Wie erfuhr Beate Zschäpe vom Tod von Mundlos und Böhnhardt?

Beate Zschäpe 2011 in einem Werbefilm des NDR, während ihres Urlaubs auf Fehmarn

Am 23.3.2016 gab Dorothea Marx, Vorsitzende des Landtagsuntersuchungsausschusses zum NSU in Thüringen, dem MDR ein bemerkenswertes Interview:

Marx:

Natürlich ist ja auch immer ein Verdacht gewesen, ob Frau Zschäpe eventuell vielleicht von Behörden informiert worden sein könnte, weil da war ja dieser berühmte Anruf mit einer Telefonnummer aus einem Innenministerium und jetzt hat sie eben gesagt, sie hat Radio gehört und das hat dann auch gestimmt. Sie hat ja ansonsten jetzt wohl mehrfach immer behauptet sie hätte gar nicht so genau gewusst was die tun, die beiden Uwes.

Interviewer: Das heißt diese Spur, die Sie eben erwähnt haben mit dem Telefonanruf aus dem Ministerium die ist jetzt kalt, die hat sich für Sie erledigt?

Marx:

Ja, da gibt’s sowieso ’ne andere Erklärung inzwischen dazu, weil man sagt, das waren Anrufe, weil man bei den Nachbarn als sie das Haus dort angezündet hatte, das wird ihr ja zur Last gelegt, das ist wahrscheinlich auch so gewesen in Zwickau, dass man da Anwohner gefragt hat nach ihrer Telefonnummer. Man hat zunächst gar nicht gewusst um wen es sich gehandelt hat und dass man dann von der Polizei versucht hat praktisch die Bewohnerin zu erreichen um festzustellen, wo ist die eigentlich, was ist mit der.

Interviewer:

Offenbar hat sie an dem Tag, an dem Mundlos und Böhnhardt ums Leben gekommen sind gezielt nach Nachrichten gesucht, ist dort beim MDR gelandet. Heißt das für Sie, dass sie in die Pläne natürlich eingeweiht gewesen sein muss?

Marx:

Ja, da deutet ja vieles darauf hin, wenn sie gezielt danach sucht und das im Radio halt eben schon Informationen kamen, da gibt es zwei Tote in eienm Wohnmobil und das hängt mit einem Bankraub zusammen. Interessant ist aber natürlich in dem Zusammenhang, dass sie offenbar wusste, dass die beiden auch einen Bankraub begehen. Entsprechende Sendungen hat sie ja schon aufgezeichnet damals bei dem Nagelbombenattentat in Köln. Da gibt’s ja mittlerweile auch Hinweise, dass Sendungen aufgezeichnet worden sind in der Wohnung in Zwickau.

Zu dem berühmten Anruf aus „einem Innenministerium“ schrieb Thomas Moser erst kürzlich auf Telepolis einen aufschlussreichen Artikel, der den Aussagen der SPD Politikerin in zentralen Punkten widerspricht. Von wem die Polizei die Nummer hatte ist nicht geklärt. Dass Nachbarn die Telefonnummer an die Behörde gaben ist nicht dokumentiert:

Am Nachmittag des 4. November wurde Zschäpe mehrfach angerufen – von Telefonnummern, die auf das Innenministerium von Sachsen ausgestellt waren. Das hat für Spekulationen gesorgt. Alle Anrufer seien Polizisten gewesen, so der Zeuge Swen Philipp, der damals die Ermittlungsgruppe Frühling der Kriminalpolizei Zwickau leitete. Er habe alle Nummern identifizieren können. Die Polizei habe Zschäpe zu diesem Zeitpunkt noch als Zeugin gesucht. Dafür ist nun eine andere Frage rätselhaft geworden: Woher hatte die Polizei die Handy-Nummer von Zschäpe? Bisher hieß es: Vom Hausmeister Lutz W., der ebenfalls in der Frühlingstraße 26 wohnte. Er soll der Polizei Zschäpes Nummer mitgeteilt haben. So steht es im Einsatzprotokoll der Polizei, und so wird es von Mal zu Mal kolportiert. Der Ausschuss lud Lutz W. als Zeugen und der erklärte klipp und klar: Nein, er sei von der Polizei nicht nach der Telefonnummer von Zschäpe gefragt worden, die alle im Haus nur als „Susann Dienelt“ kannten. Er hätte die Nummer auch gar nicht weitergeben können, er habe nämlich gar keine Nummer von Zschäpe gehabt. Er habe sie nie angerufen. Der 60-Jährige blieb trotz mehrfacher Nachfrage bei dieser Aussage. Ratlosigkeit bei den Abgeordneten. Woher hatte also die Polizei die Telefonnummer? Könnte es sein, dass die Nummer längst bekannt war und der Hinweis auf Herrn W. als den Mitteiler nur eine Legende ist, um die wahre Herkunft der Nummer zu verschleiern? Dazu könnte folgende Merkwürdigkeit passen: Der erste Anrufversuch auf Zschäpes Handy durch die Polizei wurde um 16:32 Uhr registriert. Doch erst um 17:50 Uhr soll das Lagezentrum der Polizei die Mitteilung über die Handy-Nummer Zschäpes erhalten haben. Wie kann sie dann mehr als eine Stunde früher angerufen worden sein? Der damalige Leiter der Kriminalinspektion Zwickau, Bernd Hoffmann, konnte den Abgeordneten diese Differenz nicht erklären.

Nun zu den Informationen, die Zschäpe am 4.11.2011 im Radio, bzw. Internetstream, über den Tod von Böhnhardt und Mundlos erfahren haben soll. Der MDR stellte eine aufwändige Recherche an, die am 22.3.2016 präsentiert wurde:

Die Frage, wie hat Beate Zschäpe vom Tod der mutmaßlichen NSU-Terroristen erfahren, ist brisant. Auch weil es den Verdacht gibt, mögliche NSU-Unterstützer, vielleicht sogar vom Verfassungsschutz, hätten sie informiert. Dazu kommt, dass Zschäpes Glaubwürdigkeit für all ihre anderen Aussagen schwer erschüttert wäre, wenn sich herausstellte, sie habe nicht aus dem Radio vom Tod der beiden Uwes erfahren können. Da sie bereits kurz nach 15 Uhr die gemeinsame Wohnung in Zwickau anzündete, müsste sie zuvor die Radiomeldung von den zwei Toten in einem Wohnmobil gehört haben. Bei seinen Ermittlungen hatte sich das BKA bereits Mitte Dezember bei verschiedenen Radioprogrammen über die Berichterstattung am 4. November 2011 erkundigt, wie Mike Heerdegen erzählt. Er ist der Nachrichtenchef von MDR INFO. Der Live-Stream des Nachrichtensenders war im fraglichen Zeitraum nachweislich auch auf Beate Zschäpes Computer aktiviert. „Ich habe dann in unsere Nachrichtenarchive geschaut und in dem fraglichen Zeitraum eine Meldung gefunden, die wir um 13:30 Uhr gesendet haben. Da ging es ausschließlich um den Sparkassenüberfall.“ Und kein Wort von zwei Brandleichen in einem Wohnmobil. Davon berichtete MDR INFO erst, nachdem das Quartier des so genannten NSU in Zwickau in Flammen aufgegangen war. Noch einmal der MDR INFO-Nachrichtenchef Mike Heerdegen: „15:30 Uhr hatten wir die nächste Meldung, und die unterschied sich von der vorangegangenen Meldung durch die Quelle. Die erste Meldung haben wir auf Grundlage einer Agenturmeldung gemacht, die zweite auf Grundlage von Informationen unserer Kollegen in Thüringen, von MDR Thüringen, die wir dort auch zitiert haben.“ Und die in ihrem Programm tatsächlich bereits um 14 Uhr über das Geschehen berichtet hatten. Das ergaben aufwändige Recherchen von MDR INFO und MDR Thüringen – Das Radio. Am 4.November 2011 hörte sich das so an: „In Eisenach sind in einem ausgebrannten Wohnmobil zwei Leichen gefunden worden. Das hat ein Polizeisprecher MDR Thüringen bestätigt. Ein Zusammenhang mit dem Sparkassenüberfall am Morgen in der Stadt werde nicht ausgeschlossen.“Tatsächlich lässt sich aus der Internet-Historie von Zschäpes Computer herauslesen, dass sie auch die Seite von MDR Thüringen – Das Radio aufgerufen hatte. Daneben stellte auch der in Zwickau empfangbare Privatsender Antenne Thüringen um 14 Uhr erstmals einen Zusammenhang zwischen einem Bankraub und zwei Toten in einem Wohnmobil her. Ob Beate Zschäpe diesen Sender möglicherweise in einem ihrer beiden Radioapparate ebenfalls hörte, lässt sich nicht mehr nachweisen. Sicher aber ist, dass die Hauptangeklagte im NSU-Prozess sehr wohl, wie sie aussagt, aus dem Radio vom Tod der beiden Uwes erfahren haben könnte. (MDR 22.3.2016)

Um 14 Uhr also soll die Nachricht über den Banküberfall und einen möglichen Zusammenhang mit zwei Leichen in einem Wohnmobil über den Internet Livestream vom MDR Thüringen und im Privatsender Antenne Thüringen zu hören gewesen sein. Um 14 Uhr soll Zschäpe diese Information in der Zwickauer Wohnung gehört haben. Welchen Sender sie möglicherweise im Radio verfolgte werden wie nie erfahren. Das Internetprotokoll aus der Zwickauer Wohnung ist allerdings bekannt. Hier ein Teil der Akte, in der die Internetinhalte ersichtlich werden, die am 4.11.2011 in der Wohnung von Zschäpe abgerufen wurden. Vor 14 Uhr hatte Zschäpe mehrere Seiten im Internet angesteuert, die Onlinestreams bieten: 13:30= Thüringen MDR.de. 13:43= Sachsen Radio. 13:43= Energy Sachsen. 13:44= MDR 1 Radio Sachsen Anhalt. 13:44= Hit Radio RTL. Ob sie tatsächlich ab 14 Uhr noch einen dieser Streams hörte und welcher das war kann nach meiner Einschätzung nicht mit Sicherheit bestimmt werden.

Die aufgerufenen Seiten ab 14 Uhr im Überblick: Greenpeace, Tierheime, TV-Programm, fleischloses Essen, Tierschutz („Gegen Pelze“), Biofleisch, natürliche Mittel gegen Übelkeit, Biobauern Zwickau.

Ist das das Surfverhalten einer Frau, die gerade vom Tod ihrer Freunde erfuhr und eine halbe Stunde später ihre Wohnung in Brand setzte?

Interessanterweise hatten diverse Medien 2012 diese von Zschäpe aufgerufenen Seiten exakt eine Stunde vorverlegt:

Laut der Auswertung surfte Zschäpe auch am 4. November 2011 im Internet, als ihre beiden Kumpane Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in Eisenach eine Bank überfielen. Gegen 12 Uhr erschossen sie sich in ihrem Fluchtfahrzeug, das von der Polizei aufgespürt worden war. An diesem Tag besuchte Zschäpe laut Internetprotokoll von 13.07 Uhr bis 13.26 Uhr die Websites von Greenpeace, der Tierschutzaktion „Gegen Pelze“ sowie „Biobauern Zwickau“. (Hamburger Abendblatt 15.4.2012)