festzustellen, daß das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz durch sein Verhalten die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden bei der Suche nach dem Trio massiv beeinträchtigt hat.“


Katharina König, stellvertretende Vorsitzende des NSU-Ausschusses in Thüringen:

„Sowohl die Erkenntnisse aus den Akten als auch diverse Aussagen von Zeugen lassen in der Konsequenz den möglichen Schluss zu, dass mehrere oder zumindest eine Sicherheitsbehörde gezielt das Ergreifen des untergetauchten NSU-Kerntrios verhinderte.“


taz 14.11.2011:

„Obwohl die Sicherheitsbehörden das Trio und ihre Nazi-Kameradschaft “Thüringer Heimatschutz” beobachten, dauert es bis zum 26. Januar 1998, bis sie deren Wohnungen durchsuchen. Böhnhardt sei der Beschluss in die Hand gedrückt worden, heißt es in Sicherheitskreisen, er habe aber unbehelligt in sein Auto steigen und davonfahren können. Wenige Stunden später wird die Garage an der Kläranlage durchsucht. Die Ermittler entdecken das Sprengstofflabor mit mehreren Rohrbomben und insgesamt 1,4 Kilogramm TNT. Als zwei Tage später der Haftbefehl vorliegt, ist das Nazitrio längst untergetaucht und bleibt 13 Jahre lang spurlos verschwunden. Wirklich spurlos verschwunden? Daran gibt es mehr und mehr Zweifel. Zumindest erzählen jetzt viele, dass in den Jahren geraunt worden sei, dass das Trio in Sachsen lebe. Das sei ein offenes Geheimnis gewesen, sagt ein früherer Bekannter. Es sind nicht die einzigen Merkwürdigkeiten in dem Fall. Der Verdacht, der im Raum steht: Der Thüringer Verfassungsschutz habe etwas mit dem Untertauchen des Trios zu tun, die militanten Nazis möglicherweise sogar als V-Leute geführt oder sie sogar mit neuen Identitäten versehen. Normalerweise würde man so etwas ins Reich der Verschwörungstheorien verschieben. Doch in diesem Fall ist überhaupt nichts normal. Der damalige Verfassungsschutzpräsident Helmut Roewer jedenfalls gilt als “ganz dunkler Fleck in der Geschichte Thüringens”, wie es in Sicherheitskreisen heißt.“


Printausgabe Hamburger Abendblatt 20.12.2011:

“Das Amt hat die Bildung des terroristischen NSU nicht nur nicht verhindert, sondern geradezu gefördert. Die Beschützer der Demokratie kannten den Aufenthaltsort der Verbrecher, nahmen sie aber nicht fest. Sie behinderten offenbar die Fahndungsarbeit der Polizei. Und sie versuchten den Nazi-Terroristen Geld zukommen zu lassen, in der Hoffnung, sie würden so an gefälschte Pässe herankommen. Das alles sind keine Pannen, keine Fehler in der Ermittlungsarbeit. Dahinter steckt offensichtlich ein System. Das sind beklemmende Enthüllungen: Verfassungsschützer und Verfassungsfeinde arbeiten Hand in Hand.”


Frank Walter Steinmeier am 15.11.2011 im Morgenmagazin:

“Hier in Berlin sind Autos angezündet worden und jeder zweite Berliner wusste, das ist das Dokument von verbreitetem Linksterrorismus. Jetzt stehen wir erschüttert vor Morden, die über Jahre hinweg stattgefunden haben, entweder beobachtet durch den Verfassungsschutz oder aber weil der Verfassungsschutz die Täter verloren hat.”


MDR 19.11.2011:

„Das Thüringer Landeskriminalamt hatte offenbar kurz nach dem Untertauchen der Jenaer Terror-Zelle im Jahr 1998 die konkrete Möglichkeit für einen Zugriff auf die Gruppe. Nach Informationen des MDR THÜRINGEN lag für einen Zugriff in Chemnitz ein Einsatzplan des Thüringer Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Polizei vor. Nach MDR-Recherchen hatten Zielfahnder des Landeskriminalamtes die drei zwischen 1998 und 1999 in Chemnitz aufgespürt. Das SEK wurde daraufhin in Alarmbereitschaft versetzt. Kurz bevor die SEK-Beamten in Richtung Sachsen aufbrechen wollten, wurde der Einsatz abgebrochen. Auch die Zielfahnder sollen auf Weisung des LKA wieder zurückgeholt worden sein. Aus LKA-Kreisen wurde dem MDR THÜRINGEN bestätigt, dass es danach massive Beschwerden der damals beteiligten Beamten gegenüber der Amtsleitung gab. Daraufhin soll es ein Gespräch zwischen hohen Vertretern des Thüringer Innenministeriums und den betroffenen Polizisten gegeben haben. Ob die Beamten dabei über den Grund des Abbruchs informiert wurden, ist nicht bekannt.“


Die taz 18.11.2011:

„Beamte des Landeskriminalamts Thüringen (LKA) haben Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos drei Jahre nach deren Untertauchen im sächsischen Chemnitz aufgespürt. Wie die taz aus Sicherheitskreisen erfuhr, wurden die beiden mutmaßlichen rechtsextremen Terroristen des “Nationalsozialistischen Untergrunds” von den Thüringer Zielfahndern sogar fotografiert. Die Bilder sollen noch in den entsprechenden Akten vorhanden sein. In welchem Zusammenhang die Observationsbilder geschossen wurden und weshalb daraufhin keine Festnahme erfolgte, ist unklar. Es heißt, Ermittlungsbehörden in Thüringen hätten auf die Frage der Zielfahnder, ob es sich bei den Abgebildeten um Böhnhardt und Mundlos handele, nicht reagiert. Das Landeskriminalamt Thüringen wollte am Donnerstag keine Stellung zu dem Vorfall nehmen.“


MDR 26.11.2011:

“Die vor Jahren ausgebliebene Festnahme des rechtsextremen Terror-Trios ist nun ein Fall für die Justiz. Wie das Nachrichtenmagazin “Focus” berichtet, ist bei der Staatsanwaltschaft Chemnitz eine Strafanzeige gegen Unbekannt wegen des Verdachts der Strafvereitlung im Amt eingegangen. Das Magazin beruft sich dabei auf den Chemnitzer Oberstaatsanwalt Bernd Vogel. Die Behörde habe die Anzeige zuständigkeitshalber an die Staatsanwaltschaft Erfurt weitergeleitet, schreibt das Magazin. Der “Focus” berichtet weiter, dass Zielfahnder des Thüringer Landeskriminalamtes das Trio 2001 in Chemnitz aufgespürt hatten. Dies belege ein Observationsfoto der Polizei. Das Magazin zitiert einen namentlich nicht genannten Thüringer Landtagsabgeordneten. Dieser sagt, dass die drei Täter “glasklar” auf dem Foto zu erkennen gewesen seien.”


Frankfurter Rundschau 28.11.2011:

“Hartnäckig hält sich das Gerücht, Beate Zschäpe habe ein doppeltes Spiel gespielt und für den Verfassungsschutz gearbeitet: „Es heißt, sie soll auf mehreren Hochzeiten getanzt haben“, sagt ein Kenner der Neonazi-Szene. Vielleicht erfährt man mehr, wenn sie vor Gericht steht. Beate Zschäpe alias Silvia Pohl alias Lisa Pohl alias Mandy Stuck alias Susann Deinelt alias Susann Eminger – lauter Namen, die sie zwischen 1998 und 2011 benutzt haben soll – schweigt und hofft darauf, einen Strafnachlass zu bekommen, wenn sie als Kronzeugin auspackt.”


SPON 1.12.2011:

„Das BKA habe bislang aber keine Erkenntnisse, dass Zschäpe als V-Frau des thüringischen Verfassungsschutzes gearbeitet habe, sagt Ziercke, der sich in dieser Frage auffallend bedeckt hält: “Ich kann nicht sagen, ob es eine Verbindung gab.”


Thüringer Allgemeine 4.9.2012:

“Die Nachrichtendienste von Bund und Ländern wurden insgesamt von etwa 40 Spitzeln aus dem “Thüringer Heimatschutz” informiert. Dies ergibt eine interne Aufstellung der Untersuchungsausschüsse von Bundestag und Thüringer Landtag, die sich mit dem “Nationalsozialistischen Untergrund” (NSU) beschäftigen.Der “Heimatschutz” war in den 1990er-Jahren das stärkste Neonazi-Netz in Thüringen. Ihm gehörten in Hochzeiten rund 140 Mitglieder an, darunter auch die späteren mutmaßlichen Terroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Die hohe Dichte der V-Leute und Quellen des Verfassungsschutzes oder des Militärischen Abschirmdienstes verstärkt die Irritationen in den Parlamenten. Abgeordnete fragen sich: Was wusste der Verfassungsschutz wirklich? Und was teilte er der Polizei mit, die vergeblich nach dem Trio fahndete?”


MDR 31.1.2013:

„Kurz nach dem Abtauchen des mutmaßlichen Bombenbauers und späteren Terroristen Uwe Böhnhardt haben Polizisten in dessen Zimmer in Jena Teile einer Ermittlungsakte des Landeskriminalamts gefunden. Dabei handelt es sich um elf kopierte Seiten von zwei Vernehmungsprotokollen aus dem Jahr 1997. Die Befragten waren Angehörige der rechten Szene. Ihre Aussagen belasteten Böhnhardt und andere Personen, Symbole verfassungsfeindlicher Organisationen gezeigt zu haben. Freiwillig berichtete einer der Befragten auch über Strukturen und Aktive der rechtsextremen Kameradschaft Jena. Unter anderem notierten die Ermittler des LKA, dass Böhnhardt und der Rechtsextreme André K. „alles straffer“ und „ordentlich parteilich“ organisiert hätten. Die Ermittler erfuhren in den Befragungen auch, dass der führende Neonazi Tino Brandt damals in rechtsextremen Kreisen bereits als V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes bekannt war. Enttarnt wurde Brandt erst im Jahr 2001. Die Frage, ob Böhnhardt zu Recht im Besitz der Aktenkopien war, lässt sich nicht zweifelsfrei klären. Das Thüringer Innenministerium schließt aus, dass sie von Ermittlern der Polizei weitergereicht wurden. „Für die Annahme einer illegalen Besitzerlangung gibt es heute und gab es vermutlich schon 1998 keine Anhaltspunkte“, teilte das Landeskriminalamt dem MDR THÜRINGEN dazu mit. Da Böhnhardt in dem Ermittlungsverfahren selbst Beschuldigter war, hätte er durch andere Beschuldigte oder durch seinen Rechtsanwalt an die Papiere kommen können. Die Staatsanwaltschaft Gera erhob Mitte August 1997 in dem Verfahren Anklage gegen insgesamt acht Beschuldigte, darunter Böhnhardt. Dessen damaliger Anwalt mahnte aber noch neun Monate später an, weder Akteneinsicht noch Anklageschrift bekommen zu haben. Unter den Zeugen der Anklage wurde im Übrigen auch der Name Beate Zschäpe aufgeführt – Böhnhardts Komplizin.“


Tagesschau 26.9.2012:

“Allein der Verdacht ist schon dramatisch: Ein weiterer NSU-Unterstützer soll V-Mann gewesen sein – und im Raum steht ausgerechnet der Name Ralf Wohlleben. Die Bundesregierung widerspricht dem Verdacht allerdings, es habe mehrere Überprüfungen gegeben. Der Ex-NPD-Kader Wohlleben sitzt wegen Beihilfe zum Mord in U-Haft. Die Causa Wohlleben ist nicht der einzige ungeklärte V-Mann-Fall. Zwar bestreitet das Bundesamt für Verfassungsschutz, je nachrichtendienstlichen Zugang zum NSU gehabt zu haben. Der Verdacht, dass das Amt von 1997 bis 2007 den Neonazi Thomas R. aus Sachsen-Anhalt als V-Mann Corelli führte, ist jedoch noch nicht widerlegt. Seine Telefonnummer und Postfachadresse fanden sich in der Garage, in der der NSU Sprengstoff gelagert hatte.“


ARD 26.9.2012:

“Bislang gibt es keinen Beleg für die Vermutung, dass der Verfassungsschutz Ralf Wohlleben als V-Mann beschäftigt hat. Innenminister Friedrich glaubt eher, dass sich der Bundesanwalt, der dies vermutet, geirrt hat. Zwar folgte der Bundesinnenminister heute der dringenden Bitte des Bundestags-Untersuchungsausschusses, einen Zwischenbericht über das Aktenstudium zu eventuellen V-Leuten zu geben. Eine schnelle Aufklärung aber, scheitert schon daran, dass ausgerechnet der Bundesanwalt, der mit seiner Erinnerungsnotiz den Skandal auslöste, gerade nicht verfügbar ist, sagt Friedrich: “Der Betreffende ist wohl in den Urlaub gefahren, aber er wird wohl befragt werden.”


Jenapolis.de 5.2.2012:

„Noch am 14. 11.2011 gelobte Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU) eine “lückenlose Aufklärung der Sachverhalte”. Im Beitrag verweist das Politmagazin auf ein geheimes Dossier des Bundesamtes für den Verfassungsschutz, welches mit einem Verfallsdatum des Jahres 2041 versehen ist. Erst danach, sollen die Erkenntnisse der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Abgeordnete würden gerne mehr über die Ergebnisse erfahren, jedoch verweigern die Regierungen in Sachsen und Thüringen das parlamentarische Kontrollrecht. Im Beitrag von Frontal 21 erklärt Thüringens Innenminister Geibert, das ihn der Generalbundesanwalt zum Schweigen vergattert habe. Wörtlich heißt es: “Der Generalbundesanwalt ist weisungsbefugt, weil er das Ermittlungsverfahren an sich gezogen hat. In soweit haben wir keine rechtlichen Möglichkeiten aus diesen Ermittlungsverfahren heraus zu informieren.” Darauf erwidert der Staatsrechtler Prof. Martin Morlok: “Ganz sicher kann der Generalbundesanwalt einem Landesminister keine Weisungen erteilen und ebenso wenig einer Landesregierung. Umgekehrt betrachtet, ein Parlament hat nicht zuletzt die Aufgabe, die Landesregierung zu kontrollieren und darf von der Landesregierung die Antworten auf Kontrollfragen verlangen.” Martina Renner von den Thüringer Linken ahnt, das hier das Parlament mundtot gemacht werden soll. Selbst der Innenausschuss des Bundestages kämpft seit Monaten um Informationen aus Sachsen und Thüringen, jedoch vergeblich. Der Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestages Wolfgang Bosbach (CDU) erklärt, man habe die Landeskriminalämter eingeladen, diese seien aber zu den Sitzungen nicht erschienen und wieder unter derselben Begründung wie es bereits Thüringens Innenminister Geibert erklärte. Letztendlich erklärt natürlich auch der Generalbundesanwalt, das er nichts sagen dürfe.


Hans-Christian Ströbele am 31.01.2012 in „Frontal 21“ (ZDF):

„Da wird zum Teil ein ganz übles Spiel gespielt. Da wird gesagt, man kann in den Ländern nicht aufklären, weil der Generalbundesanwalt das nicht will. Auf Bundesebene nicht, weil die Länder das nicht wollen, in den Länderparlamenten nicht, weil die jeweiligen Innenminister ihr Veto dagegen einlegen.“


Observationsbild des LfV Thüringen vom Mai 2000, dass mit 90% Wahrscheinlichkeit Uwe Böhnhardt bei einem Umzug in Chemnitz zeigt.


Tagesschau.de 20.11.2011:

“Deutsche Nachrichtendienste hatten offenbar zeitweise engeren Kontakt zum Umfeld der Zwickauer Terrorzelle als bisher bekannt. So soll der thüringische Verfassungsschutz Ende der 1990er-Jahre mindestens drei V-Leute im Umfeld des Neonazi-Trios im Einsatz gehabt haben. Dies wirft erneut die Frage auf, warum die Behörde nichts über den Verbleib von Beate Z. und den zu Monatsbeginn tot aufgefundenen Uwe B. und Uwe M. wusste. Zudem ermittelte nach ARD-Informationen auch der Militärische Abschirmdienst (MAD) der Bundeswehr im Umfeld der drei Neonazis. Eine Verbindung könnte der Sprengstoff sein, den das Trio zum Bau von Rohrbomben eingesetzt hatte. Die Explosivstoffe könnten aus Bundeswehr-Beständen stammen. Laut “Focus” wurde der MAD kurz nach dem Untertauchen des Trios 1998 über dessen Aufenthaltsort informiert. Ein V-Mann des MAD habe diese Information damals an eine Außenstelle der Behörde in Leipzig weitergegeben – die Information sei aber in der MAD-Zentrale in Köln liegengeblieben.”


 Die Thüringer Allgemeine 2.12.2011:

“Bei der Ursachensuche zur gescheiterten Fahndung nach den Jenaer Terroristen verdichten sich die Hinweise auf ein Versagen der Behörden. Wie unsere Zeitung gestern aus der vertraulichen Sitzung des Justizausschusses des Landtags erfuhr, gab es in den Jahren 2000 bis 2002 “mehrere Chancen” auf die Festnahmen der Neonazi-Trios, die aber alle verpasst wurden. Darauf lasse, wie es hieß, “ein halbes Dutzend Aktenvermerke” schließen, die Justizminister Holger Poppenhäger (SPD) in der fünfstündigen Sitzung präsentierte. Meist ging es darum, dass sich Zielfahnder des Landeskriminalamtes (LKA) über Behinderungen beschwerten. So sollen die Zugriffe unter anderem wegen mangelnder Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz gescheitert sein. Bisher war nur ein entsprechender Vermerk aus dem Jahr 2002 bekannt. Darüber hinaus hatte ein Fahnder auch im Jahr 2001 in einer Notiz über eine mögliche Kooperation der Flüchtigen mit dem Verfassungsschutz spekuliert.”


SWR 14.9.2012:

“Vor dem Ausschuss wurde gestern auch ein ehemaliger Verfassungsschützer gehört. Der Rentner will bereits im Jahre 2003 durch einen anonymen Hinweisgeber von geplanten Aktionen der Zwickauer Terrorgruppe NSU erfahren haben. Der Informant sagte vor dem Ausschuss, bei einem Treffen in Flein bei Heilbronn sei auch der Name von Uwe Mundlos gefallen, einem der mutmaßlichen Mörder von Michèle Kiesewetter. Auch von einer Finanzierung durch Banküberfälle sei die Rede gewesen, mit Heilbronn als möglichem Ziel. Er habe diese Erkenntnisse seiner damaligen Dienststelle im baden-württembergischen Landesamt für Verfassungsschutz mitgeteilt. Dort hätten ihn seine Vorgesetzten angewiesen, den Bericht darüber zu vernichten. Sie hätten es damit begründet, dass sich der Verfassungsschutz nicht mit Einzelpersonen befasse. Außerdem sei eine rechtsradikale Organisation namens NSU unbekannt. Zu diesem Zeitpunkt war die Zwickauer Terrorgruppe bereits untergetaucht und hatte erste Morde mit vor allem türkischen Opfern begangen.”

Süddeutsche.de 1.9.2012:

„Ein ehemaliger Beamter des Verfassungsschutzes in Baden-Württemberg hat behauptet, bereits im Jahr 2003 durch einen Informanten von einer Thüringer Neonazi-Gruppe mit dem Kürzel NSU gehört zu haben. Der Informant mit dem Tarnnamen “Erbse” habe damals angeblich auch den Namen “Mundlos” genannt. (…) Verfassungsschutz und Polizei in Baden-Württemberg halten die Angaben des 60-Jährigen, der wegen Dienstunfähigkeit im Ruhestand ist, für unglaubwürdig. Das geht aus einem Schriftwechsel der Behörden hervor. Auch die Bundesanwaltschaft sagt, der Fall sei “abgeklärt”. Das heißt: Die Angaben hätten sich als nicht tragfähiger Ermittlungsansatz herausgestellt. Das Landesamt für Verfassungsschutz warf dem Mann eine Verletzung von Geheimhaltungspflichten vor. Es bat ihn, sich künftig direkt an das Landesamt und nicht an die Polizei zu wenden. (…) Der Verfassungsschutz stuft den früheren Informanten als “verwirrte Persönlichkeit” ein.“


Am 16.3.2015 wurden der ehemalige Verfassungsschützer Günter Stengel und der „verwirrte“ Informant „Erbse“ (Torsten Ogertschnik) erneut befragt. Reiner Ruf fasst die Anhörung wie folgt zusammen:

Torsten O. erzählt auch vor dem Untersuchungsausschuss manches über Mossad-Aktivitäten – Geschichten, die schon 2003 keiner Überprüfung stand hielten. Aber über den NSU oder Uwe Mundlos habe er in Flein nichts berichtet. „Für mich ist es nicht erklärbar, wie dieser Verfassungsschutzmitarbeiter dazu kommt, ich hätte irgendetwas über Rechtsextremisten gesagt.“ (…) Auftritt Günter S. Der frühere Verfassungsschützer gibt vor dem Untersuchungsausschuss an, Torsten O. habe gegen Ende des drei- bis vierstündigen Gesprächs angegeben, es existiere eine rechtsterroristische Gruppe aus Thüringen namens NSU, die in der Heilbronner Gegend tätig werden wolle. Er sei beauftragt, Banken auszukundschaften, die für Überfälle geeignet erschienen (er befand die Commerzbank in Heilbronn als lohnendes Ziel), sowie einen Plan mit islamischen Gebetsräumen zu erstellen. Torsten O. habe auch Personen erwähnt. „Der Name Mundlos ist mir haften geblieben“, sagt der Verfassungsschützer. Heute mache er sich schwere Vorwürfe, weil er den Übergang von den Mossad-Märchen zu den zutreffenden Angaben zum NSU nicht erkannt habe. „Ich habe mir einfach nicht vorstellen können, dass es Rechtsterrorismus in Deutschland gibt, ohne dass es der Verfassungsschutz weiß.“ Dabei hätte er dazu beitragen können, „dass die Mordserie früher beendet wird“. Allerdings verwickelt sich Günter S. in erhebliche Widersprüche. So sagt er, er habe über das Fleiner Gespräch keinen Vermerk angefertigt. Als ihm Wolfgang Drexler, der Vorsitzende des Untersuchungsausschuss, einen von S. am Tag nach dem Gespräch gefertigten Vermerk vorlegt, erinnert dieser sich plötzlich wieder. Das Problem: In der Akte finden sich die Mossad-Geschichte und die anderen Erzählungen aus der Märchenwelt des Torsten O, aber nichts über Rechtsterroristen. Die Abgeordneten im Ausschuss halten es auch für seltsam, dass Günter S. von seiner Darstellung im Untersuchungsausschuss des Bundestags abrücke. Dort habe er gesagt, seine Vorgesetzten hätten damals ihn angehalten, die NSU-Bezüge aus seinem Gesprächsvermerk herauszuhalten respektive zu streichen. Nun schließt S. eine Beeinflussung durch seine Vorgesetzten aus. Beamte des Landesamts für Verfassungsschutz bestreiten vor dem Ausschuss die Version ihres Ex-Kollegen. Von NSU und Mundlos sei nie die Rede gewesen. Schon 2011 hatte sich der Verfassungsschützer S. mit seiner Geschichte an den BfN gewandt, weshalb er Ärger mit seiner eigenen Dienststelle bekam. Die Abgeordneten im Ausschuss billigen ihm ehrbare Motive zu, äußern aber unverhohlen Zweifel am Wahrheitsgehalt seiner Darstellung.“


Die SWR-Reporterin Edda Markeli stellt in einem Interview jedoch fest, dass der ehemalige Verfassungsschützer glaubwürdiger als der Informant auftrat und vermutete, dass Günter Stengel möglicherweise unter Druck gesetzt wurde (Transkript) :

Frage Moderatorin: Wer war denn glaubwürdiger?

Markeli: „Aus meiner Sicht ganz klar der Verfassungsschützer. (…) Nach meinem ganz persönlichen Eindruck kann ich nur sagen, der Mann steht extrem unter Druck. Das hat man ihm angesehen. Und möglicherweise, das ist jetzt Spekulation, hat er Ärger bekommen nach dieser Aussage im Bundestagsuntersuchungsausschuss und will jetzt einfach nicht noch mehr Ärger haben.“


Bundestag.de 17.1.2013:

„Wurden Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe nach ihrem Untertauchen im Januar 1998 deshalb nicht aufgespürt, weil zwischen der später zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) mutierten Jenaer Gruppe und dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Verbindungen bestanden? Über einen damals bei der Geraer Staatsanwaltschaft keimenden „ungeheuerlichen“ Verdacht berichtete am Donnerstag Oberstaatsanwalt Gerd Michael Schultz zum Auftakt der Zeugenvernehmungen dem Untersuchungsausschuss, der Fehler und Pannen bei der Aufklärungsarbeit zu der dem NSU angelasteten Mordserie durchleuchten soll. Der Zeuge führte aus, er habe eine Hilfestellung des LfV für das Trio zwar „nicht für wahrscheinlich“ gehalten, doch sei dies ein „möglicher Ermittlungsansatz“ gewesen. Es sei der Staatsanwaltschaft „sehr merkwürdig“ vorgekommen, so Schultz, dass die ansonsten so erfolgreiche Zielfahndung des Landeskriminalamts Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe trotz intensiver Spurensuche einfach nicht habe finden können. Auch die Fahnder hätten sich das nicht erklären können. Diese hätten vermutet, dass die Gruppe Unterstützung erhalten könnte, wobei seinerzeit keine Hinweise auf Hilfe aus der rechtsextremen Szene existiert hätten. Laut Schultz wurde der Verdacht gegen den Geheimdienst zusätzlich genährt, weil sich auch Tino Brandt als Anführer des rechtsextremen Thüringer Heimatschutzes (THS), bei dem einst auch Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe aktiv waren, als V-Mann des Verfassungsschutzes entpuppt habe, was man sich in seiner Behörde lange Zeit nicht habe vorstellen können.“


Bundestag.de 21.2.2013:

„Zu den “Merkwürdigkeiten” zählte Dressler auch, dass bei der Suche nach der untergetauchten Gruppe Informationen des LfV oft sehr spät zum LKA gelangt seien und dass der Geheimdienst offenbar parallel zur Polizei tätig gewesen sei. Zudem habe ihm der mit der Suche nach dem Trio beauftragte Zielfahnder Sven Wunderlich mitgeteilt, dass der Vater von Mundlos davon ausgehe, einer aus dieser Zelle sei eine Quelle des LfV. Wunderlich habe sich auch beklagt, im Zusammenhang mit geplanten Zugriffen auf die Gruppe komme er immer zu spät. Überdies habe LKA-Präsident Egon Luthardt zu Wunderlich gesagt, er werde das Trio niemals finden, da es unter staatlichem Schutz stehe, erklärte Dressler.“


Berliner Zeitung 7.8.2013:

„Ganz offen haben zudem Ermittlungsbeamte vor dem Ausschuss Vermutungen geäußert, wonach Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach ihrem Untertauchen vom Verfassungsschutz gedeckt worden sein sollen. So beklagte sich Jürgen Dressler, in den 90er-Jahren Leiter der Ermittlungsgruppe Terrorismus/Extremismus (EG TEX) im Erfurter Landeskriminalamt, vor dem Untersuchungsausschuss darüber, dass seinerzeit alle Aktionen des LKA gegen rechte Aktivisten vorab dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) gemeldet werden mussten. Nach seinem Eindruck seien manche Verdächtige dann vom LfV gewarnt worden. Auch die erfolglose Suche nach dem untergetauchten Trio habe laut Dressler am LfV gelegen. „Wir sind damals von einer staatlichen Unterstützung ausgegangen“, sagte er Ende Juni vor dem Ausschuss. Er und der zuständige Zielfahnder Sven Wunderlich hätten diesen Eindruck seinerzeit vom Verfassungsschutz gehabt. Zielfahnder Wunderlich bestätigte dies in der gleichen Ausschusssitzung. Wichtige Fahndungsdaten seien ihm vom LfV vorenthalten worden, sagte er. Als er einmal in einem Gespräch mit einem damaligen leitenden Verfassungsschützer die Frage stellte, wo die Drei denn wohl stecken könnten und ob sie vielleicht schon tot seien, habe der ihm geantwortet: „Die sind gar nicht so weit weg und denen geht es eigentlich ganz gut.“ Für die These der beiden LKA-Beamten, dass das LfV die Fahndung nach dem Trio hintertrieben haben könnte, sind nach Informationen der Berliner Zeitung inzwischen neue Indizien aufgetaucht. So hatten die Ermittler im Februar 1998 festgestellt, dass eine unbekannte Person an einem Geldautomaten der Sparkasse in Jena mit der EC-Karte 1 800 Mark von Böhnhardts Konto abgehoben hatte. Das Überwachungsvideo vom 11. Februar 1998, auf dem die Person am Geldautomaten zu sehen ist, wurde von der Sparkasse der Polizei ausgehändigt und zur Auswertung an das LfV übergeben. Dort verschwand die Videokassette.“


SZ am 6.12.2011:

„Im Fall der Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) sind neue Fragen zur Rolle der Sicherheitsbehörden aufgetaucht. Es geht um etwaige Kontakte zu Beate Zschäpe, die zusammen mit Uwe Bönhardt und Uwe Mundlos das Zwickauer Terrortrio bildete. Die Ermittler haben nach Informationen von sueddeutsche.de Hinweise auf einen Brief, in dem von einer früheren Informanten-Tätigkeit Zschäpes für staatliche Behörden die Rede ist. Über dieses Schreiben gibt es einen Aktenvermerk, wie verschiedene Mitglieder des Thüringer Landtages auf Anfrage bestätigten. Demnach ging der Brief nach dem Abtauchen der drei Neonazis 1998 beim Vater von Uwe Mundlos ein. (…) Der anonym abgefasste Brief beschreibt angeblich auch, warum die Rechtsextremistin in den neunziger Jahren mit den Behörden kooperierte. Beweggrund soll eine mögliche Strafmilderung für einen Verwandten gewesen sein. Thüringens Justizministerium wollte die Existenz eines solchen Briefes weder bestätigen noch dementieren. Bereits zuvor kursierten Gerüchte, wonach Zschäpe für einen Geheimdienst Informationen aus der rechten Szene zusammengetragen hat. 1998 tauchte Zschäpe zusammen mit Bönhardt und Mundlos unter, nachdem die Polizei deren Werkstatt zum Bombenbau entdeckt hatte. Danach versuchte der thüringische Verfassungsschutz das Trio zur Aufgabe zu bewegen, wie Bönhardts damaliger Verteidiger Gerd Thaut sueddeutsche.de bestätigte. Der Rechtsanwalt erinnert sich, wie „kurze Zeit nach dem Verschwinden“ der drei Neonazis ein Mitarbeiter des Thüringer Verfassungsschutzes in seiner Kanzlei in Gera erschienen sei.“


Focus 10.12.2013:

„Bei der Aufarbeitung der NSU-Mordserie sind schwere Vorwürfe gegen den heutigen Chef des Thüringer Landeskriminalamtes, Werner Jakstat, laut geworden. Wie das ARD-Politikmagazin „Report Mainz“ am Dienstag berichtete, soll er 2003 die Fahndung nach dem Terrortrio verhindert haben. Dabei stützt sich das Magazin auf Aussagen eines LKA-Beamten. Eine Stellungnahme der Behörde zu den Vorwürfen gab es nicht. Im konkreten Fall geht es um die Aussage des Zeugen Mark Seehrich, der den untergetauchten Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt an einer Ampel in Jena erkannt haben wollte. Der Mann war den Angaben zufolge Böhnhardts Klassenkamerad und identifizierte ihn eindeutig. Jakstat habe die Ermittler angewiesen, den Zeugen zu befragen, der Sache aber nicht weiter nachzugehen, berichtete der LKA-Beamte dem Magazin. Jakstat, damals bereits in leitender Funktion am LKA Thüringen, habe persönlich zum Hörer gegriffen. „Der Auftrag hat gelautet: Fahrt mal raus, damit keiner sagen kann, wir hätten gar nichts gemacht. Also haben wir den Zeugen befragt. Aber wir sollten nichts ermitteln. Es wurde explizit gesagt: Kriegen Sie da nichts raus“, sagte der Informant „Report Mainz“. Diese Aussage liegt der Sendung nach eigenen Angaben als eidesstattliche Versicherung vor.“


3sat am 11.6.2014:

„2004 wurde die Kölner Keupstraße zum Tatort. Eine Nagelbombe explodierte in der türkischen Einkaufsmeile. Die Polizei glaubte lange nicht an einen rechtsextremen Hintergrund.(…) Ali Demir etwa war damals Steuerberater in der Keupstraße. Das, was er berichtet, interessiert die Polizei bis heute nicht: Er habe „ungefähr ein oder zwei Minuten nach dem Anschlag“ eine Person gesehen, einen Zivilisten, „aber unter der Schulter hatte er schon eine Pistole.“ Der bewaffnete Mann verhielt sich kühl, wirkte wie ein Polizist. Und er hatte einen Partner – auf der anderen Straßenseite – dicht am Fluchtweg der Attentäter. Wer waren die Männer? Mittäter, Geheimdienstler, Polizisten? Die Behörden schweigen. (…) Zehn Jahre Nagelbombenanschlag: Die Kölner Keupstraße feiert gemeinsam mit ihrer Stadt gegen Rassismus.(…) Auch Opferanwälte sind gekommen, etwa Yavuz Narin, der im Prozess die Familie Boulgarides vertritt. Er entdeckte in einer Nachbarstraße Kameras, die den Tag des Kölner Attentats aufzeichneten. 18 Stunden Beweismaterial, das die Bundesanwälte vernachlässigten. „Es handelt sich meines Erachtens um eines der wichtigsten Beweisstücke im gesamten NSU-Komplex, sodass für mich unerklärlich ist, warum die Bundesanwaltschaft dieses Material weder in die Prozessakten aufgenommen hat, noch es den Untersuchungs-ausschüssen, insbesondere im Bundestag, zur Verfügung gestellt hat“, sagt Yavuz Narin. Nur wenige Sekunden waren bis dahin bekannt. In den 18 Stunden sieht man aber die Attentäter häufig, sie scheinen observiert zu werden. Von wem – keiner hat es bisher ermittelt.“


Jungle World am 13.11.2014:

„Die Nebenklage will neben Szczepanski noch weitere Zeugen aus dem organisierten Neonazi-Milieu vorladen. Am Donnerstag voriger Woche ­beantragte sie deshalb die Vorladung von Marko Gottschalk, dem Sänger der Rechtsrockband ­Oidoxie, sowie Sebastian Seemann, V-Mann des Verfassungsschutzes und Mitglied von »Combat 18« aus Dortmund. Es soll überprüft werden, inwieweit die Dortmunder Neonaziszene bereits 1997 Kontakt zu einzelnen Angeklagten beziehungsweise zum NSU hatte. »Der Aufbau einer ›Combat 18‹-Zelle in Dortmund mit Zugang zu Waffen im Jahr 2006«, so Alexander Hoffmann und Björn Elberling, Vertreter der Nebenklage im NSU-Verfahren, »ist ein Indiz dafür, dass es Verbindungen zwischen dem NSU und militanten Neonazizellen in Dortmund gegeben hat, über die Informationen über Dortmund als möglichen Tatort des NSU geflossen sind.« Den beiden Rechtsanwälten zufolge ist nicht nachvollziehbar, wie die NSU-Mörder den Tatort in Dortmund, wo im April 2006 der Gemüsehändler Mehmet Kubaşik erschossen wurde, ausspionierten. Marko Gottschalk gilt als eine der zentralen Figuren der Neonaziszene im Ruhrgebiet. Zusammen mit Seemann soll er eine terroristische Zelle nach dem Vorbild der Turner-Tagebücher aufgebaut haben. Diese zunächst aus mindestens sieben Personen bestehende »Combat 18«-­Gruppe soll sich Waffen aus Belgien besorgt und Schießübungen veranstaltet haben. Finanziert wurde die Organisation offenbar durch die Durchführung von Konzerten und Auftritte der Band Oidoxie. Nach dem Auffliegen des NSU im November 2011 wurde Seemann vom Dortmunder Staatsschutz befragt. In den Vernehmungen gab Seemann an, möglicherweise etwas über zwei Waffen des NSU zu wissen. Ob dieses Angebot vom Dortmunder Staatsschutz angenommen wurde, ist bislang unklar. Zumindest wurden über diesen Vorgang noch keine Akten gefunden.“


Tagesspiegel Online am 3.2.2015:

„Im NSU-Prozess wird die Frage immer größer, warum die Sicherheitsbehörden die 1998 in Chemnitz untergetauchten Neonazis Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe nicht aufspüren konnten. Am Dienstag bestätigte ein rechtsextremer Zeuge im Oberlandesgericht München eine frühere Aussage beim Bundeskriminalamt, wonach sich die drei in der sächsischen Stadt „normal in der Szene bewegt“ hätten und bei einem „wöchentlichen rechten Treff“ anwesend gewesen seien. Er selbst habe Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe 1998 in der Wohnung eines Freundes getroffen, sagte Enrico R. Nach dem Ende des NSU im Jahr 2011 habe man sich in der Szene darüber lustig gemacht, „wie lange die in Chemnitz waren, ohne dass es jemand mitbekommen hat“, sagte Enrico R. Schon bei früheren Zeugenaussagen erschien schwer verständlich, warum Polizei und Verfassungsschutz nicht schon früh Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe ausfindig gemacht hatten.“


Südwest Presse am 21.2.2015:

„Als die Polizistin Michèle Kiesewetter im April 2007 auf der Theresienwiese getötet wurde, liefen die Ermittlungen gegen die Sauerlandgruppe auf Hochtouren. Die Amerikaner hatten damals laut Presseberichten mehr als 100 Agenten in Deutschland im Einsatz. Offenbar, so Rainer Nübel, Stern-Journalist und Co-Autor von „Geheimsache NSU“ vor dem Untersuchungsausschuss, habe es zur Tatzeit in Heilbronn eine Observation gegen zwei Islamisten gegeben. Ihm sei ein Protokoll einer US-Behörde zugespielt worden. Aber bereits zwei Stunden nach der Veröffentlichung sei das Papier von einer großen Zeitung als Fälschung abgetan worden. Der Journalist sieht die Bundesanwaltschaft als Initiator. Nübel begründet: „Bis heute hat die Bundesanwaltschaft nicht publik gemacht, was hinter den Kulissen gemacht wurde.“ Er zitiert aus späteren Schreiben deutscher und amerikanischer Behörden: Zwei FBI-Beamte seien in Heilbronn gewesen. Verfassungsschutzpräsidentin Beate Bube habe zudem bestätigt, dass an jenem Tag ein Verfassungsschützer zu einem Treffen mit einem Islamisten in Richtung Heilbronn unterwegs war. Außerdem wurde ein US-Special-Forces-Angehöriger nahe Heilbronn geblitzt. Was an jenem 25. April in Heilbronn wirklich passierte, welche Ungereimtheiten es noch gibt, das beschäftigt die anderen Sachverständigen, darunter die Journalistin Andrea Röpke. „Wenn Michèle Kiesewetter nicht aus Oberweißbach gekommen wäre, hätte ich gesagt, sie war ein Zufallsopfer.“ Denn davon ist die Bundesanwaltschaft überzeugt. Röpke weiß aber, dass es im Heimatort der Getöteten durchaus Kontakte zum NSU gab. „Und ich gehe nicht von einem Trio aus.“ Es sei eine Kerngruppe in einem Netzwerk, das unter anderem mit militanten Hammerskins vernetzt war. Der Berliner Politikwissenschaftler Hajo Funke ist indes überzeugt, dass sich die These der Bundesanwaltschaft mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt als Alleintäter nicht halten lässt. Die Erkenntnisse der Sonderkommission Parkplatz zeigten, dass vier oder mehr Täter vor Ort gewesen sein müssten. Daran knüpfte Journalist Thomas Moser an. Mehrere Zeugen hätten blutverschmierte Männer gesehen. Ein Angler, der nicht mehr ermittelt werden konnte, habe von russisch sprechenden Tätern berichtet. Es könnte Verbindungen zwischen organisierter Kriminalität und Rechtsextremismus geben. „Lassen sie sich die Akten aus Karlsruhe kommen – ungeschwärzt“, fordert er die Parlamentarier auf. „Geheimschutz ist Täterschutz!“


Die Mitglieder des NSU-Bundestagsausschusses zweifeln an der alleinigen Täterschaft des Trios:

Clemens Binninger, Ex-Obmann der Union im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages und Chef des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG), zweifelt an der allgemeinen Vorstellung, dass nur Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe – für die rechtsradikale Mordserie verantwortlich sein sollen und stellt im Stern Interview einen zweiten Untersuchungsausschuss in Aussicht:

„Vieles spricht gegen diese Annahme. (…) 2000 und 2001 gab es in elf Monaten vier Morde, zwei Banküberfälle und einen Sprengstoffanschlag, obgleich nach dem Trio öffentlich gefahndet wurde, es unter hohem Entdeckungsrisiko stand und auch zwei mal umgezogen ist. Dass es nur die drei waren, kann ich mir nicht vorstellen. Ich komme ins Grübeln, wenn ich sehe, dass manche Spuren, etwa Handyverbindungen zu Zschäpe, doch eher nachrangig bewertet wurden.(…) Auch der plötzliche Tod des V-Mannes „Corelli“ ist nicht hinreichend aufgeklärt. (…) Wenn sich bei tragenden Elementen des Falles die Indizien häufen, dass es so wie dargestellt nicht war, dann steigen wir nochmal ein. Dann sind wir in der Pflicht.“


NSU Buch-Autor und Journalist Thomas Moser erklärt am 27.10.2014 in einem Vortrag zum NSU/Verfassungsschutz Komplex warum Zweifel an der offiziellen Darstellung der Todesursachen von Böhnhardt und Mundlos angebracht sind:

“ Eisenach, das müssen wir sagen, ist nicht geklärt. Und der Wert des Abschlussberichtes des Thüringer Ausschusses ist, dass er das so sagt. Er sagt es ist nicht klar, ob es Suizid war, also die Konstruktion ist die: Uwe Mundlos soll Böhnhardt erschossen haben, dann sich selber, erweiterter Suizid, oder Fremdeinwirkung, also Mord. Eisenach ist nicht geklärt. Es gibt Indizien die gegen Selbstmord sprechen und es muss da weiter ermittelt werden.“


Die These des erweiterten Suizids wurde im November 2011 vom damaligen BKA Chef Ziercke in die Welt gesetzt, wie am 21.11.2011 auf Welt Online zu lesen war:

„Der Terrorist Uwe Mundlos hat nach Ermittlungen der Polizei seinen Neonazi-Kameraden Uwe Böhnhardt am 4. November in dem Wohnmobil im thüringischen Eisenach mit einem aufgesetzten Kopfschuss getötet. Dann legte Mundlos Feuer und erschoss sich mit der selben Waffe selbst. Dies belege die Tatsache, dass bei der Obduktion nur in der Lunge von Mundlos Rußpartikel des Feuers gefunden wurden, sagte BKA-Präsident Jörg Ziercke am Montag in Berlin. Die beiden Neonazis hatten sich nach einem Banküberfall in dem Wohnmobil versteckt, waren aber schon von der Polizei eingekreist.“


Das Problem hierbei: Mundlos und Böhnhardt waren nicht „eingekreist“, sondern sie wurden zufällig von zwei Beamten einer Streife entdeckt. Sie wussten durch den abgehörten Polizeifunk, dass die Ringfahndung bereits nach anderthalb Stunden aufgehoben worden war. Damit wäre eine Flucht über die Autobahn möglich gewesen. Noch gravierender ist die Tatsache, dass kein Ruß in ihren Lungen festgestellt wurde:

„Die Rußpartikel in der Lunge galten als Beleg, dass Mundlos beim Anzünden des Wohnmobils noch lebte, er demnach der Ausführende war. Doch dieser Ablauf wird jetzt in Frage gestellt. Wie die Vorsitzende des Thüringer NSU-Ausschusses, Dorothea Marx (SPD), mitteilte, erhielt der Ausschuss erst in der vorigen Woche den Sektionsbericht. Die beiden Männer waren am Mittag des 4. November 2011 tot in einem brennenden Wohnmobil in Eisenach-Stregda entdeckt worden, nachdem sie zuvor eine Sparkassenfiliale überfallen hatten. Später stellte sich heraus, dass sie mutmaßlich zur Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)“ gehörten, die zehn Menschen ermordet und zahlreiche weitere Gewaltverbrechen begangen haben soll. Das dritte NSU-Mitglied Beate Zschäpe steht derzeit in München vor Gericht. Laut Ausschusschefin Marx heißt es in dem Sektionsbericht, dass sich weder in der Lunge von Böhnhardt noch in der Lunge von Mundlos Rußpartikel befunden hätten. Die Untersuchung wurde von der Thüringer Gerichtsmedizin in Jena vorgenommen. „Damit ist es sehr zweifelhaft, dass Mundlos erst das Wohnmobil angezündet hat und sich dann erschossen hat“, sagte Marx unserer Zeitung.“ (inSüdthüringen.de am 1.4.2014)


Dr. Eva Högl, damals Obfrau der SPD im PUA, äußert im Mai 2014 offen Zweifel an der Mordtheorie im Fall Kiesewetter. Der Generalbundesanwalt geht davon aus, dass die getötete Polizistin und ihr schwer verletzter Kollege Zufallsopfer wurden, dass nur die mittlerweile toten NSU-Männer Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt als Täter in Frage kommen. „Wir waren und sind alle nicht der Auffassung, dass Kiesewetter ein Zufallsopfer war“, sagt Högl über sich und die PUA-Kollegen Clemens Binninger (CDU) und Petra Pau (Die Linke), die noch im Bundestag sitzen. „Wir glauben nicht, dass der NSU aus nur drei Personen mit einem kleinen Helferkreis bestand.“ Es müsse ein breites Netzwerk gegeben haben. Unbeantwortet seien zudem Fragen zu zwei Polizisten, die im rassistischen Ku-Klux-Klan in Schwäbisch Hall aktiv waren. Einer war Gruppenführer von Kiesewetter. Der Klan-Chef war als bezahlter Informant aus der Szene auf das NSU-Umfeld in Thüringen angesetzt. Ein weiteres rechtsextremes KKK-Mitglied mit Bezügen zum NSU war Thomas Richter, der als „Corelli“ dem Bundesamt für Verfassungsschutz Informationen lieferte. Der 39-Jährige lebte zuletzt mit neuer Identität im Zeugenschutzprogramm im Landkreis Paderborn. Er wurde am 7. April von Verfassungsschutzbeamten tot in seiner Wohnung aufgefunden. Bei der Obduktion sei als Todesursache eine unerkannte Diabetes festgestellt worden, erklärte die Staatsanwaltschaft. Högl hat an dieser Version Zweifel, will das Thema mit Kollegen in den Innenausschusses bringen. Dem Innenausschuss des Bundestags wurde allerdings im Januar 2015 die Einsicht in das medizinische Gutachten zum Tod Corellis vom NRW-Justizminister Kutschaty (SPD) verweigert. Er habe das vom Generalstaatsanwalt prüfen lassen, schreibt Kutschaty in einem Brief an den Ausschussvorsitzenden Bosbach. Ergebnis: Es gebe keine Rechtsgrundlage für die Herausgabe der Akten. Bosbachs sieht offene Fragen:

„Die Todesumstände sind einigermaßen ungewöhnlich. Es steht auch noch nicht einmal der genaue Zeitpunkt des Todes fest. Handelt es sich um einen natürlichen Tod oder ist Fremdeinwirkung nicht doch wahrscheinlich? Wie ist er zu Tode gekommen? Welche Möglichkeiten gibt es?“


 Hans Ulrich Jörges bemerkt urplötzlich am 21.11.2014 auf stern.de:

“ Einen derart monströsen Skandal hat die Republik noch nicht erlebt. Der Staat misstraut seinen eigenen Organen. Jenen, die für die Sicherheit ebendieses Staates verantwortlich sind: Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt (BKA), Bundesanwaltschaft. (…) Staatsaffäre. Selbst der Innenminister bezweifelt die These vom Trio. In einer Bundestagsdebatte zum dritten Jahrestag der Aufdeckung des NSU sprach Thomas de Maizière von „potenziellen weiteren Tätern“. Das hieße: Die Mörder sind unter uns. Und die Anklage gegen Zschäpe gründet auf der falschen, aber bequemen Theorie vom Trio. Platzte der Prozess deswegen, müsste sie freigelassen werden. (…) Der Christdemokrat Clemens Binninger sieht „noch viele Fragen offen“. Die Sozialdemokratin Eva Högl erkennt ein „breites Netzwerk rechtsextremer Strukturen, verteilt über ganz Deutschland“. Der Grüne Cem Özdemir verweist die Trio-These „ins Reich der Märchen“. Die Linke Petra Pau klagt: „Der Aufklärungswille der Behörden verharrt weiterhin nahe Null. … Das Staatsversagen geht weiter.“ (…) Morde unter den Augen der Behörde?  Das ist hart am Rande der katastrophalsten Hypothese: Der NSU mordete unter den Augen der Behörden, umgeben von V-Leuten. Das Trio wurde vom Verfassungsschutz sogar in den Untergrund geschleust, wo es aus dem Ruder lief. Die Legende wurde 1998 inszeniert, als in Jena eine Bombenwerkstatt ausgehoben wurde und man Böhnhardt davonspazieren ließ. Uwe Mundlos hatte der Militärische Abschirmdienst (MAD) 1995 vergebens anzuwerben versucht, nachdem er bei der Bundeswehr rechtsextrem aufgefallen war – unter anderem durch Visitenkarten mit dem Bild Adolf Hitlers. Dennoch wurde der Soldat des Führers beim Panzergrenadierbataillon 381 an Waffen ausgebildet und befördert. Die Mundlos-Akte reichte der MAD an das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt weiter. Für eine Anwerbung, die später vertuscht wurde? Staatsverschwörung. Dafür spricht die systematische Vernichtung von Akten beim Verfassungsschutz. Da mag an Pannen und Zufälle glauben, wer will. So, wie der NSU-Komplex dargestellt wird, kann es nicht gewesen sein. Der Fall strotzt vor Rätseln und Widersprüchen. Die Polizistin Michèle Kiesewetter wird 2007 in Heilbronn wohl nicht zufällig erschossen, aus Hass auf den Staat, wie die Bundesanwaltschaft behauptet, sondern weil sie etwas weiß. Zeugen drängen den Schluss auf, dass nicht zwei, sondern fünf oder sechs Täter beteiligt waren. An keinem der 26 Tatorte wird DNA von Mundlos oder Böhnhardt gefunden. Auch nicht an den vier Mordwaffen. Dafür aber klebt an einer Waffe fremdes Erbmaterial.“


Der Stern startet eine Serie zum NSU und stellt nach drei Jahren fest, dass es zahlreiche offene Fragen gibt:

Warum zum Beispiel geht eine Terrorgruppe, die 14 Jahre lang unerkannt im Untergrund lebte, das Risiko ein, mit einem Waffenarsenal im Wohnmobil erwischt zu werden? Waren sie auf dem Weg in ein anderes Versteck? Wieso überfallen Mundlos und Böhnhardt die Sparkasse, obwohl sie genug Geld haben? In der Wohnung in Zwickau werden die Ermittler 190.000 Euro finden. Wieso greifen die sonst so brutalen Killer Mundlos und Böhnhardt nicht zu den Waffen, die griffbereit im Wohnmobil liegen, auf Tisch, Herd und Sitzecke? Wieso entscheiden sie sich zum Selbstmord? Und wieso finden sich am Boden zwei Patronenhülsen der Pumpgun, mit der sie sich umbringen, wenn Mundlos Böhnhardt und dann sich selbst erschossen hat? Bei einer Pumpgun wird die Hülse nur ausgeworfen, wenn man den Schlitten an der Waffe noch einmal voll durchzieht. Ein Toter kann das nicht. Wieso wurde ein Rucksack, der auffallend fleckenlos auf einer angekohlten Matratze im Wohnmobil gefunden wurde, nicht gründlich untersucht? Noch am 5. November öffnen ihn Beamte und fotografieren den Inhalt, auf den Fotos sind drei Kartons mit Patronen und Geldbündel zu sehen. Erst einen Monat später, als das Bundeskriminalamt sich den Rucksack noch einmal ansieht, findet man sechs DVDs. Die Bekennervideos, die man erst Tage später im Schutt in der Frühlingsstraße fand.“


Die Vizepräsidentin des Bundestages, Petra Pau, beschreibt im Interview mit Andreas Förster vom 28.12.2014 die ungeklärten Fragen des NSU-Komplexes:

„Wir ärgern uns im Innenausschuss fraktionsübergreifend über nichtssagende oder geheim eingestufte Antworten auf unsere Fragen zum Thema NSU-Aufklärung. Mit dieser Verschleierungstaktik treiben Ministerien und Behörden die Bundeskanzlerin in den Meineid. Frau Merkel hatte bei der Trauerfeier für die NSU-Opfer im Februar 2012 eine vollständige Aufklärung der Hintergründe und Verantwortlichen zugesagt. Die gibt es bis heute nicht.[Es geht] um sehr viele noch immer ungelöste Fragen. So etwa um die Ereignisse am 4. November 2011, als sich der NSU selbst enttarnte: Der Thüringer Untersuchungsbericht hat da viele neue Details zutage gefördert, die die Geschichte dieses Tages, wie sie bisher erzählt wurde, immer widersprüchlicher erscheinen lassen. Hinzu kommt auch die ungeklärte Rolle solcher V-Leute wie „Corelli“ und „Tarif“, deren Beziehungen zum NSU-Trio ja offenbar enger waren, als man es uns je sagen wollte. Jerzy Montag soll „Corellis“ V-Mann-Akten im Bundesamt auswerten. Die Umstände seines plötzlichen Todes im vergangenen März untersucht er nicht, aber dafür interessiert sich der Innenausschuss. Doch wir warten nun schon seit vier Monaten auf das toxikologische Gutachten sowie auf Berichte über die Umstände seines Ablebens und die Asservate, die in „Corellis“ Wohnung sichergestellt wurden.(…) Inzwischen ist doch eines deutlich geworden: Der Verfassungsschutz hatte ein viel engeres Netz an Informanten rings um das Kern-Trio des NSU gespannt und damit wohl auch viel mehr Informationen über das Trio, vielleicht auch über seine Taten gehabt, als man es uns gesagt hat. Unser alter Untersuchungsausschuss sollte dumm gehalten werden. Und diese Strategie setzt sich leider gegenüber dem Innenausschuss fort. Ich habe jedenfalls den Eindruck, dass zumindest im Bundesamt nur ein sehr gebremstes Aufklärungsinteresse vorhanden ist. Man hat uns Abgeordnete dort zwischenzeitlich auch belogen. Und ich habe leider keine Anhaltspunkte dafür, dass sich das ändert.“


Die Anwesenheit des Verfassungsschützers Andreas Temme am Tatort des Kasseler NSU-Mordes gerät nun auch in den Fokus der Mainstreammedien. Temme, der zum Zeitpunkt des Mordes in einem Internet-Cafe nichts gesehen und gehört haben will führte den V-Mann Benjamin Gärtner, der hervorragende Kontakte in die Kasseler Neonazi-Szene aber auch nach Thüringen hatte, wo er 2001 bei einer Aktion des Thüringer Heimatschutzes (THS) in Eisenach festgenommen wurde. Benjamin G. steht auf einer Liste von Personen, die laut BKA und BfV Kontakt zum NSU gehabt haben sollen. Eine Stunde vor dem Kasseler Mord telefonierten G. und sein V-Mann Führer Temme. Temme, ein Waffennarr und Sammler von NS-Devotionalien pflegte lose Kontakte zu den Hells Angels. Ein Informant erzählte  dem BKA, er habe zu Beginn der 2000er Jahre in der Kneipe „Scharfe Ecke“ in Reinhardshagen mehrfach Uwe Mundlos gesehen. Der mutmaßliche Rechtsterrorist habe in der Kneipe Kontakt zu Rockern der „Hells Angels“ und Neonazis der „Blood and Honour“-Gruppe gesucht. In dieser Kneipe ist auch der Verfassungschützer Temme mehrfach gesichtet worden. Nur 450 Meter entfernt von der „Scharfen Ecke“ befindet sich eine weitere Lokalität, in der sich die Reservistenkameradschaft Reinhardshagen monatlich trifft. Bei den Veteranen schoss Temme mit seinen zahlreichen Waffen. Der Geheimschutzbeauftragte des hessischen Verfassungsschutzes riet Temme telefonisch bei seiner Aussage vor der Polizei „so nahe wie möglich an der Wahrheit“ zu bleiben. Zeit Online Autor Tom Sundermann verfälscht die Bemerkung des Geheimschutzbeauftragten in seinem Artikel vom 26.2.2015 folgendermaßen:

„So bittet der Geheimschutzbeauftragte T. in einem Gespräch darum, bei der Polizei die Wahrheit zu sagen.“


Der Anwalt der Familie Yozgat stellt im Stern (Nr 49/20014) fest:

„Staatsanwaltschaft und Polizei sind durch den Verfassungsschutz massiv behindert worden. Das Landesamt hat Einfluß auf das Aussage von Temme genommen, Akten sind und bleiben geschwärzt, Unterlagen über Informationen von V-Leuten werden nicht herausgegeben. Herr Temme hat den Mord an Halit Yozgat beobachtet. Er ist entweder verstrickt oder er deckt die Täter. Das Verfahren muss wieder aufgenommen werden.“

Ein Untersuchungsausschuss in Hessen könnte Klärung bringen, wurde jedoch von den hessischen Grünen nicht unterstützt. Das schwarz-grüne Regierungslager wollte lieber eine Expertenkommission einsetzen.Die Rolle des damaligen Innenministers und heutigen Ministerpräsidenten Bouffier, der die Kassler Mordermittlungen behinderte und die Vernehmungen von V-Leuten des Verfassungsschützers Temme untersagte, soll offensichtlich nicht geklärt werden:

„Die Landtagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erwartet von einem Untersuchungsausschuss im Hessischen Landtag keine maßgeblichen zusätzlichen Erkenntnisse zur NSU-Terrorserie, nachdem dieser Komplex bereits im Bundestag umfassend behandelt wurde.“ (gruenehessen.de am 20.5.2014)

Umfassend behandelt? Der Untersuchungsausschuss des Bundestages hat auf halbem Weg kapituliert. Die Verfassungsschutzbehörden mauerten und gerade im Fall Yozgat muss weiter aufgeklärt werden. Grünen Chef Özdemir, der für Baden-Württemberg einen Untersuchungsausschuss forderte und Geheimschutz anprangerte mag zu der Entscheidung der hessischen Parteifreunde keine Stellung nehmen.


 Wie wird die Vertuschung legitimiert?

Der langjährige Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz und jetziger Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Klaus-Dieter Fritsche, brachte es vor dem NSU-Ausschuss auf den Punkt:

“Es dürfen keine Staatsgeheimnisse bekannt werden, die ein Regierungshandeln unterminieren.


Mit anderen Worten: der Schutz rechtsextremer Zuträger des Verfassungsschutzes (V-Leute) ist wichtiger als die Aufklärung von rassistischen Morden und Bombenanschlägen. Die Verteter des Geheimdienstbehörden sabotierten faktisch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, dessen Arbeit zwar einiges zur Aufklärung beitrug, der aber schlussendlich vor der Exekutive einknickte. Akten wurden geschreddert, geschwärzt oder zurückgehalten. Zeugen schwiegen oder logen, wurden spontan krank oder erhielten von Vorgesetzten keine Aussagegenehmigung.

Im Ergebnis attestierten die Parlamentarier den Behörden Fehler und Versagen. Für eine tiefergehende Verstrickung des Staates wurden angeblich keine Hinweise gefunden. Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses durften allerdings über Informationen, die als geheimhaltungsbedürftig eingestuft worden sind, nicht reden. Welche Abgründe die Abgeordneten also tatsächlich gesehen haben wissen wir nicht. Ob die Ermittlungen gegen den ehemaligen Vorsitzenden des Untersuchungsausschuss, Sebastian Edathy, im Zusammenhang mit dessen Agieren im Ausschuss bewertet werden müssen, bleibt ebenfalls offen. Edathy schrieb im März 2014 folgende kryptische Nachricht auf Facebook:

„An die Betreffenden. Die Unterlagen über die ganze Geschichte ist an vielen verschiedenen Orten hinterlegt und wird in dem Augenblick veröffentlicht, in dem mir etwas passiert“ (to whom it may concern: the papers with the whole story are located in a lot of different places and will be published the moment sth happens to me).“


Edathy und die Umstände des Bekanntwerdens der Ermittlungen gegen seine Person in der sogenannten „Kinderporno-Affäre“ sind seit Ende 2014 Gegenstand des 2.Untersuchungsauschusses im Bundestag. Die Ausschussvorsitzende Högl erweist sich in ihrer Arbeit bisher allerdings als parteilich und voreingenommen, indem sie sich auf die Seite der Zeugen Hartmann und Ziercke stellte. Insbesondere Verfassungsschutz-Verfechter Hartmann hält außer Frau Högl kaum noch jemand für glaubwürdig. Aber auch die Aussagen des Ex-BKA Chef Ziercke und des SPD Fraktionsvorsitzenden Oppermann sind nicht widerspruchsfrei und so birgt der Ausschuss reichlich Potential für eine handfeste Krise der Sozialdemokraten, sollte sich bewahrheiten, dass die SPD Führung gelogen hat.

Sebastin Edathy, Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses im deutschen Bundestag, war derjenige der bei der Aufarbeitung des NSU-Komplexes am frechsten fragte und am weitesten ging. Als der damalige BKA-Chef Ziercke bei seinem Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss sich zu der Bemerkung verstieg, dass “gute Polizeiarbeit” dazu führte, dass die NSU-Mordserie aufhörte, äußerte Edathy Unverständnis für Zierckes „hochspekulative“ Ausführungen:

“Es war eine Niederlage für das BKA”, sagte der Edathy nach der Befragung. Ziercke habe zwar grundsätzlich von einem Versagen der Ermittlungsbehörden gesprochen, aber keine Verantwortung übernehmen wollen. (SPON am 28.6.2012)

„Im NSU-Untersuchungsausschuss bahnt sich der nächste Eklat an. “Wir wollen den V-Mann-Führer der Quelle ‘Corelli’ befragen”, sagte der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy gegenüber tagesschau.de. Doch das Bundesinnenministerium verweigere jede Stellungnahme und Information zu der Quelle, so der SPD-Politiker. Man wolle noch nicht einmal bestätigen, dass es den V-Mann “Corelli” gegeben habe. Das sei “lächerlich”. Edathy bestätigte einen Bericht der “Bild am Sonntag”, wonach das Gremium notfalls klagen wolle, damit der Ausschuss den Mitarbeiter des Verfassungsschutzes befragen könne. “Aber wir wollen das eigentlich nicht”, sagte er. Der Vorsitzende des Ausschusses forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, das Versprechen einer umfassenden Aufklärung der NSU-Terrorserie einzuhalten und das Innenministerium zur Ordnung zu rufen. “Wir werden uns das nicht gefallen lassen”, betonte Edathy. Der Fall “Corelli” ist äußerst brisant. Hinter dem Decknamen verbirgt sich mutmaßlich der Neonazi Thomas R. aus Sachsen-Anhalt, in der Szene als “HJ Tommy” bekannt. R. soll mindestens von 1997 bis 2007 Informationen an das Bundesamt für Verfassungsschutz verkauft haben. Der Neonazi kannte offenkundig die NSU-Terroristen, sein Name tauchte auch auf einer Telefonliste von Uwe Mundlos auf, die Ermittler im Jahr 1998 in Jena gefunden hatten. R. unterstützte unter anderem das Neonazi-Szeneheft “Der weisse Wolf”, in dem im Jahr 2002 ein Gruß an den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) veröffentlicht worden war. Außerdem gilt R. als ein Gründer des deutschen Ablegers des rassistischen “Ku Klux Klan”, zu dessen Mitgliedern auch Polizisten aus Baden-Württemberg gehörten. Diese Beamten waren Kollegen von Michele Kiesewetter, die 2007 vom NSU durch Kopfschüsse in Heilbronn ermordet wurde.”  (Tagesschau.de 3.2.2013)

Als 2014 die sogenannte „Edathy-Affäre“ ins Rollen kommt gerät der mittlerweile pensionierte BKA-Chef in erneut in die Kritik. Ziercke habe dem Innenausschuss des Bundestags offenbar falsche Angaben zum Vorgehen seiner Behörde bei der Bearbeitung der kanadischen Liste mit Nacktbilder- und Kinderpornografie-Kunden gemacht, wie Spiegel Online feststellte:

„Ziercke sagte am Wochenende: “Ich habe offen und ehrlich alle informiert.” Aber das darf man bezweifeln. Stattdessen bestärken seine Aussagen im Innenausschuss den Verdacht all jener, die von Anfang an nicht an die Darstellung des BKA im Fall Edathy glaubten: dass es zwei Jahre dauerte, bis die Behörde im Oktober 2013 die Identität Edathys erkannte.“

Hinzu kommen zwei pikante Details: ein hoher BKA-Beamter stand ebenfalls auf der kanadischen Kinderporno-Kundenliste, auf der sich auch Edathys Name fand. Doch während der „hausinterne“ Fall bereits im Februar 2012 an die Staatsanwaltschaft übergeben wurde, dauerte es bei Edathy noch anderthalb Jahre. Die wenige glaubhafte Begründung Zierckes:Der SPD-Politiker sei den eigenen Beamten damals nicht aufgefallen, weil er nicht bekannt genug gewesen sei. Kriminaldirektor Christian Hoppe war in den Jahren 2011 bis Januar 2014 Leiter des für Sexualdelikte zuständigen Referates beim BKA. Doch in der Person von Hoppe liegt gleichzeitig eine unmittelbare Verbindung zum NSU-Komplex wie zum früheren NSU-Untersuchungsausschuß vor, den der Abgeordnete Edathy von Januar 2012 an so ohne falsche Rücksichtsnahmen leitete:

„BKA-Mann Hoppe war nämlich von Januar 2006 bis Ende 2009 Chef der Ermittlungsgruppe (EG) „Ceska“, die, neben mehreren Landeskriminalämtern, die Mordserie an den neun türkischen und griechischen Männern untersuchte. Die BKA-Ermittler blieben dabei bis zuletzt auf „Organisierte Kriminalität“ (OK) fokussiert. Ein rechtsextremistischer Hintergrund wurde nicht angenommen. Im Mai 2012 wurde Christian Hoppe deshalb vor den NSU-Ausschuß in Berlin geladen und kritisch nach den BKA-Ermittlungen befragt. Daß dieser Mann nun für die Ermittlungen gegen Edathy verantwortlich zeichnet – wirklich nur ein zufälliger Zusammenhang? „(Thomas Moser)

Edathy, der mit dem Vorwurf der Nutzung von Kinderpornographie möglicherweise für seine kritische Rolle als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses abgestraft wird, ging auch mit dem damaligen Verteidigungsminister De Maizière hart ins Gericht. Dessen Ministerium hatte dem Untersuchungsausschuss eine MAD-Akte über Uwe Mundlos vorenthalten:

“ Dieses Wissen ist uns vorenthalten worden. (…) Ich hatte gestern auf Wunsch von Herrn de Maizière die Gelegenheit mit ihm zu sprechen. (…) Er hat sich ein Stück weit entschuldigt. Er hat gesagt, es sei unsensibel gewesen uns nicht zu unterrichten. Nur sehen sie, ich glaub das reicht nicht ganz aus. Es kann nicht sein, dass die Spitze der Bundesregierung in Person der Bundeskanzlerin, seit Monaten sagt, wir tun alles um die Aufklärung zu befördern, wir tun alles was wir tun und leisten können um die Arbeit des Untersuchungsausschusses zu unterstützen und dann sitzt man sechs Monate auf einer Information, die für uns relevant ist, nach der wir gezielt gefragt haben, wo immer gesagt worden ist wir haben keine Erkenntnisse. Das geht so nicht. Das ist Blockieren das ist Ausbremsen unserer Arbeit und das werden wir uns nicht gefallen lassen. [Frage Christiane Meier:]Werden Sie Herrn de Maizière vorladen? [Edathy:] Wenn die sonstigen Mitarbeiter des Ministeriums im Oktober uns nicht befriedigend Auskunft geben können behalten wir uns das natürlich vor.“

Edathys überraschende Wandlung geschah kurz vor Beginn des NSU-Prozesses in München. In einem NDR Interview vom 9.5.2013, anlässlich der Beendigung der Ausschussarbeit, trifft er Aussagen, die im krassen Widerspruch zur eigenen Aufklärungsarbeit des Ausschusses stehen:

NDR: Die Schredderaktion von Akten beim Bundesamt für Verfassungsschutz im Zusammenhang mit der „Operation Rennsteig“: War das Dummheit, Zufall, Versehen oder Vorsatz?

Edathy: Meine Bewertung nach sehr umfangreicher Recherche ist die, dass man diese Frage nicht mit letzter Gewissheit beantworten kann. Es spricht etliches dafür, dass die Veranlassung der Aktenvernichtung im Bundesamt für Verfassungsschutz im November 2011 ausgesprochener Dummheit entsprungen ist. Gänzlich ausschließen, dass bewusst Unterlagen vernichtet werden sollten, kann man zwar nicht. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings höher, dass es sich um ein verantwortungsloses Bescheuertsein gehandelt hat. Was allerdings die Frage aufwirft, wie doof man sein kann, um dennoch im Bundesamt für Verfassungsschutz Referatsleiter werden zu können.

NDR: Die vielen Fehler bei Verfassungsschutz und Polizei haben aufschrecken lassen. Gab es aus ihrer Sicht in irgendeiner Form Unterstützung oder gar eine Kooperation des NSU oder des NSU-Umfelds mit staatlichen Behörden?

Sebastian Edathy: Wir haben keine Hinweise dafür, dass es, was schlimm genug ist, sich um mehr gehandelt haben könnte als um eine massive Zusammenballung unglaublicher behördlicher Fehlleistungen. Für ein bewusstes Wegschauen, was das Agieren des Trios betrifft oder gar für eine aktive Unterstützung gibt es keinerlei Indizien.“

Auch Aust und Laabs wundern sich über das Verhalten von Edathy:

„Der damalige Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages, Sebastian Edathy, und ein weiterer Abgeordneter vernahmen die Zeugin, die genötigt wurde, die Akten von Tarif zu vernichten. Im April 2013 besuchte er sie in Köln und durfte sie in Anwesenheit ihrer Chefin vernehmen. Erst im August, als die Presse vor allem vom NSU-Prozess in München berichtete und die ersten Berichte über die Aktenvernichtungen bereits in Vergessenheit geraten waren, verlas Edathy mit wutbebender Stimme die Aussage dieser Zeugin in NSU-Ausschuss, immer wieder blickte er verärgert zu Vertretern des Bundesinnenministeriums. Nur Tage später spielte Edathy den Fall in einem Interview jedoch herunter und stellte fest, die Aktenvernichtungen, seien eher „ausgesprochene Dummheit“ gewesen als Vertuschung. Eine merkwürdige Bewertung.“

Der Abschlussbericht des NSU- Bundestagsausschusses ist nur in zensierter Fassung zugänglich, wofür der ehemalige Bundesinnenminister Friedrich die Verantwortung trägt. Dieser hat den Ausschuss mit einer vertraulichen Streichliste konfrontiert, in der er die Streichung oder Abänderung von insgesamt 118 Textstellen forderte. Rolf Gössner, Vizepräsident der Berliner Internationalen Liga für Menschenrechte, hierzu:

„Das ist ein Verstoß gegen das Verfassungsprinzip der Gewaltenteilung. Doch solche Einflussnahmen sind keine Einzelerscheinungen, sondern haben leider System, weil sich die Verdunkelungsstrategien der Geheimdienste zwangsläufig bis hinein in die parlamentarische oder gerichtliche Kontrolle verlängern.“


Mittlerweile zweifeln Mitglieder des Ausschusses an Teilen ihres eigenen Abschlussberichts und stellen die von der Bundesanwaltschaft entwickelte Verschwörungstheorie des isolierten Terrortrios in Frage. Dass taten auch Rainer Fromm und Elmar Theveßen am 14.1.2014 im Heute Journal, was im Sender tags darauf für rege Diskussionen sorgte, wie mir ein Journalist verriet. Der Vorstoß von Theweßen und Fromm im ZDF signalisierte eine Kurskorrektur in der Berichterstattung über den NSU-Komplex. Lange Zeit wurde medial die Sprachregelung von Pleiten, Pech und Pannen verbreitet mit der Maßgabe das skandalöse Agieren der Behörden, insbesondere des Verfassungsschutzes ausschließlich als Fehler zu interpretieren. Dass  darüberhinaus konkrete Fälle von (Selbst-)Zensur publik wurden stellt einen klaren Angriff auf die Pressefreiheit dar.

Hans-Christian Ströbele, Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG) des Deutschen Bundestages zur Kontrolle der Geheimdienste:

” Davon, daß Beiträge von Journalisten mit Berichten zum NSU-Komplex nicht gesendet oder solche nicht gedruckt wurden, habe ich hin und wieder gehört. Den konkreten Inhalt der Beiträge kenne ich nicht. Näheres über die Gründe weiß ich auch nicht.”


Was Ströbele angeblich nicht weiß, betrifft beispielweise den Journalisten Thomas Moser und einen vom WDR abgesetzten Beitrag zum NSU. Der Beitrag ( “Zehn Morde und ihr parlamentarisches Nachspiel” ) wurde kurz vor der Sendung vom Redaktionsleiter mit fadenscheinigen Begründungen und gegen den ausdrücklichen Willen des verantwortlichen Redakteurs, aus dem Programm genommen:

Am Mittwoch, den 28.11.12 , sollte auf WDR 5 ( Sendung “ Neugier genügt ” ) eine Reportage über den NSU-Ausschuss ausgestrahlt werden.
„Der Beitrag ( “Zehn Morde und ihr parlamentarisches Nachspiel” ) wurde kurz vor der Sendung vom Redaktionsleiter, gegen den ausdrücklichen Willen des verantwortlichen Redakteurs, aus dem Programm genommen.Hintergrund der Reportage: In dem Beitrag ging es inhaltlich um die Aktenzurückhaltung durch den MAD, um die Vernehmung des hessischen Verfassungsschützers Temme, der beim Mord in Kassel vor Ort war, um den baden-württembergischen ex-Verfassungsschützer Stengel, der 2003 einen Bericht, in dem Mundlos und NSU auftauchten, im Amt vernichten sollte und um seinen Chef, den Ex-LfV-Präsidenten von Baden-Würtemberg, Schmalzl. Das Stück war angenommen, von dem verantwortlichen Redakteur betreut, abgenommen und produziert gewesen. Am Dienstag vor der Ausstrahlung stand es als Vorankündigung sogar noch im Netz. Doch am Mittwoch Vormittag veranlasste der Redaktionsleiter die Absetzung.“
(via Lutz Bucklitsch)

Befragt nach den Gründen für die Absetzung des Beitrags antwortete die WDR Redaktion am 17.12.12 :

„Die Begründung: Wir haben festgestellt, dass die Originaltöne und die Ereignisse, die uns die Arbeit des Ausschusses näher bringen sollten, sämtlich aus Mitte September stammten, Ereignisse, die durch Fernsehnachrichten und Berichte aller Medien ganz gut bekannt waren. Wir hätten den Eindruck erweckt, ein altes, liegen gebliebenes Stück zu senden. Allerdings hat sich der Autor bemüht, anhand jener Ereignisse Grundsätzliches in der Zusammenarbeit der Mitglieder des Ausschusses und daran grundlegende Probleme zu schildern. Leider dominierte aber das Alter der Belege den Beitrag. So werden wir den Beitrag später, aktualisiert, nachholen.“

Fünf Monate nach Absetzung des Beitrags antwortete der WDR 5 am 29.4.13 auf die Frage, ob er mittlerweile nachgeholt wurde:

„Der besagte Beitrag ist noch in Arbeit, es hakt aber aus Gründen, die mit dem Thema selber nichts zu tun haben. Inzwischen sind wir aber auf das Thema prominent in unserem Vormittagsprogramm eingegangen. Wir ignorieren es keinesfalls.“

Eine weitere Anfrage wurde am 7.5.13 vom WDR folgendermaßen beantwortet:

„Der ursprüngliche Beitrag wurde, wie gesagt, von mir gestoppt, weil die darin enthaltenden O-Töne, auch für Außenstehende gut erkennbar, völlig veraltet waren (drei Monate). Der jetzige Beitrag verzögert sich, weil es Konflikte des Autors mit der Bundestagsverwaltung gab. Wann der Beitrag nun kommt, ist noch offen.“

Der Beitrag ist noch in Arbeit. Es hakt. Aus welchen Gründen ? Mit Verlaub, die Erklärungen des WDR (alte O-Töne, Gründe die nichts mit dem Thema zu tun haben) wirken vor dem Hintergrund der Absetzung eines Beitrags, der möglicherweise brisante Fakten zum NSU-Komplex beinhaltet, wenig überzeugend. Die O-Töne stammten übrigens aus der Zeit zwischen Mitte September und Mitte Oktober. Zur Erinnerung: der Beitrag sollte Ende November gesendet werden. Dies entspricht nicht nur in keinster Weise der Charakterisierung „völlig veraltet“, sondern impliziert auch eine völlig neue Bewertung journalistischer Standards im Kontext von Dokumentationen: zu alte O-Töne.


Mosers investigative NSU Recherchen wurden offensichtlich auch der Kontext Wochenzeitung zu heiß:


Moser berichtet davon, wie seine Recherchen zum Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße innerhalb der Kontext-Redaktion auf wenig Gegenliebe stießen. Hintergrund: Der Zeuge Ali Demir sah kurz nach der Explosion vor seinem Büro zwei Beamte, zivil gekleidet und mit Pistole bewaffnet. Die Kölner Polizisten Peter B. und Stefan V. wurden, wie auch Demir, nie zu ihren Beobachtungen vernommen, obwohl sie laut Einsatzprotokoll die ersten Polizisten vor Ort waren. Im April 2013 wurden die beiden Beamten vor den NSU-Untersuchungsausschuss geladen. Peter B. und Stefan V. sind jedoch offensichtlich nicht die Männer, die Ali Demir vor seinem Büro auf der Keupstraße sah. Dies erklärte er nach dem ihm Fotos der Beamten vorgelegt wurden. Moser beschreibt die Entwicklung bei Kontext folgendermaßen:

„Die erste Positionierung gegen die Berichterstattung über den NSU-Untersuchungsausschuss in Berlin seit Sommer 2012 geschah im April 2013. In der Redaktion wurde die Meinung vertreten, nicht über die Sitzung zu berichten, bei der es um zwei Polizeibeamte aus Köln ging, die im Zusammenhang mit dem Bombenanschlag in der Keupstraße dem Ausschuß vorenthalten worden waren. Der Text erschien aber. (Kontext 110: „Phantom-Polizisten“) Anfang Juli kam es dann zur ersten schweren Auseinandersetzung in der Redaktion. Wieder ging es um den Anschlag in Köln. Gegenstand war eine Recherche um die genannten Polizeibeamten sowie zwei weitere Beamte, die sich zur Tatzeit am Anschlagsort Keupstraße aufhielten. Kernaussage der Geschichte: Das Innenministerium von NRW hatte offensichtlich zwei falsche Beamte zum Untersuchungsausschuss nach Berlin geschickt und hält bis heute die Namen von zwei anderen zurück. (Kontext 118: „Die falschen Polizisten aus der Kölner Keupstraße“) Vor allem das Redaktionsmitglied B. sprach sich gegen die Veröffentlichung aus. Die Redaktion beschloss aber, die Geschichte zu bringen. Dem zum Trotz versuchte B. noch bis wenige Tage vor Veröffentlichung den Text zu verhindern. Bei der folgenden Auseinandersetzung in der Redaktionssitzung begründete er seine Position mit dem „fehlenden Baden-Württemberg-Bezug“. B. war es auch, der sich bereits im Mai dagegen aussprach, dass Kontext nach München fährt und über den NSU-Prozess berichtet.“


In einer Stellungnahme vom Oktober 2013 erklärte Moser erneut, dass Kontext von Repressionen betroffen sei und zwei seiner Artikel vom stellvertetenden Redaktionsleiter “zensiert” wurden. Hierbei handelte es sich um einen größeren Text zum NSU-Prozess in München sowie einen Artikel zum Mord an Halit Yozgat in Kassel. Kurze Zeit später beendete Kontext die Zusammenarbeit mit Moser. 2014 schließlich ist ein weiterer renommierter Autor, der namentlich nicht genannt werden möchte, aufgrund seiner kritischen NSU Recherchen von den Verantwortlichen der Kontext Wochenzeitung gekündigt worden. Wie Thomas Moser berichtete, waren die treibenden Kräfte hinter diesem Rausschmiss erneut der “Redaktionsmanager” Jürgen Bartle (Ex-Manager im Suttgarter Zeitungshaus und Ehrenkommissar der Stuttgarter Mordkommission) sowie Rainer Stieber, zweiter Vorsitzender des Kontextvereins. Stieber hatte Moser gegenüber erklärt, er sei Nachrichtenoffizier im Sichheitsbereich der Bundeswehr gewesen, was dem MAD entspräche. Darüberhinaus hatte Moser zufällig erfahren, daß Stieber Verfassungsschutz-Kontakte hat und daß ihm von dort erzählt worden sei, Kontext liege mit ihrer NSU-Berichterstattung richtig. Diese Information wurde innerhalb der Kontext Redaktion nicht thematisiert und Stieber verweigerte hierzu ein Gespräch mit Moser, wie dieser erklärte.


Warum wurde die Sprachregelung vom Behördenversagen und der Pannenserie so lange von den Medien verbreitet? Warum relativierten Journalisten der Süddeutschen und von Panorama (ARD) die berechtigten Vorwürfe gegen den Ex-Verfassungsschützer Andreas T., der während des Kasseler NSU-Mordes am Tatort war? Wurden große Medienhäuser gar von der Regierung und/oder einzelnen Behörden im Bezug auf ihre Berichterstattung zum NSU-Komplex gebrieft? Der Journalist Rainer Nübel erfährt am eigenen Leib wie Kollegen seine NSU-Recherchen diskreditieren:

„2012 wird Rainer Nübel ein Dokument zugespielt. Es soll vom US-amerikanischen Militärgeheimdienst stammen. Darin heißt es, US-amerikanische und deutsche Geheimdienstler seien beim Polizistenmord vor Ort gewesen. Statt nachzuforschen, ruft die Bundesanwaltschaft ausgewählte Journalisten zusammen, die das Ganze für eine Fälschung erklären, so berichten Nübel Kollegen, die dabei waren. „Das halte ich für abgründig“, sagt der, „vor allem von dem her, weil es nicht ein Einzelfall ist, sondern weil es immer wieder angewendet wurde, wenn es um politisch brisante Aussagen geht.“ Rainer Nübel beschreibt im Buch eine Systematik, wie Zeugen und Recherchen unglaubwürdig gemacht werden. Von Journalisten, die den Sicherheitsbehörden zu nahe stehen, deren Verlautbarungen eins zu eins übernehmen. Nach Jahren bekommt Rainer Nübel nun doch Recht. Er erhält Einsicht in eine streng geheime Kommunikation des BND. Die US-Amerikaner hatten tatsächlich Beamte vor Ort, die den Mord wohl mit ansahen. Doch nun geschieht das Unglaubliche, wie Rainer Nübel berichtet: „Die Amerikaner selber bieten der deutschen Geheimdienstseite an, dass sie sagen, was war der Hintergrund der Operation in Heilbronn, warum waren wir da? Das heißt, man hätte da die Möglichkeit gehabt, das mit aufzuklären. Dann steht aber drin in dieser E-Mail-Korrespondenz: Ein Eingehen auf das Gesprächsangebot des Mitarbeiters des US-Dienstes ist von hiesiger Seite nicht vorgesehen.“ (3sat 11.6.2014)


Die Bundesanwaltschaft versuchte in sogenannten Hintergrundgesprächen Lohnschreiber von ihrer 2 Tätertheorie (Mundlos und Böhnhardt) zu überzeugen und diffamierte einen Opferanwalt. Von den Opferanwälten wissen wir widerum, dass sie bei der Akteneinsicht in der Behörde unvollständige, bzw. geschwärzte Dokumente vorfanden.

Die Vertuschungsversuche sind evident und dokumentiert. Bei mindestens 40 V-Leuten im direkten Umfeld des NSU muss aus diesem Grund eine wichtige Frage gestellt werden: Standen Teile des Trios womöglich selber auf der Gehaltsliste des Staates?


 Thomas Moser:

„Im Fall von Uwe Mundlos bleiben die beiden Häkchen vor seinem Namen auf der V-Mann-Kandidatenliste der Geheimdienstanwerbungsaktion namens „Rennsteig“. Dazu gibt es ein korrespondierendes Dokument des MAD – des Militärischen Abschirmdienstes, des Nachrichtendienstes der Bundeswehr. Demnach sollte Mundlos während seiner Bundeswehrzeit auf eine Mitarbeit angesprochen werden. Auch das brachte der Ausschuss in Berlin ans Licht. Und schließlich gehen auch die Eltern von Mundlos davon aus, dass ihr Sohn ein Geheimdienstinformant war. (…) Vor dem Untersuchungsausschuss in Berlin erklärte ein Quellenführer, dass Beate Zschäpe tatsächlich vom Thüringer Verfassungsschutz angeworben werden sollte. Man habe dann aber darauf verzichtet. Auch dieser Zeuge war der letzte des Sitzungstages, der erst vor den Abgeordneten des Ausschusses Platz nahm, als fast alle Medienvertreter längst gegangen waren. Sicher ist weiterhin, dass Zschäpe an jenem 4. November 2011, als ihre Freunde in Eisenach ums Leben kamen, einen Anruf von einem Handy bekam, das auf das Innenministerium von Sachsen zugelassen war.“

Beate Zschäpe soll sehr wohl für den Geheimdienst in Thüringen gearbeitet haben, schrieb im November 2011 die Leipziger Volkszeitung. Der Hinweis stamme vom Landeskriminalamt Thüringen.


 Auf n.tv war ebenfalls 2011 zu lesen:

„Aus Berliner Sicherheitskreisen ist die Vermutung zu hören, dass die später untergetauchte Gruppe vom Verfassungsschutz eine neue Identität erhielt und dann als Informant in der rechten Szene geführt wurde.”


 Der ehemalige Verfassungsschützer Michael Faber beschreibt 2012 in einem Fokus Artikel seine Erinerungen an Beate Zschäpe:

„Sie hatte so etwas Markantes mit den nach hinten gekämmten Haaren“.

Faber erlebt die Frauen aus der Szene als deutlich schlauer und als Informanten effektiver als die männlichen Kameraden. Im Nachhinein würde es ihn nicht wundern, wenn es bei Zschäpe einen Anwerbeversuch des Verfassungsschutzes gegeben hätte. „Wenn, dann bei ihr.“ Streit und Eifersüchteleien zwischen den dreien hätte man gut ausnutzen können.


Stern Online berichtet 2012:

„In einer sogenannten Werbeakte sind mehr als 40 Fälle beschrieben, in denen der Verfassungsschutz Kontakt zu Mitgliedern der rechten Szene suchte. Exakt drei Alias-Namen sind geschwärzt. Auch die dazugehörigen Fotos sind – nicht wie bei den restlichen Fällen – mit einem Balken versehen, sondern komplett geschwärzt. Auf Seite 61 notierte das Bundesamt für Verfassungsschutz, man habe eine Frau angesprochen. Sie sei Katzenliebhaberin und besitze mehrere Katzen, sie sei alleinstehend und habe eine enge Beziehung zu ihrer Oma. Außerdem sei sie Aktivistin beim Thüringer Heimatschutz (THS) mit Verbindungen zum Führungskader. Diese Beschreibung passt auf Beate Zschäpe – über sie war bekannt geworden, dass sie sich als „Omakind“ bezeichnete und dass sie zwei Katzen besessen hatte. Doch es handele sich nicht um Zschäpe, wie der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschuss, Sebastian Edathy (SPD), am Donnerstag sagte. Das habe eine Prüfung der ungeschwärzten Akten ergeben. Es gebe eine andere Frau, die dieser Beschreibung entspreche.“


 Das Landeskriminalamt Thüringen in einem Vermerk (MAT A TH-2/16) zum Thema „Fahndung nach Mundlos,Böhnhardt und Zschäpe“ vom 14.02.2001 wörtlich:

„Die Befragung von Kontaktpersonen und Familienangehörigen führte zu dem Schluß, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit eine der gesuchten Personen als „Quelle“ durch den Verfassungsschutz geführt wurde.“


Die taz schrieb am 23.11.2011:

“In Thüringen verdichten sich die Hinweise, dass der Verfassungsschutz eine zweifelhafte Rolle in den Ermittlungen gegen den “Nationalsozialistischen Untergrund” um Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe gespielt hat. Der Justizminister des Landes habe in einer Ausschusssitzung am Mittwoch von einem Akten-Vermerk berichtet, der eine Verbindung zum Verfassungsschutz oder gar eine V-Mann-Tätigkeit von einer Person aus dem Terror-Trio nahelege, berichten Teilnehmer der Sitzung des Justizausschusses. Eine Sprecherin des Ministeriums wollte dies auf Anfrage weder bestätigen noch dementieren.”


Zu Überlegungen Zschäpe als Quelle anzuwerben, schreiben Stefan Aust und Dirk Laabs in ihrem Buch Heimatschutz:

„Die beiden Geheimdienstler überlegen, Beate Zschäpe als Quelle zu werben, beobachten sie und forschen sie aus, entscheiden sich, so sagt Baumbach nachher, jedoch dagegen: „Wir hatten geprüft, ob Beate Zschäpe als unsere Informantin in Betracht komme. Dies schlossen wir aber wegen deren BTM-Konsums (Betäubungsmittel- also Rauschgiftkonsums) aus; dadurch war sie uns zu wacklig. Ich habe jedenfalls keine Werbungsmaßnahmen bezüglich Beate Zschäpe unternommen.“ Und in einer späteren Aussage sagt er: „Die Frau Zschäpe wurde dann wieder fallen gelassen, weil in einem Gespräch mit dem Herrn Wießner … der Vorwurf – was heißt: der Vorwurf? -, die Information geflossen ist, dass sie wohl psychische Probleme hätte und deswegen diese Sache sehr kompliziert wäre. Und in der Regel haben wir bei psychischen Problemen dann von vorneherein gesagt gehabt: Das tun wir uns nicht an, das ist uns zu heikel. Wie jetzt der Begriff auf die Drogen kommt, das kann ich nicht sagen. Ich hatte nur vermutet gehabt, dass es vielleicht in die Richtung einer Depression geht und daraufhin irgendwelche Medikamente vielleicht konsumiert werden.“ Den Widerspruch in seinen Aussagen konnte Baumbach bislang nicht aufklären. Wer waren noch V-Mann-Kandidaten, über wen wurde gesprochen? „Ja, auch über Wohlleben zum Beispiel. Bloß Wohlleben war gleich auszuschließen, weil er zu gefestigt ist.“ Als hätte das jemals einen Geheimdienst abgehalten.“


Thomas Moser beobachtete für Kontext den Auftritt von Mike Baumbach:

„Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) in Thüringen hat im Herbst 1997, kurz vor dem Untertauchen des Trios Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe, erwogen, Beate Zschäpe als Quelle anzuwerben. Man habe dann darauf verzichtet, weil sie psychisch labil gewesen sei. Das erklärt der frühere Verfassungsschützer Mike Baumbach, 43, am 21. Februar vor dem NSU-Untersuchungsausschuss. Baumbach ist der letzte Zeuge des Tages. Seine Befragung spätabends um 22 Uhr ergibt weiter: Das LfV hat sich nicht nur für die junge Frau interessiert, sondern auch für Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und drittens Ralf Wohlleben, der heute zusammen mit Zschäpe angeklagt ist. Doch auch die drei Männer will der Dienst nicht angeworben haben. Wohlleben, weil er „zu gefestigt“ war. Ein Kandidat zu gefestigt, Zschäpe zu labil? Obendrein sind die Einschätzungen von zwei Thüringer Kriminalbeamten – Mario Melzer und Sven Wunderlich –, die Zschäpe in den Jahren 1995 bis 1997 dreimal vernommen haben, andere: Sie soll „gut drauf, cool, sehr abgeklärt, bauernschlau“ gewesen sein. Mike Baumbachs Körpersprache lässt Zweifel an seinen Worten aufkommen: Er ist aufgeregt und versteckt aggressiv. (…) Vielleicht war Zschäpe aber auch Informantin der Polizei. Immerhin hat sie bei den Vernehmungen damals den Ermittlern ein Dutzend Namen aus der Neonaziszene offenbart. Das ist objektiv Kooperation. Laut Vernehmungsprotokoll hat sie sogar erklärt, mit der Polizei zusammenarbeiten zu wollen. So, wie es auch ihr Exfreund Thomas Starke tat, zu dem das Trio nach seinem Untertauchen im Januar 1998 nach Chemnitz floh. Starke soll von 2000 bis 2011 Informant des LKA in Berlin gewesen sein.“


Der Mitangeklagte Ralf Wohlleben, ein enger Freund und Helfer des Trios steht tatsächlich im Verdacht V-Mann gewesen zu sein. Der Bundesanwalt Hans Jürgen Förster hat seinen Namen auf einer V-Leute Liste während des NPD-Verbotsverfahrens 2002 gelesen.


Bis zum heutigen Tag ist der NSU-Komplex nicht aufgeklärt. Es gibt zu viele offene Fragen. Der Mord von Heilbronn, die Anwesenheit von Verfassungsschützern an Tatorten. Die ungeklärten Todesursachen der V-Mannes Thomas Richter aka Corelli (offiziell nicht erkannte Diabetes), des NSU Zeugen Florian Heilig (offiziell Suizid) und last but not least die Umstände des Todes von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.


Neue Untersuchungsausschüsse werden ihre Arbeit aufnehmen und Insider gehen davon aus, dass die Problematik des Staates im Staate größer als befürchtet und die Gefahr einer Staatskrise nicht vom Tisch ist.

Spiegel Online gibt sich anlässlich des 3. Jahrestages des Todes der Rechtsterroristen Mundlos und Böhnhardt staatstragend :

“ Vor sieben Jahren sollen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in Heilbronn die Polizeimeisterin Michèle Kiesewetter ermordet haben. Zum letzten Mord des NSU gibt es viele Verschwörungstheorien, die Fakten werden oft ignoriert.“

Zum Beispiel die staatliche Verschwörungstheorie der Bundesanwaltschaft:

“ Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos die beiden Beamten als Repräsentanten des ihnen verhassten Staates attackierten. Martin A. und Michèle Kiesewetter seien Zufallsopfer gewesen, angegangen nicht als Personen, sondern als Polizisten, so die Ermittler. Die Terroristen hätten damit „die Ohnmacht der Sicherheitskräfte“ bloßstellen und ihre eigene Macht demonstrieren wollen, heißt es in der Anklageschrift gegen Beate Zschäpe. „Ausdruck des Triumphs“ sei die Beute gewesen, die der NSU gemacht habe: die Dienstwaffen der Niedergeschossenen. In dem später sichergestellten Bekennervideo der Rechtsterroristen feuert die Comicfigur Paulchen Panther mit einer Pistole auf den Kopf eines Polizisten.“

Diese These ist schlicht nicht haltbar und die Belege hierfür werden selbstverständlich im SPON-Artikel unterschlagen, gewissermaßen als Fakten ignoriert:

„Unter Berücksichtigung aller glaubwürdigen Zeugenaussagen, so Soko-Leiter Axel Mögelin vor dem NSU-Ausschuss in Berlin, könnten vier bis sechs Personen an der Tat beteiligt gewesen sein.“ (Kontext)

Die nicht veröffentlichten Phantombilder von Heilbronn werden von SPON mit keiner Silbe erwähnt :

„Aber waren die mutmaßlichen Täter Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos wirklich allein? Dem ZDF liegen Phantombilder weiterer Verdächtiger vor. Zahlreiche Zeugen wollen sie, einige mit blutverschmierten Händen, in Tatortnähe gesehen haben. Die Bilder wurden nie veröffentlicht, in den Ermittlungen spielten sie damals und heute keine Rolle. Dabei ist die fehlende Ähnlichkeit mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos doch Hinweis auf mögliche Mittäter. “Nach Phantombildern und nach anderen Informationen können das nicht Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gewesen sein“, sagt der Politologe Hajo Funke. “Diese Phantombilder sind von Menschen mit angefertigt worden die hoch glaubwürdig sind, mit anderen Worten die Entscheidung dies wegzulassen, kommt mir ideologisch vor, beliebig, und nicht sachgerecht.“ Die Bundesanwaltschaft will die Arbeit der Ermittler damals nicht bewerten, aber sie hält die Spuren für wertlos. Böhnhardt und Mundlos hätten allein gehandelt. Als nicht belastbar gelten der Bundesanwaltschaft auch die Aussagen des Kollegen von Michèle Kiesewetter, der den Anschlag schwer verletzt überlebt hatte. Martin A . wurde mehrfach vernommen. Erst nach und nach erinnert er sich an die Tat. Im November 2010 hilft er bei der Erstellung eines Phantombildes eines Täters. Die Beamten loben dessen “klare und konkrete Erinnerungen an die Situation“. Auch dieses Phantombild hat keine Ähnlichkeit mit Böhnhardt und Mundlos. Ein weiterer Anhaltspunkt für einen Mittäter? “Aus meiner Sicht ist tatsächlich die Frage, wie viele Personen in Heilbronn tatbeteiligt waren, tatsächlich eine der entscheidenden, um mehr Licht in den Mord von Heilbronn zu bekommen. Wir wissen inzwischen, dass das Umfeld der Rechtsextremisten in Heilbronn sehr viel größer war und wir wissen, dass es sehr starken Austausch gab nach Thüringen auch in andere Länder hinein“, sagt Hartwig Wolff, FDP-Bundesvorstand, der auch Mitglied im NSU-Untersuchungsausschuss war. Sind die Ermittler wirklich allen Spuren nachgegangen? Nach den Dienstplänen Kiesewetters, die dem ZDF vorliegen, war sie auch regelmäßig bei Treffen und Demos von Neonazis eingesetzt. Dort könnte sie Rechtsextremisten aufgefallen sein, die sie aus ihrer Heimat Thüringen kannten. Dann wäre sie kein Zufallsopfer. (ZDF/Heute Journal)

„Ein Arzt berichtet: Der Polizeibeamte Arnold war nach seinem Kopfschuß bei Bewußtsein. Er stand sogar auf und lief am Tatort, der heilbronner Theresienwiese, herum, ehe er unter Narkose gesetzt und ins Krankenhaus geflogen wurde. Hat er möglicherweise doch die Täter wahrgenommen? Jedenfalls hat der Beamte von dem Mann, der auf ihn schoß, ein Phantombild erstellen lassen. Es wird im Gerichtssaal gezeigt. Und dieses Phantombild ähnelt weder Mundlos noch Böhnhardt. Das ist Teil des Rätsels Heilbronn.“ (SWR 2-Sendung vom 3. November 2014)

Im Folgenden erwähnt der SPON-Artikel ein paar merkwürdige Ermittlungsdetails, denen aber im selben Atemzug Darstellungen des BKA entgegen gesetzt werden:

“ Merkwürdig erscheinen indes Details, die die Recherchen der Ermittler zutage gefördert hatten. So stammte Michèle Kiesewetter aus einem kleinen Ort in Thüringen, in dem ein Schwager des mutmaßlichen NSU-Unterstützers Ralf Wohlleben zeitweise einen Gasthof betrieb. Jedoch sind nach Darstellung des Bundeskriminalamts (BKA) weder Kiesewetter noch Zschäpe, Böhnhardt oder Mundlos jemals dort eingekehrt. Darüber hinaus war Kiesewetters damaliger Gruppenführer bei der Bereitschaftspolizei einst Mitglied im deutschen Ableger des rassistischen Geheimbundes Ku-Klux-Klan. Dem BKA zufolge gibt es trotzdem keinen Zusammenhang zwischen der rechten Vergangenheit des Polizisten und dem Anschlag in Heilbronn, an dessen Aufklärung die Ermittler aus Baden-Württemberg jahrelang gescheitert waren.“

Merkwürdig erscheinen in Wahrheit die Rechtfertigungen des BKA und die mangelnde journalistische Sorgfaltspflicht (das Ignorieren von Fakten) des SPON-Journalisten, der wichtige bekannte Informationen zum rechten Umfeld in Kiesewetters Heimat als auch den evidenten KKK-Background mitsamt seiner V-Mann Problematik und der Verstrickung von Kiesewetters Kollegen verharmlost.

Ignorierte Fakten:

„Nun tauchen immer mehr Hinweise auf, die doch für eine Verbindung sprechen. Etwa durch die Aussage von Anja W., ehemalige Polizistin, vor dem NSU-Untersuchungsausschuss in Erfurt. Kiesewetters Heimatort Oberweißbach in Thüringen könnte demnach eine wichtige Rolle gespielt haben. Dort tummelten sich etliche Neonazis, manche mit Kontakt zum NSU. W. berichtete, dass Kiesewetter einmal an einer Auseinandersetzung am Ortsrand beteiligt gewesen sei, bei dem Unbekannte mit drei Autos dabei waren. Vielleicht habe das spätere Mordopfer, spekuliert die Zeugin, etwas gesehen, „was sie nicht hätte sehen sollen“. Auch die familiäre Situation könnte eine Rolle gespielt haben: Anja W. war bis 2007 mit Kiesewetters Patenonkel Mike W. liiert – ebenfalls Polizist. Sie verbrachten viel Zeit mit Kiesewetter, waren gemeinsam im Urlaub. Dann trennten sich die Wege von Mike W. und Anja W.. Sie heiratete Ralf W., gegen den sie zuvor ermittelt hatte. Er betreibt eine Sicherheitsfirma, hat Kontakte in die rechte Szene und sagte in den 90er Jahren als Zeuge in einem Verfahren gegen Uwe Böhnhardt aus. Laut Süddeutsche Zeitung ist Ralf W. verwandt mit Ronny W., einem Neonazi aus dem NSU-Umfeld, der mit Beate Zschäpe an Kreuzverbrennungen im Ku-Klux-Klan-Stil teilgenommen haben soll. Auch die Cousine von Kiesewetter, die Tochter von Mike W., sei im rechten Milieu aktiv gewesen. Ihr Freunde könne sogar Mitglied des verbotenen Netzwerks „Blood & Honour“ gewesen sein. Anja W. widerspricht damit Mike W., der stets bestritten hatte, dass es in seiner Familie Kontakte in die rechte Szene gab. Die Zeugin sagte, sie habe sich gewundert, dass sie erst 2011, also vier Jahre nach dem Mord, von Ermittlern befragt wurde. Damals schrieb sie eine SMS an Mike W., in dem sie Kiesewetters Patenonkel als Verräter beschimpfte – das steht in Ermittlungsakten, bewog aber offenbar keinen, nachzufragen. Öffentlich wurde auch nicht, dass Kiesewetter 2006 mit Kollegen von der Böblinger Bereitschaftspolizei zur Kirmes nach Oberweißbach gefahren war. Der Einheitsführer übernachtete laut Protokollen in einer Pension. War es die Gaststätte „Zur Bergbahn“? Betreiber ist der Schwager von Ralf Wohlleben, er war einst mit Beate Zschäpe liiert. Auch unter den Kollegen von Kiesewetter waren Rechtsextreme. Zwei Böblinger Bereitschaftspolizisten gehörten dem Ku-Klux-Klan an, der bis 2003 in Schwäbisch Hall existierte. Zwei Klan-Mitglieder hatten direkten Bezug zum NSU.“ (SWP)

„Es war am 3. Mai 2007, acht Tage nach dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter, als Mike W. in einer Vernehmung sagte: „Meiner Meinung nach besteht (…) ein Zusammenhang mit den bundesweiten Türkenmorden. So viel ich weiß, soll auch ein Fahrradfahrer bei den Türkenmorden eine Rolle spielen.“ Mike W. arbeitete damals als Kriminalbeamter im Drogendezernat der Saalfelder Polizei – und die Ermordete war seine Nichte. Die beiden sahen sich regelmäßig an den Wochenenden, wenn Michèle, die bei der Bereitschaftspolizei in Böblingen arbeitete, ins heimische Oberweißbach.“ (Thüringer Allgemeine)

Doch es kommt noch besser, SPON liefert weitere Fakten, bzw. staatliche Dementi:

„Im Winter 2011 meldete dann der „Stern“, bei dem Attentat auf Kiesewetter und Martin A. seien amerikanische Agenten und deutsche Verfassungsschützer am Tatort gewesen. Der Artikel stützte sich auf einen vermeintlichen Report des US-Geheimdiensts Defense Intelligence Agency (DIA), aus dem dies hervorzugehen schien. Der Krimiautor Wolfgang Schorlau verbreitete diese Darstellung unlängst noch einmal in einem Interview mit der „Stuttgarter Zeitung“. Die Bundesanwaltschaft kam allerdings schon vor Jahren zu dem Schluss, dass der vermeintliche Observationsbericht der DIA eine Fälschung war.“

Was SPON verschweigt ist, dass sehr wohl amerikanische Agenten und deutsche Verfassungsschützer in Heilbronn waren als Kiesewetter starb:

„Ein für die „Koordinierung der US-Geheimdienste in Süddeutschland“ verantwortlicher Agent wandte sich am 2. Dezember 2011 an deutsche Sicherheitsbehörden. In dem Telefonat mit Soldaten des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) in der Stuttgarter Theodor-Heuss-Kaserne räumte der Agent ein, dass möglicherweise zwei Beamte der amerikanischen Bundespolizei FBI in Heilbronn waren, als dort am 25. April 2007 die Polizistin Michèle Kiesewetter erschossen wurde. Das geht aus geheimen Unterlagen des Bundesnachrichtendienstes hervor, die die Stuttgarter Nachrichten einsehen konnten. Der Polizistenmord wird dem rechtsterroristischen „Nationalsozialistischen Untergrund (NSU)“ zugeordnet. Nach den Dokumenten meldete am 2. Dezember um 15.18 Uhr die damals für Bayern und Baden-Württemberg zuständige BND-Verbindungsreferentin mit dem Dienstnamen „Ingrid Corell“ der Zentrale des deutschen Auslandsnachrichtendienstes, der US-Agent habe erst dem MAD und dann der Stuttgarter BND-Verbindungsstelle 2I71 berichtet, bei einer Operation am 25. April seien zwei FBI-Männer auf deutschem Boden in Heilbronn eingesetzt gewesen. Diese seien nach dem Scheitern ihrer Operation wieder abgereist. In einer weiteren E-Mail drei Tage später heißt es sogar, der US-Geheime ließ „erkennen, dass eine eigene Untersuchung der Ereignisse die Beteiligung von zwei Mitarbeitern des FBI ergeben habe“. Die US-Nachrichtendienste regten an, „mit 2I71 in diesem Fall offiziell in Verbindung treten zu dürfen“. Ein Ansinnen, das der Geheimdienst ausschlägt. Er scheint sich stattdessen mehr darum zu sorgen, dass der Untersuchungsausschuss des Bundestages zur Mordserie des NSU unangenehme Fragen stellen könnte. In diesem Fall verfüge der BND „über auch juristisch abgesicherte Textbausteine, die in den letzten Untersuchungsausschüssen, in denen der BND beteiligt gewesen ist, erfolgreich eingesetzt wurden“, heißt es in einem Aktenvermerk vom 27. April 2012.“ (Andreas Förster/ZVW)

Verfassungsschützer vor Ort in Heilbronn:

„Am Tag des Mordes an Polizistin Michèle Kiesewetter auf der Heilbronner Theresienwiese gab es doch eine Aktion des Landesverfassungsschutzes in Heilbronn. Ein Mitarbeiter war in der Neckarstadt, geht aus vertraulichen Dokumenten hervor, die unserer Zeitung vorliegen. Nach denen habe sich der Geheimdienstler an jenem 25. April 2007 mit einem Islamisten treffen wollen, um diesen als Informanten für den Dienst zu gewinnen. (…) Zu der Anwerbeoperation gibt es indes mehrere, sich widersprechende Versionen: Offiziell bestätigte Verfassungsschutzpräsidentin Beate Bube, dass das Werben einer Zielperson aus dem Bereich Islamismus gegolten habe. Mitarbeiter sprechen inoffiziell von einem Mann aus Ulm/Neu-Ulm, der aus der dortigen Szene habe berichten sollen. Dem widersprechen Kollegen. Sie beharren darauf, dass es sich um einen Anwerbeversuch einer „hochrangigen Zielperson aus dem Bereich des Rechtsextremismus“ gehandelt habe.“ (Stimme.de)

Und dann ist da noch die Aussage des ehemaligen Verfassungsschützers Günter S., der den V-Mann Torsten Ogertschnik anhand eines der verheimlichten Phantombilder von Heilbronn sicher erkannt haben will. Die Person Torsten Ogertschnik wird von SPON ignoriert.

„Unverständlich ist, warum er nicht auch die Akten einer weiteren Quelle des Dienstes anfordert: die des V-Mannes „Erbse“, Klarname: Torsten Ogertschnik. Der soll 2003 einem Mitarbeiter des Amtes geschildert haben, dass er Kontakt zu einer rechtsterroristischen Gruppierung in Ostdeutschland habe, die sich „NSU“ nenne. Und er soll die Namen Uwe Mundlos, Beate Zschäpe, André Kapke, Ralf Wohlleben und Daniel Peschek genannt haben. Der LfV-Mitarbeiter musste, wie er sagt, seinen Bericht damals im Amt auf Anweisung seiner Vorgesetzten vernichten. Der Mann war nicht der reguläre V-Mann-Führer von Erbse und will, als er ihn traf, nicht einmal gewusst haben, dass der eine Quelle ist oder war. Er kannte ihn nur unter dem Namen Torsten Ogertschnik. Wie lange war er Spitzel des Verfassungsschutzes? Wo wurde er eingesetzt? Was steht in den Akten? Und wer war sein V-Mann-Führer?“ (Kontext)

Abschließend liefert SPON „überzeugende Belege“ für die Zufallstheorie der Bundesanwaltschaft:

„Der überzeugendste Beleg aber dafür, dass Michèle Kiesewetter zufällig Opfer des NSU wurde, ist der Umstand, wie sie an den Tatort gelangte. Aus einem Vermerk der Kriminalisten geht hervor, dass die Polizeimeisterin der Bereitschaftspolizeiabteilung Böblingen sich erst am 19. April 2007 freiwillig für den Einsatz in Heilbronn gemeldet und dafür mit dem Polizeimeister Lars D. den Dienst getauscht hatte. Eigentlich hätte Kiesewetter nämlich die gesamte Woche über Urlaub gehabt. Am 20. April wurde der Einsatz „gebucht“, wie es in dem Schriftstück heißt.“ Das Wohnmobil aber, mit dem die Täter laut Anklage nach Baden-Württemberg reisten und schließlich auch wieder flohen, mietete Uwe Böhnhardt bereits einige Tage zuvor, am 16. April.“

Und wieder werden im SPON-Artikel wesentliche Fakten einfach unterschlagen:

“ Nach den Recherchen der Zeitung soll Böhnhardt am 19. April 2007 und damit an dem Tag den Mietvertrag für ein Wohnmobil verlängert haben, an dem die Polizistin ihre Mutter in Oberweißbach besuchte. Mit diesem Wohnwagen sind die Täter dann am 25. April in Heilbronn gesehen worden. Die Täter brachten das Wohnmobil am 27. April zurück. (…) Im Fall der am 25. April 2007 in Heilbronn ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter gibt es neue Hinweise, dass sie zu den rechtsextremistischen Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe doch Kontakt gehabt haben könnte und ihre Ermordung somit kein Zufall war. Das berichtet die Zeitung „Stuttgarter Nachrichten“ mit Verweis auf Informationen der Sicherheitsdienste. Frau Kiesewetter sei schon zu Beginn ihrer Ausbildung von Rechtsextremisten eingeschüchtert worden, im Sommer 2005 habe sich Mundlos in Oberweißbach aufgehalten. Aus diesem Ort in Thüringen stammte die Polizistin.“ (FAZ)

Und was berichtet das Leitmedium der Republik, die Tagesschau, am 4.11.2014 zum 3. Jahrestag der „NSU-Enttarnung“, am Tag der Verschiebung der Piatto Anhörung beim Prozess in München zur besten Sendezeit um 20 Uhr zum NSU ?

Nichts. Nicht mal auf der Internetseite. Stattdessen:Bahnstreik.

Nur wenige Tage später legt die geballte Investigativkompetenz der SZ (Annette Ramelsberger und Tanjev Schultz) nach und beglückt die treue Leserschaft mit dem ultimativen Verschwörungstheoriecheck zum NSU:

„Verschwörungstheorien zum NSU: Mörderische Legenden. Ein scheinbar endloser Prozess, immer neue Untersuchungsausschüsse – trotzdem wirkt bei der Aufklärung des NSU-Terrors vieles mysteriös. Das bietet Nahrung für Verschwörungstheoretiker. Was ist dran an dem Gemunkel?“

Mysteriöse Wirkung, mörderische Legenden, Gemunkel. Schon dieser Einstieg mit seiner reißerischen, unsachlichen Stilistik wird den Realitäten in keinster Weise gerecht. Was ist mysteriös daran, wenn Akten geschreddert, geschwärzt, zurückgehalten werden, wenn Zeugen nicht aussagen dürfen und die Behörden Aufklärung verhindern und die Hintergründe einer rassistischen Mordserie vertuschen?

Weiter im Text der SZ-Redaktion:

„Vor drei Jahren ist der NSU aufgeflogen, aber noch längst ist nicht klar, was alles geschah in den Jahren, in denen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe im Untergrund waren. Außer dem Gericht in München bemühen sich diverse Untersuchungsausschüsse um Aufklärung. Mittlerweile ranken auch viele Legenden um die Neonazis. Verschwörungstheoretiker glauben, dass sich Mundlos und Böhnhardt gar nicht selbst getötet haben. Dass ein geheimnisvoller Dritter sie umgebracht hat. Dass der NSU nur ein Konstrukt der Geheimdienste ist und die Mordserie an einer Polizistin und neun Migranten eine staatliche Verschwörung. Wer die vielen Akten studiert, die Ausschüsse und den Prozess begleitet, sieht dagegen vor allem eins: eine Verschwörung zum Schweigen. Die Zeugen aus der rechten Szene mauern, und die Zeugen von Polizei und Verfassungsschutz drucksen herum. Die Süddeutsche Zeitung hat die wichtigsten Verschwörungstheorien unter die Lupe genommen.“

Verkürzt gesagt: Es gibt glaubende Verschwörungstheoretiker auf der einen Seite und wissende Investigativjournalisten auf der Anderen. Aber auch die SZ-AutorInnen sehen paradoxerweise eine Verschwörung. Zum Schweigen eben. Ramelsberger und Schultz munkeln von mauernden Rechten und herumdrucksenden Polizisten und Verfassungsschützern. Selten schönere Euphemismen gelesen. Was die AutorInnen zudem verschweigen ist die Tatsache, dass es sehr wohl Beamte gab, die ganz offen die evidenten Vertuschungsversuche ihrer Behörden benannt haben, z.B. der ehemalige Verfassungschützer Günter Stengel.

„Theorie 1: Mundlos und Böhnhardt wurden ermordet. Am 4. November 2011 überfielen Mundlos und Böhnhardt eine Sparkasse in Eisenach, ein Rentner machte die Polizei auf ihr Wohnmobil aufmerksam. Als sich zwei Polizisten näherten, wurde ein Schuss auf sie abgefeuert. Dann fielen Schüsse im Inneren des Wohnmobils, und plötzlich stand es in Flammen. Man kann es erstaunlich finden, dass die Neonazis, die ein Waffenarsenal an Bord hatten, nicht mehr Widerstand leisteten und nicht versuchten zu fliehen. Laut Ermittlern hat Mundlos mit einer Flinte zunächst Böhnhardt und anschließend sich selbst erschossen. Zuvor muss der Brand gelegt worden sein. Es wurde aber kein Ruß in der Lunge der Leichen gefunden. Hat ein Dritter das Feuer gelegt? Ein Mediziner erklärt vor Gericht, dass man nicht notwendigerweise Ruß in den Lungen eines Brandstifters findet. Und die Beamten, die am Tatort waren, versichern, sie hätten niemanden weglaufen sehen. Fazit: Auch wenn der Ablauf im Detail nicht klar ist, muss man davon ausgehen, dass Mundlos und Böhnhardt Selbstmord begangen haben.“

Die SZ-AutorInnen vergessen zu erwähnen, dass zu den Verschwörungstheoretikern, die Zweifel an der These vom Suizid der beiden mutmaßlichen NSU-Mörder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos äußern, die Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages, Clemens Binninger, Hans Christian Ströbele sowie Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtags gehören:

taz-Interview vom 3.11.2014: Welche Frage beschäftigt Sie persönlich am meisten?

Binninger: „Neben dem Polizistenmord in Heilbronn ist es für mich die Frage, was genau am 4. November in Eisenach und Zwickau ablief. Das konnten wir mangels Zeit im Untersuchungsausschuss nicht mehr beleuchten.“

Für die Ermittler gibt es da eine klare Antwort: Mundlos erschoss erst Böhnhardt und dann sich selbst im Wohnmobil, weil die Polizei ihnen auf die Pelle gerückt war. Wo sehen Sie da noch Klärungsbedarf?

Binninger: „Diskutiert wird ja beispielsweise über eine Patronenhülse, die angeblich zu viel im Wohnmobil war. Wir müssen uns die gesamte Spurenlage in Zwickau und Eisenach in den Originalakten zeigen lassen, nur so können wir Zweifel ausräumen, dass Dritte beteiligt waren.“

Ströbele: „Für mich ist überhaupt nicht nachvollziehbar: Warum bringen sich Böhnhardt und Mundlos nach dem Banküberfall am 4. November überhaupt um? Die waren ja keineswegs in einer ausweglosen Situation.“

Die Ermittler sind vom Doppelselbstmord überzeugt.

Ströbele: „Für mich bleibt da Entscheidendes ungeklärt. Böhnhardt und Mundlos sitzen hochbewaffnet in ihrem Wohnmobil. Dann nähert sich ein einzelner Polizeistreifenwagen mit ein oder zwei Polizisten den angeblichen Superkillern. Anders als anfangs dargestellt, waren die mitnichten eingekreist. Trotzdem sollen sie den einzigen Ausweg darin gesehen haben, sich selber umzubringen und dieses Wohnmobil in die Luft zu jagen? Das will mir einfach nicht in den Kopf. Was ist da vorgefallen und waren sie wirklich allein? Das ist für mich ein immer größeres Rätsel.“

Egal, was scheren uns lästige Details wie Patronenhülsen, fehlender Ruß in Lungen, Zeugen, die eine dritte Person gesehen haben, widersprüchliche Beschreibungen des Ablaufs in den Medien, ein konfiszierter Kamerachip eines Feuerwehrmannes und die schnelle Anwesenheit von Geheimdienstlern am Tatort: Man muss von einem Suizid ausgehen. In Kürze zur zweiten Theorie, die uns die SZ erläutert:

“ Theorie 2: Beate Zschäpe wusste gar nicht, was ihre Männer machten.“

Wer propagiert diese Theorie ? Ihre Anwälte oder rechtsextreme Sympathisanten im Internet? Warum kümmern sich Schultz und Ramelsbacher nicht lieber um die Frage, warum Zschäpe an jenem 4. November 2011, als ihre Freunde in Eisenach ums Leben kamen, einen Anruf von einem Handy bekam, das auf das Innenministerium von Sachsen zugelassen war?

“ Theorie 4: Der wahre Mörder ist ein Verfassungsschützer. Als der NSU in Kassel in einem Internetcafé den Betreiber erschoss, hielten sich dort mehrere Kunden auf – unter ihnen ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes. Der Beamte Andreas T. ging regelmäßig in den Laden, um in einem Flirtforum zu chatten. Doch er meldete sich nicht als Zeuge und belog eine Kollegin. In seinem alten Zimmer im Elternhaus fand man rechtsradikale Schriften. Eine Jugendsünde, wie er sagt. T. beteuert, vom Mord nichts mitbekommen zu haben. Das ist möglich, aber nach Ansicht von Ermittlern nicht wahrscheinlich. T. hat sich bei seinen Aussagen in Widersprüche verwickelt. Das bedeutet allerdings nicht, dass er der Täter war oder sogar – wie wildeste Theorien behaupten – am Ende auch Mundlos und Böhnhardt tötete. Die Ermittlungen gegen T. wurden eingestellt, dennoch bleibt er eine Reizfigur. Auch der Richter im NSU-Prozess ließ T. bereits fünfmal als Zeuge antreten; er glaubt ihm offensichtlich nicht. Fazit: Der Beamte schwieg möglicherweise aus Feigheit – damit seine Frau und sein Chef nicht erfahren, was er treibt. Vermutlich hat er den Mord mitbekommen, kommt aber nicht mehr heraus aus seinem Lügengespinst. Dass er ein Komplize des NSU war, dafür besteht kein Anhaltspunkt.“

SZ Redakteure hatten bereits vor zwei Jahren gemeinsam mit ARD/Panorama Redakteuren die Verschwörungstheorie-Keule geschwungen und dem Ex-Verfassungschützer Andreas Temme sogar ermöglicht seine Version in einem Interview darzulegen. Fakt ist: er galt als Tatverdächtiger. Die Ermittlungen gegen ihn wurden nur deshalb eingestellt, weil eine Sperrerklärung des damaligen hessischen Innenministers Bouffier eine weitere Aufklärung der Tat verhinderte. Der Strafsenat am OLG München hat die vollständige Beiziehung der Ermittlungsakten im Fall Andreas Temme von der Generalbundesanwaltschaft abgelehnt. Die Bundesanwaltschaft legte die Akten nur unvollständig vor und beharrte hartnäckig darauf, dass weitere Akten zur Sache Temme zur Aufklärung des Sachverhalts nicht beitragen würden. Zudem lehnte der Senat die Beiziehung der unvollständigen Akten mit dem Verweis auf Irrelevanz ab. Niemand glaubt diesem Mann, aber die SZ ist sicher er log aus Feigheit. Am Tattag telefonierte Temme mit der rechtsextremen V-Person Benjamin G. G. bekam für das Verfahren in München einen Anwalt an die Seite gestellt. Auf Staatskosten:

“ Der hessische Verfassungsschutz hat bestätigt, dass er beim Rechtsterrorismus-Verfahren in München den Anwalt für einen früheren Zuträger aus der rechtsextremen Szene bezahlt hat. Auch bei der Vernehmung durch das Bundeskriminalamt im Jahr 2012 habe die Behörde den Rechtsanwalt Volker Hoffmann für den früheren Rechtsextremisten Benjamin G. entlohnt, sagte ein Sprecher des Verfassungsschutzes der Frankfurter Rundschau am Donnerstag. Der Verfassungsschutz habe sicherstellen wollen, dass die „weit gezogenen Grenzen der Aussagegenehmigung“ nicht überschritten würden, teilte er zur Begründung mit. Benjamin G. sei es untersagt gewesen, „Aussagen zur Arbeitsweise“ der Behörde und „zum Zusammenarbeitsverhältnis der dortigen Mitarbeiter“ zu machen, erläuterte der Sprecher. Ein weiterer Grund für die staatliche Bezahlung des Anwalts sei es gewesen, „im Sinne Herrn G.s“ zu verhindern, dass er zum bloßen „Objekt des Verfahrens“ degradiert werde. Die Bezahlung von Anwalt Hoffmann habe sicherstellen sollen, dass G. „nicht aus finanziellen Gründen auf einen Anwalt verzichtet“, formulierte die Behörde.“ (FR 6.12.2013)

Der rechtsextreme Benjamin G., der auf der sogenannten 129er-Liste der mutmaßlichen NSU Unterstützer steht, sich sich laut Aust und Laabs an den NSU-Mordtagen in Nürnberg und München aufhielt bekam im November 2011, kurz nachdem der NSU bekannt wurde, vom hessischen Verfassungsschutz einen Anwalt gestellt.Warum konnte Innenminister Beuth im März 2015 nicht erklären. Er habe eine Vermutung, müsse sie aber noch mit den Behörden erörtern, sagte der Minister. Der Rechtsanwalt Volker Hoffmann hatte Benjamin G. bei seinen Vernehmungen vom Bundeskriminalamt 2012 und im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht (OLG) München 2013 beraten. Hessen übernahm die Anwaltskosten und erstattete dem Ex-V-Mann „Tagungsgeld/Fahrkosten“. Innenminister Beuth bezifferte die Kosten in einer schriftlichen Antwort zunächst auf 172,80 Euro. Vor dem hessischen Untersuchungsauschuss korrigierte er diesen Betrag. Es seien 398,17 Euro geflossen. Wofür konnte Beuth nicht plausibel erklären. Die Fahrtkosten bekam der ehemalige V-Mann vom Gericht erstattet.Zu einem „Vorbereitungstermin“ für Benjamin G. konnte Beuth auch keine Kenntnisse preisgeben. Dafür informierte er die Öffentlichkeit, dass seit 2012 sei ein „Notfallkennwort“ zwischen G. und der Polizei verabredet worden sei, falls dieser sich bedroht fühle. Dieses könne er nutzen, wenn er sich bedroht fühle.

“ Theorie 5: Die Polizistin Michèle Kiesewetter musste sterben, weil sie die NSU-Mörder kannte. Kiesewetter stammt aus Thüringen, ihr Elternhaus lag in der Nähe eines rechten Szenetreffs. Das ließ die Ermittler anfangs vermuten, dass die Neonazis ihr Opfer persönlich kannten. Auch wenn die Polizistin selbst keine Kontakte in die Szene hatte, gibt es Berührungspunkte. Mehrere Personen aus dem Umfeld des NSU kannten Personen aus dem Umfeld der Beamtin. Die Bundesanwaltschaft hält das für Zufall, zumal der NSU den Anschlag nicht nur auf Kiesewetter verübte, sondern auch auf ihren Kollegen Martin A., der schwer verletzt überlebte. Nebenkläger im Prozess und Abgeordnete zweifeln dennoch an der Zufallstheorie. Sie fragen auch danach, ob den Neonazis die Beamtin bei Einsätzen auf Demos aufgefallen sein könnte. Zudem stellte sich heraus, dass Kiesewetters Einsatzleiter Mitglied des rassistischen Ku-Klux-Klans war. Hat vielleicht er seine Mitarbeiterin ans Messer geliefert? Soweit die Verschwörungstheorie. Was dagegen spricht: Die Klan-Mitgliedschaft lag mehrere Jahre zurück, und eine direkte Verbindung zum NSU ist nicht belegt. Zudem hatte Kiesewetter erst kurz vor ihrem Einsatz den Dienst getauscht, und sie suchte nicht regelmäßig die Theresienwiese in Heilbronn auf, wo die Mörder die beiden Beamten überfielen. Sie konnten ihnen dort nicht gezielt auflauern. Aber niemand kann erklären, was Polizisten beim Ku-Klux-Klan zu suchen hatten. Fazit: Der Fall Kiesewetter wirft weiterhin viele Fragen auf – und eignet sich daher auch gut für Verschwörungstheorien aller Art.“

Die am wenigsten plausible Verschwörungstheorie ist jene, nach der Böhnhardt und Mundlos quer durch die Republik fahren um zufällig Kiesewetter zu erschießen. Unterschlagene Phantombilder? Das LKA ging von 4-6 Tätern aus aufgrund von glaubwürdigen Zeugenaussagen? Ku Klux-Klan Mitgliedschaft der V-Leute Achim Schmid und Thomas Richter aka Corelli? Schultz und Ramelsberger schweigen hierzu.

Theorie 7: Zeugen mussten sterben, weil sie zu viel wussten. Das Zeugensterben geht um. Im September 2013 verbrannte Florian H., 21, in seinem Auto. Im Frühjahr 2014 starb der ehemalige V-Mann Corelli, 39, an Diabetes. Alles sehr merkwürdig. Florian H. hatte 2012 behauptet, er kenne die Mörder der Polizistin. Den Ermittlern erzählte er seltsame Sachen: dass es ein Treffen zwischen dem NSU und einer „Neoschutzstaffel“ gegeben habe. Eine solche Gruppe ist jedoch unbekannt, und H. fand den Ort des angeblichen Treffens in seiner Kleinstadt nicht wieder. Die Bundesanwälte hatten den Fall schon abgehakt, da wollte auch das LKA in Stuttgart Florian H. vernehmen. Doch am Morgen vor dem Termin nahm er sich das Leben. Die Staatsanwältin stellte Selbstmord fest. Es gab einen Zeugen, der keinen zweiten Mann am Auto gesehen hatte. Florian H. hatte sich Benzin gekauft, obwohl sein Auto mit Ethanol fuhr. Ein Sachverständiger schloss eine Fernzündung aus. Im April 2014 starb überraschend auch der Ex-Spitzel „Corelli“ – an einem Zuckerschock. Sein Diabetes sei nicht erkannt worden, heißt es. Eine Fremdeinwirkung ist laut Obduktion ausgeschlossen. Corelli war in einem Zeugenschutzprogramm, er war 2012 enttarnt worden und hatte zuvor für den Verfassungsschutz aus der Neonazi-Szene berichtet, unter anderem aus jener Ku-Klux-Klan-Gruppe, der Kiesewetters Vorgesetzter angehört hatte. Corelli hat auch Uwe Mundlos vor dessen Untertauchen mindestens einmal getroffen. Schon seit 2005 soll Corelli Datenträger in Umlauf gebracht haben, auf denen die Abkürzung „NSU“ vorkommt. Auch dem Verfassungsschutz gab er eine solche CD, dort stieß man angeblich erst vor Kurzem darauf. Zwar haben die CDs nach derzeitigem – vorläufigem – Stand der Ermittlungen nichts mit den NSU-Anschlägen zu tun, aber es ist unverständlich, warum sie nicht früher ausgewertet wurden. Fazit: Florian H. musste nicht zur Seite geräumt werden, weil er nichts wusste. Das, was Corelli wusste, hätte der Verfassungsschutz schon viel früher wissen können. Sein Tod hinterlässt dennoch Fragen. Als Sonderermittler soll der Grünen-Politiker Jerzy Montag den Fall untersuchen.“

Alles sehr merkwürdig. Der ironische Zungenschlag der SZ AutorInnen kann eines nicht kaschieren: dass zwei wichtige Zeugen mit NSU-Bezug kurz vor ihrer Vernehmung unter äußerst ungewöhnlichen Umständen ums Leben kommen wirft zurecht Fragen auf. Die Eltern von Florian Heilig schließen einen Suizid aus. Das von Ermittlern vermutete Motiv Liebeskummer ist unrealistisch. Sein Sohn habe keinen Liebeskummer gehabt, sagt Florian Heiligs Vater der SÜDWEST PRESSE. Er sei vielmehr glücklich verliebt gewesen, das bestätige auch seine Freundin. „Er hat am Vorabend einen Anruf erhalten, der ihn sehr verstört hat.“ Immer wieder sei Florian Heilig mit Drohanrufen aus der rechten Szene unter Druck gesetzt worden. Auch die bevorstehende Vernehmung durch das LKA bereitete ihm offensichtlich Kopfzerbrechen:

„In den Tagen vor seinem Tod versuchten Polizeibeamte auffällig oft, mit Florian Heilig in Kontakt zu kommen. Sie warteten zu diesem Zweck bei den Eltern, bis Florian von der Arbeit kam. Nachdem er sich verspätete, wurde ein Termin für Montag, den 16. September um 17 Uhr ausgemacht.  Der Sonntag davor, der 15. September 2013 war der letzte Tag, den Florian bei seinen Eltern verbrachte. Der Tag verlief wie jeder andere Tag auch. Man sprach Termine für die nächste Woche ab, man vereinbarte Arbeiten am Haus, an denen sich Florian beteiligen wollte. Das Glück, dass sich Florian aus der Neonaziszene gelöst, neue Freunde gefunden hatte und wieder bei der Familie wohnte, war auf beiden Seiten. Dennoch stand dieser Sonntag im Schatten der bevorstehenden Zeugenvernehmung. Florian Heilig machte noch einmal seine Angst deutlich: »Wenn ich jetzt sage, was ich weiß, bin ich tot.« Angesichts dieser massiven Angst überlegte man noch einmal, ob er einfach die Aussage verweigern sollte, ob man der Zusage, ihn ins Zeugenschutzprogramm zu nehmen, Glauben schenken könne. Nachdem man verschiedene Möglichkeiten durchgespielt hatte, entschied sich Florian Heilig doch, sein Wissen in dem anstehenden Gespräch zu offenbaren. Gegen 17 Uhr bekam Florian Heilig einen Anruf auf seinem Handy. Danach stellten die Eltern einen massiven Stimmungswandel fest. Auf die besorgte Nachfrage, was denn los sei, antwortete Florian: »Ich komme aus dieser Scheiße nie wieder raus.« Ohne weitere Erklärungen packte Florian Heilig seine Sachen zusammen. Er sollte um 22 Uhr im Lehrlingswohnheim sein. Er war bereits losgefahren, als er noch einmal umkehrte. Er hatte ein Geodreieck und seine Arbeitsstiefel vergessen. Sieht so ein Tagesablauf eines Selbstmörders aus? Packt ein Lebensmüder Geodreieck und Sicherheitsstiefel ein, um sich dann qualvoll selbst zu verbrennen?“ (Wolf Wetzel 1.3.2015)

„Auch an seinem Todestag hatte Florian H. einen Termin mit den Ermittlern vom Landeskriminalamt. „Suizid? Nie!“ Da ist sich Gerhard H. im Untersuchungsausschuss am Montag sicher. Weder wegen schlechter Noten noch wegen Liebeskummer – das habe die Polizei alternativ als Motiv genannt – hätte sich sein Sohn das Leben genommen. Nach der Erinnerung des Vaters sowie der Schwester war Florian H. 2010 in rechtsextremistische Kreise geraten. Der Vater sagt, schon vor November 2011, also vor dem Auffliegen des NSU-Trios, habe Florian vom NSU gesprochen. „Für mich war NSU ein Begriff, bevor er in der Presse war“, sagt Gerhard H., „hundertprozentig.“ Nach Beginn des Münchner NSU-Prozesses habe Florian gesagt, dort müssten noch ganz andere vor Gericht stehen.“ (Stuttgarter Zeitung.de 2.3.2015)

Am 7.3.2015 berichtet Thumilan Selvakumaran in der Südwest Presse von einem weiteren denkwürdigen Zufall: Ein Ermittler im Fall Florian Heilig stand selbst im NSU-Komplex im Fokus – Jörg B. hatte Kontakte zum Ku-Klux-Klan:

„Auf der Zeugenliste des Untersuchungsausschusses zum Nationalsozialistischen Untergrund am Montag steht an neunter Stelle „J.B.“ – Jörg B., Kriminaloberkommissar. Der Beamte soll über Ermittlungen im Fall Florian H. berichten. Doch nach Informationen dieser Zeitung stand B. selbst im Fokus: als Kontaktperson zwischen Polizisten und dem Ku-Klux-Klan. 2001, sechs Jahre vor dem Heilbronner Polizistenmord, der dem NSU zugeschrieben wird, soll Jörg B. einen Kollegen von der Böblinger Bereitschaftspolizei in eine Sportsbar in seinen Heimatlandkreis Schwäbisch Hall mitgenommen haben. Dort traf sich der deutsche Ableger des Ku-Klux-Klan, jenem rassistischen Geheimbund, in dem der Bruder von Jörg B. zu dieser Zeit eine gehobene Stellung hatte. Der Kollege von Jörg B. und ein weiterer Polizist wurden später offiziell Mitglieder des Klans. Und einer der beiden war später der Gruppenführer der in Heilbronn getöteten Polizistin Michèle Kiesewetter. Als die Sache aufflog, versicherte B. seiner Behörde, trotz der Nähe nie im Klan mitgewirkt zu haben. Und das Innenministerium erklärte 2012, keinerlei Belege für das Gegenteil gefunden zu haben. B. verrichtet heute seinen Dienst in Stuttgart. Doch damit nicht genug: 2013, nach dem mutmaßlichen Suizid von Florian H. – einem frühen Hinweisgeber im NSU-Komplex – überbrachte ausgerechnet Jörg B. der Familie des Neonazi-Aussteigers die Todesnachricht. Das geht aus Ermittlungsakten hervor, die der SÜDWEST PRESSE vorliegen. Ein Zufall? Und hätte das der Dienststelle bei der Zuteilung der Aufträge auffallen müssen? Das Präsidium Stuttgart hält sich mit Antworten zurück. Thomas Ulmer erklärt: „Über einzelne Mitarbeiter geben wir keine Auskunft.“ Sein Kollege Stefan Keilbach ergänzt: „Fragen zur Organisation der Ermittlungen könnten nach unserer Einschätzung mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Inhalt der Untersuchungen des Ausschusses sein.“ Die Polizei wolle dem nicht vorgreifen.“

„Staatsaffäre NSU: Aussage eines Fahrlehrers stärkt Zweifel an Suizid des Neonaziaussteigers Florian Heilig, der zum Polizistenmord in Heilbronn aussagen wollte.“ (Junge Welt/Wolf Wetzel 9.3.2015)

Journalisten haben darüberhinaus herausgefunden, dass die Mitarbeiter der Tankstelle, an der Heilig das Benzin für seinen mutmaßlichen Suizid gekauft haben soll, sich nicht an ihn erinnern konnten und außerdem sagten, dass sie von der Polizei gar nicht zu seiner Person befragt wurden. Die Überreste von Heiligs Leiche wurden übrigens ohne das Einverständnis seiner Eltern eingeäschert. Eine Sprecherin des Landeskriminalamts erklärt zum Fall Heilig: „Die politische Dimension und mögliche Verbindungen zum NSU sind Thema der Generalbundesanwaltschaft.“ Fazit SZ: Florian H. wusste nichts. Wirklich? Im März 2015 werden im Zuge der Ausschuss Arbeit in Baden- Württemberg plötzlich neue Erkenntnisse in der Causa Florian Heilig bekannt und es werden sogar Ermittlungen aufgenommem:

„Matze K. aus Neuenstein (Hohenlohekreis) sieht unscheinbar aus. Allerdings könnte der Mittzwanziger in den NSU-Ermittlungen eine Rolle spielen. Ursache ist die „Neoschutzstaffel“ (NSS), der der erst jetzt identifizierte Matze K. angehörte und die laut Aussagen des Aussteigers Florian H. die „zweite radikale Organisation neben dem NSU“ darstellte. Florian H. verbrannte im September 2013 in seinem Auto – just an jenem Tag, als er erneut vom LKA befragt werden sollte. (…) Im Januar 2012 hatten LKA-Beamte H. zu seinen Hinweisen befragt und waren mit ihm zum Haus der Jugend nach Öhringen gefahren, wo 2010 ein Treffen von NSU und NSS stattgefunden haben soll. Dieser Hinweis hat sich laut einer LKA-Mitarbeiterin „ziemlich konstruiert angehört“. Zudem sei es H. „sichtbar unwohl“ gewesen, weil er „beim Lügen erwischt worden war“. Die Polizistin ist überzeugt: „Alles, was er zu NSU gesagt hat, war erfunden.“ Die NSS-Spur habe nicht bestätigt werden können. Im Übrigen sei es nicht Aufgabe des LKA gewesen, dem nachzugehen – „weil wir nicht in der rechten Szene ermitteln sollten, sondern nur zum Mord in Heilbronn“. Wurden die Akten zu früh beiseitegelegt? Das scheint so. Denn die NSS gab es offensichtlich doch. Und Matze K., den Florian H. einst vor seiner Familie als „Ziehvater in die Szene“ benannt hatte, war Mitglied in der Kameradschaft. Er trägt laut Aussage eines LKA-Ermittlers sogar ein NSS-Tattoo an der Hüfte. Das LKA habe allerdings erst vor wenigen Wochen diesen Sachverhalt bestätigen können, da die Person bis dahin nicht identifizierbar gewesen sei.Ein ungewöhnlicher Vorgang. Denn die Ermittlungen zu H. waren wenige Tage nach dessen Tod durch die Staatsanwaltschaft eingestellt worden. Das LKA hatte damals noch versucht, über die Bundesanwaltschaft neue Ermittlungen anzuregen – und scheiterte. Jetzt, da sich der Ausschuss mit dem Thema befasst, wurde die Spur vom LKA selbstständig wieder aufgenommen. „Warum haben Sie das gemacht?“, will Ausschussvorsitzender Wolfgang Drexler (SPD) wissen. Die Frage will der LKA-Ermittler aber nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit beantworten. Er bestätigt jedoch, dass Matze K. „jetzt identifiziert“ und zur NSS befragt worden sei. Die Vernehmung gilt als Verschlusssache.“ (Badische Zeitung 14.3.2015)

Plötzlich gelingt es Matthias K., einen NPD-Anhänger zu identifizieren, der trotz Hakenkreuztätowierung am Arm bei der Bundeswehr dient . K.’s Vater,  arbeitet für die Mobile Jugendarbeit in Öhringen und stand zuvor als Angehöriger einer Versorgungseinheit der Elitetruppe Kommando Spezialkräfte im Dienst fürs Vaterland :

„Im Zuge des NSU-Untersuchungsausschusses hat die Polizei eine bislang unbekannte Person aus dem rechtsextremen Umfeld jüngst identifiziert. Dabei geht es um einen Mann mit Spitznamen Matze, mit dem Florian H. nach eigenen Angaben häufiger in der rechtsextremen Szene unterwegs gewesen ist. Dies erklärte ein Beamter der früheren Ermittlungsgruppe Umfeld am Freitag im Landtagsausschuss. In der öffentlichen Sitzung nannte der Kriminalhauptkommisar aber keine Details. Florian, ein Aussteiger aus der rechtsextremen Szene, war im September 2013 in einem brennenden Wagen in Stuttgart gestorben. Sein Vater hatte angedeutet, dass sein Sohn wohl wusste, wer hinter dem Mord an der Polizistin Michele Kiesewetter 2007 in Heilbronn steckte. Florian habe den Prozess gegen das mutmaßliche NSU-Mitglied Beate Zschäpe vor dem Oberlandesgericht München einmal als reine Farce bezeichnet, solange nicht weitere Personen auf der Anklagebank säßen. Dabei habe Florian auch Matze genannt. Für die Bundesanwaltschaft sind Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt Kiesewetters Mörder. Der Beamte der früheren Ermittlungsgruppe Umfeld sagte, es sei lange Zeit nicht gelungen, Matze anhand von Florians Beschreibungen zu identifizieren. Erst eine Information aus dem Ausschuss habe dies ermöglicht. Das Gremium untersucht die Kontakte und Aktivitäten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) im Südwesten. Die EG Umfeld hatte die Bezüge der Rechtsterroristen durchleuchtet. Anfang 2014 hatte sie ihren Abschlussbericht vorgelegt und erklärt, es seien keine weiteren Ermittlungsansätze vorhanden. Die Identifizierung von Matze ist auch deshalb von Bedeutung, weil die Beamten Florian als wenig glaubwürdig eingestuft haben. „Diese Information ist wichtig, weil Matze in unterschiedlichen Zusammenhängen genannt worden ist“, sagte der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler (SPD). Recherchen unserer Zeitung haben ergeben dass es sich bei Matze um einen jungen Mann aus Neuenstein im Hohenlohekreis handelt. Matthias K. trägt ein Hakenkreuztattoo auf dem linken Oberarm, er ging nach einer abgebrochenen Lehre zur Bundeswehr. Auf Bildern, die unserer Zeitung vorliegen, posiert der blonde Mann vermummt – er trägt eine Kappe und ein schwarzes Tuch vor dem Gesicht. In seinem Facebook-Profil beantwortet Matthias K. die Frage „Welches ist für dich das wichtigste politische Thema?“ unmissverständlich: „Ausländer“. Mit dem Status „Gefällt mir“ markiert er clie NPD. K. war wie Florian H. offensichtlich Teil einer Clique, die sich regelmäßig im Stadtgarten Harmonie in Heilbronn traf. Brisantes Detail: Klaus K., der Vater des Rechtsextremisten, arbeitet in der Mobilen Jugendarbeit in Öhringen. Vor seiner Tätigkeit dort war er im Militär beschäftigt, als Angehöriger einer Versorgungseinheit der Elitetruppe Kommando Spezialkräfte (KSK). Heute befindet sich sein Büro im Untergeschoss des Hauses der Jugend Öhringen – es ist der Ort, an dem laut Florian H. das Treffen der „Neoschutzstaffel“ stattgefunden haben soll.“ (Stuttgarter Nachrichten 14.3.2015)

Kontext Wochenzeitung berichtet am 18.3.2015 von interessanten Beweisstücken, die von der Polizei ignoriert wurden und nun von der Familie des Verstorbenen dem Untersuchungsauschuss in Baden-Württemberg übergeben wurden. Das Vertrauen in die Behörde ist offensichtlich nachhaltig beschädigt. Eine rechte Szene „in der Art, die gibt es nicht“ in Heilbronn hatte der zuständige Staatsschützer Kriminalhauptkommissar Klaus Häberle  vor dem Ausschuss behauptet:

„Sprachlos und überrascht, sagt NSU-Ausschusschef Wolfgang Drelxer (SPD), hätten alle Abgeordneten reagiert, als er am Mittwoch in nichtöffentlicher Sitzung von seinem Treffen mit Florian Heiligs Familie am Vortag berichtete. Denn Vater, Mutter und Schwester haben in Begleitung des Berliner Rechtsextremismus-Experten Hajo Funke insgesamt zwölf Gegenstände übergeben, die sie selber am vergangenen Wochenende aus jenem Peugeot holten, in dem der 21-Jährige Anfang September 2013 auf dem Cannstatter Wasen verbrannt war. Die Polizei wollte das Auto nur zwei Tage später verschrotten lassen. Jetzt haben sich darin der bislang verschollene Schlüsselbund, der Fahrzeugschein, ein Feuerzeug, ein Handy-Deckel, Pillenplättchen, ein Kanisterdeckel, der Bauteil eines Handys, Turnschuhe, Sicherheitsarbeitsschuhe, eine Pistole und eine Machete gefunden. Alle diese Objekte sind jetzt in der Obhut des Landtagsausschusses und werden ausgewertet, unter anderem von einem Spezialisten im westfälischen Lüdenscheid. Generell, so Drexler, sei sein Vertrauen in die Polizei nicht erschüttert, aber er müsse schon sagen: „Ich habe mir Ermittlungsarbeit immer anders vorgestellt.“ Außerdem nannte die Familie den Namen einer weiteren Zeugin. Der Ausschuss wird sich entgegen seiner ursprünglichen Planung im April weitere vier Tage mit Heiligs Tod wenige Stunden vor seiner polizeilichen Vernehmung zum NSU und dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter befassen.“

“ Theorie 8: Der Geheimdienst vertuschte seine eigenen Spuren. Ein Referatsleiter im Bundesamt für Verfassungsschutz ließ im November 2011, kurz nach Auffliegen des NSU, mehrere Akten über V-Männer in der Neonazi-Szene vernichten. Die Staatsanwaltschaft Köln kam zum Ergebnis, es gebe keine Hinweise auf eine Straftat, zudem sei ein „Vertuschungsszenario“ mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Auch das Oberverwaltungsgericht Münster sah nur eine „einmalige Fehlleistung“, die nichts mit dem Inhalt der Akten zu tun gehabt habe. Warum ließ der Beamte sie dann schreddern? Die harmloseste Erklärung: Er erkannte nicht den Ernst der Lage und befolgte stur eine Regel, die es seit Kurzem gab: Wann immer in seiner Abteilung alte Akten auf den Tisch kamen, die nicht mehr gebraucht wurden, sollten sie vernichtet werden. Nach Auffliegen des NSU wurden die V-Mann-Akten auf Bezüge zum NSU durchsucht. Angeblich wurde nichts gefunden – daraufhin kam die Schredder-Anweisung. Jedoch glauben auch mit dem Fall vertraute Verfassungsschützer nicht, dass der Beamte so naiv handelte. Er habe die Akten gezielt vernichten wollen, heißt es – angeblich aber nicht, weil darin etwas Brisantes gestanden hätte, sondern eben deshalb, weil dort nichts über das Trio stand. Es sollte, so die Theorie, verschleiert werden, dass das Amt trotz seiner zahlreichen V-Leute so schrecklich ahnungslos war. Eine andere Variante: Es stand sehr wohl Wichtiges in den Akten – und das durfte nicht herauskommen. So behauptet mittlerweile ein Ex-Spitzel, dessen Akte im Schredder landete, das Amt habe nach dem Untertauchen des Trios eine erstklassige Gelegenheit versäumt, die drei zu fassen. Angeblich hatte ein Freund des Trios den Spitzel gefragt, ob er eine Bleibe für die Gesuchten habe – und das Amt soll den V-Mann angewiesen haben, nichts zu tun. Der Verfassungsschutz dementiert das. Fazit: Die Schredder-Aktion beflügelt die Phantasie. Man sollte aber bedenken: Eine echte Verschwörung hätten die Beamten nicht brav in einer Akte dokumentiert.“

Fazit: eine „echte“ Verschwörung hätten die Journalisten nicht brav in einem Artikel dokumentiert. Denn sie glauben lieber Geheimdienstlern und Staatsanwälten die Geschichte von drei isolierten Rechtsterroristen, die umgeben waren von dutzenden V-Leuten und deren Ergreifung laut Untersuchungsausschuss Thüringen vermutlich gezielt sabotiert wurde.

18 Kommentare

  1. Jahrestag der Aufdeckung NSU: Viele Fragen und wenige Antworten
    Wohnmobil der Terrorzelle NSU
    von Elmar Theveßen

    Am 4. November 2011 fliegt die Terrorzelle NSU auf: Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos begehen Selbstmord, Beate Zschäpe steckt die Wohnung des Trios an und flüchtet. Ihr Handy klingelt am Nachmittag sehr häufig, über 30 Mal allein zwischen 16.30 und 21 Uhr. Doch wer ruft Zschäpe immer wieder an?

    Die deutschen Sicherheitsbehörden prüfen es später nicht ernsthaft nach, weil in den Anrufprotokollen die letzten drei Ziffern durch x ersetzt sind. Aber sie haben die Ziffern davor auch nicht mit den Mobilnummern der Personen aus dem Umfeld des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) abgeglichen, unter ihnen eine große Zahl von V-Leuten der Behörden. Haben mehrere von ihnen an jenem 4. November 2011 verzweifelt versucht, Beate Zschäpe zu erreichen, weil sie mindestens Mitwisser waren, wenn nicht sogar mehr? „Nicht verfahrensrelevant“ – so heißt die Formulierung, die in den Akten zum NSU-Verfahren oft auftaucht, zu oft, könnte man meinen. Aber was könnte nicht verfahrensrelevant sein, wenn doch selbst die Bundeskanzlerin lückenlose Aufklärung versprochen hat. Zu viele Lücken hat der Münchner Prozess bis heute nicht aufgeklärt. Warum fand die Polizei DVDs mit den Bekennervideos erst in der Nacht vom 5. auf den 6. November in den Überresten des Hauses in Zwickau? Warum entdeckten die Ermittler die berühmte Ceska, häufigste Tatwaffe des NSU, erst am 9. November in eben diesem Trümmerhaufen? Sind die wichtigsten Beweise erst später an diesen Ort gelangt? Man möchte ja nichts unterstellen, aber zufriedengeben kann man sich auch nicht mit den teils stümperhaften Ermittlungen der letzten Jahre. Wichtige Zeugen wurden bis heute nicht vor Gericht gehört, manche noch nicht einmal vernommen, wichtiges Beweismaterial den Untersuchungsausschüssen vorenthalten, entscheidende Fragen des Bundeskriminalamts an deutsche Nachrichtendienste nicht beantwortet. Die Bundesanwaltschaft hat sich festgelegt, dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe die Haupttäter waren. Die Mitangeklagten vielleicht nicht mehr als kleine Helfer. Aber stimmt das?

    Welchen Gruppierungen gehörten die V-Leute an?

    Es gibt große Fragezeichen in dieser beispiellosen Mordserie: Drei Personen – drei V-Leute – waren nah dran am NSU-Trio. Es wäre wichtig, zu erfahren, ob mindestens einer von ihnen als V-Mann nicht nur für eine Landes-, sondern auch für eine Bundesbehörde gearbeitet hat. Und ob die drei Männer über die Ideologie von „Blood & Honour“, einer gewalttätigen Neonazitruppe, mit dem NSU verbunden waren.

    Ob einer zum Netzwerk des Ku-Klux-Klans in Deutschland gehörte und ein Motiv für den Mord an der Polizistin Michelle Kiesewetter 2007 in Heilbronn hatte. Ob die Drei – nicht zusammen, aber einzeln – in der Nähe der verschiedenen NSU-Tatorte waren. „Nicht verfahrensrelevant“ steht an eben solchen Stellen in den Akten, wenn tiefergehende Ermittlungen vielleicht Antworten auf diese Fragen hätten bringen können. Oder die Ermittler verweisen auf mangelnde Kooperationsbereitschaft bei Verfassungsschutz- und Polizeibehörden.

    Haben andere mit gemordet?
    Über allem steht die Frage, ob an den 26 Tatorten des NSU, an denen keine DNA-Spur von Böhnhardt, Mundlos oder Zschäpe zu finden war, andere mit gemordet haben, abwechselnd. Es wäre eine Arbeitshypothese, deren Verfolgung sehr verfahrensrelevant wäre.

    In Kürze wird der ehemalige Neonazi und V-Mann Carsten S. alias „Piatto“ als Zeuge im Münchner NSU-Prozess erwartet. Er hatte der Behörde am 9. September 1998 gemeldet, ein gewisser Jan W. habe Kontakt zum untergetauchten Neonazi-Trio und solle ihnen Sprengstoff besorgen. Es ist eine Schlüsselszene, denn die Ermittler hätten damals eine Riesenchance gehabt, die Gesuchten zu finden und die beispiellose Mordserie zu verhindern. Wir wissen, wie es ausging: Der NSU entstand und mordete.

    Aber wir wissen immer noch nicht, was auf Behördenebene geschah. Das wirft drei weitere Fragen auf: War es irgendeiner Behörde danach gelungen einen V-Mann, nicht „Piatto“, an das Trio heranzuspielen? Oder sogar mehrere? Und soll das nun vertuscht werden, weil dann die NSU-Morde unter den Augen der Behörden geschahen?

    Es ist ein schrecklicher Verdacht, den es zu entkräften gilt. Eine klare Verurteilung von Beate Zschäpe wäre nichts wert, wenn am Ende Zweifel bleiben und von der lückenlosen Aufklärung nur ein leeres Versprechen übrig ist.

    http://www.heute.de/viele-fragen-und-wenige-antworten-vor-drei-jahren-flog-die-nsu-terrorzelle-auf-35722696.html

  2. Wie nah kam der Verfassungsschutz dem „Nationalsozialistischen Untergrund“? Die Behörde führte einen V-Mann, der Verbindungen zu Uwe Mundlos gehabt haben könnte. Doch die Akten in dem Fall wurden kurz nach dem Auffliegen der Neonazi-Zelle geschreddert.

    Hamburg – Im Februar 2013 tauschten Bundesverfassungsschutz (BfV) und Bundeskriminalamt (BKA) Informationen über den „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) aus. Ein ganz normaler Vorgang, wie er seit dem Auffliegen der Zelle im November 2011 immer wieder stattfindet. Am Ende des fünfseitigen Schreibens notierten die Verfassungsschützer allerdings einen bemerkenswerten Satz: Ein „Kennverhältnis“ zwischen Uwe Mundlos und Michael S. könne „nicht gänzlich ausgeschlossen werden“.

    Mundlos lebte als Teil des NSU seit 1998 im Untergrund, Michael S. war bis mindestens 2001 als V-Mann aktiv. Hatten die Verfassungsschützer also eine Quelle dicht am untergetauchten Neonazi-Trio?

    Über den Fall berichtete zuerst das MDR-Magazin „Fakt“ in seiner Sendung am Dienstagabend. Die Hintergründe: Michael S. wurde von Mitte der neunziger Jahre bis mindestens 2001 beim Bundesverfassungsschutz als V-Mann „Tarif“ geführt. Geld soll laut dem Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses aber noch bis 2002/2003 gezahlt worden sein. „Tarif“ galt als Top-Quelle innerhalb der Behörde. Bestens vernetzt im militanten Spektrum der Neonazi-Szene.

    Gegen S. wurde in der Vergangenheit bereits wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt, doch das Verfahren wurde eingestellt. In Haft saß er wegen versuchten Totschlags. Er hatte mit anderen 1986 die „Aktion Sauberes Deutschland“ (ASD) gegründet, die wiederum die Strukturen zur Gründung des „Internationalen Hilfskomitees für nationale politische Verfolgte und deren Angehörige e.V.“ (IHV) lieferte. Ihr Ziel: „Die Schaffung einer politischen Elite, die die weißen Menschen Europas wachrütteln und ihre bevorstehende Vernichtung durch den Zionismus und Kommunismus verhindern soll.“

    Stress mit „Bullen“ und „Gerichten“ vermeiden

    Auch gründete Michael S. 1994 das rechtsextremistische Pamphlet „Sonnenbanner – Nationales Sozialistisches Monatsblatt“. Ein Exemplar wurde im Januar 1998 in der Jenaer Garage sichergestellt, die Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe nutzten. In der gefundenen Ausgabe findet sich ein Beitrag, der sich mit „Zellenbildung“ beschäftigt, um „Stress“ mit „Bullen“ und „Gerichten“ zu vermeiden.

    Der Bundesverfassungsschutz kam zu dem Schluss: „Bemerkenswert sind die ideologischen nationalsozialistisch motivierten Artikel im ‚Sonnenbanner‘ zu den Themen Zellenprinzip, Agieren im Untergrund, konspirativem Verhalten und elitärem Selbstverständnis – insbesondere vor dem Hintergrund, dass (vor allen Dingen) MUNDLOS diese Artikel gelesen haben durfte. Die späteren Taten des NSU weisen zumindest keinen Widerspruch zu diesen zu o. g. Verhaltensmustern auf.“

    Michael S. soll per Briefwechsel in engem Austausch mit Peter N. gestanden haben.Der Diplom-Chemiker gilt in der Neonaziszene als Sprengstoffexperte und „Veteran der Bewegung“. Der 61-Jährige war bereits in mehrere Attentate, bei denen auch Sprengstoff zum Einsatz kam, verwickelt.

    Michael S. soll im August 1996 in Worms an einer Demonstration zum Gedenken an den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß teilgenommen haben. Zu den Organisatoren zählten damals ebenfalls Top-Quellen des Inlandsgeheimdienstes. Auch Mundlos und Zschäpe sowie die mutmaßlichen NSU-Unterstützer Holger G. und Ralf Wohlleben beteiligten sich an dem illegalen Aufmarsch, bei dem mehr als 170 Personen in Gewahrsam genommen wurden.

    Seit 1993 soll S. auch Kontakt zu Thorsten Heise gehabt haben, einer der bekanntesten rechtsextremen Führungsfiguren in Deutschland. Auch die mutmaßlichen NSU-Unterstützer sollen sich hilfesuchend an Heise gewandt haben: Mal sollte er angeblich gefragt werden, ob sein Anwesen den Untergetauchten als Versteck dienen könnte, dann wieder, ob seine Kontakte ins Ausland vielleicht nützlich wären.

    Nicht nur Kontakte zu Thorsten Heise sind verbrieft. Michael S. suchte im Sommer 1997, vor dem Abtauchen von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe, auch Unterstützung beim damaligen inneren Zirkel um das Trio in Jena. Dort fragte er an, ob Thüringer Neonazis nicht den „Saalschutz“ für eine Veranstaltung in Niedersachen übernehmen könnten. Auch Kontakte mit dem Thüringer Spitzel Tino Brandt sind aktenkundig.

    Die Akten wurden vernichtet

    Der V-Mann-Führer von „Tarif“ soll seiner Quelle sogar einmal beim Redigieren einer Ausgabe des „Sonnenbanners“ geholfen haben. Hans-Christian Ströbele, der als Obmann der Grünen dem NSU-Untersuchungsausschuss angehörte, fordert daher weitere Aufklärung: „Wir hätten doch V-Leute im Ausschuss hören sollen und mehr von den V-Mann-Führern. Diese waren wohl mehr verstrickt und müssen viel mehr über das Nazi-Trio und deren Unterstützerszene gewusst haben – und damit wusste auch der Verfassungsschutz mehr.“

    Wenige Tage nach Auffliegen des NSU und just an dem Tag, an dem der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernahm, wurde die Akte „Tarif“ mit anderen im Bundesamt geschreddert. Dass Lothar Lingen, der eigentlich anders heißt und für das Schreddern mitverantwortlich war, laut Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses zweimal mit „Tarif“ befasst war, wirft Fragen auf. Zumal „Tarif“ sich nach den Untergetauchten in der Szene erkundigen sollte.

    Die Behörden kommen dennoch zu dem Schluss, dass „Tarif“ wohl nicht über den NSU berichtet habe. Aussagen von BfV-Mitarbeitern und die nur teilweise rekonstruierten Dokumente sollen das belegen.

    Die Linke-Mitglieder des Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses verlangen nun eine vollständige Aufklärung des Falls. Sie wollen Akten anfordern und alle Verantwortlichen vernehmen, um die Rolle von „Tarif“ zu untersuchen.

    http://www.spiegel.de/panorama/justiz/tarif-verfassungsschutz-koennte-v-mann-dicht-an-nsu-gehabt-haben-a-925568.html

  3. Nach Vorwürfen im NSU-Fall Strafanzeige des LKA-Chefs erfolglos

    Die Erfurter Staatsanwaltschaft hat eine Anzeige des Chef des Thüringer Landeskriminalamtes, Werner Jakstat ad acta gelegt. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft sagte MDR THÜRINGEN, eine Anzeige des Spitzenbeamten wegen übler Nachrede sei eingestellt worden.
    Der Präsident des Thüringer Landeskriminalamtes (LKA), Werner Jakstat, sitzt auf dem Zeugenplatz des NSU-Untersuchungsausschusses des Thüringer Landtags in Erfurt
    LKA-Präsident Werner Jakstat bei einer Vernehmung im NSU-Untersuchungsausschuss

    Hintergrund sind Pannen bei den Ermittlungen im Zusammenhang mit dem NSU-Trio. Ein anonymer Ermittler hatte Anfang des Jahres in einem TV-Beitrag behauptet, Jakstat habe 2003 als Vizepräsident des Landeskriminalamtes Thüringen telefonisch angeordnet, eine Zeugenaussage zum Aufenthaltsort des NSU-Mitglieds Uwe Böhnhardt nicht weiter zu verfolgen. Die Ermittlungen seien daraufhin eingestellt worden. Dieser Behauptung hatte Jakstat widersprochen. Die Staatsanwaltschaft stellt ihr Verfahren nun ein, da nicht festgestellt werden konnte, wer im Fernsehen die belastende Aussage gemacht hatte.

    Zuletzt aktualisiert: 02. Dezember 2014, 12:29 Uhr

    http://www.mdr.de/thueringen/anzeige_jakstat100.html

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  15. rudolf

    Betreff:
    N.S.U. – Sascha Winter N.S.U Sascha Winter N.S.U Sascha Winter Mord-Komplott !!!

    Sascha Winter – Melisa Mirijanovic aus kraichtal – Landshausen ( Baden Württenberg-Deutschland ) St. Martin Str. 10 a – gelbe Villa !!!
    – keine Suizidgefahr bei Sascha Winter, dafür aber brutaler Mord –

    folgende zwei tragischen Todesfälle sind so interessant, sodass Agatha Christie es ab sofort in Ihren Romanen
    geschrieben hätte.
    Melisa Mirijanovic hatte am 17.03.2015 einen kleinen Motoradunfall (Verletzung: zwei blaue Flecke).
    Am 28.03.2015, Samstag, hat Sascha Winter (31) im Bett
    Melisa M. tot aufgefunden – jede Hilfe war zu spät –
    doch das ist nicht sicher !
    Eines ist sicher ! Melisa M. war schwanger (28. März 2015). Er !, Sascha W. hat verloren einmalig zwei liebe
    Personen ! Ab diesem Tag Sascha W. war schon andere Person. Ich habe damals nachgerechnet 12 Monate (er
    wollte das nicht hören).
    Was er hat zu tun mit N.S.U. und der Florian H. – Nichts,
    Nichts, Nichts ! 500.000 € die Belohnung dafür ( Florian Heilig ( Stuttgart – Bad Cannstadt – Bensin-auto-tot )
    Er hat gekannt viele Leute, ich kenne auch sehr viel gefährliche Spinner ! ( aber ich bin sehr weit – Servus,
    vielleicht nächstes mal – keine Zeit ! ).
    Sascha Winter. Hobby war Motorcross (er mochte den Geruch von Benzin), Arbeit als Monteur, Baustelle,
    kleine gelbe Villa – St. Martin Str. 10 a.
    Wir haben den 04.02.2016 (DONNERSTAG) auf 05.02.2016 (FREITAG) –
    (06.02.2016 SAMMSTAG – Sascha ist schon tot kurz nach 00:00 -)
    am: 08.02.2016 MO sehr spät abends wurde Sascha Winter.
    in eigener Wohnung tot aufgefunden – wer hatte die Schlüssel von der Wohnung und wer hatte Ihn gefunden – dies bleibt noch sehr geheim, zudem
    war sein Hund: Lina Luna auch tot in der Wohnung
    zu gleichen Zeit)
    Sascha Winter. schläft gut ! Am Freitag musste er arbeiten !
    und danach Wochenende (sein erster Training).
    Am 01.03.2016 Motorcross (sein Team: 2 Mädchen und 2 Jungen (Kim aus Bruchsal), dieses Motorcross wäre nach der Winterpause für Sascha W. sehr wichtig gewesen !
    Sascha Winter., geb. 19.01.1985 in Heidelberg, Geburtstag was für Ihn nicht so wichtig war, aber der Gedenktag:
    28. März 2016 (Melisas Todestag) wäre für Ihn sehr
    wichtig gewesen, er hätte Ihr Grab besucht und Ihre Familie.
    Bei seiner letzten Geburtstagsfeier waren: Sandra,
    Claudia, ( Kim Mädchen aus Bruchsal) und noch 2 Freunde aus dem Motorcross-Team. Aber wer dort war ??? ist nicht wichtig !!!
    Er hatte alleine gelebt mit seinem kleinen Hund: Lina Luna . Er war nicht depressiv – psychischer Zustand war
    normal – er war nicht suizid-gefährdet und in Ordnung.
    Am 05.02.2016 ist Sascha Winter. alleine zuhause mit Lina Luna (seinem Hund).
    Ein Zeuge aus der Nachbarschaft ist um 22 Uhr nach Hause gelaufen und hatte 2 Männer und 1 Frau gesehen, welche Sascha W. zu sich nach Hause reingelassen hatte. Für den Zeugen war dies trotzdem
    etwas komisch diese Uhrzeit !
    In St. Martin Str. 12 – lebt noch ein alter Mann, er sieht sehr viel, wer in diese kleine Gasse kommt, er ist ab sofort draussen, wenn jemand dort in die Gasse kommt:schreit er wie ein
    paranoider, schizophrener Mann in der Gegend rum:
    Raus, raus oder ich rufe die Polizei !!!
    Was hat dieser Mann gesehen, was hat er gehört in der
    Todesnacht von Sascha Winter. ?!?!?!
    – Abschiedsbrief per e-mail verfasst und gesendet ,
    ( das ist eine Lüge von der Partei: Die Grünen (in B.W.)
    -Wo ist das Testament ? Sasch Winter. war der Eigentümer ,
    von St. Martin Str. 10 a (gelbe Villa), warum hatte er kein Testament geschrieben ?!
    -Wer kommt als neuer Besitzer in Frage ???
    -Wer hatte Sascha Winter, spät abends aufgefunden und wer
    hatte die Schlüssel zu seiner Wohnung ? !
    -Warum hat keiner am Montag: 08.02.2016 in Landshausen etwas gesehen ?! Viele Personnen
    wollen nichts wissen, dass Sascha Winter. tot ist, sie haben
    Angst vor dieser Wahrheit (wegen möglicher Observation !)
    -Leichnam, Polizei u.s.w. ?!
    -viele Personen haben die Schuld des Todes von Melisa Mirijanovic. auf Sascha Winter. geschoben, da Melisa Mirijanovic. zu Lebzeiten
    sehr beliebt war .
    – viele Leute wussten, dass das gelbe Haus – St. Martin Str. 10 a – unbewohnbar ist und hören zum ersten mal,
    das Sasch Winter, tot ist !
    -ich vermute das Grün – Killer – Kommando hat den Tod
    von Sasch Winter. verursacht – sehr spät abends – ganze
    Volkssschaft – sowie auch viele andere Jugendliche
    in Baden-Württemberg, welche Tod sind.
    -Obduktion bis 7 Tage ( der Staatsanwalt: Dr. T. Wagner
    aus Karlsruhe) die rechte Hand von W. Kretschmann
    -aber wir haben noch 31 Tage zur Beerdigung am:
    16.03.2016 13 Uhr in Münzesheim – Beerdigung war voll
    anonym – ohne Kreuz – ohne Grab, schlimmer als wie
    ein Hund begraben; die Frage: ob seine Leiche oder seine Asche im Grab sind ?!
    Ich war am Friedhof – ich habe 2 Stunden das Grab gesucht (keine Chance es zu finden). Ich wusste vorher
    nicht, dass Sascha Winter. ist anonym beerdigt !
    -gute Frage ! ich bin nicht sicher das seine Leiche ist auf
    diesem Friedhof !!! ???
    -ein alter Mann sagte zu mir – was suchen Sie hier so lange ?! ich habe ihm geantwortet: eine Person (nur den
    1. Buchstaben des Namens von Sascha W. = S. W. habe ich ihm gesasgt, da ich nicht wusste – wer er ist ?!)
    Komisch ! Er antwortete mir sofort: Sie suchen das Grab von Sascha Winter – er ist dort ganz vorne begraben –
    zeigte mir mit seiner Hand den Weg – schauen Sie er liegt dort vorn auf der Wiese – ein Grab ohne Kreuz – er liegt dort ?! Beim Grab von Sascha Winter , habe ich im Gedenken an Ihn – an seienm Grab mit Ihm geredet – und habe im Gedenken viele Fragen an Ihn gestellt – doch keine Antwort von Ihm bekommen ( er war nur mein sehr gute Bekannter).
    Eines bin ich sicher, dass Melisa Mirijanovic. (nicht geborenes Kind), Sascha Winter , und der Hund Lina Luna – habe nicht verdient so grausam zu sterben.
    Jetzt einige Tage dannach, nach dem Besuch auf dem Friedhof von Sascha Winter ich schlafe sehr schlecht und
    habe Horror – Träume immer mit den schockierenden
    Bildern: sehe im Traum den fasst dunklen Raum doch
    der Blick ist konzentriert auf den Boden des Zimmers –
    schaue von rechts nach links:
    mit gekipptem Falch-LCD – TV, liegende Person auf dem Bauch, sehr grosser Blutfleck, bis ca. 50 cm dicke Metall-
    stange – sehe diese Bilder mit vollem Kontrast und jede Nacht im Traum ! Jeder will normale oder keine Träume
    haben, bei mir ist es anders !
    Ich habe 2 Briefe von Sascha W. und eine von Sandra – diese Briefe darf ich
    der Öffentlichkeit nicht zugänglich machen, habe nicht die Berechtigung vom toten Sascha Winter. ! Er hat seine
    Freundin verloren und ein nichtgeborenes Kind und seinen Hund Lina Lina und sein Leben hat er auch verloren – und alle haben auf ihn gespuckt und spucken bis heute. Sascha Winter war nicht psychisch krank oder suizid-gefährdet ! Eintausendmal nein !
    Beispielsweise für Staatsanwaltschaft Tobias Wagner ist es kein Problem zu sagen, dass der Sascha Winter hat sich
    selber mit 8 Einstichen in den Rücken – von hinten –
    selber erstochen , nach den Vorstellungen von Tobias
    Wagner hat sich Sascha Winter nach den Einstichen in seinen Rücken noch mit etwas Schnaps Mut getrunken
    und sich danach noch selbst mit Strick selbst erhängt.
    Dies sind die gedanklichen Vorstellungen zum „an-
    geblichen Suizid – Tod von Sascha Winter“ gedanklich:
    durch den Staatsanwalt Tobias Wagner.
    Wie lange lebt noch der einzige Zeuge, welcher noch in
    der St. Martin Str. 12 wohnt – sein Fenssterblick auf die
    Tür auf die gelbe Villa – EINGANGSTÜR – von Sascha Winter
    (ehemals: St. Martin 10 a) beträgt maximal 15 Meter
    direkter Blick.
    Dieser Mann hat in der Nacht von Freitag auf Samstag (05.02.2016 auf 06.02.2016) viel gesehen und gehört ?!
    Doch Sandra ist auf der Todesliste wahrscheinlich das
    nächste Todesopfer ?!?!?!
    Nachdem Tod von Melisa Mirijanovic Sie war Vertrauensperson
    für Sascha Winter.
    1. Ich will das eine unbahängige Ermittlungskommisson aus anderem Bundesland eingesstzt wird.
    2. Diese Leiche nochmal exhuminieren (aus dem Grab holen) und nochmal obduzieren – und kommt die
    Wahrheit über den wirklichen Tod von Sascha Winter (31)-
    was liegt in seinem Grab ? Leiche oder Asche ???
    Dieses Grünen Ufo Leute mit eigenem mobilem
    Killer-Kommando. Winfried Kretschmann und Tobias Wagner haben schon sehr viele junge Leute unter die
    Erde geschickt. sehr viele !
    Ich habe eine Telefonnummer von einem gefährlich,
    nervösen Mann aus Heidelberg, ich weiss nicht, ob er
    ist der Vater, Bruder, Opa, Onkel von Sascha Winter ?!?!
    Aber sicher ist dieser Mann mit der Telefonnummer ist
    von der Familie Winter, heisst mit Familienname Winter:
    Tel.-Nummer: 0160 93372427
    Sascha Winter hatte eine Web e-mail.
    Ich hoffe das Readakteure, nicht nur mir helfen, das
    Mordkomplott Rätsel gegen: Sascha Winter
    ( Melisa Mirijanovic., Lina Luna) zu lösen.
    Wenn mir Ihre Redaktion in diesem Fall helfen kann,
    wäre ich Ihnen sehr dankbar.
    Diese Geschichte über Sascha Winter. und Melisa Mirijanovic,
    meine Vermutung: Familie Winter wurde erpresst
    Sascha Winter. anonym zu beerdigen, und komischer Weise
    nicht ins Landshauen (dort ist sehr viel Platz) –
    komischer Weise wurde er speziel beerdigt auf der Wiese in Münzesheim – Familie Winter hätte dem
    freiwillig nicht zugestimmt.
    Bitte diese Tatbestände über Sascha Winter und Melisa Mirijanovic der Öffentlichkeit in Deutschland und Europa zugänglich machen, damit die Leute wissen, mit welcher
    Volksherrschaft (Regierung) in Baden-Württemberg Sie wirklich zu tun haben.
    Vielen Dank im voraus für Veröffentlichung.
    Freundlicher Gruss

    P.S.: Die Fotos zu diesem Artikel schicke ich
    demnächst per e-mail an Sie.
    Verspätet aus Sicherheitsgründen.
    Meine 4 herzlichen wunsche ,
    1.Zustandekommen der exhumierung und obduktion der leiche von Sascha Winter ( aber auch ist möglich , dass dort sind nur asche aber keine leiche ) ??? und keine beweisse mehr !!!
    2.Die beauftragten personen für den mord an Sascha Winter,dem gericht zu übergebe !!!
    3.Das Sascha Winter im nachhinein bekommt ein gutes grab mit name,vorname und grabstein .
    Mit freundlichen grüssen .

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