Hamburg räumt auf: die unpolitische bürgerschaftliche Initiative im Einklang mit Politik und Polizei

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Die Diskussionen um den G 20 Gipfel von Hamburg ebben nicht ab. Während die Hamburger Regierungsparteien in einer Sondersitzung des Innenausschusses die Einrichtung eines Sonderausschusses beschlossen und einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss verhinderten, sickern immer mehr Informationen durch, die Zweifel an dem Einsatzkonzept der Polizei während des Gipfels bestätigen und Belege für Eskalation und unverhältnismäßige Gewalt seitens der Sicherheitskräfte liefern.

Die Polizei habe «alles richtig gemacht und einen heldenhaften Einsatz zustande gebracht», erklärte Bürgermeister Scholz anlässlich der Visite von Bundespräsident Steinmeier am 9.7.2017. Steinmeier besuchte nach Beendigung des G 20 Gipfels verletzte Polizisten in der Hansestadt und verteidigte Hamburg als G20-Standort:

„Auf die Frage, ob die Sicherheitslage beim G20-Treffen unterschätzt worden sei, sagte Steinmeier, in den Medien sei vor der Konferenz gewarnt worden, «dass Hamburg eine Chance auslässt, wenn hier nicht ein großes, internationales Volksfest gefeiert wird». Zudem habe es geheißen, die Stadt schotte sich viel zu sehr durch übertriebene Sicherheitsmaßnahmen ab. Deshalb solle man «jetzt auch mit Maß und Erinnerung an das, was vor dem G20-Gipfel gesagt und geschrieben wurde, an die Beurteilung im Nachhinein herangehen».“ (Welt Online 9.7.2017)

Dass der G 20 Gipfel der Stadt ein Volkfest bescherte, war indes keine Assoziation der Medien, sondern fußte auf einer Aussage des Bürgermeisters Scholz:

„Wir richten ja auch jährlich den Hafengeburtstag aus. Es wird Leute geben, die sich am 9. Juli wundern werden, dass der Gipfel schon vorbei ist.“

Die meisten HamburgerInnen wunderten sich am 9. Juli vor allem über die schamlose Apologetik der Politiker, die eine Mitverantwortung tragen für den tagelangen Ausnahmeszustand in der Stadt, die Einschränkung von Grundrechten (Versammlungs- und Pressfreiheit, pausenlosen Lärm durch Helikopter und Polizeisirenen, fehlenden Schutz der Anwohner, Verkehrschaos, verängstigte Kinder, ein verfehltes Einsatzkonzept der Polizei, übermüdete und überforderte BeamtInnen, unverhältnismäßge Polizeigewalt.

Bürgermeister Scholz und Bundespräsident Steinmeier kündigten an, am 9.7. 2017 die  Sternschanze zu besuchen um mit AnwohnerInnen zu sprechen. Keiner der beiden kam. Aus Sicherheitsgründen hieß es.

Die zahlreichen PressevertreterInnen, die an diesem Sonntag am Schulterblatt zugegen waren sollten dennoch interessante Bilder einfangen: Bis zu 7000 HamburgerInnen kündigten im Rahmen eines „Facebook Events“ an dort und an drei weiteren Orten der Stadt aufzuräumen!

Die Stadtreinigung hatte zwar bereits ihren Job gemacht und nicht wenige AnwohnerInnen der Schanze empfanden das „Nachputzen“ in ihrer Nachbarschaft als übergriffig, da z.B. auch Graffiti entfernt wurden, die nichts mit den riots zu tun hatten und zum Charme des Viertels gehörten. Nichtsdestotrotz fand die „tolle Aktion“ ein großes Medienecho.

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Timon Feld initiierte mit seiner Freundin Rebecca Lundrup und zwei weiteren jungen Menschen via Facebook die Aktion „Hamburg räumt auf“:

„Alles beginnt in der Nacht von Donnerstag auf Freitag, als er und seine Freundin in ihrer Wohnung in Hamburg-Lokstedt im Fernsehen die Berichte über die Krawalle schauen. „Ich war erschrocken, traurig, fassungslos, als ich das gesehen habe, und dachte: Jetzt musst Du etwas tun“, sagt Rebecca später. Und sie tut etwas, postet bei Facebook einen Aufruf, der die Hamburger zum Aufräumen bewegen soll. „Ich bin ehrlich, ich habe nicht daran gedacht, dass das so eine Resonanz haben wird“, sagt Feld. Doch der Einzelhandelskaufmann, der bis vor drei Jahren in Wrixum auf Föhr lebte, wo heute noch seine Eltern wohnen, unterstützt seine Freundin. Nach ein paar Stunden haben sich 30 Freunde gefunden, die mit Besen und Schaufeln die Straßen säubern wollen. „Und über die Nacht ist die Sache dann durch die Decke gegangen“, sagt Feld.“

Über Nacht hatte man auch ein professionelles Logo parat, das dem offiziellen Symbol des G 20 Gipfels nachempfunden wurde:

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Wie aus dreißig Facebook FreundInnen innerhalb kürzester Zeit 7000 PutzaktivistInnen lässt sich schwer nachvollziehen. Die Hamburger Mopo und der NDR gingen eher von ca. 1000 Personen aus, die tatsächlich an der Aktion teilnahmen. Die Sache „ging wohl auch durch die Decke“ weil einige Medien frühzeitig auf das „Facebook-Event“ aufmerksam machten. N 24 erwähnte die Veranstaltung bereits am Freitag, den 7.7., im laufenden Programm. Am Samstag, den 8.7. berichtete Tagesschau 24 über die Aktion. Stern Online, veröffentlichte einen Artikel am 8.7. und „trommelte“ am 9.7. bereits um 9 Uhr für die Veranstaltung:

„Nach Gewaltnacht in der Schanze:Hamburg räumt auf – und auch die Polizei hilft mit. Zertrümmerte Geschäfte, verbrannte Gegenstände: Nach einer Nacht der Gewalt räumt Hamburg auf. Die Stadtreinigung ist seit dem frühen Morgen im Einsatz. Und selbst die Polizei packt schon wieder mit an – auch Bürger organisieren sich.“

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Auch Focus berichtete vorab:

„Hamburg räumt auf!“ – unter diesem Motto treffen sich am Sonntag tausende Hamburger Bürger, um ihre Stadt nach dem G20-Chaos wieder auf Vordermann zu bringen. Nach drei Nächten mit Protesten und heftigen Krawallen gleichen Teile der Stadt einem Schlachtfeld. Verbrannter Müll, Trümmer und Scherben prägen mancherorts das Straßenbild, Pflastersteine wurden herausgerissen. Ab 13 Uhr am Sonntag beginnt das große Reinemachen am Bahnhof Sternschanze. Weiter geht es in Altona direkt am Bahnhof, am Bahnhof Schlump und bei den Landungsbrücken. Rund 6500 Hamburger haben sich über Facebook zu der Aktion verabredet, fast 30.000 sind an der Veranstaltung interessiert. Unter dem Twitter-Hashtag „#HamburgRäumtAuf“ schrieb ein Mann: „Zieht euch was Weißes an und räumt auf, was der schwarze Block angerichtet hat.“ Auch die Stadtreinigung Hamburg hat Unterstützung angekündigt. Ein Lieferdienst will die Helfer mit kostenloser Suppe versorgen. Die Aktion soll vor allem den Anwohnern der verwüsteten Viertel helfen und ein Zeichen gegen die Gewaltausbrüche der vergangenen Nächte setzen. Die Veranstalter betonen ausdrücklich, dass „Hamburg räumt auf!“ keine politische Aktion sei.“

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Der „Mann“, der dem „schwarzen Block“ gerne weiß entgegensetzten wollte, hatte es der Journaille angetan. Das Hamburger Abendblatt am 8.9.2017:

„Pragmatisch reagieren zahlreiche Hamburger Bürger auf die Ereignisse der vergangenen Nacht. Sie wollen ihre Stadt nach den Krawallen wieder auf Vordermann bringen. „Zieht euch was Weißes an und räumt auf, was der schwarze Block angerichtet hat“, schrieb ein Mann im Internet unter dem Twitter-Hashtag „#Hamburg räumt auf“. Treffpunkt ist Sonntag um 13 Uhr am Bahnhof Sternschanze. Viele äußerten sich im Internet begeistert über die Aktion. Bei Facebook hatten am Sonnabendvormittag bereits 4000 Menschen zugesagt, sich zu beteiligen.“

Zahlreiche Online Portale großer Medien übernahmen die dpa-Meldung über den Tweet von „Rumkugel Holmes“, etwa Zeit Online und auch die die Süddeutsche:

„Zuvor hatten bereits Hamburger Bürger Hilfe angeboten. So will eine Initiative die Stadt nach den Krawallen wieder auf Vordermann bringen. „Zieht euch was Weißes an und räumt auf, was der schwarze Block angerichtet hat“, heißt es im Internet unter dem Twitter-Hashtag „#Hamburgräumtauf“. Der Treffpunkt: Sonntagmittag am Bahnhof Sternschanze. Vielleicht kommt dann auch Bürgermeister Scholz. Zumindest Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat bereits angekündigt, sich am Sonntag im Schanzenviertel ein Bild von der Lage zu machen.“

Nebenbei bemerkt: Der Tweet des „Mannes“ wurde nicht unter dem Hashtag #Hamburgräumtauf veröffentlicht. „Rumkugel Holmes“, der „Mann im Internet“  ist natürlich kein Mann, sondern eine Teenagerin von maximal 15 Jahren, die auf Twitter ihre Vorliebe für weiße Kleider bekennt und „keine Freunde hat“:

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Fakt ist: den OrganisatorInnen wurde im Vorfeld des Aktion bereits mediale Schützenhilfe zuteil. Sie standen nicht nur frühzeitig im Kontakt mit dem Staatsoberhaupt der BRD, sie konnten zudem sowohl auf die Unterstützung Hamburger Firmen (der Hagebaumarkt spendete z.B. Putzutensilien) zählen als auch auf die der Polizei und Behörden :

„Den Organisatoren wird ein wenig mulmig. Sie hätten zwar nicht geglaubt, dass ihre Aktion instrumentalisiert werden könnte, aber sie wollen keinen Fehler machen und rufen bei Polizei und Behörden an. Keiner hat Bedenken, selbst als die Zahl der Unterstützer in die Tausende geht. „Am Ende sollen rund 10 000 Leute dabei gewesen sein, wir konnten die gar nicht mehr zählen. Es war der Wahnsinn“, sagt Feld. Fast verpassen er und seine Freundin den Auftakt der Aufräumaktion. Denn die Politik hat längst erkannt, dass die Aktion ein anderes Bild von Hamburg und seinen jungen Leuten zeichnen kann, als es viele Menschen in diesen Tagen aus den Medien kennen. Das Organisationsteam wird zur Polizei eingeladen. „Rebecca hat telefoniert, wurde ganz rot und hat dann auf einen Zettel ‚Steinmeier, Scholz, Gesprächstermin?‘ geschrieben. Da haben wir nur noch gejubelt“, erzählt Feld. Bürgermeister und Bundespräsident bedanken sich für die bewusst unpolitisch gehaltene Aktion. „Danach mussten wir rennen, damit wir rechtzeitig zum Start in der Schanze waren“, erzählt Feld. Seine Freundin gibt das Startzeichen, drei Stunden lang sammeln Menschen Müll, putzen Graffitis weg, setzen Pflastersteine wieder ein, fegen die Straßen. „Wir haben der Welt gezeigt, wie Hamburg wirklich ist“, sagt Timon Feld über die „Welle der Hilfsbereitschaft“.“

Die Putzkolonne traf gegen Mittag (12-13 Uhr) am Schulterblatt ein. Zu einem Zeitpunkt als der Besuch von Bundespräsident Steinmeier und Bürgermeister Scholz in der Sternschanze erwartet wurde. Die PlanerInnen von „Hamburg räumt auf“ befanden sich just in diesem Zeitraum beim gemeinsamen Foto-Termin mit den beiden Sozialdemokraten. Steinmeier lobte „Hamburg räumt auf“ bereits um 11 Uhr während seiner Pressekonferenz vor den Messehallen. Sie wurden quasi von höchster politischer Instanz für eine Aktion hofiert und gewürdigt, die noch gar nicht begonnen hatte.

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Die InitiatorInnen legten stets Wert auf die Feststellung, die Aktion sei keine politische Veranstaltung, wie sie auf Facebook erklärten:

„Wir haben eben mit dem Leiter der Hamburger Veranstaltungsbehörde Herrn Lückfett gesprochen, da die Veranstaltung immer mehr Zuwachs findet! Herr Lückfett war begeistert von der Idee und hat uns grünes Licht signalisiert. Da dies keine Politische Veranstaltung ist verstoßen wir auch nicht gegen Artikel 8.“

Organisatorin Rebecca Lunderup wandte sich vor Beginn der Putzaktion an die Menschen, die ihrem Aufruf gefolgt waren:

„Wir haben gerade mit dem Bürgermeister und Frank Walter Steinmeier gesprochen, die uns sehr unterstützen und die das auch gleich nochmal twittern werden damit wir noch mehr Leute werden und die Stadt wieder saubermachen können.“

Dass „Hamburg räumt auf“ durchaus einen politischen Charakter besaß, verdeutlicht nicht zuletzt die Tatsache, dass die Aktion von der Polizei organisatorisch und wohlwollend begleitet wurde. Während des Gipfels versuchte die Polizei Proteste mit allen Mitteln zu verhindern (Demoverbotszonen/rechtswidrige Räumung Camp Entenwerder), eskalierte lebensgefährlich am Fischmarkt, griff wegen eines mutmaßlichen Hinterhalts stundenlang nicht am Schulterblatt ein, ließ Chaoten eine Stunde in Altona brandschatzen, ging häufig mit unverhältnismäßiger Gewalt gegen friedlich Protestierende, JournalistInnen und Unbeteiligte vor.

„Hamburg räumt auf“ hingegen begegnete die Polizei mit offenen Armen. Die InitiatorInnen wurden am 9.7. ins Polizeirevier 16 eingeladen und von Bürgermeister Scholz und Bundespräsident Steinmeier empfangen, was alle Beteiligten ausgiebig auf ihren Facebookseiten dokumentierten.

Steinmeier auf seiner Facebook-Seite am 9.7.2017 um 13 Uhr 59, als die Putzaktion noch in vollem Gange war:

„Es ist klar: Das waren schwere Tage für Hamburg und seine Bewohner. Was mich aber auch noch wirklich beeindruckt, das sind die vielen Hamburgerinnen und Hamburger, die freiwillig mit anpacken, um ihre Stadt von den Spuren der Gewalt zu befreien. Auch ihnen möchte ich danken. Sie setzen mit ihrem freiwilligen Engagement und Initiativen wie #hamburgräumtauf ein positives und auch hoffnungsvolles Zeichen.“

Bild.de vom 9.7.2017 zitiert verkürzt Steinmeiers Pressekonferenz:

„An die Bewohner des Schanzenviertel gerichtet sagte er: „Fast unerwartet haben sich auch die Bürger zu Wort gemeldet. Sie packen mit an und helfen denen, die aufräumen. Hamburg räumt auf, ist eine wunderbare Initiative. Ich bin froh, hier zu sein, auch um den Einsatzkräften meinen Dank mitzuteilen.“

Hier das Original Zitat von Steinmeier, dass am Morgen des 9.7. von zahlreichen Fernsehteams aufgezeichnet wurde. Der Bundespräsident hatte zu diesem Zeitpunkt weder mit den OrganisatorInnen von „Hamburg räumt auf“ gesprochen, noch hatte die Aktion begonnen:

„Wenn ich noch eins hinzufügen darf. Fast unerwartet haben sich hier auch private Bürger zu Wort gemeldet, in den letzten Tagen und haben gesagt, was immer passiert ist in Hamburg in diesen drei Tagen, wir lassen Hamburg nicht so wie es über einige Zeit in einigen, wenigen Teilen rund um das Schanzenviertel ausgesehen hat, sondern wir packen an und helfen denen, die Kraft Amtes zur Aufräumarbeit verpflichtet sind. Ich finde, „Hamburg räumt auf“ ist eine wunderbare Initiative, die zeigt, dass die Menschen dieser Stadt sich für ihre Stadt auch einzusetzten bereit sind.“

Organisatorin Lunderup beschrieb im NDR Interview ihr Treffen mit dem Bundespräsidenten:

„Wir waren auch mit auf dem Polizeikommissariat. Es war eine tolle Erfahrung. Ich fand das wirklich erstaunlich, dass er sich die Zeit genommen hat und dass er uns auch zugehört hat. (…) Er hat nochmal erwähnt wie toll er diese Aktion hier findet. Er hat gesagt, dass er das super findet, dass er am liebsten auch mitmachen möchte so ungefähr. Er hat natürlich jetzt viele Termine aber es war schon wirklich eine tolle Erfahrung.“

Ohne den „LeiterInnen der bürgerschaftlichen Initiative“ (Zitat Steinmeier) unredliche Motive unterstellen zu wollen, bleibt hier der Beigeschmack, dass ihre Putzaktion sehr wohl von Politik und Behörden instrumentalisiert wurde. Das mediale Feedback auf „Hamburg räumt auf“ war groß. Die Einbindung der Behörden und der Pressetermin mit Steinmeier und Scholz sorgten für zusätzliche Publizität.

Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass über friedliche Blockaden und Massendemonstrationen (76000 Menschen bei der Demo Grenzenlose Solidarität statt G20) nur verkürzt oder gar nicht berichtet wurde. Hamburg war eben nicht nur Gewalt und Chaos sondern überwiegend engagierter und friedlicher Protest, den Lunderup und ihre Mitstreiter im gleichen Maße verschweigen wie viele Medien lieber überwiegend Bilder von brennenden Barrikaden zeigten statt über die vielerorts artikulierte Kritik am Gipfel zu berichten.

Fragezeichen stehen hinter dem Ablauf der Enstehung von „Hamburg räumt auf“. Laut Aussage von Initiator Timon Feld entstand die Idee in der Nacht von Donnerstag auf Freitag und begann mit der Bekanntgabe der Veranstaltung auf Facebook. In einem Interview mit dem NDR vom 9.7. erklärte Felds Freundin jedoch sie habe erst am Freitag bei der Polizei angerufen um zu fragen ob „man irgendwie helfen kann“. Lundrup beschreibt die Antwort der Behörde und ihre Reaktion:

„Man hilft am besten wenn man zuhause bleibt, sich nicht in Gefahr bringt und einfach nichts macht. Das habe ich dann auch gemacht. Ich wollte aber noch mehr. Und dann habe ich diese Facebook-Gruppe ins Leben gerufen „Hamburg räumt auf“. Die hat ganz, ganz viele Menschen erreicht. Wir haben über 7000 Zusagen, die vielleicht auch alle hier sind. Das weiß ich gar nicht.“

Wie passt das zusammen? Zunächst ein Anruf bei der Polizei, die abblockt, dann über Nacht plötzlich ein paar tausend Interessierte auf Facebook. Anschließend wieder ein Anruf bei der Polizei und „Behörden“ und plötzlich Entgegenkommen und Unterstützung seitend der Polizei, inklusive Einladung aufs Revier und Fototermin mit Scholz und Steinmeier. Wie kam es zu dem Sinneswandel der Behörde? Wer war konkret involviert bei der Polizei? Warum berichteten schon am Samstag, einen Tag vor der Aktion, zahlreiche Medien über „Hamburg räumt auf“? Wie kam es zu der schnellen Unterstützung durch Hamburger Firmen? Woher wollten die InitiatorInnen am Freitag Morgen wissen, dass am Sonntag überhaupt Aufräumbedarf in der Sternschanze zu erwarten sein würde? Wie enstand der Kontakt zum Bundespräsidenten und Bürgermeister Scholz? Mit welchen Personen aus dem Arbeitsumfeld der beiden Politiker stand „Hamburg räumt auf“ im Kontakt? Welche Unterstützungsleistungen wurden von Polizei und Politikern konkret angeboten und umgesetzt?

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„Hamburg räumt auf“ erweckt den Eindruck einer gelungenen PR-Aktion, die am Ende des G 20 Desasters, just in dem Moment als Verantwortliche sich davor drückten im Schanzenviertel Stellung zu beziehen, schöne Bilder friedlichen BürgerInnenengagements zeigen sollten. Entpolitisierte Jugendliche/Facebooker enternen Graffiti an Banken, Kinder schreiben (angeblich) mit Kreide „keinen Bock auf schwarzen Block“ auf die Straße. Ein staatstragendes Happening der „wirklichen“ HamburgerInnen, unterstützt von Politik, Unternehmen und Medien. Kritik an G 20, Behördenversagen, Polizeigewalt, Bürgermeister Scholz, Innensenator Grote? Nicht vorhanden. Lieb sein, putzen, abschließen. Diskutieren? Bloß nicht! Organisator schrieb am 9.7. um 14 Uhr 38 auf Facebook:

„Habe grade gehört, dass es Diskussionen vor der Flora gibt. Bitte lasst Euch auf keine Diskussionen mit den Leuten da ein und geht einfach weiter. Wenn es kritisch wird ruft die Polizei und geht weiter. Vielen Dank. Ihr seid echt der Knaller!!!“

Die zahlreichen Kommentare und Videos auf der Facebook Seite von „Hamburg räumt auf“ zeugen von einer schlichten Dichotomie, die der komplexen Aufarbeitung des Hamburger G 20 Gipfels nicht gerecht werden. FacebookerInnen mit roten Hagebaumarkteimern, Love&Peace Symbolik, Herzchen Icons posten Selfies, danken den Einsatzkräften und sind vereint in ihrem Protest gegen den „schwarzen Block„. Wie viele von ihnen gegen den G 20 Gipfel protestiert haben oder während des Gipfels die Stadt verlassen hatten ist nicht bekannt. In einem Video der Abschlussveranstaltung von „Hamburg räumt auf“ skandiert die Menge laut:

„Wir sind Hamburg – und die nicht!“

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Wir: die guten, friedlichen, weltoffenen HamburgerInnen, die Facebook Herzchen folgend Graffiti entfernen, Ruß aus den Ritzen des Kopfsteinpflasters kratzen und der Polizei Dankbarkeit zeigen.

Die: die bösen, gewalttätigen, kleingeistigen, Chaoten (wahlweise DemonstrantInnen, G 20 GegnererInnen/Linksextreme/Autonome/Schaulustige/Krawalltouristen/linkes Pack/Straßenkämpfer/Betrunkene/Vorstadt-Kids/Plünderer), die alle Polizisten hassen.

Nun sind weder die paar tausend PutzaktivistInnen Hamburg, noch hasst ganz Hamburg die Polizei, wie mancherorts während des Gipfels gerufen wurde.

Wer allerdings keine Zwischentöne zulässt, sich mit Politikern ablichten lässt, die Kritik an Polizeigewalt als Denunziation bezeichnen (Olaf Scholz) und Hamburg als G 20 Ausrichtungsort im Nachgang rechtfertigen (Steinmeier), wer die vielschichtige Gemengelage der Gewalteskalation zum G 20 Gipfel ignoriert und sich von verantwortlichen Politikern vereinnahmen lässt, muss sich den Vorwurf der Naivität gefallen lassen.

Ein Initiator von „Hamburg räumt auf“ untertitelte auf seiner Facebook-Seite ein gepostetes Foto vom Schulterblatt mit „Bürgerkrieg“. Ob der junge Mann eine Ahnung davon hat wie es in Bürgerkriegsgebieten tatsächlich aussieht?

Auf der moderierten (!) Diskussionsseite des Facebook-Accounts von „Hamburg räumt auf“ wurden nicht nur Bild-Artikel (Fast 500 Beamte verletzt – helft den G 20 Polizisten) durchgewunken, sondern beispielsweise auch Kommentare und Links („Danke Polizei“ – LKR-Demo am Samstag, den 15. Juli in Hamburg) von Peter Drewes, einem Mitglied im Bundesvorstand der Partei „Liberal-Konservative Reformer“ (LKR), die von ehemaligen AfD’lern gegründet wurde und kaum für die zitierte Hamburger Weltoffenheit steht.

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Etwas mehr politisches Bewußtsein würde der „Generation Facebook“ nicht schaden.

Ein Video des Filmstudenten Sebastian von Kolasa, das er aus Aufnahmen vom 9.7. in der Sternschanze zusammenschnitt und am selben Tag auf Facebook stellte, wurde 69000 mal geteilt und von über 3 Millionen Menschen angesehen. Eingebettet in Bilder von winkenden Rentnerinnen, Kindern, putzenden jungen Menschen, einem Paar in inniger Umarmung dokumentiert der Filmemacher eine Aussage, die jemand auf bereit gestellte Stellwände geschrieben hatte:

„Einsatz der Polizei nicht mit Geld zu bezahlen…“

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Kritik an Politik, Polizei und dem G 20 Gipfel, die auch auf diesen Stellwänden zu lesen war, sparte der Filmstudent aus.

Das Hamburger Abendblatt vom 10.7.2017:

„Vor dem Jesus Center am Schulterblatt hat Holger Mütze zwei große Pinnwände aufgestellt. „Das Negative kriegt wieder viel zu viel Raum“, sagt der Leiter der sozial-diakonischen Einrichtung. „Da wollten wir etwas dagegensetzen.“ Also haben sie oben auf die Wände geschrieben: Gibt es bei dem Chaos etwas Positives? Und nun haben Hunderte mit bunten Filzstiften ihre Gedanken zu den G20-Tagen in Hamburg aufgeschrieben. „Hamburg hält zusammen“, steht da. Und: „Autokraten, Klimakiller, Neoliberale konnten entspannt die Ode an die Freude hören – danke Olaf.“ Ganz unten steht: „Hamburg ist ein Spiegel – so sieht unsere Welt aus.“

Mehr Screenshots aus dem Video:

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Einige BürgerInnen konnten, so die Einschätzung von Rebecca Lunderup, dank „Hamburg räumt auf“ mit den G 20 Ereignissen abschließen. Andere BürgerInnen möchten allerdings keinen Schlussstrich ziehen, sondern wünschen sich eine ehrliche Aufarbeitung des politischen und behördlichen Agierens im Kontext des G 20 Gipfels.

Den  politischen Hardlinern wie Innenminister Thomas de Maizière wird der G 20 Gipfel auch zukünftig Wahlkampf Munition liefern. Am 10.7.2017 sendete er eine klare Botschaft an alle, die Vereinfachungen und unangemessene Vergleiche schätzen:

„Personen, die Autos abbrennen und Personen die Supermärkte plündern sind keine Aktivisten oder G 20 Gegner wie sie immer noch aus dem linken politischen Lager beschrieben werden. Sie sind verachtenswerte, gewalttättige Extremisten, genauso wie Neonazis es sind und islamistische Terroristen.“

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt formulierte es in der Tagesschau noch etwas pointierter:

„Die politischen Unterstützer der durch Hamburg wütenden linken Saubande zeigen erst das Ausmaß der linken Radikalisierung in Deutschland.“

Weitere Impression von Facebookern auf der FB-Seite von „Hamburg räumt auf“:

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Update 3.10.2017

Bundespräsident Steinmeier in seiner Rede zum Tag der deutschen Einheit:

In diesem Jahr und in meiner neuen Rolle habe ich aber noch einen anderen Satz gehört: „Ich versteh mein Land nicht mehr.“ Dieser Satz macht mir deutlich mehr zu schaffen. Nach den G20-Protesten habe ich Ladenbesitzer aus der Hamburger Schanze getroffen, die sagten: „Wir mussten mit ansehen, wie aus ganz normalen Passanten Gaffer und Plünderer geworden sind.“

Nach G20-Aktion. Aufräumerin ist jetzt „Heldin des Alltags“:

„Rebecca Lunderup rief zum Saubermachen nach den Krawallen in der Schanze auf. In Hamburg wurde die 22-Jährige dafür geehrt. Für die Fotoredaktion des Abendblatts war sie bereits „Mensch des Monats“ Juli, jetzt darf sich Rebecca Lunderup auch „Heldin des Alltags“ nennen. Am Mittwochabend nahm die 22 Jahre alte Hamburgerin im Theater Kehrwieder die gleichnamige Auszeichnung der Programmzeitschrift „auf einen Blick“ für die von ihr initiierte Aufräumaktion im Schanzenviertel entgegen. Dazu hatte Lunderup am 8. Juli mit ihrer Facebook-Gruppe „Hamburg räumt auf“ aufgerufen, um die Spuren der Verwüstung nach den G20-Krawallen zu beseitigen. Rund 10.000 Freiwillige waren begeistert von der Idee und halfen mit.“ (Abendblatt 5.10.2017)

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