Die Regierungskrise ist überwunden. Vorläufig. Der amtierende Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, wird zwar nicht befördert, bekommt aber als zukünftiger Sonderberater für europäische und internationale Aufgaben im Bundesinnenministerium, zirka 200 Euro monatlich mehr als in seinem alten Job. In seiner neuen Funktion soll Maaßen unter anderem zuständig sein für das Aushandeln von Abkommen für Rückführungen von Asylbewerbern und Vereinbarungen mit afrikanischen Staaten in der Flüchtlingspolitik.
Ist die Causa Maaßen/BfV hiermit erledigt? Mitnichten. Erst heute wurde eine höchst umstrittene Doppelrolle einer ehemaligen BfV-Mitarbeiterin publik, die den Amri-Untersuchungsausschuss begleitet.
Dr. Eva Maria H. ist mittlerweile Oberregierungsrätin im Bundesinnenministerium, Abteilung für öffentliche Sicherheit. Sie soll als „Aufpasserin“ im Untersuchungsausschuss die Sicherheitsinteressen des Staates schützen, indem sie das Öffentlichwerden von geheimen Informationen unterbindet. Pikantes Detail: Frau H. war früher als Mitarbeiterin beim Bundesamt für Verfassungsschutz mit Kontaktleuten von Anis Amri befasst. Aufklärung sieht anders aus.
Auch an anderer Stelle brodelt es. Die Verhaftung meherer mutmaßlicher Rechtsterroristen der sogenannten „Revolution Chemnitz“ sorgte bundesweit für große Bestürzung. Chatprotokolle belegen, dass die Gruppe Pläne für gewalttätige Angriffe und bewaffnete Anschläge auf Ausländer und politisch Andersdenke vorbereitet hat:
Die Mitglieder wollten demnach eine Systemwende herbeiführen und einen Bürgerkrieg auslösen. Konkret ging es in den Chats etwa um den Ankauf von Waffen und Munition. Es wurden beispielsweise Modelle diskutiert, Preisvorstellungen genannt und Sonderwünsche geäußert. So etwa die Maschinenpistole MP5 von Heckler und Koch. Diese sei für rund 800 Euro mit mehreren Magazinen zu bekommen. Das sei sehr teuer, hieß es in der Gruppe, andererseits sei die Waffe aber echt und nicht nur aufgebohrt.Auch Vergleiche zur rechten Terrorvereinigung „Nationalsozialistischer Untergrund“ wurden innerhalb des Gruppenchats gezogen. Dieser sei angesichts der „Revolution Chemnitz“ nur eine „Kindergarten-Vorschulgruppe“, heißt es beispielweise. Am Tag der Deutschen Einheit wollte die Gruppe dann offenbar losschlagen – auch wenn der Plan dafür wohl noch nicht genau feststand. Klar war nur, dass es zunächst nach Gewalt aussehen soll, die von Linksextremen ausgehe. (MDR 1.10.2018)
Fünf Mitglieder sollen bereits am 14. September bewaffnet mit Glasflaschen und einem Elektroschocker mit weiteren gewaltbereiten Rechtsextremen auf der Schlossteichinsel in Chemnitz mehrere Ausländer angegriffen und verletzt haben:
Ein Opfer, ein Iraker, wurde durch den Wurf einer Glasflasche am Hinterkopf verletzt. Weil die mutmaßlichen Täter auch Ausweise kontrolliert haben sollen, wurden sie von der lokalen Polizei als „Bürgerwehr“ bezeichnet. Ein Video, das dem vorliegt, zeigt die Männer in aggressiver Pose, die Rufe „frei, sozial und national“ ertönen – ein Ruf von Neonazis. Ein Augenzeuge bestätigt dem die Echtheit des Videos. Der Vorfall hat sich nach einer Demo der rechtsgerichteten „Pro-Chemnitz“-Bewegung ereignet, an der die mutmaßlichen Täter teilgenommen hatten. (Tagesschau.de 1.10.2018)
Mindestens drei der mutmaßlichen Mitglieder der rechtsextremistischen Terrorgruppe „Revolution Chemnitz“ marschierten auf dem sogenannten „Trauermarsch“ der AfD am 01.09. in Chemnitz Seit an Seit mit Führungskadern der AfD um Björn Höcke.
Rechtsextremisten fühlen sich offensichtlich durch die aktuelle Diskussion legitimiert, den bewaffneten Aufstand auszuüben – und die Hemmschwelle zur Gewalt sinkt weiter.
Die höchst problematischen Äußerungen von Hans-Georg Maaßen zu den Ausschreitungen in Chemnitz bekommen nun eine weitere brisante Dimension.
Während der BfV Chef rechte Aufmärsche/Gewalt in Chemnitz mit seiner Verschwörungstheorie zum „Antifa Zeckenbiss“ in der Bild Zeitung relativierte, planten Neonazis, die in Chemnitz mitmarschierten, terroristische Anschläge. Vieles deutet darauf hin, dass die Aktivitäten der Rechtsextremen bereits seit Jahren von Sicherheitsbehörden beobachtet wurden. Der Facebook Account Revolution-Chemnitz AMW im Jahr 2013:
Die Zeit bleibt nicht stehen, der Volkstod naht. Zeit zur Revolution, mit uns zur Tat. Revolution Chemnitz.
Der mutmaßlich geplante Anschlag zum Tag der deutschen Einheit war als False Flag Terror geplant und sollte den Verdacht auf „Linksextreme“ lenken:
Für den Tag der Deutschen Einheit war dann die große Aktion geplant. Wie genau sie aussehen sollte, stand offenbar noch nicht fest. Aber der Tag solle zu einem historischen Wendepunkt werden, hieß es in der Gruppe. Und zwar am besten so, dass es zunächst nach Gewalt aussehe, die von Linksextremen ausgehe. „Ich könnte wetten: Sollte ein zweites Hamburg wie zum G20 Gipfel entstehen, sind die Bullen zu 88,88 Prozent auf unserer Seite!“, schrieb ein Mitglied des Chats. „Es muss nur so aussehen, als hätten die Parasiten angefangen!“ (Tagesschau.de 2.10.2018)
Interessanterweise hatte auch BfV Präsident Maaßen in seiner Innenausschuss-Anhörung zu seinen umstritten Äußerungen Bezug auf Linksextreme im Kontext des G-20 Gipfels genommen:
In linksextremistischen Kreisen sind die Manipulationen von Bildern und Videos und die Verwendung von echten nicht verfälschten Bildern und Videos in einem nicht authentischen Zusammenhang weit verbreitet.So werden regelmäßig Aufnahmen veröffentlich, die ein unverhältnismäßiges und gewaltsames Vorgehen der Polizei gegen scheinbar friedliche Demonstranten belegen sollen. Bei der Welcome to hell-Demonstration am 6. Juli 2017 in Hamburg zeichneten linksextremistische Gruppen und Strukturen das Bild unverhältnismäßiger Polizeigewalt. Videoaufnahmen, die aus linksextremistischen Zusammenhängen veröffentlicht wurden, zum Beispiel Hamburger Linie, zeigen aus dem Zusammenhang gerissen überwiegend scheinbar friedliche Demonstranten und gewaltsames Vorgehen von Polizeikraften. Videomaterial der Polizei Hamburg dagegen belegt zweifelsfrei, dass der Auflösung der Demonstration durch Polizeikrafte Angriffe mit Pyrotechnik, Steinen und Flaschen vorausgegangen waren. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich erinnere daran, dass einige deutsche Medien den Videoclip von Antifa Zeckenbiss ,,Menschenjagd in Chemnitz, Nazi-Hools sind heute zu allem fähig“ teilweise eins zu eins verbreiteten und die Konnotation von Hetzjagden übernahmen. Ich denke da zum Beispiel an die Tagesschau vom 27. August 2018, 20.00 Uhr.
Hamburger Linie? Es kann ausgeschlossen werden, dass Maaßen den Gesamtpolizeiführer des umstrittenen Polizeieinsatzes beim G20-Gipfel in Hamburg 2017, Hartmut Dudde, persönlich für die Verbreitung von Desinformation verantwortlich machen will. Maaßen bezog sich offenbar auf einen Twitter Account mit dem Namen „Hamburger Linie“. Die Inhaberin des Accounts ist offensichtlich weder eine Linksextremistin, noch legt Maaßen Belege für seine Behauptungen vor. Die Apologetik Maaßens ist spekulativ und unseriös. Zugleich wird deutlich, dass der Verfassungsschutz Sozial Media überwacht und offensichtlich kritische NutzerInnen unter Extremismusverdacht stellt.
Der oberste Verfassungsschützer Deutschlands verbreitet nach den Ausschreitungen in Chemnitz das Narrativ der Rechtsextremen (Desinformation mittels eines nicht authentischen Videos) und rechtfertigt dies später vor dem Innenausschuss mit einer weiteren Verschwörungstheorie (Linksextreme betrieben mit manipulativen Videos Desinformation während des G-20 Gipfels). Dabei räumte Maaßen ein, seine Behörde haben keine Belege dafür, dass es sich beim Account „Antifa Zeckenbiss“ um linksextreme Betreiber handle. Dass weder PolitikerInnen noch JournalistInnen Maaßens Ausführungen zur „Hamburger Linie“ hinterfragt haben ist ein Armutszeugnis.