ARD/Infratest Dimap: Die 60% Lüge von der zweiten Chance für Wulff

„Viele Deutsche wollen zweite Chance für Wulff. Die Mehrheit der Bevölkerung findet das Verhalten von Bundespräsident Wulff „peinlich“ – dennoch sind 60 Prozent der Deutschen der Ansicht, er habe eine zweite Chance verdient. Das ist das Ergebnis einer Blitzbefragung des ARD-DeutschlandTrends. Vor allem eines fällt ins Auge: In der breiten Bevölkerung steht Bundespräsident Christian Wulff nach seinem Interview vom Mittwoch deutlich besser da als im Urteil der Medien. Während die Zeitungskommentatoren und Internet-Blogger fast einhellig den Stab über Wulff gebrochen haben, ist mit 60 Prozent die Mehrheit der Deutschen der Ansicht, der Präsident habe eine zweite Chance verdient.“ (ARD 5.1.2012)

„Die Mehrheitsmeinung heute ist, dass er eine zweite Chance verdient hat. Dass, wer öffentlich um Verzeihung bittet noch mal einen Versuch starten darf.“ (Jörg Schönenborn Tagesthemen 5.1.2012)

Lieber Herr Schönenborn, Präsident Wulff hat zu keiner Zeit öffentlich um Verzeihung gebeten, wie Sie behaupten. Er hat nach wochenlanger Hinhaltetaktik in dem Interview zum ersten mal Entschuldigung gesagt. Er kann sich aber nicht entschuldigen, sondern nur um Entschuldigung bitten. Hat er aber nicht. Um Verzeihung gebeten hat Wulff ebenfalls nicht. Als Journalist sollten Sie besser auf sprachliche Feinheiten achten, denn meine Oma glaubt nun der Wulff habe um Verzeihung gebeten. Wen überhaupt ?

Die ARD schreibt „vor allem eines sticht ins Auge“, in der „breiten Bevölkerung“ stehe Wulff nach seinem Interview „deutlich besser da als im Urteil der Medien“. 

1. das Urteil der Medien zu Wulff war nicht Gegenstand der Untersuchung und ist statistisch nicht erfassbar.

2. Wulff steht selbst im Urteil der „breiten Bevölkerung“ nicht gut dar, wenn man die Zahlen vom 5.1.12 zu Grunde legt. 61% der Befragten fanden ihn im Interview vom 4.1.2012 nicht überzeugend. Nur 31% hielten ihn für ehrlich. 57% fanden sein Verhalten peinlich. 50% fanden Wulff habe keinen Respekt vor geltenden Gesetzen. 56% meinten Wulff solle im Amt bleiben. Am Tag des Interviews sprachen sich noch 50% für einen Rücktritt Wulff’s aus (wann die 500 Personen an diesem Tag befragt wurden ist mir nicht bekannt. Große Teile des Interviews waren schon am späten Nachmittag geleakt.) Korrekt interpretiert müsste man eher feststellen, dass  Wulff in der „breiten Bevölkerung“ keinen Deut besser darsteht als im Urteil „der Medien“.

Dennoch sind 60 Prozent der Deutschen der Ansicht, er habe eine zweite Chance verdient ! Sagt die breite Bevölkerung. Nur: wo steht das ? Ich kann die konkrete Graphik / Fragestellung bei Infratest dimap nirgendwo finden, obwohl zu allen anderen Ergebnissen der Erhebung Graphiken dargestellt sind. Auch in den Sendungen der ARD wird dieses Schaubild nicht eingeblendet. Beachtlich, wenn man bedenkt, dass die Schlagzeile von der „zweiten Chance“ von allen Medien aufgegriffen wird und die Politik Beraterin Gertrud Höhler das „60 Prozent/Zweite Chance“- Statement als überlebenswichtig für Wulff einschätzt.  Wer auf der Seite von Infratest Dimap  unter der Headline „Bundespräsident Wulff: Mehrheit will ihm eine zweite Chance geben“ auf mehr klickt wird auf der nächsten Seite keine dementsprechende Graphik, kein Schaubild finden, sondern lediglich in einer Zusammenfassung der Umfrage vom 5.1.2012  lesen:

„Die Bundesbürger, die das Fernsehinterview des Bundespräsidenten am Mittwoch gesehen oder sich über andere Medien darüber informiert haben, sind zu 61 Prozent nicht vom Auftreten Christian Wulffs überzeugt. Allerdings ist nun eine Mehrheit der Deutschen von 60 Prozent der Ansicht, Christian Wulff hätte eine zweite Chance verdient. Auch spricht sich nach dem Fernsehauftritt gut die Hälfte der Bundesbürger (56 Prozent) für einen Verbleib Wulffs im Amt des Bundespräsidenten aus.“

Nochmal die Frage: Wo findet sich die konkrete Fragestellung und Antwortmöglichkeit, die die Behauptung „eine Mehrheit der Deutschen von 60 Prozent sei der Ansicht, Christian Wulff hätte eine zweite Chance verdient“, belegt ?

Image and video hosting by TinyPicImage and video hosting by TinyPicBildquelle: Screenshot Infratest Dimap 8.1.2012

+++Update 12.1.2012+++: Nach mehren Anfragen an Infratest Dimap wurde der Inhalt der Seiten, die Bezug zu den Umfragen zum Präsidenten Wulff hatten vom Institut verändert. Mittlerweile führt der oben beschriebene Pfad tatsächlich zu einer Graphik, welche die Formulierung „60 Prozent/zweite Chance“ enthält. Das Schaubild fasst allerdings mehrere Statements (4) zusammen im Gegensatz zu denen , die ab dem 6.1.2012 in ARD und auf den Seiten von Infratest Dimap verwendet wurden, die jeweils 2 Statements pro Graphik enthielten. Das Institut erklärte hierzu:

„Da wir immer zuerst die TV-Grafiken bekommen, verwenden wir zunächst diese, um Interessierten möglichst schnell einen Zugang zu den Daten zu ermöglichen. Wir werden aber heute im Laufe des Tages auch hier die Grafiken austauschen.“

Auch die ARD aktualisierte mittlerweile ihre Berichterstattung, verbunden mit einer freundlichen Entschuldigung von Jörg Schönenborn:

„Es tut mir leid, dass Sie vergeblich nach der vollständigen Blitzbefragung von Donnerstag gesucht haben. Mittlerweile hat tagesschau.de auf meine Bitte hin das Angebot ergänzt. Wir hatten es in der Tat versäumt, die Ergebnisse, die erst sehr spät am Donnerstag Abend und losgelöst von den übrigen Umfrageergebnissen bei uns eintrafen umgehend hochzuladen – wie es sonst bei uns üblich ist.“

Ungeachtet dieser Versäumnisse: Das Phänomen eines“Schutzreflexes“,  das Schönenborn der deutschen Bevölkerung unterstellt,  entsteht m.E. auch durch schwachbrüstige Gefälligkeitsinterviews und suggestive Fragestellungen in Meinungsumfragen. Wer wollte Wulff fertigmachen ? Die trantütigen Stichwortgeber Schausten und Deppendorf ? Warum stellen die Demoskopen nicht folgende Frage: Man hat den Eindruck Wulff versucht die Aufklärungsarbeit der Medien mit aller Macht zu behindern ? Image and video hosting by TinyPic

Für Jörg Schönenborn stand in jedem Fall schon am Abend des Wulff Interviews und einen Tag vor der Umfrage vom 5.1.12 folgendes fest:

„Ich glaube, er hat das beste aus der Situation gemacht. Als Befreiungsschlag würde ich das Interview heute allerdings nicht bezeichnen, es hat ihm ein wenig Luft verschafft. Rückblickend werden wir dann in ein paar Wochen wissen, ob es der Wendepunkt in der Affäre war.“ (WDR 4.1.2011 )

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Bereits im Dezember, als die öffentliche Meinung zu Bundespräsident Wulff vollends zu kippen drohte, servierte Infratest dimap der ARD eine „repräsentative Umfrage“ zum ersten Mann im Staat. Auch KT zu Guttenberg sollte vor gut einem Jahr mittels dieser medialen Schützenhilfe der Rückhalt des Volkes versichert werden. Genützt hat es nichts. Ein Blick auf die konkreten Ergebnisse der aktuellen Umfrage wirft Fragen auf. 47% der Befragten finden es nicht in Ordnung (sic), dass Wulff einen Kredit von einem befreundeten Unternehmer annimmt. Dass Wulff die Öffentlichkeit seit Tagen dreist belügt, indem er stur behauptet, das Geld käme von der Ehefrau Edith Geerkens, einer ehemaligen Verkäuferin, und nicht von ihrem millionenschweren Gatten, ist den Meinungsforschern keine Frage wert. Auch die Reisen des Egon Geerkens innerhalb Wulff’s Wirtschaftsdelegationen in dessen Amtszeit als Ministerpräsident, berühren die Fragestellungen nicht. 54% finden es nicht in Ordnung, dass ein Ministerpräsident sich von befeundeten Unternehmern zu Urlauben einladen lässt. 47% halten ihn nicht für ehrlich. Umso verblüffender erscheint das Ergebnis, dass sich 70% , die klare Mehrheit wie uns auf allen Kanälen eingetrichtert wird, gegen einen Rücktritt Wulff’s aussprechen. Alle aktuellen Online-Umfragen auf großen Online-Portalen wie Welt-Online oder n-tv, sehen diese klare Mehrheit eher bei den Befürwortern eines Rücktritts. Die Infratest-dimap Fragestellungen sind in mehrfacher Hinsicht manipulativ. „In Ordnung“ ist eine äußerst vage, euphemistische Kategorisierung. Die Tatsache, dass Wulff seit geraumer Zeit schlichtweg schwindelt, wird völlig unterschlagen, die Wirtschaftsreisen des Darlehensgebers Geerkens ebenso. Selbstverständlich muss auch die Fehlertoleranz berücksichtigt werden und auch eine schlichte Fälschung des Ergebnisses kann nicht ausgeschlossen werden. Wenn Wahlcomputer manipuliert werden können, warum nicht simple Meinungsumfragen ? Die Unabhänigkeit von Infatest dimap kann nicht garantiert werden, nur weil der Umfrage der ARD Stempel aufgedrückt wurde. Die TNS Infratest Holding hält 74% an dimap und ist die deutsche Tochtergesellschaft der zur WPP Group gehörenden Kantar Group. Zu deren Kunden zählt beispielsweise die Deutsche Bahn. Die obigen Links lassen erahnen, wie eng eben auch die Verknüpfungen von Meinungsforschunginstituten mit PR und Politik sein können.

Image and video hosting by TinyPicscreenshot:n-tv 20.12.2011

Siehe da, einen Tag nach der Präsentation seiner manipulativen Blitzumfrage legt Jörn Schönenborn nach. Hier wird deutlich, wie mit Hilfe eines Strohmann Arguments eine Self-fulfilling prophecy ins Leben gerufen wird um den Täter Wulff als Opfer darzustellen:

„Freitag, 06. Januar 2012 17:00 Uhr. Schönenborn: Bevölkerung hält Wulff-Berichterstattung inzwischen für Hetzkampagne. Der Chefredakteur des WDR-Fernsehens, Schönenborn, hat die Medien davor gewarnt, sich in der Affäre um Bundespräsident Wulff als Gewinner zu sehen. Auf einer Tagung zum 50-jährigen Bestehen des Deutschlandfunks in Köln wies er darauf hin, dass sich in der Bevölkerung ein Solidarisierungseffekt mit Wulff abzeichne. Die Mehrheit nehme die Berichterstattung inzwischen als unfaire Hetzjagd wahr. Schönenborn stellte in diesem Zusammenhang klar, dass nicht das Internet die Meinung der Bevölkerung abbilde, denn dort werde bereits der Rücktritt des Bundespräsidenten gefordert.“ (Deutschlandfunk 6.1.2012.)

„WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn hat das Exklusivinterview von ARD und ZDF mit Bundespräsident Christian Wullf verteidigt. Schönenborn sagte am Freitag auf einer Tagung in Köln, es freue ihn, dass “ARD und ZDF in dieser Situation ein Leitmedium sind”. Die Sender hätten ihre Aufgabe “gut gemacht”.“ (WDR 6.1.2012)

2 Kommentare

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  2. Oliver van Troogk

    Vielen Dank für die Fleißarbeit, die ihr euch gemacht habt; das Ergebnis ist sehr erhellend. Ich frage mich schon seit einiger Zeit, was mit den Leuten in diesem Land los ist, wenn ich diverse Umfrageergebnisse sehe.

    Eine kleine Sache noch: Unter den Screenshots vom ARD-DeutschlandTREND steht „+++Update 12.1.2011+++“. Vielleicht sollte man mit den Erwartungen an die öffentlich-rechtliche Berichterstattung auch das angegebene Jahr eine Nummer höher schrauben.

    Grüße von Oliver.

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